Gut geschriebene Boulevardkomödie
Andreas Marber hat für sein neues Stück "Die Beissfrequenz der Kettenhunde" die kleinen Artikel im Wirtschaftsteil der Zeitung gelesen, quasi das, was innerhalb der Wirtschaft als "Vermischtes" gilt.
Und eins hat er anscheinend dabei gelernt: Auch im Zeitalter der Globalisierung sind es nicht Wachstumspläne und Kostenkontrolle, die das Schicksal einer Firma bestimmen. Sondern Menschlich-Allzumenschliches wie weiland bei den Buddenbrooks. Da wird ein neuer Geschäftsführer eingestellt, nur weil er der Sohn eines verstorbenen Freundes ist. Da wird eine Lieferung von 500.000 Herrenblousons mal eben storniert, bloß weil die Ärmel für den Sohn des Auftraggebers zu kurz sind. Die Keimzelle eines mittelständischen Unternehmens ist eben nach wie vor die Familie.
Rudolf Klaase ist ein Unternehmer alten Schlages. Er trifft seine Entscheidungen aus dem Bauch heraus, lässt sich von seinem Instinkt leiten. Als er in Bangladesch, wo Klaases Firma Billigkleidung für ALDI produzieren lässt, dem jungen Peter Vischer begegnet, macht er ihn in einer plötzlichen Gefühlsaufwallung zum neuen Geschäftsführer. Vielleicht, weil Klaase drei Töchter in die Welt gesetzt hat und den alten Vischer immer um seinen Sohn beneidete. Vielleicht, weil Klaase zeigen will, dass er aus diesem Peter Vischer mehr herausholen kann: Der ist nämlich zuvor in der Wirtschaft kläglich gescheitert, hat einen Prozess um unsaubere Geschäftsmethoden verloren und Schadenersatz leisten müssen. Vielleicht glaubt Klaase aber auch tatsächlich, seine Firma brauche "frischen Wind".
Vischer ist genau der richtige Windbeutel dafür. Hängt er in der ersten Szene noch schlaff im Sessel und lässt Klaases endlosen Monolog über sich ergehen, sehen wir ihn schon in der zweiten aufgeblasen auf einem Betriebsausflug seine Kollegin anbaggern. Nun ist es Vischer, der nicht zu reden aufhört, während die Kollegin kaum drei Mal zu Wort kommt. Peter Vischer ist der typische narzisstische Charakter: Völlig unfähig, die Reaktionen seiner Umwelt zu dechiffrieren. Kaum wittert er Morgenluft, spürt ein bisschen Anerkennung, segelt er größenwahnsinnig auf seinen Heldenphantasien davon. Genau so schnell ist am Ende, als Klaase ihn wieder entlassen hat, die Luft raus. Dieser Mann kann keinen frischen Wind machen, sondern nur sich von dem Wind treiben lassen, den andere erzeugen. Und womöglich hat Rudolf Klaase ihn deswegen eingestellt: Weil er unbewusst doch keine wirkliche Veränderung will, keinen Chef neben sich, das Ruder nicht abgeben an den Ziehsohn.
Marber hat sein Stück den Schauspielern des Thalia-Ensembles auf den Leib geschrieben. Und tatsächlich machen Werner Wölbern als Rudolf Klaase und Peter Jordan als Peter Vischer aus ihren Monologen den ganz großen Auftritt. Wie sie sich produzieren, sich ereifern, ihr Leben reflektieren, lässt das Publikum die erste halbe Stunde über im Lachkoma liegen.
Erst als die Frauen auftauchen, kommt es zu Schwächen, weil diese Figuren selbst eher schwach sind. Zwei Büromäuse gibt es, die graue und die schillernde. Die graue Büromaus, Maren Eggert, ist jene von Vischer angebaggerte Kollegin. Im eng anliegenden Kostüm und mit undurchdringlichem Gesichtsausdruck bemüht sie sich, dem Toben der männlichen Gewalten so gut wie möglich aus dem Weg zu gehen. Dass sie sich aus allem so erfolgreich heraus zu halten versteht, verdankt sie angeblich ihrem intakten Familienleben mit zwei Kindern. Doch weil diese Marie Stein kaum etwas zu sagen hat, bleibt auch ihr Familienleben eine bloße Behauptung.
