Grüne lehnen Sozialtarife für Energie ab

Moderation: Ernst Rommeney und Ulrich Ziegler |
Der Fraktionsvorsitzende von Bündnis 90/Die Grünen im Bundestag, Fritz Kuhn, hat sich trotz gestiegener Energiepreise gegen Sozialtarife für Strom und Wärme ausgesprochen. Da Öl und andere Energieträger immer teurer würden, müssten sich bei einem solchen Modell die staatlichen Zuschüsse an Bedürftige ständig erhöhen, sagte Kuhn.
Deutschlandradio Kultur: Warum wird eigentlich Oskar Lafontaine, der Fraktionschef der Linken als heimlicher Oppositionsführer im Deutschen Bundestag wahrgenommen und nicht Fritz Kuhn, der ja auch Fraktionschef der Grünen ist?

Fritz Kuhn: Lafontaine hat deswegen eine besondere Bedeutung, als er SPD-Vorsitzender war und dieses ganze Spiel gerade um die Frage geht: Wie stark schneidet die Linkspartei bei der SPD rein? Das ist sicher ein Grund. Ein anderer Grund ist vielleicht, dass die Linkspartei ja ganz populistische immer ganz einfache plakative Forderungen stellt, so nach dem Muster: Forderung X, bezahlen egal, Finanzierung keine, das sollen die anderen machen.

Im Übrigen würde ich aber sagen, wir Grünen können uns nicht über mangelnde Aufmerksamkeit beklagen. Wir sind bei der letzten Wahl mit 8,2 Prozent rausgegangen. Jetzt haben wir 12 Prozent in den Umfragen. Also, Sie reden mit einem, der eher zukunftsfroh in dieses Wahljahr geht, das jetzt vor uns liegt.

Deutschlandradio Kultur: Aber es geht doch um Ihre Rolle als Oppositionsführer. Nehmen wir mal Guido Westerwelle. Guido Westerwelle, der FDP-Chef hat kürzlich Angela Merkel aufgefordert, sie möge mal eine Regierungserklärung zur Lage der Koalition abgeben, was sie noch so vor hat. Das hätte ja auch von Ihnen kommen können.

Fritz Kuhn: Das haben wir schon öfter gemacht. Das ist nicht das Problem. Wir haben eine andere Konstruktion. Die Grünen werden gegenwärtig von fünf Leuten geführt, wenn ich die künftigen Spitzenkandidaten dazu rechne, und nicht von einem. Das hat Nachteile in dem Bereich, was Sie gerade ansprechen. Es hat aber auch Vorteile. Bei der FDP, als Beispiel, fällt Ihnen nur Westerwelle ein – plus Old Boys, also Genscher, Lambsdorff – sonst niemand, während bei uns doch eine breitere Struktur von Führungspersonal da ist. Das finde ich übrigens auch gut so.

Deutschlandradio Kultur: Trotzdem haben wir den Eindruck, dass Sie den Themen der Linken hinterher laufen. Nehmen wir das Thema Afghanistan. Parteitag der Grünen: klare Abkehr von dem, was unter Rot-Grün beschlossen wurde. Die Linke fordert schon lange, wir müssen aus Afghanistan raus. Sie tun sich schwer damit. Sie laufen den Themen der Linken doch hinterher.

Fritz Kuhn: Die Behauptung würde ich nicht teilen. Es gibt viele Themen, wo ich eher sagen würde, die Linken versuchen die Grünen zu kopieren. Denken Sie, wie sie über Klimaschutz und andere Fragen reden. Ich würde die Behauptung aufstellen, dass die CDU gegenwärtig am meisten der Linkspartei hinterherläuft, weil sie jetzt auch in diesen Mechanismus reingeht, viel an Transferleistungen oder Steuererleichterungen machen, Bezahlung egal. In dem Sinn sind wir eine völlig eigenständige Partei. Wir achten zum Beispiel bei den sozialen Systemen immer auf die Frage, ist es finanzierbar. Wir halten den Punkt, es über Schulden, also über künftige Generationen zu bezahlen, nicht für akzeptabel.

Deutschlandradio Kultur: Also sind Sie die letzten Marktwirtschaftler noch im Bundestag?

