Großformatiger Blick in die Vergangenheit
Lange Zeit war Ilya Kabakov eher für seine Installationen und Konzeparbeiten bekannt. Das Sprengel Museum Hannover zeigt unter dem Titel "Rückkehr zur Malerei" vor allem bildnerische Werke Kabakovs, darunter ironische Anspielungen auf den sowjetischen Realismus.
Ein kleiner weißhaariger Mann steht mit Pinseln im Museumsraum und frischt auf einem älteren Bild ein wenig die Farben auf. Stets freundlich und bescheiden wirkt der 78-jährige Ilya Kabakov - und zugleich melancholisch. Auf einer Gemäldeserie von 2010 hat er seine Familie noch einmal versammelt: die Mutter, längst verblichene Onkel und Tanten - und sich selber hat er als Knaben auf den Knien der Mutter dargestellt.
Einfach gemalte, anrührende Bilder: eine Geste des Abschiednehmens? Für Kabakov war diese Werkfolge auch ein Versuch, eine künstlerische Aufgabe zu bewältigen - und zu der ließ er sich in Amsterdam anregen: vor allem von Rembrandts Kunst, Gruppen zu malen:
"Beeindruckend war die Kommunikation zwischen den Figuren auf dem Bild und mir selbst. Diese Leute sehen mich und gucken genau in meine Augen und in meine Seele, mit der tiefen Frage: Warum bist Du hier, bist Du schuldig geworden, weshalb machst Du diese Sache oder die andere? Eine Frage aus einer anderen Welt zu meiner aktuellen Lebenssituation. Dieser Effekt war so stark, dass ich ihn wiederholen wollte - aber mit einer anderen Personnage."
Die Kunstgeschichte weit zurückliegender Jahrhunderte ist bei Kabakov ebenso eingeflossen wie die Moderne. So weisen diese Familienbilder an den Seiten stufenförmige weiße Flächen als distanzierende Elemente auf. Ein Bruch, so wie in einer anderen Serie Riesenformate in intensivem Braun durch große dunkle Flecken in der Mitte auffallen - auch die sind ein Moment moderner Verfremdung.
Kabakov hat sich in dieser Reihe, die zugleich an barocke Malerei erinnert, mit seiner Frau Emilia anlässlich einer bedeutenden Preisverleihung in Japan verewigt - aber der Betrachter muss sich erst mal seinen Weg durch den verschachtelten Bildaufbau bahnen, denn die gekippten Figuren und die verschiedenen Farbflächen wirken im Ganzen wie eine kühne Montage.
Durch diese bei uns selten oder nie gezeigten Werke aus dem letzten Jahrzehnt wird die hannoversche Schau zum Ereignis. Sie will aber auch einen Rückblick ermöglichen auf jene Jahre, als Kabakov in der Sowjetunion seinem Brotberuf als Kinderbuchillustrator nachging und nebenbei moderne Werke schuf, ohne sie einer großen Öffentlichkeit vorstellen zu können: verspielte Gemälde und Reliefs, immer wieder auch ironische Antworten auf den realsozialistischen Alltag. Ulrich Krempel, Direktor des Sprengel Museums und Kurator dieser Schau:
"Es sind ganz unterschiedliche Arbeiten damals entstanden: ein Selbstporträt im Stile eines traditionellen Realismus, eine Cézanne-hafte Landschaft, ein Bild im konstruktivistischen Stil - wie es heißt, und dann gibt es wunderbare Neo-Dada-Montagen mit gefundenen Gegenständen, ein Objekt aus Moskau mit einem Maschinengewehr und zwei kleinen Küken, wo er mit rüder Attitüde Dinge zusammenfügt, die eigentlich nicht zusammengehören. Und es gibt die Werke, auf denen die Bildwelten des sozialistischen Realismus angegangen und ironisiert werden - ein Bild über das Bauen in dieser Stadt, auf das dann zwei veritable große Schaufeln montiert sind."
