200 Jahre Gustave Flaubert

Das Scharnier zur modernen Literatur

08:10 Minuten
Porträt des französischen Schriftstellers Gustave Flaubert
Stammte aus einer bürgerlichen Familie, hasste jedoch die Selbstzufriedenheit des Bürgertums: der Schriftsteller Gustave Flaubert. © imago/Leemage
Wolfgang Matz im Gespräch mit Sigrid Brinkmann · 12.12.2021
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Gustave Flaubert hat die Prosa auf die Stufe der Poesie gehoben und gilt als Erfinder des literarischen Realismus. Und auch wenn er die Politik verachtet habe, sei sein Epochenroman "Éducation sentimentale" immens politisch, meint Lektor Wolfgang Matz.
Lieber würde er wie ein Hund krepieren, als einen Satz veröffentlichen, der nicht stimmig ist. So umreißt der französische Schriftsteller Gustave Flaubert sinngemäß sein schriftstellerisches Ethos. Kafka, Walter Benjamin oder Hugo von Hofmannsthal verehrten Flaubert zutiefst für seinen Formwillen und die leidenschaftliche Schreibmonomanie.
Am 12. Dezember 1821 in der normannischen Kleinstadt Rouen geboren, führte er die französische Provinz in seinen Büchern satirisch vor und schimpfte in Briefen an Freunde drastisch über die Engstirnigkeit seiner Zeitgenossen.

Scharnier zu modernen Literatur

Neben Stendhal, Balzac, Hugo war Flaubert einer der Giganten der französischen Literatur des 19. Jahrhunderts. "Flauberts besondere Rolle besteht darin, dass er ein Scharnier zur modernen Literatur bildet", sagt Wolfgang Matz, Übersetzer und langjähriger Lektor im Hanser Verlag.

Er wollte Prosa schreiben so wie andere Gedichte.

Lektor Wolfgang Matz über Gustave Flaubert

Der Roman sei bis ins 19. Jahrhundert eine drittrangige Gattung gewesen – hinter der Poesie und der großen Tragödie – und Flaubert habe ihn auf die Höhe der anderen literarischen Genres heben wollen. "Er wollte Prosa schreiben so wie andere Gedichte. Er wollte Sätze in Prosa schreiben, die so stimmig wie die größten poetischen oder theatralischen Werke sind", sagt Matz.

Erfinder des literarischen Realismus

Dabei habe der Autor dann nebenher - ungewollt - noch den literarischen Realismus erfunden. „Flaubert hatte sich mit seinem ersten veröffentlichten Roman, mit ‚Madame Bovary‘ vorgenommen, diese literarische Kunst an einem sehr banalen Sujet - nämlich an einer Ehebruchsgeschichte - zu erproben. Man hat ihn daraufhin vor Gericht gebracht, und er ist dann von der literarischen Nachwelt damit als Erfinder des literarischen Realismus gefeiert worden. Er selbst hat das äußerst ungern gehört und sich dagegen immer gewehrt. Er wollte kein Realist sein, er hasste den Realismus und sagte: ‚Was ich machen will, ist Kunst!‘“
Flaubert habe die Politik verachtet, und doch sei sein Epochenroman „Éducation sentimentale“ immens politisch. Flaubert sei auch während der Revolutionstage im Februar 1848 in Paris auf der Straße gewesen. Man könne ihn durchaus als einen Chronisten seiner Zeit begreifen. Sein Buch „Éducation sentimentale“ - vor kurzem neu übersetzt von Elisabeth Edl unter dem Titel „Die Lehrjahre der Männlichkeit“ - habe jedoch „an keiner Stelle das, was spätere Zeiten unter politischen Romanen verstehen“, sagt Matz. „Es nimmt in dem Sinne nicht Stellung. Es hat keine These. Es hat keine Theorie, sondern es versucht, die Zeit, die Verstricktheit der Menschen in die Historie literarisch künstlerisch sichtbar zu machen.“

Hass auf die Selbstzufriedenheit des Bürgertums

Wolfgang Matz beschreibt Gustave Flaubert als „eine ungeheuer charmante Figur“, erwähnt aber auch dessen „Bürgerhass“. „Natürlich stammte Flaubert aus einer bürgerlichen Familie. Er war nicht reich, er war wohlhabend, musste also auf die Auflage seiner Bücher nicht unbedingt schauen, um sein Geld zu verdienen“, sagt Matz. Dennoch bezweifelt er, dass er wie ein Bürger gelebt habe. „In seinen strengsten Zeiten hat er 14 oder 16 Stunden am Tag gearbeitet, deutlich mehr als ein Bürger.“
Sein Hass auf das Bürgertum sei kein Hass auf eine soziale Herkunft gewesen. „Was er abgelehnt hat, war die ideologische Selbstzufriedenheit des Bürgertums, der Glaube des 19. Jahrhunderts an den Fortschritt, der immer nur alles besser machen wird. Wenn man nur mit der Eisenbahn schneller von A nach B, von Paris nach Rouen kommt, sei sozusagen schon das halbe Himmelreich ausgebrochen“, sagt Wolfgang Matz.
„Das würde er heute ganz genau so machen, wenn er in der Zeitung lesen würde, dass mit der Digitalisierung sämtliche Probleme der Welt zumindest der Lösung näherkommen würden. Diese Art von Fortschrittsgläubigkeit und Fixierung, das war es, was er gehasst hat.“
(cwu)

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