Fritz Kuhn: Wir sind Marktwirtschaftler, aber wir haben die Grundüberzeugung, dass Märkte feste politisch gesetzte Rahmenbedingungen im Ökologischen und Sozialen haben müssen. Davon haben wir zu wenig. Also, wenn Sie so wollen, nicht neoliberale – der Markt soll es allein richten -, aber Ordoliberale, die sagen: klare Ordnungsrahmen. Zum Beispiel, dass die Energienetze nicht denen gehören sollen, die den Strom erzeugen, ist so eine ordnungspolitische Überzeugung. Das vertreten wir.

Noch mal zu Ihrem Punkt zurück: Wir laufen der Linkspartei nicht hinterher. Das haben wir nicht nötig. Wir würden auch in die falsche Richtung laufen.

Deutschlandradio Kultur: Aber da ist doch auch ein Wind, der Ihnen ins Gesicht bläst – beispielsweise Altersarmut. Da kann man fragen, haben Sie das Thema verschlafen? Die Linkspartei will es jetzt groß thematisieren und Sie sind ganz anders angetreten. Sie sind angetreten: Der Generationenvertrag soll nicht zu Lasten der Jüngeren ausgelegt werde. Jetzt geht es auf einmal um die Älteren.

Fritz Kuhn: Ich muss Ihnen ganz ehrlich sagen: Die Linke differenziert nicht. Heute ist die Situation so, dass es zwei Drittel der alten Menschen gut geht, besser als in der Vergangenheit. Sie können sehr hohe private Transferzahlungen zu Kindern und Enkelkindern machen. Einem Drittel geht es heute schlechter. Da muss man was tun.

Deswegen sagen wir, die Grundrente ausbauen, deswegen sagen wir, es muss einen deutlicheren Abstand zur Grundrente bei denen geben, die viel gearbeitet haben. Wir müssen bei der Rentenformel was machen. Der alte Punkt, dass die Generationengerechtigkeit die Rente bringen muss nach dem Muster, die, die heute einzahlen, müssten auch eine auskömmliche Rente bekommen können und deshalb nach wie vor richtig, Demographiefragen, Altersaufbaufragen in der Rente zu berücksichtigen. Denn die ganze Rentensolidarität fliegt ja in die Luft, wenn die Jungen einzahlen, aber wissen, sie werden keine Renten mehr bekommen.

Deutschlandradio Kultur: Aber das verlangt doch die Union. Herr Glos zum Beispiel sagt: Es bringt nichts, im Lohnnebenkostenbereich noch viel zu drehen. Herr Rüttgers hat das Thema aufgedreht. Nun kommt die Linke und will das ganz groß herausfahren: zurück mit der Rentenformel. Also, im Grunde wird Rot-Grün aufgetrennt.

Fritz Kuhn: Die Forderung, zurück zur alten Rentenformel, ist reaktionär, weil sie plötzlich so tut – das sagt Lafontaine ja explizit –, als wäre die ganze Demographiefrage eine erfundene Geschichte. Das ist es aber nicht. Ein entscheidender Punkt ist für mich der, dass Leute mit unsteten Erwerbsbiographien besser gestellt werden müssen. Es muss eine stärkere Grundsicherung in der Rente geben. Sonst kommen wir da nicht weiter.

Deutschlandradio Kultur: Aber, wo was schnell passieren muss, da sind wir uns vielleicht einig, ist beim Thema Mindestlohn. Das ist ein Thema, das auch die Linke vor Jahren auf das politische Parkett gebracht hat. Jetzt rennen alle hinterher. Sie fordern das auch.

Fritz Kuhn: Der Linksruck, den Sie vielleicht wahrnehmen, der findet in Deutschland einerseits von der Linkspartei statt. Den größten Linksruck hat die Frau Merkel übrigens vollzogen, nicht die SPD oder jemand anderes, weil der Weg von dem Leipziger Programm zu dem, was sie heute an Transferregierungspolitik macht, ist meilenweit entfernt.

Wir haben eine eigenständige Position. Sie reden mit dem Grünen-Fraktionsvorsitzenden und nicht mit einem von der Linkspartei Getriebenen. Der Kampf gegen die Kinderarmut ist mindestens genauso wichtig wie der Kampf gegen Altersarmut. Da haben wir eigene Konzepte und nicht immer nur danach sehen: Was macht die Linkspartei und was macht sie nicht?