Kaum einbezogen in diesen Rückblick sind jene Installationen, mit denen Kabakov seit seiner Ausreise aus der Sowjetunion im Westen bekannt wurde: die raumgreifenden Gesamtkunstwerke, in denen er sich in vielerlei Rollenspielen mit der reglementierten Gesellschaft und dem Schicksal der Kunst auseinandersetzte.
Mit seiner "Rückkehr zur Malerei" ist diese Phase der Installationen endgültig beendet. Die Gründe:
Kabakov: "Dieses Genre lässt sich im Museum nur sehr schwer repräsentieren. Installationen werden provisorisch errichtet und bleiben vielleicht drei Monate lang erhalten. Im glücklichsten Fall werden sie dann gekauft."
Kabakov möchte mit seinem Oeuvre der Nachwelt erhalten bleiben, Spuren in den Museen hinterlassen:
"Der zweite Grund für meinen Pessimismus gegenüber Installationen: Sie sind wie eine Erzählung über mein Leben in der Sowjetunion. Ich habe mal gedacht, dieses Material reiche aus bis zum Ende meines Lebens. Aber das Schicksal weiß es besser. Und aus dieser Flasche meiner Erinnerungen kommt immer weniger Wasser, ich kann bis auf den Grund sehen."
Dass die Geister der Vergangenheit sehr wohl noch in anderer Form herumschwirren, unterstreicht diese Schau: denn auf einer Gemäldeserie von 2009 sind die Welten von einst, auch die stets fröhlichen Menschen aus der Propaganda und die Arbeitshelden des sozialistischen Realismus auf Bildausrissen ein letztes Mal präsent, als Bilder im Bild - auf Fetzen, die manchmal in den Hintergrund der Gemälde zu entschwinden scheinen.
Auch hier nimmt der Künstler Abschied: von einstigen Motivwelten und den verblassenden Erinnerungen. Umgeben sind diese Zitate von einem herrlichen spirituellen Weiß, mit dem er einen Bogen zum Avantgardisten Malewitsch schlägt.
Eine großartige Ausstellung. Auf die Frage allerdings, was jetzt motivisch und stilistisch folgen mag, reagiert Ilya Kabakov unsicher. Vielleicht sind die in Hannover präsentierten Gemälde ja eine Art Schlusskapitel.
Service:
Die Ausstellung "Eine Rückkehr zur Malerei. Ilya Kabakov, 1961-2011" ist vom 29. Januar bis 6. Mai 2012 im Sprengel Museum Hannover zu sehen.
Einfach gemalte, anrührende Bilder: eine Geste des Abschiednehmens? Für Kabakov war diese Werkfolge auch ein Versuch, eine künstlerische Aufgabe zu bewältigen - und zu der ließ er sich in Amsterdam anregen: vor allem von Rembrandts Kunst, Gruppen zu malen:
"Beeindruckend war die Kommunikation zwischen den Figuren auf dem Bild und mir selbst. Diese Leute sehen mich und gucken genau in meine Augen und in meine Seele, mit der tiefen Frage: Warum bist Du hier, bist Du schuldig geworden, weshalb machst Du diese Sache oder die andere? Eine Frage aus einer anderen Welt zu meiner aktuellen Lebenssituation. Dieser Effekt war so stark, dass ich ihn wiederholen wollte - aber mit einer anderen Personnage."
Die Kunstgeschichte weit zurückliegender Jahrhunderte ist bei Kabakov ebenso eingeflossen wie die Moderne. So weisen diese Familienbilder an den Seiten stufenförmige weiße Flächen als distanzierende Elemente auf. Ein Bruch, so wie in einer anderen Serie Riesenformate in intensivem Braun durch große dunkle Flecken in der Mitte auffallen - auch die sind ein Moment moderner Verfremdung.
Kabakov hat sich in dieser Reihe, die zugleich an barocke Malerei erinnert, mit seiner Frau Emilia anlässlich einer bedeutenden Preisverleihung in Japan verewigt - aber der Betrachter muss sich erst mal seinen Weg durch den verschachtelten Bildaufbau bahnen, denn die gekippten Figuren und die verschiedenen Farbflächen wirken im Ganzen wie eine kühne Montage.
