"Grundsätzlich ist der Wille des Patienten maßgebend"
Der frühere Bundesrichter Klaus Kutzer hat sich für eine weitgehende Selbstbestimmung des Patienten ausgesprochen. Die Verfügung dürfe nicht nur dann gültig sein, wenn eine Krankheit mit Sicherheit einen tödlichen Verlauf angenommen habe, sagte der Vorsitzende der Expertenkommission zur Patientenverfügung des Bundesjustizministeriums anlässlich der Bundestagsdebatte zu diesem Thema.
Marie Sagenschneider: Jeder ärztliche Eingriff bedarf der Zustimmung des Patienten. Was aber, wenn der sich nicht mehr äußern oder sogar rühren kann, wenn er im Koma liegt, verkabelt an Schläuchen, und künstlich ernährt werden muss? Wer sich sicher ist, dass er so nicht enden will, der sollte eine Patientenverfügung verfassen. Aber welche? Derzeit nämlich gibt es ein heilloses Durcheinander, kursieren rund 150 verschiedene Formulare, was die Rechtssicherheit auch nicht gerade erhöht.
Tatsächlich ist es umstritten, ob Patientenverfügungen im Ernstfall lediglich als Indiz für die Haltung eines Patienten gewertet oder als rechtsverbindlich akzeptiert werden müssen. Der Bundestag, der heute erstmals grundsätzlich über Patientenverfügungen diskutiert, er will mehr Klarheit schaffen, ist sich aber quer durch die Fraktionen uneins, wie das geschehen soll. Denn es liegen mehrere Vorschläge vor …, mit denen sich der Bundestag heute befassen wird und mit denen sich der Jurist Klaus Kutzer schon eine ganze Weile beschäftigt, auch als Vorsitzender einer Expertenkommission im Bundesjustizministerium zur Patientenverfügung. Guten Tag Herr Kutzer!
Klaus Kutzer: Guten Tag!
Sagenschneider: Braucht es ein Gesetz, in welcher Form auch immer, überhaupt? Die Bundesärztekammer meint ja, das sei im Grunde alles überflüssig, weil der in einer Patientenverfügung geäußerter Wille grundsätzlich verbindlich sei. Ist es wirklich so?
Kutzer: Früher habe ich auch die Auffassung vertreten, wir brauchten kein Gesetz. Nachdem ich aber sehe, wie viel Unklarheit unter den Beteiligten, sprich den Ärzten und den Patienten besteht, meine ich schon, dass wir ein Gesetz brauchen. Das Gesetz muss natürlich von der geltenden Rechtslage ausgehen, dass grundsätzlich der Wille des Patienten bei einer Behandlung maßgebend ist.
Sagenschneider: Was gilt denn jetzt schon? Worauf kann man sich verlassen, wenn man so eine Patientenverfügung unterschrieben hat?
Kutzer: Wenn Sie an einer Erkrankung leiden, die einen irreversiblen tödlichen Verlauf angenommen hat, das ist die Formulierung des Bundesgerichtshofs, dann gilt das, was Sie in einer Patientenverfügung über den Abbruch oder die Fortsetzung lebenserhaltender Maßnahmen geschrieben haben, zum Beispiel die künstliche Beatmung, die künstliche Ernährung, die Dialyse, wann Sie mit diesen intensivmedizinischen Maßnahmen Schluss machen wollen, und wann nicht.
Aber Voraussetzung ist bisher, dass eine Grunderkrankung, also zum Beispiel ein Krebsleiden oder eine schwere Nervenkrankheit schon einen irreversiblen, das heißt unumkehrbaren tödlichen Verlauf angenommen hat. Und das ist eine große Einschränkung, denn wann können Ärzte nun feststellen, dass mit Sicherheit die Erkrankung, die sie behandeln, jetzt einen tödlichen Verlauf angenommen hat? Das ist mit so vielen Unwägbarkeiten belastet, dass dann, wenn der Gesetzgeber eine solche Formulierung aufgreifen würde, er seinerseits wieder Unsicherheit schaffen würde.
Sagenschneider: Und es ist ja auch in solchen Fällen nicht unbedingt so, dass eine Patientenverfügung ausreicht zum Abschalten lebenserhaltender Maßnahmen. Zum Beispiel bei Koma-Patienten, da hat der Bundesgerichtshof, dem Sie auch mal angehört haben, im Jahre 2003 geurteilt, die Patientenverfügung reicht, wie gesagt, nicht, da müsste noch die Einwilligung des Vormundschaftsgerichts vorliegen.