Deutschlandradio Kultur: Sie sagen "Eigenständigkeit". Sie sagen aber auch "grüne Marktwirtschaft". Da könnte man auch andersherum fragen: Sind Sie eine ökologische liberale Partei, die der FDP hinterherläuft?

Fritz Kuhn: Nein. Ich will den Unterschied sagen. Die FDP hat im Kern neoliberale Politikkonzeptionen. Das bedeutet, sie sagt: Der Staat soll sich zurückziehen, der Markt findet eh die besten Lösungen.

Wir sagen: Es gibt für bestimmte Fragen, wie soziale Gerechtigkeit, ökologische Nachhaltigkeit, nicht automatisch Marktlösungen, sondern nur, wenn der Staat Rahmenbedingungen setzt, die den Markt dazu bringen, in die Richtung die beste Lösung zu suchen.

Beispiel: Wir haben lange in Deutschland gedacht, vielleicht findet die Automobilindustrie die CO2-Lösung selber. "Freiwillige Vereinbarung" haben sie uns wortreich europäisch verkündet, sie haben aber nichts getan. Deswegen sagen wir: Wir brauchen Ordnungspolitik, einen Grenzwert. So viel CO2 – diese 120 Gramm – darf die Flotte ausstoßen. Und in 10 Jahren lass es weniger sein. Das ist eine klare Setzung für den Markt. Innerhalb dessen können die Betriebe, müssen die Automobilhersteller die beste technische Lösung suchen. Da muss dann der Staat nicht mehr. Das ist aber kein liberales Konzept, sondern eines, das auch einen starken selbstbewussten Staat braucht. Allerdings muss der Staat gucken, dass Wettbewerb besteht. Deswegen kämpfen wir gegen Energieerzeugungsunternehmen, die auch die Netze besitzen wollen, und solche Punkte.
Ich finde übrigens, weltweit betrachtet, dass die neoliberale Konzeption absolut auf dem Rückzug ist. Das haben fast alle gemerkt, nur die FDP und Herr Westerwelle nicht. Wenn ich vor 15 Jahren bei der Weltbank war, haben die Ihnen doch den ganzen Washington-Consensus der Deregulierung global reingesungen – vom Chef bis zum Abteilungsleiter. Wenn sie heute zur Weltbank gehen oder IWF, dann haben Sie eher den Eindruck, es ist eine globalisierungskritische Beratungsstelle dafür, wie man am besten Regulierung auf den Weltmärkten macht. Da hat sich viel getan.

Deutschlandradio Kultur: Aber ist das nicht Ihr Problem? Sie haben zu rot-grünen Zeiten die neoliberalen Prügel bekommen. Jetzt bekommen Sie die Prügel, dass Sie nicht sozialpolitisch ausgewogen gewesen sind.

Fritz Kuhn: Wir haben vielleicht neoliberale Prügel bekommen, aber wir haben keine neoliberale Politik gemacht. Das finde ich einen wichtigen Unterschied.

Deutschlandradio Kultur: Es gibt einen Satz von Ihnen, den Sie vor wenigen Tagen gesagt haben, Sie "wollen die wirtschaftliche Kompetenz von CDU und CSU knacken". Ist das das Profil, das Sie herausarbeiten möchten, zu sagen: Grüne Wirtschaftspolitik unterscheidet sich grundsätzlich von neoliberaler, auch von der von CDU und CSU?

Fritz Kuhn: Selbstverständlich. Ich sage Ihnen ja, die Union redet in den Grundsatzkongressen von Marktwirtschaft, aber sie macht ungeheuer praktische Entscheidungen, die damit überhaupt nichts zu tun haben, zum Beispiel, dass sie – wie die SPD auch – weiterhin an der Kohle festhält, obwohl klar ist, dass wir mit Kohle den Klimaschutz nicht lösen werden. Dass Frau Merkel in Brüssel vor der deutschen Automobilindustrie her rennt und die Dinosaurier verteidigt, die viel CO2 emittieren, hat doch mit Marktwirtschaft nichts zu tun, sondern ist klassische Lobbypolitik.
Deutschlandradio Kultur: Oder Übergangslösung, die man braucht, wenn man große Autos baut.