Der schillernden Büromaus, gespielt von Kathrin Wichmann, gönnt Andreas Marber immerhin einen längeren Verzweiflungsmonolog. Sie wurde von der Mutter, einer Schönheitskönigin, als hässlich abgetan, und da Kathrin Wichmann ihre recht stämmigen Beine in einen schwarzen Minirock zwängen muss, weiß man gleich, wie’s gemeint ist. In jedem Büro gibt es wohl diesen Typ Sekretärin, der sich lieber die Nägel lackiert, statt die Mails zu checken, und vom Firmeninhaber beibehalten wird aus einer Mischung von Sozialfürsorge und "die war ja schon immer da". Im Mittelstand zählen Dienstjahre noch.
Doch genau die Verbindung vom kleinen Familien- zum großen Wirtschaftskosmos gelingt Andreas Marber nur mangelhaft. Wir sehen seine Typen, wir lachen über sie. Doch welch tragische Konsequenzen ihre kleinbürgerlichen Neurosen in einer globalisierten Welt am anderen Ende des Erdballs zeitigen, sehen wir nicht.
Das liegt auch an Stephan Kimmigs flotter, freundlicher Inszenierung, die das an Brutalität ausspart, was Andreas Marber zumindest schablonenhaft als Hintergrund entworfen hat. Während des ersten Treffens von Klaase und Vischer im Deutschen Club in Dhaka gehen nämlich ständig bengalische Kinder mit feisten zahlenden Kunden die Treppe hinauf. Aus dem Puff ist im Bühnenbild von Katja Hass ein Schuppen geworden, und statt der minderjährigen Prostituierten lässt Regisseur Stephan Kimmig eine erwachsene, bengalisch aussehende Frau auftreten, die sich vergeblich müht, "Der Kuckuck und der Esel" mit korrekter Aussprache zu singen. Sinnbild dafür, dass deutsches Kapital in alle Welt wuchert und nun alle statt der eigenen unsere Melodien intonieren müssen? Vielleicht eine poetische Metapher für die Vergewaltigung von Dritte-Welt-Ländern, aber diese Ästhetisierung nimmt der Sache ihren Biss.
Und daran fehlt es am Ende auch dem Stück. "Die Beissfrequenz der Kettenhunde" ist eine gut geschriebene Boulevardkomödie. Doch anders als die Boulevardkomödien von Yasmina Reza hält sie nicht uns den Spiegel vor, sondern unseren Nachbarn und Bekannten, mit dem Lachen über die anderen ist kein Stachel der Selbsterkenntnis verbunden. Zudem verliert Andreas Marber lieber ein gutes Stück als ein gutes Bonmot. Ganz zum Schluss sagt Peter Vischer zu seiner Freundin: "Manche Menschen, die sich nicht lieben, bleiben ein Leben lang zusammen. Warum sollten wir uns nicht trennen, obwohl wir uns lieben?" Ein hübscher Satz. Bloß fehlt ihm die Tragweite, weil die Freundin erst im letzten Akt in Erscheinung tritt, die Beziehung zu ihr nebulös bleibt und man sich fragt, wozu denn diese Figur überhaupt gebraucht wird. Auch ohne sie hätte Peter Jordan als Peter Vischer seinen großen Schlussmonolog halten können, in dem er minutiös seinen Selbstmord plant: Der Narziss will einmal Größe zeigen, einmal etwas wirklich perfekt machen, einmal die Anerkennung ernten, die ihm sein Vater immer versagt hat.
Auch Thomas Buddenbrook arbeitete sich an seinen Übervätern ab bis zum Herzinfarkt. Im deutschen Bürgertum ist alles beim Alten, sagt uns Marbers Stück. Wie eh und je liegen die männlichen Entscheider an der Familienkette und versuchen in regelmäßigen Abständen, mittels aggressiver Beißattacken sich zu befreien. Was natürlich niemals möglich ist. Eigentlich haben wir es ja immer geahnt, wenn wir Politikern und Börsengurus zuhörten: Es gibt nichts Neues in der Welt. Die alten Mechanismen bekommen nur in regelmäßigen Abständen hübsche neue Worthülsen.
