"Großexponate gehen vor die Hunde"

Moderation: Andreas Müller |
Der Generaldirektor des Deutschen Historischen Museums in Berlin, Hans Ottomeyer, hat die Verlegung des AlliiertenMuseums von Zehlendorf nach Tempelhof gefordert. Die Halle Ost des Fughafens in Tempelhof, dessen Stilllegung für den Flugverkehr beschlossene Sache ist, sei der ideale Standort für die Großexponate des Museums, sagte Ottomeyer.
Andreas Müller: "Na ja, ein Friedenszeichen, eine Bärenkralle auch nicht, und die Rosinenbombe war eher ein Rosinenbomber." Diese Stimmen, die aufgenommen am Denkmal für die Berliner Luftbrücke, die waren teilweise sehr genau, teilweise aber auch sehr weit von dem weg, was es da eigentlich zu sehen gibt. Im Studio begrüße ich jetzt Dr. Hans Ottomeyer, den Generaldirektor des Deutschen Historischen Museums in Berlin. Herr Ottomeyer, wenn man das hört, bekommt man schon den Eindruck, dass die meisten Leute nicht mehr viel wissen von dem, was damals war. Schönen guten Tag erst mal!

Hans Ottomeyer: Guten Tag!

Müller: Herr Ottomeyer, wenn man das hört, bekommt man schon den Eindruck, dass die meisten jungen Leute nicht mehr so viel wissen von den dramatischen Ereignissen vor 60 Jahren. Da scheint tatsächlich etwas Nachhilfe fällig zu sein?

Ottomeyer: Das ist in Geschichte bei uns in Deutschland oft der Fall. Geschichtsunterricht existiert in vielen Schulen nicht mehr, sondern ist durch Gemeinschaftskunde oder politische Weltkunde ersetzt. Dennoch, wir haben ein so schwieriges Jahrhundert verlassen, dass wir immer darüber Orientierung brauchen und sie auch suchen. Insofern ist diese "Inflation", in Anführungszeichen, Geschichtsmuseen sicherlich keine Zufälligkeit. Wir suchen Orte der Erinnerung und wir suchen präzisere Formen des Gedächtnisses.

Müller: Wie wird denn derzeit in der Stadt Berlin überhaupt an Blockade und Luftbrücke erinnert?

Ottomeyer: Vielfach. Wir haben bei uns im Deutschen Historischen Museum eine große Sequenz, die diesem Thema gewidmet ist. Das sehen etwa eine Millionen im Jahr. Dann gibt es in der Clayallee das "AlliiertenMuseum", eine große Museumsinstitution, die auf eine lange Strecke auch die Geschichte des Kalten Krieges, die Blockade, das Schicksal Berlins und die politische Geschichte nach 1945 zeigt.

Müller: Was gibt es dann zu sehen, wenn ich das mal fragen darf, welche Exponate sind an der Clayalle gesammelt?

Ottomeyer: Gleich von der Straße aus sichtbar steht ein Rosinenbomber, steht das Original von Checkpoint Charlie. All das, was sich da am Checkpoint Charlie befindet, ist sonst Attrappe: ein Zug der Franzosen, der täglich pendelte, ein großes Kino der Amerikaner und dann eine Dauerausstellung, immer aufgefrischt durch Wechselsausstellungen, aber ein Standort, den nicht so viele finden. Da ist nicht leicht rauszukommen. Da gibt es keine U-Bahn, keine S-Bahn-Station, sondern ein Bus, der dorthin pendelt. Und deswegen hat das Museum keine großen Chancen.

Ganz erschwerend ist dann noch die Tatsache, dass das Großgerät, was dort steht, die historischen und authentischen Stücke jetzt korrodieren, dass sie von Regen und Luftfeuchtigkeit allmählich zerstört werden und sie sicherlich keine Zukunft dort haben.

Müller: Brauchen wir also ein neues, ein wirkliches Blockade-Luftbrücke-Kalte-Krieg-Museum in Berlin und wenn ja, wo soll das stehen, wo soll das passieren?

Ottomeyer: Wir brauchen einen anderen Standort für das AlliiertenMuseum, das dort keine Zukunft hat. Dort kann man keine Hallen errichten. Dort kann man keine Standortverbesserung vornehmen. Und im Moment haben wir den glücklichen Zeitpunkt, dass die Halle Ost von Tempelhof, eine riesige Halle am historischen Ort, zur Verfügung steht, hergerichtet werden könnte. Und wenn man das alte Grundstück aufgibt und umzieht und dort einzieht, sind die Kosten gar nicht so riesig, zumindest nicht so groß, wie, wenn man versuchen wollte, das Großgerät im Freien zu halten.

Müller: Wir haben das AlliiertenMuseum in Berlin-Zehlendorf. Es gibt das Deutsch-Russische Museum in Karlshorst, das dürfen wir nicht vergessen. Das ist ja ganz interessant. Da ist ja fast so etwas wie ein musealer Kalter Krieg, der da fortgeführt wird, das "West-Erinnern" im Westen in Zehlendorf, das "Ost-Erinnern" im Osten der Stadt. Sollte man das nicht aufgeben und vielleicht alles zusammen in Tempelhof gebündelt präsentieren?