Fritz Kuhn: Ja, die Übergangslösungen, die die jetzt in Brüssel beschließen, sind mit zu langen Übergängen. Die deutsche Automobilindustrie hat schon viele Jahre geschlafen. Denken Sie an die Hybridtechnologie. Deswegen muss jetzt eine klare Kante kommen. Sonst geraten wir in eine Strukturkrise mit dem Automobil, denn in zehn Jahren können Sie die Kisten gar nicht mehr exportieren.

Die Grünen sehen, dass die ökologischen Fragen, aber auch die sozialen Fragen nur beantwortet werden können, wenn man auch eine gute wirtschafts- und finanzpolitische Kompetenz hat. Das gehört zusammen. Da arbeiten wir weiter. Deswegen greifen wir inzwischen auch die Union auf dem wirtschaftspolitischen Feld an.

Deutschlandradio Kultur: Gehen wir noch mal zu Ihrem marktwirtschaftlichen Verständnis. Kernpunkt der Marktwirtschaft ist ja immer die Frage, wo Wettbewerb stattfindet, zum Beispiel auf Trassen und gebundenen Leitungen – Sie haben selber die Netze genannt. Wie sollen wir denn mit den Netzen von Strom und Gas umgehen?

Fritz Kuhn: Ich fände es am besten, wir hätten von den großen Erzeugern völlig unabhängige Netze. Darin besteht ja das Problem. Die 80 Prozent der Erzeugung machen, besitzen die Netze fast zu 100 Prozent und können für die Durchleitung anderer Stromerzeuger auch Fantasiepreise benennen. Deswegen unabhängige Gesellschaft, wir sagen sogar, mit einer Mehrheit im öffentlichen Besitz.

Deutschlandradio Kultur: Also zurückkaufen?

Fritz Kuhn: 51 Prozent im öffentlichen Besitz, der Rest kann sonstiger Besitz sein, weil solche Sachen elementare Teile der Daseinsvorsorge sind, dass Sie ein Stromnetz haben, das funktioniert, wo nicht Lobbyinteressen zum Beispiel den Ausbau blockieren. Es wird ja Ausbaublockade betrieben, damit der Wind aus Norddeutschland nicht so leicht nach Süden gehen kann und vieles andere mehr. Das müssen wir verhindern.

Das gilt auch bei der Schiene, deswegen haben wir viele Fragezeichen bei der Privatisierung gesetzt, die jetzt gemacht wird. Wir müssen einfach mal erkennen, dass die Bürgerinnen und Bürger in bestimmten Geschichten erwarten, dass der Standard, der Zugang vom Staat gesetzt wird. Dann kann auf diesen Netzen Wettbewerb stattfinden. Wir wollen ja, dass die Stromerzeuger miteinander konkurrieren um die besten Preise, besten Bedingungen usw. Aber das geht nur bei einem relativ neutralen Netz.

Deutschlandradio Kultur: Das wird eine teure Geschichte, wenn Sie sagen, 51 Prozent der Netze sollen möglicherweise zurückgekauft werden, wenn das Netz in staatlicher Hand sein soll. Das sind Milliardenkosten, die dann auf die Regierung zukommen.

Fritz Kuhn: Die Frage ist, ja, ob man das auf einen Schlag macht. Das ist auch nicht ein Punkt, den der Bund allein machen muss. Ich halte sehr viel davon, dass die Kommunen wieder stärkere Anteile auch bei den Netzen haben, weil das eine stabilere Investitionssituation mit sich bringt. Da muss man sicher über Details reden, aber der entscheidende Punkt vorweg – und da stört mich, dass die EU-Kommission jetzt vor wenigen Wochen eingeknickt ist – ist, dass die Netze von den bisherigen Betreibern der Netze weg müssen und von den Hauptenergieerzeugern. Das ist der erste Punkt. Alles andere ist Modulation, wie man es genau macht.

Aber – Sie fragen mich ja nach meiner Überzeugung, unsere Überzeugung – ich würde eine öffentliche Verantwortung vor allem für die Investitionsstruktur der Netze sehen. Dass im richtigen Umfang investiert wird, da muss der Staat schon drauf gucken. Denn das können Private, die renditeorientiert sind, ja nicht unbedingt leisten.