Die Beissfrequenz der Kettenhunde
Von Andreas Marber
Thalia-Theater Hamburg
Regie: Stephan Kimmig
Bühne: Katja Hass
Mit Peter Jordan, Werner Wölbern, Maren Eggert, Kathrin Wichmann
Rudolf Klaase ist ein Unternehmer alten Schlages. Er trifft seine Entscheidungen aus dem Bauch heraus, lässt sich von seinem Instinkt leiten. Als er in Bangladesch, wo Klaases Firma Billigkleidung für ALDI produzieren lässt, dem jungen Peter Vischer begegnet, macht er ihn in einer plötzlichen Gefühlsaufwallung zum neuen Geschäftsführer. Vielleicht, weil Klaase drei Töchter in die Welt gesetzt hat und den alten Vischer immer um seinen Sohn beneidete. Vielleicht, weil Klaase zeigen will, dass er aus diesem Peter Vischer mehr herausholen kann: Der ist nämlich zuvor in der Wirtschaft kläglich gescheitert, hat einen Prozess um unsaubere Geschäftsmethoden verloren und Schadenersatz leisten müssen. Vielleicht glaubt Klaase aber auch tatsächlich, seine Firma brauche "frischen Wind".
Vischer ist genau der richtige Windbeutel dafür. Hängt er in der ersten Szene noch schlaff im Sessel und lässt Klaases endlosen Monolog über sich ergehen, sehen wir ihn schon in der zweiten aufgeblasen auf einem Betriebsausflug seine Kollegin anbaggern. Nun ist es Vischer, der nicht zu reden aufhört, während die Kollegin kaum drei Mal zu Wort kommt. Peter Vischer ist der typische narzisstische Charakter: Völlig unfähig, die Reaktionen seiner Umwelt zu dechiffrieren. Kaum wittert er Morgenluft, spürt ein bisschen Anerkennung, segelt er größenwahnsinnig auf seinen Heldenphantasien davon. Genau so schnell ist am Ende, als Klaase ihn wieder entlassen hat, die Luft raus. Dieser Mann kann keinen frischen Wind machen, sondern nur sich von dem Wind treiben lassen, den andere erzeugen. Und womöglich hat Rudolf Klaase ihn deswegen eingestellt: Weil er unbewusst doch keine wirkliche Veränderung will, keinen Chef neben sich, das Ruder nicht abgeben an den Ziehsohn.
Marber hat sein Stück den Schauspielern des Thalia-Ensembles auf den Leib geschrieben. Und tatsächlich machen Werner Wölbern als Rudolf Klaase und Peter Jordan als Peter Vischer aus ihren Monologen den ganz großen Auftritt. Wie sie sich produzieren, sich ereifern, ihr Leben reflektieren, lässt das Publikum die erste halbe Stunde über im Lachkoma liegen.
Erst als die Frauen auftauchen, kommt es zu Schwächen, weil diese Figuren selbst eher schwach sind. Zwei Büromäuse gibt es, die graue und die schillernde. Die graue Büromaus, Maren Eggert, ist jene von Vischer angebaggerte Kollegin. Im eng anliegenden Kostüm und mit undurchdringlichem Gesichtsausdruck bemüht sie sich, dem Toben der männlichen Gewalten so gut wie möglich aus dem Weg zu gehen. Dass sie sich aus allem so erfolgreich heraus zu halten versteht, verdankt sie angeblich ihrem intakten Familienleben mit zwei Kindern. Doch weil diese Marie Stein kaum etwas zu sagen hat, bleibt auch ihr Familienleben eine bloße Behauptung.