Kutzer: Das ist die weitere Frage, die auch sehr umstritten ist. Im Prinzip ist bei dem Abbruch von lebenserhaltenden Maßnahmen die ärztlicherseits noch indiziert sind, das heißt, die ärztlicherseits noch angeboten werden, die Zustimmung des Vormundschaftsgerichts erforderlich. Nach der Rechtssprechung des Bundesgerichtshofs entfällt diese Zustimmungsbedürftigkeit, wenn sich der Betreuer und der Arzt über den Willen des Patienten, nicht weiter kurativ behandelt zu werden, einig sind.
Sagenschneider: Wir haben ja gerade gehört, dass es mehrere Varianten gibt, die diskutiert werden. Was müsste denn ein solches Gesetz auf jeden Fall enthalten, als Minimum sozusagen, um eine Verbesserung gegenüber der aktuellen Situation zu erzielen?
Kutzer: Es müsste zunächst regeln, unter welchen Voraussetzungen eine Patientenverfügung, das heißt eine schriftliche Vorwegverfügung über ärztliche Behandlungsmaßnahmen wirksam ist, und zwar, ob sie unmittelbar wirksam ist oder ob sie der Umsetzung durch einen Patientenvertreter bedarf, der sie also auch modifizieren kann. Wir sprechen hier von den Formvorschriften für eine Patientenverfügung. Die müssen geregelt werden.
Dann muss zweitens geregelt werden, wie weit eine solche Patientenverfügung überhaupt gehen kann. Wir sprechen von der Reichweite der Patientenverfügung. Kann in einer Patientenverfügung zum Beispiel bestimmt werden, dass abgeschaltet wird, bevor die Krankheit einen irreversiblen tödlichen Verlauf genommen hat? Das ist eine sehr strittige Frage. Und drittens, was unbedingt geregelt werden muss, ist die Frage, wann das Vormundschaftsgericht zu beteiligen ist bei einer Entscheidung, lebenserhaltende Maßnahmen abzusetzen.
Sagenschneider: Und was würden Sie denn für vertretbar halten? Wann soll ein Arzt sozusagen per Patientenverfügung gezwungen sein, Maschinen abzuschalten oder eben einen Patienten nicht mehr mit allen Mitteln am Leben zu halten?
Kutzer: Ich neige sehr stark zu dem so genannten Stünker-Entwurf, der ja auf den Vorarbeiten unserer Kommission beruht. Das heißt, grundsätzlich ist der Wille des Patienten maßgebend, wenn er vorformuliert ist für eine Situation, wie sie jetzt zu entscheiden ist. Eine solche Patientenverfügung darf dann auch nicht automatisch eins zu eins umgesetzt werden, sondern bedarf der Auslegung.
Aber jetzt die Gültigkeit einer auszulegenden Patientenverfügung an bestimmte Krankheitsverläufe zu binden, wie es der Gegenentwurf vorsieht, das halte ich fast sogar für verfassungsrechtlich problematisch, weil der Patient, wenn diese Voraussetzungen nicht vorlägen, gegen seinen Willen weiterbehandelt werden müsste, und eine Zwangsbehandlung ist grundgesetzwidrig.
Sagenschneider: Würden Sie so weit gehen, dass, wenn die Patientenverfügung anordnet, im Ernstfall auch Sterbehilfe geleistet werden soll?
Kutzer: Nein, das ist klar. Eine Patientenverfügung muss sich innerhalb des geltenden Rechts halten, insbesondere innerhalb des Strafrechts. Strafrechtlich ist aber die Euthanasie, das heißt die gezielte, aktive Tötung des Patienten zur Beendigung seiner Leiden verboten und mit Strafe bedroht.
Sagenschneider: Und da kann man nicht mit dem Selbstbestimmungsrecht eines Patienten argumentieren?
Kutzer: Nein. Das ist die Grenze, über die sich, glaube ich, auch alle Beteiligten, Kommission und Gruppen und Bundestagsanträge einig sind. Wenn wir keine Euthanasieregelung wollen, wie sie in Holland und Belgien praktiziert wird, dann kann man so etwas auch nicht in einer Patientenverfügung bestimmen, weil das die Aufforderung an den Arzt wäre, den Patienten zu töten. Das ist strafbar.
Sagenschneider: Was, Herr Kutzer, macht man eigentlich mit Patientenverfügungen, die, sagen wir mal, 20 Jahre oder älter sind? Soll man die akzeptieren oder als zu alt verwerfen?
Kutzer: Ich bin gegen jede starre Grenze. Es kommt auf den Einzelfall an. Allerdings wird dann, wenn eine Patientenverfügung 20 Jahre alt ist und jetzt sie umgesetzt werden soll, berechtigter Zweifel bestehen, ob diese Patientenverfügung noch die jetzige, 20 Jahre später stattfindende konkrete Situation erfasst.