Deutschlandradio Kultur: Bisher hat es doch auch funktioniert – mehr oder weniger.

Fritz Kuhn: Ich finde nicht, dass es funktioniert hat. Wir haben deutlich überteuerte Strompreise – das sagen alle, die was davon verstehen – deshalb, weil wir das Netzmonopol bei den Erzeugern haben. Es gibt erhebliche Investitionsdefizite in verschiedenen Bereichen. Das betrifft die Nord-Süd-Struktur. Ich würde beileibe nicht sagen, dass es funktioniert hat.
Deutschlandradio Kultur: Was halten Sie denn von der Deutschen Netzgesellschaft in den Händen der Stromproduzenten oder auch alternativ in den Händen von Finanzinvestoren?

Fritz Kuhn: Der Staat muss Sorge dafür tragen, dass es richtig gemacht wird im Sinn von Daseinsvorsorge. Deswegen muss man jedes Modell prüfen. Aber ich wäre sehr skeptisch wenn Finanzinvestoren allein dafür zuständig sind. Sie müssen dann die Frage stellen, was machen die, was machen wir als Staat, wenn die baden gehen, weil sie sich verspekuliert haben an ganz anderen Ecken und Enden? Das heißt, Sie müssten eine ganz extreme Zertifizierung veranstalten. Deswegen sage ich: Es wäre nicht schlecht, wenn der Staat in irgendeiner Weise bei der Netzgesellschaft ein Wörtchen mitzureden hätte.

Deutschlandradio Kultur: Regionale Netze, ein deutsches Netz, vielleicht sogar ein nordeuropäisches Netz, was ist Ihre Präferenz?

Fritz Kuhn: Wir sollten schon – wir haben ja auch eine deutsche Netzstruktur – ein deutsches Netz haben. Das kann man auch in regionale Netzgesellschaften untergliedern. Da können die Gemeinden eine große Rolle spielen. In die Richtung muss es sich entwickeln. Aber bei der Verantwortung für Netzsicherheit und Netzplanung muss die Politik ein gutes Wort mitreden.

Deutschlandradio Kultur: Was würden Sie heute den Stromproduzenten empfehlen mit ihrem Kraftwerkspark? Mehr mit Kohle – Atom natürlich nicht -, mehr mit anderen Energien?

Fritz Kuhn: Ich würde sagen, dass wir einen riesigen Fehler machen, es ist ja auch ein kardinales politisches Problem, wenn wir - beantragt oder geplant sind 20 - große neue Kohlekraftwerke bauen und wieder in die Atomwirtschaft einsteigen. Wir können zeigen, dass es ohne beides geht. Bei den Kohlekraftwerken sind wir vor allem deswegen kritisch, weil wir sagen: Wenn ich das jetzt mache, alte Kohlekraftwerke durch neue ersetze, lege ich diese schlechten Wirkungsgrade, die auch die neuen haben – die haben ja Wirkungsgrade von 50 Prozent...

Deutschlandradio Kultur: Aber sind besser als die alten.
.., ja, aber sie haben nicht die Wirkungsgrade, die man heute schon realisieren kann, wenn man eine dezentralere Energieversorgung macht. Ein großes Kohlekraftwerk hat deswegen einen Wirkungsgrad von 50, vielleicht 55 Prozent, weil es die Wärme, sehr viel Wärme fällt ja an, gar nicht zu vertretbaren Kosten verteilen kann. Ein gasbetriebenes Kraft-Wärme-gekoppeltes Kraftwerk kann das verteilen und kommt deswegen auf Wirkungsgrade von 90 Prozent. Diese Differenz von 90 zu 50 Prozent brauchen wir als Effizienzsteigerung für den Klimaschutz. Deswegen sagen wir, wenn ein altes vom Netz kommt, es müssen ja auch welche vom Netz, dann muss das in der Größenordnung durch Effizienzgewinne, durch Erneuerbare aufgebaut werden. Im Kern können Sie einfach sagen: Die Energiestruktur muss dezentraler werden.

