Gustav Leonhardt und die Goldberg-Variationen von Johann Sebastian Bach

Zur Gemütsergötzung

Feste Überzeugungen, noch festerer Krawattenknoten: der Cembalist, Organist und Dirigent Gustav Leonhardt (1928-2012)
Feste Überzeugungen, noch festerer Krawattenknoten: der Cembalist, Organist und Dirigent Gustav Leonhardt (1928-2012) © imago
Moderation: Johannes Jansen · 23.08.2020
Zur "Gemütsergötzung" waren sie gedacht, als Zeitvertreib eines schlaflosen Menschen sollen sie gedient haben – und dank legendärer Aufnahmen sind sie aus der Musik nicht hinwegzudenken: Die "Goldberg-Variationen" von Johann Sebastian Bach.
Durch Glenn Gould wurden die "Goldberg-Variationen" Johann Sebastian Bachs zum weltweiten Dauerbrenner der Klaviermusik, obwohl das Werk weder so heißt noch für das Instrument komponiert wurde, auf dem der kanadische Pianist spielte. Zur gleichen Zeit, in den 1950er Jahren, nahm auch Gustav Leonhardt Bachs Zyklus auf, und wie Gould sollte auch Leonhardt später eine nicht minder diskutierte Neueinspielung vorlegen.

Hier geht es zur Playlist der Sendung.

Der große Unterschied: Gustav Leonhardt war ein Pionier historischer Tasteninstrumente, seien es Cembali oder Orgeln. Nach Wanda Landowska war es vor allem der 1928 geborene Niederländer, der das Cembalo salon- oder besser gesagt: bühnenfähig machte.
Seine formstrengen, dabei außerordentlich klangschönen Interpretationen haben ganze Generationen von Musikfreunden und Musikern geprägt. Kaum ein heute aktiver Cembalist, der nicht bei Leonhardt in die Schule gegangen wäre, der als Gentleman par excellence nicht nur in musikalischer, sondern auch in modischer Hinsicht eine Stilikone war.

Lektionen für Liebhaber

Leonhardt selbst hatte eine gründliche Ausbildung an der Schola Cantorum Basiliensis genossen, anschließend studierte er bei dem berühmten "Dirigenten-Macher" Hans Swarowsky in Wien. Dort lebte er einige Zeit, begegnete Nikolaus Harnoncourt und unternahm mit diesem bis in die 1990er Jahre hinein die erste Gesamtaufnahme der Kantaten Johann Sebastian Bachs.
Ein solch umfassender, praktisch wie theoretisch erarbeiteter Zugang zu Bach kam natürlich auch dem Verständnis eines so rätselhaften Werks wie den "Goldberg-Variationen" zugute. Bach ließ es 1741 drucken, "Denen Liebhabern zur Gemüths-Ergetzung", und zwar als "Clavier Ubung bestehend in einer ARIA mit verschiedenen Verænderungen vors Clavicimbal mit 2 Manualen".

Eine kleine Nachtmusik

Dieses Werk soll nach einer biografischen Anekdote für den russischen Gesandten am Dresdener Hof, Keyserlingk, komponiert worden sein – auf dass der Cembalist Johann Gottlieb Goldberg es dem Grafen zur Aufheiterung in schlaflosen Nächten vorspielen möge.
An allen historischen Tasteninstrumenten zuhause: Gustav Leonhardt in späten Jahren am Cembalo
An allen historischen Tasteninstrumenten zuhause: Gustav Leonhardt in späten Jahren am Cembalo© imago stock&people
Von Bachs zeitloser Musik abgesehen, die so oft und so gegensätzlich interpretiert worden ist, hat natürlich auch diese unbeweisbare Geschichte dazu geführt, dass sich die "Goldberg-Variationen" allenthalben größter Beliebtheit erfreuen. Durch den Roman "Der Untergeher" von Thomas Bernhard fanden sie auch Eingang in die jüngere Weltliteratur.
Im Jahr 2012 ist Gustav Leonhardt verstorben. Diese Sendung mit ihm und über ihn ist eine Wiederholung aus dem Jahr 2008 – am Rang seiner Aufnahmen hat sich seitdem nichts geändert, im Gegenteil: sie sind mehr denn je Klassiker.
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