Deswegen sollte, nicht muss, deswegen sollte jede Patientenverfügung regelmäßig erneuert oder bestätigt werden, damit die Anwender auch wissen, das ist noch der Wille des Patienten. Denn jede Patientenverfügung kann ja widerrufen werden, kann in Vergessenheit geraten. Ich würde dringend empfehlen, spätestens alle zwei Jahre die Patientenverfügung zu bestätigen, zu ergänzen oder gegebenenfalls auch aufzuheben.
Sagenschneider: Und wenn man das versäumt, dann sollte man diese alte Patientenverfügung trotzdem akzeptieren? Denn es ist ja auch der Fall denkbar, dass man in einer schwierigen Krankheitssituation feststellt, ich hänge doch mehr am Leben, als ich für möglich gehalten hätte, und will den gesammelten medizinischen Fortschritt tatsächlich ausnutzen, bin aber leider nicht mehr in der Lage, das ausreichend zu artikulieren.
Kutzer: Woher wissen Sie, dass der Patient das will, wenn er nicht in der Lage ist, das zu artikulieren? Das wären dann reine Vermutungen, die allerdings auch einen gewissen berechtigten Grund haben. Deswegen haben wir gesagt, in solchen Fällen, wo es unklar ist, ob die Patientenverfügung in Folge ihres Alters oder in Folge ihrer ungenauen Formulierung direkt umzusetzen ist, in diesen Fällen muss der gesetzliche Vertreter, das heißt der Betreuer oder der Verfahrensbevollmächtigte entscheiden, a) wie die Patientenverfügung auszulegen ist und ob sie bei diesen vorliegenden speziellen Umständen überhaupt anwendbar ist. Das muss der Patientenvertreter nach Beratung mit dem Arzt über die Situation entscheiden.
Sagenschneider: Wie heikel, Herr Kutzer, sind eigentlich bei Patientenverfügungen die Position der Angehörigen und ja auch der Ärzte, die im Zweifelsfall gegen ihre eigene Überzeugung handeln müssen? Kann man das wirklich so ganz außen vor lassen?
Kutzer: Ich würde es nicht befürworten, dass Ärzte gegen ihre Überzeugung handeln. Ein Arzt ist seinem ärztlichen Ethos, seinem Gewissen verpflichtet, und wenn das Recht, sprich eine rechtskräftige Patientenverfügung ihn zu einem Verhalten zwingen würde, das er innerlich ablehnt, das er als unärztlich ansieht, dann sollte er die Behandlung ablehnen und sie einem anderen Arzt überlassen. Es ist unärztlich, gegen das eigene ärztliche Gewissen zu handeln, auch wenn das Handeln in einer Patientenverfügung vorgegeben ist.
Sagenschneider: Herr Kutzer, ich danke Ihnen!
Tatsächlich ist es umstritten, ob Patientenverfügungen im Ernstfall lediglich als Indiz für die Haltung eines Patienten gewertet oder als rechtsverbindlich akzeptiert werden müssen. Der Bundestag, der heute erstmals grundsätzlich über Patientenverfügungen diskutiert, er will mehr Klarheit schaffen, ist sich aber quer durch die Fraktionen uneins, wie das geschehen soll. Denn es liegen mehrere Vorschläge vor …, mit denen sich der Bundestag heute befassen wird und mit denen sich der Jurist Klaus Kutzer schon eine ganze Weile beschäftigt, auch als Vorsitzender einer Expertenkommission im Bundesjustizministerium zur Patientenverfügung. Guten Tag Herr Kutzer!
Klaus Kutzer: Guten Tag!
Sagenschneider: Braucht es ein Gesetz, in welcher Form auch immer, überhaupt? Die Bundesärztekammer meint ja, das sei im Grunde alles überflüssig, weil der in einer Patientenverfügung geäußerter Wille grundsätzlich verbindlich sei. Ist es wirklich so?
Kutzer: Früher habe ich auch die Auffassung vertreten, wir brauchten kein Gesetz. Nachdem ich aber sehe, wie viel Unklarheit unter den Beteiligten, sprich den Ärzten und den Patienten besteht, meine ich schon, dass wir ein Gesetz brauchen. Das Gesetz muss natürlich von der geltenden Rechtslage ausgehen, dass grundsätzlich der Wille des Patienten bei einer Behandlung maßgebend ist.
Sagenschneider: Was gilt denn jetzt schon? Worauf kann man sich verlassen, wenn man so eine Patientenverfügung unterschrieben hat?
