Grundsteuerreform

Der Staat frustriert seine Bürger

Smartphone Display mit dem Text: "Pay Now ("Bezahl jetzt").
Die Erklärung zur Grundsteuer ist „grundsätzlich elektronisch zu übermitteln“: Ob die Finanzbeamten nicht ahnen, welche Aufregung sie damit auslösen, fragt sich Susanne Gaschke. © imago / YAY Images
Ein Standpunkt von Susanne Gaschke · 12.08.2022
Die Grundsteuer wird reformiert: Wer sie zahlt, muss bis Ende Oktober genaue Angaben an die Finanzämter schicken – und zwar auf digitalem Weg. Ein erneutes Beispiel, wie bürgerfern der Staat agieren kann, kritisiert die Publizistin Susanne Gaschke.
Das Bundesverfassungsgericht möchte oft mit seinen Entscheidungen für mehr Gerechtigkeit sorgen. Aber manchmal legt es die Latte für „Gerechtigkeit“ so hoch, dass es den Gesetzgeber und die vollziehenden Behörden überfordert.
So war es beim Urteil zur Verhinderung des sogenannten „negativen Stimmgewichts“ bei Bundestagsnachwahlen. Die darauf fußenden Reformen haben uns das größte Parlament aller Zeiten beschert und dafür gesorgt, dass selbst Experten unser Wahlrecht kaum noch erklären können.
2018 hat das höchste deutsche Gericht die Neuordnung der Grundsteuer verfügt, was formal damit begründet wird, dass diese Steuer bisher angeblich auf der Grundlage von uralten Grundstücksdaten erhoben wurde.
Man fragt sich allerdings, wie das sein kann, musste doch jeder Bürger, der bisher eine Wohnung, ein Haus oder ein Grundstück kaufte, ziemlich viel Geld für einen Notar bezahlen, der die Parameter der Liegenschaft amtlich festhielt. Viele der jetzt abgefragten Daten müssten der Verwaltung also vorliegen.

Staat schreibt digitale Angaben vor

Die Legislative brauchte jedenfalls vier Jahre, um ein Gesetz zu formulieren, das zig Millionen Bürgerinnen und Bürger seit Juli zur Abgabe neuerer Daten innerhalb von vier Monaten verpflichtet, Zitat: „Die Erklärung ist bis zum 31. Oktober 2022 beim Finanzamt einzureichen. Sie ist grundsätzlich elektronisch zu übermitteln.“
Ich weiß nicht, ob die Finanzbeamten, die solche Anschreiben formulieren, auch nur erahnen, was für eine Aufregung sie damit auslösen. In diesem Land leben immerhin noch viele Menschen, die sich gern regelkonform verhalten möchten. Sie empfinden die Aufforderung des Finanzamts zur elektronischen Übermittlung ihrer Daten als Befehl, dem sie nachkommen müssen, wenn sie nicht schlimme Konsequenzen erleben wollen.
Vielleicht ist folgende Zahl interessant: Rund ein Viertel der Deutschen ist älter als 65 Jahre. Das sind Wähler und Steuerzahler. Selbst wenn viele von ihnen ein Smartphone besitzen mögen und gelegentlich Dienste mit hervorragender Benutzerführung im kommerziellen Bereich in Anspruch nehmen – sie sind mit dem Digitalen nicht aufgewachsen.
Vielen von ihnen macht die brachiale Digitalisierung Angst, manche sind vielleicht auch der Meinung, dass nicht jede neue digitale Lösung besser ist als eine bewährte analoge.

Elektronische Steuererklärung funktioniert schlecht

Ein freundlicher, inklusiver, nicht-diskriminierender Staat würde also dem Anschreiben an alle Grundstücksbesitzer, das ohnehin postalisch verschickt wird, einen übersichtlichen, gut gestalteten Fragebogen beilegen, den man einfach nur auszufüllen und zurückzuschicken bräuchte.
Wer partout die Elektronische Steuererklärung, kurz ELSTER, verwenden wollte, könnte das ja tun. Es wäre interessant, wie die Abstimmung zwischen beiden Übermittlungswegen ausfallen würde, wenn die Behörden nicht so überdeutlich in die digitale Richtung drängten.
ELSTER gehört übrigens, obwohl es schon einige Jahre in Betrieb ist, nicht zu den Portalen mit brillanter Benutzerführung. Die Registrierung kann bis zu zwei Wochen dauern. Die Seite bricht gern zusammen. Allein für die Grundsteuer-Neuberechnung wird erwartet, dass man als Wohnungseigentümer ein 45-seitiges PDF durcharbeitet: Man wird nach geheimnisvollen Dingen wie der „Zertifikationsdatei“ gefragt.
Auch als unter 65-jährigen Menschen packt einen schon bei der Lektüre der Wunsch, sich selbst, noch lieber aber den weltfremden Nerd, der die Onlineformulare gestaltet hat, in ein Schwert zu stürzen. Und wer es schafft, die Formulare auszufüllen, und sie dann wegen eines Softwarefehlers nicht abschicken kann, möchte gleich auswandern.

Steuerberater sind für viele zu teuer

Finanzminister Christian Lindner (FDP) sagte vor Kurzem in einem Zeitungsinterview den bemerkenswerten Satz, er wisse, wie viel „die Menschen und ihre Steuerberater“ zu tun hätten.
Es gibt, lieber Christian Lindner, sogar Menschen ohne Steuerberater. Und auch der Maxime:  Besser nicht digitalisieren als schlecht digitalisieren, ließe sich vielleicht etwas abgewinnen.

Susanne Gaschke schreibt für „Welt“, „Welt am Sonntag“ und „NZZ“. Von 1997 bis 2012 war sie Reporterin und Leitartiklerin bei der Hamburger Wochenzeitung „Die Zeit“. Ende Dezember 2012 übernahm die Sozialdemokratin das Oberbürgermeisteramt in Kiel. Ende Oktober 2013 erklärte sie ihren Rücktritt. 2020 trat sie aus der SPD aus. Sie ist Autorin zahlreicher Sachbücher. Zuletzt erschien von ihr eine Biografie des Grünen-Politikers Robert Habeck. Susanne Gaschke lebt mit ihrem Ehemann in Berlin.

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