Grundlagenwerk zur europäischen Politik- und Geistesgeschichte
Gerd Koenens Buch "Der Russland-Komplex" ist ein Grundlagenwerk zur europäischen Politik- und Geistesgeschichte, das auch den interessierten Laien in den Bann zu ziehen vermag. Es rekonstruiert den ganzen Reichtum deutscher Ansichten von Russland und der russischen Revolution, und es zeigt, dass die Einstellungen zum sowjetischen Russland nicht von den Koordinaten deutscher Parteipolitik bestimmt waren.
Zu seiner Zeit war Alfons Paquet ein bekannter Schriftsteller und einflussreicher Journalist. Als Korrespondent der Frankfurter Zeitung in Moskau hatte er 1918 über das neue bolschewistische Russland berichtet - kritisch, doch nicht ohne Sympathie. Zu seinen Freunden zählte Karl Radek, der Bolschewik und Lenin-Vertraute. Paquet, der kein marxistischer Revolutionär war, sondern ein deutscher Bildungsbürger mit romantischen Ost-Phantasien interpretierte den Bolschewismus als elementaren Ausbruch der russischen Seele, und er sah Deutschlands Aufgabe darin, diesen russischen Ausbruch von geradezu religiöser Ursprünglichkeit durch deutsche Technik und deutschen Organisationsgeist zu zügeln.
Alfons Paquet ist eine der Hauptfiguren von Gerd Koenens Buch "Der Russland-Komplex". Angeregt durch den russischen Schriftsteller und sowjetischen Dissidenten Lew Kopelew hatte Koenen bereits in den achtziger Jahren damit begonnen, deutsche Russlandbilder zwischen 1900 und 1945 zu erforschen. Herausgekommen ist ein über 500 Seiten umfassendes Grundlagenwerk zur europäischen Politik- und Geistesgeschichte, das auch den interessierten Laien in den Bann zu ziehen vermag. Es rekonstruiert den ganzen Reichtum deutscher Ansichten von Russland und der russischen Revolution, und es zeigt, dass die Einstellungen zum sowjetischen Russland nicht von den Koordinaten deutscher Parteipolitik bestimmt waren.
Viele deutsche Linke fürchteten die Herrschaft der Sowjets. Weitgehend ohne Rücksicht auf Ideologien traten hingegen nicht nur Industrielle wie Walther Rathenau oder Peter Klöckner auf, sondern auch die Führer der Reichswehr, die mit der Roten Armee zeitweise eng kooperierten. Viele Vertreter der nationalen Rechten begeisterten sich für die Politik der Bolschewiki. Auch Joseph Goebbels war zunächst ein glühender Anhänger der Sowjetunion. So gesehen fiel der Hitler-Stalin-Pakt von 1939 nicht aus heiterem Himmel. Vielmehr schienen alte Freunde wieder zusammengekommen zu sein, als es darum ging, die polnische Beute aufzuteilen. Das allerdings hinderte die Nationalsozialisten nicht daran, erneut gegen den angeblichen Urfeind, den "Jüdischen Bolschewismus", zu hetzen, sobald der Überfall auf die Sowjetunion nur beschlossene Sache war.
Koenens "Russland-Komplex" endet 1945, doch sein Thema hat an Aktualität nichts verloren. Schließlich löste die überschwänglich zelebrierte deutsch-russische Partnerschaft zwischen Gerhard Schröder und Vladimir Putin zuletzt manche Unruhe aus, vor allem in Polen, wo die Erfahrung von 1939 bis heute nachwirkt.
Gerd Koenen hat die Vielfalt deutscher Russland-Bilder zu einem beeindruckenden Mosaik verdichtet. Russland erweist sich dabei als fundamentaler Zwiespalt im kulturellen und politischen Bewusstsein der Deutschen.
Koenen, Gerd:
Der Russland-Komplex.
Die Deutschen und der Osten 1900-1945,
C.H. Beck Oktober 2005,
528 Seiten mit 53 Abbildungen,
€ 29,90.
Alfons Paquet ist eine der Hauptfiguren von Gerd Koenens Buch "Der Russland-Komplex". Angeregt durch den russischen Schriftsteller und sowjetischen Dissidenten Lew Kopelew hatte Koenen bereits in den achtziger Jahren damit begonnen, deutsche Russlandbilder zwischen 1900 und 1945 zu erforschen. Herausgekommen ist ein über 500 Seiten umfassendes Grundlagenwerk zur europäischen Politik- und Geistesgeschichte, das auch den interessierten Laien in den Bann zu ziehen vermag. Es rekonstruiert den ganzen Reichtum deutscher Ansichten von Russland und der russischen Revolution, und es zeigt, dass die Einstellungen zum sowjetischen Russland nicht von den Koordinaten deutscher Parteipolitik bestimmt waren.
Viele deutsche Linke fürchteten die Herrschaft der Sowjets. Weitgehend ohne Rücksicht auf Ideologien traten hingegen nicht nur Industrielle wie Walther Rathenau oder Peter Klöckner auf, sondern auch die Führer der Reichswehr, die mit der Roten Armee zeitweise eng kooperierten. Viele Vertreter der nationalen Rechten begeisterten sich für die Politik der Bolschewiki. Auch Joseph Goebbels war zunächst ein glühender Anhänger der Sowjetunion. So gesehen fiel der Hitler-Stalin-Pakt von 1939 nicht aus heiterem Himmel. Vielmehr schienen alte Freunde wieder zusammengekommen zu sein, als es darum ging, die polnische Beute aufzuteilen. Das allerdings hinderte die Nationalsozialisten nicht daran, erneut gegen den angeblichen Urfeind, den "Jüdischen Bolschewismus", zu hetzen, sobald der Überfall auf die Sowjetunion nur beschlossene Sache war.
Koenens "Russland-Komplex" endet 1945, doch sein Thema hat an Aktualität nichts verloren. Schließlich löste die überschwänglich zelebrierte deutsch-russische Partnerschaft zwischen Gerhard Schröder und Vladimir Putin zuletzt manche Unruhe aus, vor allem in Polen, wo die Erfahrung von 1939 bis heute nachwirkt.
Gerd Koenen hat die Vielfalt deutscher Russland-Bilder zu einem beeindruckenden Mosaik verdichtet. Russland erweist sich dabei als fundamentaler Zwiespalt im kulturellen und politischen Bewusstsein der Deutschen.
Koenen, Gerd:
Der Russland-Komplex.
Die Deutschen und der Osten 1900-1945,
C.H. Beck Oktober 2005,
528 Seiten mit 53 Abbildungen,
€ 29,90.