Kutzer: Wenn Sie an einer Erkrankung leiden, die einen irreversiblen tödlichen Verlauf angenommen hat, das ist die Formulierung des Bundesgerichtshofs, dann gilt das, was Sie in einer Patientenverfügung über den Abbruch oder die Fortsetzung lebenserhaltender Maßnahmen geschrieben haben, zum Beispiel die künstliche Beatmung, die künstliche Ernährung, die Dialyse, wann Sie mit diesen intensivmedizinischen Maßnahmen Schluss machen wollen, und wann nicht.
Aber Voraussetzung ist bisher, dass eine Grunderkrankung, also zum Beispiel ein Krebsleiden oder eine schwere Nervenkrankheit schon einen irreversiblen, das heißt unumkehrbaren tödlichen Verlauf angenommen hat. Und das ist eine große Einschränkung, denn wann können Ärzte nun feststellen, dass mit Sicherheit die Erkrankung, die sie behandeln, jetzt einen tödlichen Verlauf angenommen hat? Das ist mit so vielen Unwägbarkeiten belastet, dass dann, wenn der Gesetzgeber eine solche Formulierung aufgreifen würde, er seinerseits wieder Unsicherheit schaffen würde.
Sagenschneider: Und es ist ja auch in solchen Fällen nicht unbedingt so, dass eine Patientenverfügung ausreicht zum Abschalten lebenserhaltender Maßnahmen. Zum Beispiel bei Koma-Patienten, da hat der Bundesgerichtshof, dem Sie auch mal angehört haben, im Jahre 2003 geurteilt, die Patientenverfügung reicht, wie gesagt, nicht, da müsste noch die Einwilligung des Vormundschaftsgerichts vorliegen.
Kutzer: Das ist die weitere Frage, die auch sehr umstritten ist. Im Prinzip ist bei dem Abbruch von lebenserhaltenden Maßnahmen die ärztlicherseits noch indiziert sind, das heißt, die ärztlicherseits noch angeboten werden, die Zustimmung des Vormundschaftsgerichts erforderlich. Nach der Rechtssprechung des Bundesgerichtshofs entfällt diese Zustimmungsbedürftigkeit, wenn sich der Betreuer und der Arzt über den Willen des Patienten, nicht weiter kurativ behandelt zu werden, einig sind.
Sagenschneider: Wir haben ja gerade gehört, dass es mehrere Varianten gibt, die diskutiert werden. Was müsste denn ein solches Gesetz auf jeden Fall enthalten, als Minimum sozusagen, um eine Verbesserung gegenüber der aktuellen Situation zu erzielen?
Kutzer: Es müsste zunächst regeln, unter welchen Voraussetzungen eine Patientenverfügung, das heißt eine schriftliche Vorwegverfügung über ärztliche Behandlungsmaßnahmen wirksam ist, und zwar, ob sie unmittelbar wirksam ist oder ob sie der Umsetzung durch einen Patientenvertreter bedarf, der sie also auch modifizieren kann. Wir sprechen hier von den Formvorschriften für eine Patientenverfügung. Die müssen geregelt werden.
Dann muss zweitens geregelt werden, wie weit eine solche Patientenverfügung überhaupt gehen kann. Wir sprechen von der Reichweite der Patientenverfügung. Kann in einer Patientenverfügung zum Beispiel bestimmt werden, dass abgeschaltet wird, bevor die Krankheit einen irreversiblen tödlichen Verlauf genommen hat? Das ist eine sehr strittige Frage. Und drittens, was unbedingt geregelt werden muss, ist die Frage, wann das Vormundschaftsgericht zu beteiligen ist bei einer Entscheidung, lebenserhaltende Maßnahmen abzusetzen.
Sagenschneider: Und was würden Sie denn für vertretbar halten? Wann soll ein Arzt sozusagen per Patientenverfügung gezwungen sein, Maschinen abzuschalten oder eben einen Patienten nicht mehr mit allen Mitteln am Leben zu halten?
Kutzer: Ich neige sehr stark zu dem so genannten Stünker-Entwurf, der ja auf den Vorarbeiten unserer Kommission beruht. Das heißt, grundsätzlich ist der Wille des Patienten maßgebend, wenn er vorformuliert ist für eine Situation, wie sie jetzt zu entscheiden ist. Eine solche Patientenverfügung darf dann auch nicht automatisch eins zu eins umgesetzt werden, sondern bedarf der Auslegung.
Aber jetzt die Gültigkeit einer auszulegenden Patientenverfügung an bestimmte Krankheitsverläufe zu binden, wie es der Gegenentwurf vorsieht, das halte ich fast sogar für verfassungsrechtlich problematisch, weil der Patient, wenn diese Voraussetzungen nicht vorlägen, gegen seinen Willen weiterbehandelt werden müsste, und eine Zwangsbehandlung ist grundgesetzwidrig.
