Gut Gentzrode bei Neuruppin

Das verfallene Märchenschloss im Kiefernwald

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Gut Gentzrode ist ein maurischer Palast aus dem 19. Jahrhundert, versteckt in märkischen Wäldern bei Neuruppin
Fontane schrieb über den maurischen Palast bei Neuruppin: "Der Reiz, den diese Gentzroder Schöpfung von Anfang hatte, wird ihr noch auf lange hin verbleiben..." © Deutschlandradio/Christoph D. Richter
Von Christoph D. Richter · 29.07.2020
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Das Gut Gentzrode ist ein Schlossbau im orientalischen Stil, den Theodor Fontane in feierlichen Worten beschrieb. Bei dem heutigen Anblick würde dem Schriftsteller aber das Herz bluten: Das Schloss ist ein "Lost Place" geworden.
Gut Gentzrode liegt vor den Toren der Fontane-und Schinkel-Stadt Neuruppin: Eine Alhambra im märkischen Kiefernwald, versteckt in völliger Einsamkeit. "Es ist die Geschichte eines Traums: ich baue mir mit meinem vielen Geld ein Refugium", sagt Brandenburgs Landeskonservator Thomas Drachenberg über das Gut Gentzrode.
Der erste Entwurf stammt von dem preußischen Architekten Carl von Diebitsch, geboren 1819, gestorben 1869, ein Orientliebhaber. Durch den Tod des Architekten wurde das Anwesen dann von Heino Schmieden und Martin Gropius vollendet, kein Geringerer als der Onkel des später weltberühmten Bauhaus-Pioniers Walter Gropius.
"Es sind absolute Stararchitekten dran gewesen, die das gebaut haben", meint Thomas Drachenberg. "Die Gartenanlage, die heute kaum noch zu sehen ist, ist von dem allerersten Gartenarchitekten, den Deutschland damals zu bieten hat, Gustav Meyer, gemacht worden."
Die Gutsanlage mit Rundturm, Kornspeicher und Herrenhaus – errichtet in der Formensprache maurischer Terrakotta-Ornamentik, bestehend aus Rosetten, Sternmotiven und Rautenmustern – wurde im Auftrag von Albrecht Gentz erbaut. Der Unternehmer ist durch den Torfabbau zu Wohlstand gekommen. Zeitlebens, das war Familientradition, wandte sich Gentz dem Orient zu, weshalb er auch das orientalische Märchenschloss bauen ließ.

Teppiche, Geweihe und Tigerfelle

Schon der Dichter Theodor Fontane schwärmte in den "Wanderungen durch die Mark Brandenburg" von Gut Gentzrode. Er nannte es in Anlehnung an das spanische Königshaus das "Eskurial von Ruppin".
"Man hat hier alles in Bild und Schrift beisammen, die Personen und die Gedanken, die Gentzrode seinerzeit entstehen ließen", sagt Thomas Drachenberg. "So das runde Zimmer im Erdgeschoss. Auch das im ersten Stock war seinerzeit reich geschmückt mit Teppichen, Geweihen und Tigerfellen, mit Raubvögeln und Wildschweinsköpfen, meist selbstgemachte Jagdbeute. Oben aber lief ein Außengang um den Turm herum, von dem aus man einen trefflichen Überblick über Nah und Fern hatte."
Heute ist vom Gut Gentzrode nur noch wenig zu sehen. Die Dächer sind kaputt, aus den maurischen Firsten wachsen Birken, die Treppenhäuser sind eingestürzt, die Fenster dunkle Löcher, die Wände beschmiert.
Der erste Entwurf des Schlosses stammte von dem Architekten und Orient-Liebhaber Carl von Diebitsch (1819-1869)
Der erste Entwurf des Schlosses stammte von dem Architekten und Orient-Liebhaber Carl von Diebitsch (1819-1869)© Deutschlandradio/Christoph D. Richter
Der Architekt Arne Krohn, der zugleich auch Neuruppins Baudezernent ist, kennt das Ensemble seit frühesten Zeiten. Der Verfall sei schwer auszuhalten: "Es ist eigentlich unverzeihlich, dass so eine Anlage so verrottet ist, wie sie jetzt aussieht. Da blutet einem das Herz."
Jedem Besucher, auch dem Reporter, verschlägt es den Atem, wenn man mitten in den märkischen Wäldern die maurische Gutsanlage Gentzrode entdeckt. Inmitten der verwilderten Natur wirkt es wie eine Fata Morgana und hat eine Aura und Magie, der man sich kaum entziehen kann.
Doch mit dem Bau hatte sich der Bauherr Alexander Gentz überhoben. Denn es kam die Braunkohle auf, mit Torf konnte er nur noch wenig Geld verdienen, Gentz ging pleite.
Danach ging das Anwesen durch verschiedene Hände. 1934 kam es in den Besitz der Deutschen Wehrmacht, nach dem Zweiten Weltkrieg übernahm es die Rote Armee. Im Nachhinein ein Glücksfall, denn bis 1991, also bis zum Abzug der Sowjettruppen, war Gut Gentzrode noch halbwegs in Ordnung.

Der Besitzer lässt das Anwesen vergammeln

Heute ist es im Besitz eines türkischen Bauunternehmers, der das Anwesen vergammeln lässt, klagt Neuruppins Baudezernent Arne Krohn. Der Zustand sei mehr als ernüchternd: "Und da denke ich, wenn hier seitens der Unteren Denkmalbehörde, seitens des Landes stärker Einfluss ausgeübt worden wäre, wäre man jetzt ein Stück weiter."
Die Untere Denkmalbehörde im Landkreis Ostprignitz-Ruppin muss jetzt, wenn der Inhaber nichts tut, für die Sicherung des Denkmals aufkommen. Doch das werde man nicht tun, schreibt ein Sprecher des Landkreises in einer Mail. Zugleich heißt es auch, dass es fraglich sei, ob das Ensemble nach jetzigem Stand überhaupt noch zu erhalten sei.
Auf Deutsch und im Klartext: Man hat das Ensemble, die Alhambra im märkischen Wald, aufgegeben.
Für den brandenburgischen Landeskonservator Thomas Drachenberg ein Unding: "Die Gesetzeslage ist völlig klar: Das Gut ist ein Denkmal, es ist auf der Landesdenkmalliste. Es wird auch nicht gestrichen, das ist Nummer eins. Nummer zwei: Der Besitzer, der Eigentümer hat eine Sicherungspflicht."
Wenn der Besitzer nichts unternehme, dann müsse eben der Landkreis einspringen. Punkt. Da gebe es nichts zu diskutieren, sagt Denkmalschützer Drachenberg. Die Untere Denkmalbehörde und damit der Landkreis könnten sich nicht einfach so aus der Verantwortung stehlen, indem man das kulturhistorisch einzigartige Denkmal Gut Gentzrode nur aus der Perspektive einer profanen wirtschaftlichen Belastung betrachte, weil die Sicherung schlicht zu teuer sei.

Freundeskreis für den maurischen Palast

Kürzlich hat sich in Neuruppin ein Freundeskreis gegründet, der um den Erhalt von Gut Gentzrode kämpft, den einzigen maurischen Palast in der Mark Brandenburg. Am Ende bleibt die Hoffnung, dass das Land Brandenburg letztlich eine Verantwortung übernimmt.
Vielleicht sollte man sich dort der Worte Fontanes erinnern, der schon damals schrieb: "Der Reiz, den diese Gentzroder Schöpfung von Anfang hatte, wird ihr noch auf lange hin verbleiben, der Reiz, dass hier alles erst ihm Werden ist".
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