Deutschlandradio Kultur: Aber Sie als Marktwirtschaftler müssten doch sagen, das kann der Markt doch vielleicht alleine regeln. Wenn dezentral in der Energieausbeute effektiver ist, warum bauen dann Kraftwerksbetreiber große Kraftwerke, die möglicherweise mittelfristig im Markt überhaupt nicht bestehen können, weil sie zu viel Energieverluste haben?

Fritz Kuhn: Weil wir keinen echten Wettbewerb haben. Wir haben die Struktur, dass vier große Stromerzeuger den Markt beherrschen. Die gehen ja nicht mit einer volkswirtschaftlichen oder ökologischen Rationalität an die Frage ran. Egal, was sie sonntags predigen, werktags gucken sie, dass die Rendite optimal ist. Deswegen wollen sie abgeschriebene Atomkraftwerke lange laufen lassen. Deswegen wollen sie auch in größeren Einheiten, weil sie dann die Verfügung ganz in ihrem Haus behalten können, den Strom in der Zukunft erzeugen. Da ist viel altes Denken da, aber da steht auch Profit dahinter. Wir wollen eigentlich eine andere Energieversorgung in Deutschland möglich machen.

Ich kenne wenig große Energieunternehmen, die das Einsparen zu ihrem Geschäftsziel gemacht haben. Die Frage, ob wir ein sparsames Energiesystem bekommen, in diesem ökologischen Sinn sparsam, ist längst eine der größten sozialen Fragen der Zukunft geworden. Nur wer mit einem Dreiliterauto kommen kann, und zwar als bezahlbarem Serienprodukt, und wer den Verbrauch von Wärme und Strom in den Häusern halbieren kann und runtersetzen kann, kann das soziale Problem lösen, dass immer mehr Leute unter der Warmmiete so leiden, dass sie einfach gar nicht mehr auf die kalte gucken müssen, sondern auf die warme.

Deutschlandradio Kultur: Erneuerbare Energien belasten aber im Moment schon die Stromrechnungen der einzelnen Kunden, weil eben der Zuschlag da ist.

Fritz Kuhn: In einem Haushalt mit zwei Kindern, also vier Personen, kostet das EEG im Jahr derzeit maximal 40 Euro dafür, dass im Stromnetz Gesamtdeutschland bis zu 14 Prozent jetzt Strom drin ist, wo keine CO2-Belastung entsteht. Das ist - wir reden ja nicht über irgendwas Luxuriöses, sondern über die Frage, ob wir die Klimakatastrophe abwenden können – eine ganz elementare Zahl. Das wird ein bisschen zunehmen, aber dafür kriegen wir kalkuliert bezahlbaren Strom, der nicht durch Vergiftung unserer Umwelt produziert wird, sondern durch die Sonne, den Wind oder Geothermie, was ohnehin da ist.

Deutschlandradio Kultur: Fragen wir andersherum: Wie wollen Sie letzten Endes die soziale Frage dabei lösen? Denn es ist ja so, dass die Menschen die hohen Preise nicht mehr bezahlen können und nun die vielen Ideen kommen, wie man Ihnen helfen soll. Was würden Sie meinen, wie man richtig eingreift?

Fritz Kuhn: Ich sage Ihnen mal drei Beispiele:
Ob wir ordnungspolitisch durchsetzen, dass ein Dreiliterauto in Deutschland möglich ist, indem wir die technische Intelligenz, die heute danach geht, wie rase ich schneller, wie bremse ich schneller, wie kriege ich einen Kühlschrank ins Handschuhfach, um solche Fragen ging es ja lange Jahre, dahin bringen, erzeuge das effizienteste Auto, das bezahlbar bleibt, dann ist auch eine soziale Komponente dabei. Denn es gibt viele Familien in Deutschland, die brauchen ein Fahrzeug. Wenn sie im ländlichen Raum wohnen, geht es gar nicht anders.

Wie schaffen wir es, dass Elektrogeräte effizienter werden? Wir müssen uns so was wie den
Top-Runner-Ansatz, den es in Japan gibt, angewöhnen. Da geht es so: Sie definieren bei einer bestimmten Geräteklasse – sagen wir mal: Staubsauger – den besten Standard im Heute. Das wird der Top-Runner, der vorausläuft. Und in fünf oder vier Jahren müssen alle den Standard erreicht haben. Sie brauchen Innovationsmotoren in der ganzen Veranstaltung, so dass Energieeinsparen wirklich ein relevantes Faktum wird für die Konkurrenz innerhalb der Betriebe. Bei so einem Ansatz kann es sich ja keiner leisten, lasch und zu lahm da reinzugehen. Alle müssen und wollen Top-Runner werden.