Durch diese bei uns selten oder nie gezeigten Werke aus dem letzten Jahrzehnt wird die hannoversche Schau zum Ereignis. Sie will aber auch einen Rückblick ermöglichen auf jene Jahre, als Kabakov in der Sowjetunion seinem Brotberuf als Kinderbuchillustrator nachging und nebenbei moderne Werke schuf, ohne sie einer großen Öffentlichkeit vorstellen zu können: verspielte Gemälde und Reliefs, immer wieder auch ironische Antworten auf den realsozialistischen Alltag. Ulrich Krempel, Direktor des Sprengel Museums und Kurator dieser Schau:
"Es sind ganz unterschiedliche Arbeiten damals entstanden: ein Selbstporträt im Stile eines traditionellen Realismus, eine Cézanne-hafte Landschaft, ein Bild im konstruktivistischen Stil - wie es heißt, und dann gibt es wunderbare Neo-Dada-Montagen mit gefundenen Gegenständen, ein Objekt aus Moskau mit einem Maschinengewehr und zwei kleinen Küken, wo er mit rüder Attitüde Dinge zusammenfügt, die eigentlich nicht zusammengehören. Und es gibt die Werke, auf denen die Bildwelten des sozialistischen Realismus angegangen und ironisiert werden - ein Bild über das Bauen in dieser Stadt, auf das dann zwei veritable große Schaufeln montiert sind."
Kaum einbezogen in diesen Rückblick sind jene Installationen, mit denen Kabakov seit seiner Ausreise aus der Sowjetunion im Westen bekannt wurde: die raumgreifenden Gesamtkunstwerke, in denen er sich in vielerlei Rollenspielen mit der reglementierten Gesellschaft und dem Schicksal der Kunst auseinandersetzte.
Mit seiner "Rückkehr zur Malerei" ist diese Phase der Installationen endgültig beendet. Die Gründe:
Kabakov: "Dieses Genre lässt sich im Museum nur sehr schwer repräsentieren. Installationen werden provisorisch errichtet und bleiben vielleicht drei Monate lang erhalten. Im glücklichsten Fall werden sie dann gekauft."
Kabakov möchte mit seinem Oeuvre der Nachwelt erhalten bleiben, Spuren in den Museen hinterlassen:
"Der zweite Grund für meinen Pessimismus gegenüber Installationen: Sie sind wie eine Erzählung über mein Leben in der Sowjetunion. Ich habe mal gedacht, dieses Material reiche aus bis zum Ende meines Lebens. Aber das Schicksal weiß es besser. Und aus dieser Flasche meiner Erinnerungen kommt immer weniger Wasser, ich kann bis auf den Grund sehen."
Dass die Geister der Vergangenheit sehr wohl noch in anderer Form herumschwirren, unterstreicht diese Schau: denn auf einer Gemäldeserie von 2009 sind die Welten von einst, auch die stets fröhlichen Menschen aus der Propaganda und die Arbeitshelden des sozialistischen Realismus auf Bildausrissen ein letztes Mal präsent, als Bilder im Bild - auf Fetzen, die manchmal in den Hintergrund der Gemälde zu entschwinden scheinen.
Auch hier nimmt der Künstler Abschied: von einstigen Motivwelten und den verblassenden Erinnerungen. Umgeben sind diese Zitate von einem herrlichen spirituellen Weiß, mit dem er einen Bogen zum Avantgardisten Malewitsch schlägt.
Eine großartige Ausstellung. Auf die Frage allerdings, was jetzt motivisch und stilistisch folgen mag, reagiert Ilya Kabakov unsicher. Vielleicht sind die in Hannover präsentierten Gemälde ja eine Art Schlusskapitel.
Service:
Die Ausstellung "Eine Rückkehr zur Malerei. Ilya Kabakov, 1961-2011" ist vom 29. Januar bis 6. Mai 2012 im Sprengel Museum Hannover zu sehen.