Sagenschneider: Würden Sie so weit gehen, dass, wenn die Patientenverfügung anordnet, im Ernstfall auch Sterbehilfe geleistet werden soll?
Kutzer: Nein, das ist klar. Eine Patientenverfügung muss sich innerhalb des geltenden Rechts halten, insbesondere innerhalb des Strafrechts. Strafrechtlich ist aber die Euthanasie, das heißt die gezielte, aktive Tötung des Patienten zur Beendigung seiner Leiden verboten und mit Strafe bedroht.
Sagenschneider: Und da kann man nicht mit dem Selbstbestimmungsrecht eines Patienten argumentieren?
Kutzer: Nein. Das ist die Grenze, über die sich, glaube ich, auch alle Beteiligten, Kommission und Gruppen und Bundestagsanträge einig sind. Wenn wir keine Euthanasieregelung wollen, wie sie in Holland und Belgien praktiziert wird, dann kann man so etwas auch nicht in einer Patientenverfügung bestimmen, weil das die Aufforderung an den Arzt wäre, den Patienten zu töten. Das ist strafbar.
Sagenschneider: Was, Herr Kutzer, macht man eigentlich mit Patientenverfügungen, die, sagen wir mal, 20 Jahre oder älter sind? Soll man die akzeptieren oder als zu alt verwerfen?
Kutzer: Ich bin gegen jede starre Grenze. Es kommt auf den Einzelfall an. Allerdings wird dann, wenn eine Patientenverfügung 20 Jahre alt ist und jetzt sie umgesetzt werden soll, berechtigter Zweifel bestehen, ob diese Patientenverfügung noch die jetzige, 20 Jahre später stattfindende konkrete Situation erfasst.
Deswegen sollte, nicht muss, deswegen sollte jede Patientenverfügung regelmäßig erneuert oder bestätigt werden, damit die Anwender auch wissen, das ist noch der Wille des Patienten. Denn jede Patientenverfügung kann ja widerrufen werden, kann in Vergessenheit geraten. Ich würde dringend empfehlen, spätestens alle zwei Jahre die Patientenverfügung zu bestätigen, zu ergänzen oder gegebenenfalls auch aufzuheben.
Sagenschneider: Und wenn man das versäumt, dann sollte man diese alte Patientenverfügung trotzdem akzeptieren? Denn es ist ja auch der Fall denkbar, dass man in einer schwierigen Krankheitssituation feststellt, ich hänge doch mehr am Leben, als ich für möglich gehalten hätte, und will den gesammelten medizinischen Fortschritt tatsächlich ausnutzen, bin aber leider nicht mehr in der Lage, das ausreichend zu artikulieren.
Kutzer: Woher wissen Sie, dass der Patient das will, wenn er nicht in der Lage ist, das zu artikulieren? Das wären dann reine Vermutungen, die allerdings auch einen gewissen berechtigten Grund haben. Deswegen haben wir gesagt, in solchen Fällen, wo es unklar ist, ob die Patientenverfügung in Folge ihres Alters oder in Folge ihrer ungenauen Formulierung direkt umzusetzen ist, in diesen Fällen muss der gesetzliche Vertreter, das heißt der Betreuer oder der Verfahrensbevollmächtigte entscheiden, a) wie die Patientenverfügung auszulegen ist und ob sie bei diesen vorliegenden speziellen Umständen überhaupt anwendbar ist. Das muss der Patientenvertreter nach Beratung mit dem Arzt über die Situation entscheiden.
Sagenschneider: Wie heikel, Herr Kutzer, sind eigentlich bei Patientenverfügungen die Position der Angehörigen und ja auch der Ärzte, die im Zweifelsfall gegen ihre eigene Überzeugung handeln müssen? Kann man das wirklich so ganz außen vor lassen?
Kutzer: Ich würde es nicht befürworten, dass Ärzte gegen ihre Überzeugung handeln. Ein Arzt ist seinem ärztlichen Ethos, seinem Gewissen verpflichtet, und wenn das Recht, sprich eine rechtskräftige Patientenverfügung ihn zu einem Verhalten zwingen würde, das er innerlich ablehnt, das er als unärztlich ansieht, dann sollte er die Behandlung ablehnen und sie einem anderen Arzt überlassen. Es ist unärztlich, gegen das eigene ärztliche Gewissen zu handeln, auch wenn das Handeln in einer Patientenverfügung vorgegeben ist.
Sagenschneider: Herr Kutzer, ich danke Ihnen!