Grow Up!

Von Sascha Lehnartz |
Unlängst wurde einer meiner besseren Freunde von seiner Freundin verlassen. Als er sie zum Abschied interessehalber fragte "warum?", antwortete Marion, sie habe das Gefühl, seit sieben Jahren mit einem 12-Jährigen zusammen zu sein. Sie habe aber nicht ewig Zeit zum Kinderkriegen.
Mein Freund Arno ist 39. Er könne gern so weiter machen, sagte seine künftige Ex-Freundin. Sie wünsche ihm alles Gute, und wenn sie ihm einen Rat geben dürfe; dann solle er endlich erwachsen werden. "Grow up, get real", sagte sie schnippisch auf Englisch.

Arno schloss sich daraufhin zwei Tage lang in der Wohnung ein und meditierte vor der Play Station. Am Ende dieser Phase bat er mich zur Lagebesprechung in eine Bar. Wir wohnen beide in einem Szenebezirk, in dem täglich 8 Milliarden Hektoliter Milchschaum konsumiert werden. Hier wohnen vor allem Leute unserer eigenen Alterskohorte, die sich subkulturmäßig für auf dem Laufenden und politisch für "irgendwie dagegen" halten. 18- bis 48-Jährige, die es sich im Lebensstau gemütlich gemacht haben.

Leute wie wir wissen grundsätzlich alles besser, nur funktionierende Beziehungen oder so etwas wie eine Berufslaufbahn bekommen wir nicht auf die Reihe.

"Erwachsen werden? Wie stellt die sich das vor?", fragte Arno, nachdem er vier bis fünf Becks-Längen nur geschwiegen hatte. "Wer wird denn heutzutage noch erwachsen?"

Ein Blick in die Runde schien ihm Recht zu geben. Die Bar war von zeugungsstreikenden Männern bevölkert, deren halbes Leben schon vorbei war. Hier saßen sie in niedlichen Retro-Turnschuhen und Anti-Frisur-Frisuren auf weich gesessenen Cordsofas, die ihre Eltern vor 30 Jahren ausrangiert hatten. Den Hintern bekamen sie nicht mehr hoch.

Tagsüber taumeln sie mit Pilotenbrillen und zweifarbigen Skijacken von 1978 durch ihre Kindertagestrendbezirke, anstatt endlich FDP zu wählen. Und dann wundern sie sich, wenn ihre Mädchen sie kurz vor dem Klimakterium sitzen lassen, um sich einem 53-jährigen Saab-Fahrer hinzugeben, weil der wenigstens nicht mehr mit DJ-Tasche durch die Gegend läuft und Sätze sagt wie: "Klar kann ich mir irgendwann später mal Kinder vorstellen, also, falls das nächstes Jahr mit dem Praktikum am Goethe Institut in Alma Ata klappt."

"Als unsere Eltern in unserem Alter waren," dozierte Arno, "bewohnten sie ein Reihenhaus, fuhren Passat mit zwei Kindersitzen und Vati hatte einen Job, den er die nächsten vierzig Jahre behalten würde, vorausgesetzt, er benahm sich nicht auf einer Weihnachtsfeier vollkommen daneben. "Change Management" hieß für die, alle vier Jahre die Farbe für den neuen Passat aussuchen.

So sah Erwachsensein früher aus. Aber das ist vorbei. Wer jetzt keinen Passat hat, fährt auch keinen mehr," sagte Arno, und uns wurde ganz komisch Rilke-mäßig zumute.

Arno sagte dann noch, dass das so gekommen sei, läge alles an der Globalisierung und am Pop. Die Globalisierung sei schuld daran, dass die, die erwachsen werden wollten, nicht mehr könnten - und der Pop sei schuld, dass die, die erwachsen werden könnten, nicht mehr wollten.

Das klang hübsch dialektisch und leuchtete sofort ein. Man kann dieser Generation nicht vorwerfen, dass sie nicht genug Thesen produziert. "Da solltest Du ein Buch drüber schreiben" schlug ich vor. "Gute Idee", murmelte Arno, aber er wolle jetzt vielleicht doch lieber erst mal eine Weile ins Ausland und dann mal sehen.

Wir bestellten noch zwei Becks, aber die 21-jährige Bedienung mit dem Gesäßornament lehnte ab. Sie mache um ein Uhr zu. Wir sagten, das fänden wir ziemlich spießig. Da grinste sie nur müde und wies uns die Tür. "Jungs", sagte sie noch, "erwachsen sein heißt, nicht immer als Letzter zu gehen."