Grünen-Politikerin: Reformen in Birma noch nicht nachhaltig gesichert

Barbara Lochbihler im Gespräch mit Marietta Schwarz · 02.03.2012
Aufbruch in die Demokratie in Birma? Die Grüne Barbara Lochbihler, Vorsitzende des Menschenrechtsausschusses im Europaparlament, ist derzeit im Land unterwegs und beantwortet die Frage skeptisch. Da das Militär immer noch weitreichende Rechte hätte, sei es fraglich, inwiefern die angeschobenen Reformen Bestand haben werden.
Marietta Schwarz: Jahrzehntelang war Birma eine Militärdiktatur, ein isoliertes Land, über das man so gut wie nichts wusste, vom Westen mit Sanktionen belegt. Einzige Berühmtheit: Aung Sang Suu Kyi, The Lady, wie man sie nennt, Friedensnobelpreisträgerin – doch sie saß 15 Jahre im Hausarrest und hatte keinerlei Einfluss auf die Geschicke des Landes. Eine Woche nach den Wahlen im Herbst 2010, die ihre Partei NLD noch boykottiert hatte, wurde Aung Sang Suu Kyi aus dem Arrest entlassen – ein neuer Präsident löste den alten ab, und seither öffnet sich das Land wie durch ein Wunder friedlich hin zur Demokratie. Viele westliche Politiker sind unterwegs in Birma, vor kurzem Entwicklungsminister Niebel, derzeit die grüne Europapolitikerin Barbara Lochbihler, Vorsitzende des Menschenrechtsausschusses im Europaparlament, und sie ist jetzt am Telefon, hört uns etwas verzögert. Guten Morgen, Frau Lochbihler!

Barbara Lochbihler: Guten Morgen!

Schwarz: Frau Lochbihler, was sind Ihre Eindrücke von Birma? Ist die Entwicklung, die dort passiert, tatsächlich auch zu sehen, zu spüren?

Lochbihler: Ja, also man spürt sehr gut die Reformen im wirtschaftlichen Bereich, im politischen, und es geht auch vorwärts mit Waffenstillstandsverhandlungen mit den ethnischen Gruppen, das ist sehr positiv. Also wir haben mit Regierungsvertretern geredet, mit Parlament, mit Zivilgesellschaft – der Haken bei all diesen Reformen ist aber daran, ob sie wirklich Bestand haben, weil das Militär hat sich ja auch zum Beispiel über die Verfassung ziemlich viele Rechte gesichert, und auch wirtschaftlich profitieren sie vom alten System. Es wird also drauf ankommen, dass man jetzt diejenigen unterstützt, die für Reformen sind, und deutlich nachhält, dass man diese Reformen auch unterstützt. Nicht dass das Militär – und es ist leider noch immer sehr stark – gegenteilig reagiert und die Macht wieder an sich reißt.

Schwarz: Gestern hatte Präsident Thein Sein in einer Rede den Reformprozess in seinem Land ja auch noch mal beschworen. Sie würden aber sagen, Birma befindet sich nicht unbedingt auf der Zielgeraden zur Demokratie?

Lochbihler: Sie befindet sich am Anfang eines langen Laufes, und das ist ein Reformpräsident, der sehr klug ist. Er muss aber auch darauf achten, wie die anderen Kräfte in der Regierung sind und in seinem Land. Es gibt jetzt im April Wahlen, das sind nicht allgemeine Wahlen, sondern nur Nachwahlen, und da muss man auch sehen, wie weit die Öffnung reicht, ob man wirklich auch andere Parteien gewinnen lässt, wie zum Beispiel die Partei von Aung Sang Suu Kyi. Da haben wir gehört, in der Wahlvorbereitung ist es vom System her besser wie früher, aber es kommt vor Ort schon immer noch zu Behinderungen. Und der zweite große Komplex mit vielen Fragezeichen sind die ethnischen Konflikte, die man jetzt vielleicht befrieden kann. Aber das heißt noch nicht, dass es dort friedlich zugeht. Man muss dann aufarbeiten die Menschenrechtsverletzungen, man muss schauen, wenn die Flüchtlinge zurückkommen, was sie da vorfinden, ob sie da leben können, und man muss auch politisch denen mehr regionale Rechte geben. Und das ist alles noch nicht ausdifferenziert.