Der schillernden Büromaus, gespielt von Kathrin Wichmann, gönnt Andreas Marber immerhin einen längeren Verzweiflungsmonolog. Sie wurde von der Mutter, einer Schönheitskönigin, als hässlich abgetan, und da Kathrin Wichmann ihre recht stämmigen Beine in einen schwarzen Minirock zwängen muss, weiß man gleich, wie’s gemeint ist. In jedem Büro gibt es wohl diesen Typ Sekretärin, der sich lieber die Nägel lackiert, statt die Mails zu checken, und vom Firmeninhaber beibehalten wird aus einer Mischung von Sozialfürsorge und "die war ja schon immer da". Im Mittelstand zählen Dienstjahre noch.
Doch genau die Verbindung vom kleinen Familien- zum großen Wirtschaftskosmos gelingt Andreas Marber nur mangelhaft. Wir sehen seine Typen, wir lachen über sie. Doch welch tragische Konsequenzen ihre kleinbürgerlichen Neurosen in einer globalisierten Welt am anderen Ende des Erdballs zeitigen, sehen wir nicht.
Das liegt auch an Stephan Kimmigs flotter, freundlicher Inszenierung, die das an Brutalität ausspart, was Andreas Marber zumindest schablonenhaft als Hintergrund entworfen hat. Während des ersten Treffens von Klaase und Vischer im Deutschen Club in Dhaka gehen nämlich ständig bengalische Kinder mit feisten zahlenden Kunden die Treppe hinauf. Aus dem Puff ist im Bühnenbild von Katja Hass ein Schuppen geworden, und statt der minderjährigen Prostituierten lässt Regisseur Stephan Kimmig eine erwachsene, bengalisch aussehende Frau auftreten, die sich vergeblich müht, "Der Kuckuck und der Esel" mit korrekter Aussprache zu singen. Sinnbild dafür, dass deutsches Kapital in alle Welt wuchert und nun alle statt der eigenen unsere Melodien intonieren müssen? Vielleicht eine poetische Metapher für die Vergewaltigung von Dritte-Welt-Ländern, aber diese Ästhetisierung nimmt der Sache ihren Biss.
Und daran fehlt es am Ende auch dem Stück. "Die Beissfrequenz der Kettenhunde" ist eine gut geschriebene Boulevardkomödie. Doch anders als die Boulevardkomödien von Yasmina Reza hält sie nicht uns den Spiegel vor, sondern unseren Nachbarn und Bekannten, mit dem Lachen über die anderen ist kein Stachel der Selbsterkenntnis verbunden. Zudem verliert Andreas Marber lieber ein gutes Stück als ein gutes Bonmot. Ganz zum Schluss sagt Peter Vischer zu seiner Freundin: "Manche Menschen, die sich nicht lieben, bleiben ein Leben lang zusammen. Warum sollten wir uns nicht trennen, obwohl wir uns lieben?" Ein hübscher Satz. Bloß fehlt ihm die Tragweite, weil die Freundin erst im letzten Akt in Erscheinung tritt, die Beziehung zu ihr nebulös bleibt und man sich fragt, wozu denn diese Figur überhaupt gebraucht wird. Auch ohne sie hätte Peter Jordan als Peter Vischer seinen großen Schlussmonolog halten können, in dem er minutiös seinen Selbstmord plant: Der Narziss will einmal Größe zeigen, einmal etwas wirklich perfekt machen, einmal die Anerkennung ernten, die ihm sein Vater immer versagt hat.
Auch Thomas Buddenbrook arbeitete sich an seinen Übervätern ab bis zum Herzinfarkt. Im deutschen Bürgertum ist alles beim Alten, sagt uns Marbers Stück. Wie eh und je liegen die männlichen Entscheider an der Familienkette und versuchen in regelmäßigen Abständen, mittels aggressiver Beißattacken sich zu befreien. Was natürlich niemals möglich ist. Eigentlich haben wir es ja immer geahnt, wenn wir Politikern und Börsengurus zuhörten: Es gibt nichts Neues in der Welt. Die alten Mechanismen bekommen nur in regelmäßigen Abständen hübsche neue Worthülsen.
Die Beissfrequenz der Kettenhunde
Von Andreas Marber
Thalia-Theater Hamburg
Regie: Stephan Kimmig
Bühne: Katja Hass
Mit Peter Jordan, Werner Wölbern, Maren Eggert, Kathrin Wichmann