Deutschlandradio Kultur: Aber das ist doch mittelfristig. Die Preise sind doch heute hoch. Herr Bütikofer hat zum Beispiel gesagt, "wir brauchen einen sozialen Stromtarif". Ist das die Lösung?

Fritz Kuhn: Ich wollte noch mein drittes Beispiel sagen. Wir müssten bei den Wohnungen mehr tun können. Wir haben das Problem nicht nur beim Strom, sondern auch bei der Wärme, dass es für die einzelnen Vermieter nicht besonders verfügbar ist, wann Energieeinsparungen gemacht werden. An den Punkten muss man ansetzen. Ich bin explizit gegen Sozialtarife bei Strom oder Wärme, und zwar auf folgendem Grund:

Das wird ja immer teurer durch die Knappheit beim Öl. Öl wird teurer. Darauf müssen sich alle einstellen. Wenn ich vom Staat her beginne dieses zu subventionieren und zu sagen, dafür kriegst du einen Zuschuss, was passiert in fünf Jahren? Es wird wieder teurer, ich muss den Zuschuss erhöhen. Deswegen wäre es viel sinnvoller, jetzt herzugehen und die Einsparmöglichkeiten zu begünstigen, dass die Leute sich die Investitionen leisten können. Dazu kommt: Dem, der aus sozialen Gründen, weil er zum Beispiel Arbeitslosengeld II bezieht, diese Verteuerung nicht mitmachen kann, ist wenig geholfen, wenn ich in dem, dem und dem System einen Zuschuss gebe, sondern es ist viel klüger, das Arbeitslosengeld II anzuheben, weil das zu niedrig ist und die Leute die allgemeine Inflation gar nicht bewältigen können. Deswegen sagen wir, das Arbeitslosengeld II muss angehoben werden. Das ist übrigens eine Priorität vor den Steuerentlastungen.

Deutschlandradio Kultur: Wenn das das grüne Profil ist, die Perspektive dieser Partei, welches Gesicht muss dann eigentlich ein Parteivorsitzender der Partei haben, der dieses auch verkörpert?

Fritz Kuhn: Das Profil der Grünen liegt im Ökologischen, in der Verbraucherpolitik, Kinderpolitik. Wir haben nicht über Minderheitenrechte, Bürgerrechte geredet und natürlich in dem Zusammenhang, welche sind die richtigen Antworten für soziale Gerechtigkeit. Wir haben dafür natürlich verschiedene Leute. Jetzt haben wir beim Bundesvorstand, darauf werden Sie ansprechen, auf der Männerseite, also an dem Platz, den Reinhard Bütikofer eingenommen hat, zwei Kandidaten. Ich kann Ihnen nur sagen, ich halte beide für sehr respektable Kandidaten. Wir schauen jetzt erst mal intern, wie es weitergehen kann. Aber wir haben eine echte Wahl und die ist keine Qual.

Deutschlandradio Kultur: Aber es ist schon ein Markenzeichen. Eineinhalb Jahre vor der nächsten Bundestagswahl die Wahl eines neuen Parteivorsitzenden, der gibt doch auch ein Zeichen vor – entweder für grüne Marktwirtschaft, für Menschenrechtsfragen, für irgendwas.

Fritz Kuhn: Beide Kandidaten haben eine Ausstrahlung und Fähigkeiten, die sich für dieses Gesamtprofil, das ich geschildert habe, eignet. Wir haben eine interne Diskussion, wo die beiden Kandidaten natürlich auch auftreten werden, über die Frage: Wer ist unter den Bedingungen, wie sie jetzt sind – ein Jahr vor der Bundestagswahl, mitten im Programmbildungsprozess –, der beste Kandidat? Aber das werden wir nicht über die Medien austragen, wer da am geeignetsten ist.
Deutschlandradio Kultur: Das wollen wir eigentlich nicht. Wir wollen eigentlich nur von Ihnen wissen, fehlt den Grünen – Sie haben selbst gesagt, Sie treten mit fünf Leuten derzeit auf – vielleicht der Name zum Programm? Grüne Marktwirtschaft beispielsweise: Wo ist Ihr Oskar Lafontaine? Wo ist Ihr Otto Graf Lambsdorff?

