„Guerillataktik“ und andere Experimente

Von Verena Herb |
Die Hamburger Kunsthalle „Galerie der Gegenwart“ hat mit Sabrina van der Ley, die vorher am Berliner Art Forum war, und Petra Röttig eine neue Spitze. Van der Ley möchte unter anderem die Architektur stärker ins künstlerische Blickfeld setzen. Und mit der Idee der „Guerillataktik“ sollen Kunstwerke dort präsentiert werden, wo man sie am wenigsten erwartet.
Kunst seit 1960 – von der Pop Art bis heute: präsentiert in der Galerie der Gegenwart. Einem vierstöckigen Kubus mit strahlend heller Kalksteinfassade – ein Bau von Oswald Mathias Ungers, und selbst ein Kunstwerk. Ob Gerhard Richter, Georg Baselitz oder Sigmar Polke, Andy Warhol oder David Hockney – dauerhaft gezeigte Werke zeitgenössischer Künstler sind hier zu finden. Und seit dem 1. Dezember weht ein neuer Wind durch die gläsernen Galerienflure:

" Eine neue Person gibt auch eine neue Handschrift, "

erklärt Hubertus Gaßner, der Direktor der Hamburger Kunsthalle. Sabrina van der Ley, sie ist es, die der Galerie der Gegenwart neuen Glanz verleihen soll.

Gaßner: " Wir sind da natürlich eher aufs Experiment eingestellt. Dafür ist es die Galerie der Gegenwart. Und es müssen neue Ideen entwickelt werden. "

Neue Ideen, die hat Sabrina van der Ley, die neun Jahre als künstlerische Leiterin das Berliner Art Forum geprägt hat und nun gemeinsam mit Petra Röttig die „neue Leitung“ der Galerie der Gegenwart übernommen hat. Sie möchte in ihrem ersten Jahr am Hamburger Haus zum einen gattungsübergreifend präsentieren und zum Beispiel die Architektur ins künstlerische Blickfeld setzen – beispielsweise mit einer Personale des portugiesischen Künstlers Pedro Cabrita Reis.

Van der Ley: " Pedro Cabrita Reis ist ein Künstler, den ich schon lange beobachte und begleite. Wir sind ganz gut befreundet mittlerweile. Und ich habe eigentlich immer davon geträumt, eine Personale mit ihm machen zu können. "

Das Werk von Reis kreist um die Themen Haus, Behausung und Architektur. Neben Arbeiten, die auf Elementen der alltäglichen Lebenswelt, wie Tisch und Stuhl, Tür und Fenster basieren, entstehen immer wieder raumgreifende Installationen. Reis nahm bereits 1992 an der Documenta teil und vertrat 2003 Portugal bei der Biennale in Venedig. Ab Oktober dann wird er in Hamburg zu sehen sein.

Es ist nicht nur die personelle Änderung, die die Galerie der Gegenwart in diesem Jahr prägen wird. Petra Röttig leitete interimsweise das Haus für zeitgenössische Kunst alleine – bis zum 1. Dezember 2008.

Röttig: " Wir hatten ja ein Übergangsjahr in gewisser Weise, wo hauptsächlich Ausstellungen zu sehen waren. Und jetzt soll die Sammlung doch auch einmal unter einem ganz neuen Blickwinkel gezeigt werden. Natürlich immer mit unseren Starstücken, aber auch mit anderen Medien gemischt. "

Wie kann eine Sammlung zeitgemäß dargestellt werden? Dieser Frage wollen sich die Leiterinnen Röttig und van der Ley in diesem Jahr verstärkt widmen. Es herrsche derzeit eine post-post-moderne Unwissenheit im Kunstbetrieb – so ihr Chef, Museumsdirektor Gaßner, was die beiden Damen jedoch anhand einer Vielfalt an Ideen widerlegen möchten. Ein Beispiel erläutert Sabrina van der Ley. Der Titel: Guerillataktik.

Van der Ley: " Wo Künstler NICHT-Orte oder sagen wir mal unerwartete Ecken und Räume in Besitz nehmen werden, und somit einen neuen Standpunkt oder sagen wir mal, Blickwinkel mit Gegenwartkunst und Sammlungsbeständen ermöglichen. "

Und zwar im gesamten Museum – nicht nur auf die Galerie der Gegenwart beschränkt. Kunstwerke zeitgenössischer Künstler da, wo man sie vielleicht am wenigsten erwartet. Zwischen alten Meistern oder an der Decke – neben einer einfachen Lampe. Die Guerillataktik soll ein Experiment sein – und ein neues Ausstellungsformat erproben. Im jährlichen oder Rhythmus sollen Künstler und Künstlerinnen eingeladen werden. Darauf freut sich van der Ley besonders:

" Diese Neugier, auf die Guerillataktik, hier mit Künstlern durchs Haus zu laufen und mir das mit deren Augen auch immer wieder neu anzuschauen, ist was, was ich für ausgesprochen spannend halte. "

Sie nennt es gern Schnitzeljagd bei alten Meistern ...

Die Aufgaben sind bei den beiden Leiterinnen der Galerie der Gegenwart klar verteilt: Sabrina van der Ley konzentriert sich auf Installationen und Skulpturen, Petra Röttig auf Zeichnungen und Gemälde. Sie freut sich in diesem Kunstjahr besonders auf eine Ausstellung von Marcel von Eeden. Von Eeden wurde 1965 in Den Haag geboren. Seine umfassenden Zeichnungsblöcke wie „Das Leben und Werk von K.M. Wiegand“, mit dem er 2006 auf die 4. berlin biennale eingeladen wurde, „Celia“ oder „Die Reisen des Oswald Sollmann“ sind bereits in zahlreichen Museen vertreten.

Rötting: " Ich finde ihn einen ganz interessanten Künstler. Er hat einen ganz interessanten Blickwinkel. Inzwischen ist er ein Zeichner, inzwischen gar nicht mehr allzu jung. Mit diesen Szenen, mit diesen erfundenen Geschichten, die er jetzt erstmals in einem Zyklus verbindet. Und mit den Wandzeichnungen, dass wir das jetzt eben in größerer Form in der Galerie der Gegenwart auch mal so richtig ausbreiten können. "

Ausgebreitet hat sich auch die Finanzkrise auf die Kunstwelt. Und eben auch auf die Hamburger Kunsthalle. Die Frage danach kann nicht ausgeblendet werden, wenn ein Museum seine Ausstellungsplanung vorstellt. Museumsdirektor Hubertus Gaßner gibt denn auch freimütig zu:

" Das merken wir schon, dass von den Sponsoren die wir bisher hatten, besonders die Banken natürlich, aber auch der Handel, sich doch zurückziehen. Und entweder ganz ausfallen oder nur noch wesentlich kleinere Beträge geben. Die eh nicht so rasend groß waren früher, aber das wird schon wesentlich schwieriger werden. "
Doch davon lässt sich Sabrina van der Ley nicht beirren:

" Es wird sicherlich immer wieder Leute geben, denen Kunst und Kultur so am Herzen liegt, dass sie sagen: das ist im Verhältnis zu unserem Gesamtetat jetzt nichts, was uns den Hals bricht. Es ist jetzt vielleicht für ein Jahr oder zwei schwerer, aber ich denke, das wird sich entspannen. "

Und Sabrina van der Ley macht auch im Hinblick auf ihre neuen Aufgaben einen entspannten Eindruck.