Grüne Geldanlagen

Sie taugen nicht mal für die Biotonne

Nahansicht eines grüngefärbten US-Dollar.
Wo "nachhaltig" drauf steht, ist noch lange kein "nachhaltig" drin. Die Journalistin Heike Buchter geht hart ins Gericht mit den grünen Geldanlagen. © Getty Images / EyeEm / Nodar Chernishev
Ein Kommentar von Heike Buchter · 21.06.2022
Die Welt retten und dabei auch noch Geld verdienen: Die Finanzindustrie hat den Markt dafür erkannt und bietet mit großem Erfolg sogenannte ESGs an. Mit Nachhaltigkeit haben diese Geldanlagen aber wenig zu tun, kritisiert Publizistin Heike Buchter.
Welches Unternehmen gilt als nachhaltig? Der Elektroautobauer Tesla oder der Ölkonzern Exxon? Fragt man die Herausgeber des amerikanischen Nachhaltigkeitsindex S&P 500 ESG, dann lautet die Antwort: Exxon. Willkommen im wirren Dickicht der nachhaltigen Geldanlage. Die drei Buchstaben – Environmental, Social, Governance – kurz ESG – wurden 2004 von den Vereinten Nationen eingeführt. Sie stehen für Umweltschutz, soziale Gerechtigkeit und ordentliche Unternehmensführung.
Tatsächlich flog Tesla im Mai wegen Beschwerden über Diskriminierung am Arbeitsplatz und Unfällen mit der Autopilotfunktion aus dem einflussreichen ESG-Aktienindex raus. Teslas Chef Elon Musk bezeichnete ESG daraufhin prompt als Betrug. Auch wenn ich kein "Musketeer" bin, wie sich die Fans des Tesla-Bosses nennen: Da liegt der Mann richtig. 

Riesige Nachfrage nach grünen Geldanlagen

Die Geldanlage mit dem schönen Label Nachhaltigkeit boomt. Allein in Deutschland sind mehr als 500 Milliarden Euro in solchen Fonds angelegt, das entspricht immerhin 40 Prozent aller Fonds für private Anleger. Bei vielen der angebotenen Produkte finden sich allerdings Unternehmen und Projekte, die alles andere als nachhaltig sind oder nur so tun.
Greenwashing nennt man das und jüngst gab es beim deutschen Vermögensverwalter DWS in Frankfurt am Main deswegen sogar eine Durchsuchung durch die Staatsanwaltschaft und die Börsenaufsicht. Kurz darauf folgte die Ablösung des Vorstandschefs. Dennoch weist die DWS die Vorwürfe des Prospektbetruges zurück. Dabei hilft den Fondsanbietern, dass es keine allgemeingültigen Regeln gibt.

Bewertung eher wahllos

Eine ganze Branche von Beratern, Analysten, Indexherausgebern und Vermögensverwaltern lebt inzwischen davon, immer neue Definitionen und Maßstäbe zu entwickeln. Da gibt es ESG-Produkte, die eine Negativliste erstellen und etwa Tabak- oder Rüstungskonzerne meiden. Andere treffen eine positive Auswahl und investieren in Biosprit und Solaranlagen. 
Viele Kritiker rufen angesichts des Wirrwarrs nach gesetzlichen Regeln.
Doch selbst wenn es gelänge, weltweit verbindliche Standards zu schaffen, eines der grundlegenden Ziele der ESG-Anlagen wäre damit trotzdem nicht erreicht. Nämlich Investitionen so umzulenken, dass unsere Wirtschaft klimafreundlich und sozial gerechter wird. Damit nachhaltige Anlagen tatsächlich diese gewünschte Wirkung erzielen, müssten sie dafür sorgen, dass die Guten – sprich grüne und nachhaltige – Unternehmen günstiger an Kapital kommen, während es für die “Schlechten” zunehmend teurer und schwieriger wird.
Das ist aber nicht der Fall. Vielmehr kaufen Investoren, denen ESG schnurz ist, die Anteile und Anleihen der “Schlechten” auf. Oft zu Schnäppchenpreisen. Fazit: Nicht einmal die schmutzigsten Konzerne haben Probleme, sich heutzutage zu finanzieren, obwohl inzwischen jeder wissen muss, wie ernst der Zustand der Erde bereits ist. 

Grüne Geldanlagen retten nicht die Erde

Dabei spricht ESG die richtigen Fragen an. Denn die Herausforderungen des Klimawandels und der sozialen Ungleichheit können eben nur bewältigt werden, wenn auch die mächtige Finanzindustrie mithilft. In der aktuellen Form aber wirken ESG-Anlagen als Entschuldigung, um sich weiter davor zu drücken, endlich die notwendigen Veränderungen anzugehen. Das gilt für die Unternehmen, Banken und Fondsgesellschaften. Es gilt aber auch für die Anleger.
Wer glaubt, mit ein paar ESG-Fondsanteilen zur Rettung unseres Planeten beizutragen, macht es sich zu einfach. Und es ist letztlich die Nachfrage der Anleger, die den ESG-Boom antreibt. Dahinter steckt sicher ein gutes Stück Bequemlichkeit. Aber auch der Glaube an die Selbstheilungskräfte des freien Marktes.
Es ist der verfehlte Glaube daran, dass die Bedrohung, die durch unser Wirtschafts- und Finanzsystem entstanden ist, ausgerechnet durch dieselben Mechanismen aufgehalten werden kann. Notwendig wären stattdessen Verhaltensänderungen und, ja, auch Verzicht – und der politische Wille, beides durchzusetzen. In der heutigen Form taugt nachhaltige Geldanlage jedenfalls nicht einmal für die Biotonne.

Heike Buchter ist Journalistin und Autorin mit Fokus auf Wirtschaft und Finanzen. Nach dem Abitur an der Deutschen Schule in Barcelona studierte sie in Madrid und Reutlingen Betriebswirtschaft. Seit 2001 berichtet sie von der Wall Street, 2008 wurde sie Wirtschaftskorrespondentin der ZEIT in den USA. 2015 erschien ihr Buch: „BlackRock: Eine heimliche Weltmacht greift nach unserem Geld“ im Campus Verlag.

Heike Buchter. Eine Frau mit kurzen Haaren steht auf einer Dachterrasse in New York.
© Stefan Falke
Mehr zum Thema