Fritz Kuhn: Wir haben nicht ein Programm vor, das unter einem Stichwort läuft. Sondern die fünf Punkte, die ich genannte habe, Klimaschutz, Kinderpolitik, soziale Gerechtigkeit modern formulieren, dann auch mit Marktwirtschaft und Bürgerechten dazu, das sind unsere Punkte. Dafür haben wir auch die richtigen Leute. Für den Wahlkampf haben wir eine Vorentscheidung getroffen. Das ist eine Entscheidung noch vor dem Parteitag im Herbst, dass Renate Künast und Jürgen Trittin den Laden im Wahlkampf führen sollen. Ich glaube, das wird auch in der Partei sehr akzeptiert.
Deutschlandradio Kultur: Es wird künftig eher Dreierkoalitionen geben, wenn die Grünen mitregieren wollen. Das hat was Reizvolles. Sie können der Königmacher sein. Gibt es eine Präferenz, wo Sie sagen, nach Hamburg, Ampel, Jamaika, wo auch immer die Schnittmengen vielleicht am besten sind?

Fritz Kuhn: Wir definieren die möglichen Konstellationen aus den Inhalten. Wir stellen unser inhaltliches Profil auf, und zwar anhand der Frage, was wir für richtig finden. Da können Sie gleich zur Bundespräsidentenwahl fragen. Ich sehe es Ihnen schon an. Wir werden uns die Freiheit nehmen, die für uns am besten erscheinende Person zu wählen. Wir wählen nicht Lagerkonstellationen.

Deutschlandradio Kultur: Dann machen wir Ihnen einen Vorschlag für die Bundespräsidentenwahl: Was halten Sie von einer Doppelspitze – Schwan und Köhler?

Fritz Kuhn: Da rate ich Ihnen, noch mal in die Verfassung zu gucken.

Deutschlandradio Kultur: Könnte man ja ändern. Dann könnte man versuchen, Afrika für Köhler, Osteuropa für Frau Schwan und die Grünen wären wieder der Top-Runner, der die Politik gestaltet.

Fritz Kuhn: Also, um die Entscheidung kommen wir nicht drum herum. Aber ich will noch mal sagen: Wenn wir uns für die Frau Schwan entscheiden sollten, ist das keine Entscheidung für Rot-Rot-Grün. Und wenn wir uns für den Herrn Köhler entscheiden sollten, ist es keine schwarz-grüne Entscheidung. Ich weiß, dass die öffentliche Struktur das kaum möglich macht, was ich da sage, weil das wie "Schublade auf, Kandidat drin" wirkt, aber Max Weber hat es "sterile Aufgeregtheit" genannt. Das ist gerade in der öffentlichen Landschaft – in Politik wie Medien – der Fall. Ein Jahr vor der Wahl soll es die Festlegung geben, ich glaube, das ist nicht nötig, sondern wir schauen uns das an, haben beide eingeladen in die Fraktion und werden uns dann ein Bild machen, wen wir für den geeignetsten Kandidaten halten.

Deutschlandradio Kultur: Völlig unabhängig von der Landtagswahl in Bayern?

Fritz Kuhn: Ob Schwarz-Gelb eine Mehrheit bei der Bundesversammlung haben wird, das wird bei der Wahl in Bayern schon entschieden, aber wir wollen dennoch sagen und daran festhalten: Wir wollen den oder die, die uns am besten geeignet ist für den Job. Einen größeren Auftrag hat die Bundesversammlung nicht.

Deutschlandradio Kultur: Wir möchten einfach wissen, wann sich die Grünen für wen entscheiden und ob das abhängig ist von der Landtagswahl in Bayern oder von dem Profil der beiden Personen.

Fritz Kuhn: Da sage ich Ihnen klar, es hängt ab von dem Profil der beiden Personen.

Deutschlandradio Kultur: Herr Kuhn, wir danken für das Gespräch.