Ottomeyer: Karlshorst ist schwer, denn Karlshorst ist ein historischer Ort. Das ist das russische Kommandanturgebäude. Und das hat dort seinen Sinn, dort wurde die deutsche Kapitulation unterschrieben. Von dort aus ist auf lange Zeit das Schicksal Deutschlands bestimmt worden oder das Schicksal des östlichen Bereichs Deutschland bestimmt worden. Und diese historischen Gebäude machen dort durchaus ihren Sinn. In der Clayalle ist das anders. Das Großgerät sollte man sicher in Tempelhof konzentrieren, kann es auch nur dort konzentrieren. Es ist der letzte Moment, wo diese Stücke noch zur Verfügung stehen. Sie gehen, salopp ausgedrückt, vor die Hunde. Sie werden bald nicht mehr zur Verfügung stehen, wenn sich dafür nicht eine große gedeckte Halle findet.

Müller: Wer soll das gestalten? Wer soll, salopp gesagt, den Hut dabei aufhaben? Sie, das Deutsche Historische Museum?

Ottomeyer: Der Träger ist in jedem Fall die Bundesrepublik Deutschland. Der Generaldirektor des Deutschen Historischen Museums ist immer zugleich Vereinsvorsitzender des AlliiertenMuseums und ist im Wechsel mit einem russischen Kollegen Vereinsvorsitzender in Karlshorst. Wir werden auf alle Fälle dort vom Fachlichen und Sachlichen ein Wort mitsprechen. Als Träger muss sich die Bundesrepublik Deutschland aufschwingen, diesen Wechsel durchzuführen.

Müller: Wir haben eben, Sie haben ihn schon genannt, den Ort Checkpoint Charlie erwähnt. Dieses Areal existiert eigentlich nicht mehr in historischer Korrektheit in Berlins Mitte. Was man dort sieht, ist mehr oder weniger ein Nachbau. Es steht dort ein privates Mauermuseum, wenn man so will, es heißt so im Volksmund. Was ist mit diesem Ort? Soll der so bleiben, wie er ist?

Ottomeyer: Dort hat das Land Berlin Pläne, und das ist auch, um Wowereit zu zitieren, gut so. Die beiden großen Trümmergrundstücke, die unbebauten Grundstücke, die da unmittelbar anschließen, die sollen von einem Investor bebaut werden. Dem hat man zur Auflage gemacht, im Erdgeschoss einige Hundert Quadratmeter nicht mehr zur Verfügung zu stellen, um über den historischen Ort Checkpoint Charlie zu unterrichten und ein Gegenpol aufzubauen an Seriosität und an dokumentarischer Exaktheit gegen diese Attrappenwelt, die sich um die Attrappe der Kontrollstation herumgebaut hat. Wie gesagt, das Original steht im AlliiertenMuseum.

Müller: Im Deutschlandradio Kultur sprechen wir mit Dr. Hans Ottomeyer, dem Generaldirektor des Deutschen Historischen Museums in Berlin über ein mögliches Museum, einen neuen Ort zum Gedenken an den Kalten Krieg. Welche Aufgabe, Herr Dr. Ottomeyer, hätte denn so ein Blockade- oder Kalte-Krieg- oder Luftbrücken-Museum? Eine politische Aufgabe, geht es da um eine politische Botschaft oder soll etwas für das historische Gedächtnis allein getan werden? Welche Richtung gäbe es dort?

Ottomeyer: Wir haben den Kalten Krieg hoffentlich gerade zurückgelassen. Es ist ja nicht unmittelbar der Moment des Musealierens. Dazu ist das zu kurz her. Aber es gilt, doch daran, an eine der längsten politischen Epochen zu erinnern, die immerhin von 1945 eigentlich bis gerade eben gedauert haben, bis 1989. Und es ist eine Epoche, die in ihren Konturen, die mit ihrer Verlassenschaft, die mit den vielen Stücken, die daran erinnern, präsent ist, die man erörtern und die man darstellen kann.

Das Wichtige ist aber, dass wir uns die Erinnerung daran nicht abschneiden, dass wir die Objekte, die da zur Verfügung stehen, nicht untergehen lassen. Denn das würde bedeuten, man hat diesen historischen Moment, sich zu orientieren, vertan.

Müller: Haben Sie schon irgendwelche konkreten Gespräche geführt? Ich meine, man muss sich vorstellen, Ihre Idee ist, wenn man so will, die erste seriöse, der erste seriöse Vorschlag für eine Nutzung nach der Schließung des Flughafens Tempelhof oder wenigstens einer Teilnutzung?

Ottomeyer: Vorüberlegungen haben lange bestanden, zusammen mit den Vertretern der beteiligten Institutionen. Es gibt ein Papier, es gibt auch Untersuchungen zu möglichen Kosten. Aber jetzt erst, nachdem entschieden ist, dass Tempelhof nicht mehr beflogen wird, ist es klar, dass diese Halle Ost zur Verfügung steht, ist klar, dass diese Perspektive sich unmittelbar ergibt und nicht in ferner Zukunft. Und jetzt ist deswegen der Moment da, um zu handeln.

Müller: Wie dringend ist die Aufgabe? Sie haben eben den Zustand einiger Exponate erwähnt. Wann wäre es mehr oder weniger zu spät?

Ottomeyer: In fünf Jahren ist es zu spät. Dann sind diese Stücke soweit korrodiert, ist das Aluminium soweit zersetzt, ist die ganze Elektronik und der Innenausbau in Verwesungszustand übergegangen. Dann kann man diese großen Exponate nicht mehr halten.

Müller: Ein Teil vom Flughafen Berlin-Tempelhof als möglichen zentralen Ort eines Museums, das an den Kalten Krieg erinnert, das ihn dokumentiert. Das war dazu Dr. Hans Ottomeyer, der Generaldirektor des Deutschen Historischen Museums in Berlin. Vielen Dank!

Ottomeyer: Danke!