Schwarz: Sie haben diese ethnischen Konflikte angesprochen. Ein Drittel der Bevölkerung in Birma setzt sich aus unterschiedlichsten Minderheiten zusammen, die zum Teil Krieg mit den Militärs geführt haben. Wie stellen die sich denn das friedliche Zusammenleben vor in einem neuen Birma?

Lochbihler: Also ich habe auch mit Vertretern dieser Gruppen gesprochen, sie wollen keine Abspaltung, keiner von ihnen, sie stellen sich aber vor, dass sie beteiligt werden, vielleicht in einer Art föderalem System, und sie wollen natürlich, dass das Militär nicht wie in der Vergangenheit diese Waffenstillstandsabkommen wieder bricht, dass sie in den Barracken bleiben. Sie brauchen Programme, dass die Landminen, die es da zuhauf gibt, dass die entfernt werden. Sie brauchen aber auch vor allem Arbeitsplätze, dass vor allem eine junge Bevölkerung dort, die teilweise im Ausland geboren wird, auch in diesen ursprünglichen Gebieten wieder leben kann. Und es sind eben Gebiete, die reich an natürlichen Schätzen, an Bodenschätzen sind, und da wissen wir ja, dass es für die Bevölkerung sehr schwierig ist, weil die unterschiedlichsten Kräfte an den Ressourcen Interesse haben, aber nicht so sehr an den Menschen, die dort leben.

Schwarz: Die Hoffnung ruht ja jetzt auch auf der Oppositionskandidatin Aung Sang Suu Kyi, die heftig Wahlkampf betreibt, aber eigentlich auch nur 48 Plätze im Parlament zu besetzen hat. Kann sie überhaupt großen Einfluss gewinnen in der Regierung?

Lochbihler: Sie hat aufgrund ihrer Persönlichkeit und ihres Kampfes und auch auf ihre Familie hin – ihr Vater wird ja auch sehr verehrt – eine sehr wichtige Funktion im Land. Alle beziehen sich auf sie. Aber de facto, auch wenn sie jetzt viele Sitze gewinnt bei diesen Nachwahlen, kann sie nicht viel verändern. Die Mehrheit der Sitze sind von der Regierungspartei besetzt, und dann kommen noch 25 Prozent aller Sitze dazu, die dem Militär vorbehalten sind. Also außerhalb des Parlaments wird sie natürlich, auch wenn sie einen Parlamentssitz erringt – was sehr wahrscheinlich ist –, wird ihr Einfluss darin bestehen, dass sie mit den Reformern zusammenarbeitet. Und im Gespräch mit ihr gestern hat sie ja auch noch mal deutlich gemacht, dass es ihr drauf ankommt, zu schauen, wen vom Militär kann sie gewinnen, dass er eigentlich die Demokratie auch wertschätzt und eine neue Rolle des Militärs annehmen kann. Und da, glaube ich, liegt ihre Stärke, darin.

Schwarz: Wie Sie, Frau Lochbihler, sind zurzeit viele Politiker in Birma unterwegs, da spielen auch wirtschaftliche Interessen eine Rolle. Was gibt es denn in Birma zu holen?

Lochbihler: Für mich gibt es da eigentlich noch viel mehr an Menschenrecht, Verantwortung zu holen, zum Beispiel in den EU-Sanktionen steht drin, dass man die nur aufhebt, wenn politische Gefangene freikommen, und das sind noch einige, die in Haft sind. Wirtschaftlich ist es so, dass Myanmar einen großen Agrarsektor hat, der völlig unterentwickelt ist, 95 Prozent der Landbevölkerung lebt immer noch ohne elektrischen Strom, da müssen Sie sich vorstellen, wie rückständig das ist. Natürlich gibt es auch Industrieinteressen, wie zum Beispiel diese ganzen Ressourcen wie Edelsteine, seltene Erden, und es gibt große Infrastruktur und auch Elektrizitätswerke, aber da ist es so, das ist jetzt eine thailändische Firma, die produzieren enorm viel Strom, und der wird einfach nach Thailand exportiert, und die Einheimischen hier in Myanmar haben nichts davon.

Schwarz: Es gibt also noch einiges zu tun. Barbara Lochbihler, Grünen-Politikerin im Europaparlament und zurzeit in Birma. Danke Ihnen für das Gespräch!

Lochbihler: Ich danke Ihnen!

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