Großer Auftritt für einen vergessenen Kaiser

Von Jochen Stöckmann |
Mit Otto IV., der 1209 als einziger Welfe und für nur wenige Jahre die Kaiserwürde erhielt, befasst sich die Niedersächsische Landesausstellung „Otto IV. – Traum vom welfischen Kaisertum“ in Braunschweig.
Bernd Ulrich Hucker: „Er war nicht nach dem Geschmack der nationalen Geschichtsschreibung des 19. Jahrhunderts, der Hofbeweihräucherung etwa der Hohenzollernkaiser, das passte alles nicht. Denn seine Bedeutung liegt ja auf dem Gebiet des literarischen und architektonischen Mäzenatentums.“

Bernd Ulrich Hucker gilt als „Entdecker“ von Otto IV., eines Monarchen, der allenfalls als „Fußnotenkaiser“ in der Fachliteratur auftauchte. Die Erkenntnisse des Historikers haben nun Eingang gefunden in eine Landesausstellung, die nicht einfach den Stand der Forschung illustriert. Mit reichem Quellenmaterial, mit Originalhandschriften, Urkunden und modellhaft nachgebildeten Schlüsselszenen entsteht in Braunschweig das facettenreich schillernde Porträt des Welfenkaisers. Kurator Hans-Jürgen Derda:

Hans-Jürgen Derda: „Das ist ja die Frage: wieweit war Otto IV. gebildet? Wir haben eine Handschrift hier, den Kopenhagener Psalter, und es heißt, dass er mit diesem Psalter in England das Beten und Lesen gelernt habe. Also, er scheint also doch des Lesens mächtig gewesen zu sein, zumindest in Ansätzen.“

Bücher spielten noch keine große Rolle, „bei mächtigen Adligen versammelte man sich vor dem Kamin, um Erzählungen über alte Taten zu lauschen“, heißt es im Katalog. Die Ausstellung ist denn auch weniger durch Schrifttafeln geprägt als durch den Glanz der Objekte: auf Urkunden glänzt das goldene Siegel des Papstes, Handschriften sind mit Illuminationen in kostbaren Farben versehen. Unter dicken Glasvitrinen liegen auch der Kaisermantel aus byzantinischer Seide mit englischer Stickerei, das sogenannte Ptolemäer-Kameo aus dem 3. Jahrhundert vor Christi, mit dem Otto IV. den Dreikönigssarkophag im Kölner Dom schmücken ließ und schließlich die Insignien der Macht, Szepter und Reichsapfel.

Hans-Jürgen Derda: „Die Reichsinsignien, die wir – genau wie Otto – nachgemacht haben. Die hatte nämlich noch der Staufer Philipp von Schwaben bei sich. Um dann die königliche Würde geltend zu machen, ließ Otto sie einfach nachbilden.“

Ganz en passant kommen mitten in der nachgestellten Pracht die Staufer ins Spiel, die Gegenspieler der Welfen. Beides, opulente zur Schau gestellte Repräsentation und eher verborgene politische Faktoren, verbinden sich in den Darstellungen der Schlacht von Bouvines, wo Otto IV. im Juli 1214 der Allianz von Staufern und Franzosen unterlag:

Bernd Ulrich Hucker: „Man denke nur daran, dass Otto da mit Adler und Drachen – wahrscheinlich aufgeblähte Textilien – in die Schlacht zog. Was da an Beteiligten zusammenkam: englische, niederländische Truppen, dann das Aufgebot aus dem Kaiserreich, Franzosen – also: es war schon eine Schlacht der Weltgeschichte.“

Danach zog Otto, der Welfe, sich zurück in „seine“ Stadt, nach Braunschweig. Und so verkörpert ein schlichtes Modell – Holzklötzchen auf einer runden Spanplatte – das Schicksal des glücklosen Kaisers:

Hans-Jürgen Derda: „Otto IV. ging dann daran, diese Stadt zur Welfenburg zu machen und die natürlichen Gegebenheiten zu nutzen, um eine möglichst abgeschlossene Fortifikation hier bilden zu können. Und er förderte die Kaufleute hier, stattete die Stadt mit zahlreichen Privilegien aus.“

Die Burg Dankwarderode und der Dom als Grablege der Welfen seit Ottos Vater Heinrich des Löwen bilden Stationen der Ausstellung, werden als Erinnerungsorte ins Gedächtnis gerufen. Doch Ottos Bedeutung, so Bernd Ulrich Hucker, weist über die Stadtmauern hinaus:

Bernd Ulrich Hucker: „Er hat das Stadtbild geprägt, das ist richtig. Hat er die Landkarte geprägt? Denn es war ja der ganz ernsthafte Plan Frankreich zu erobern und aufzuteilen unter kleineren Vasallen. Wenn er also militärisch erfolgreich gewesen wäre, wäre die Landkarte Europas anders geworden.“

Als Adelsgeschlecht spielten die Welfen weiter in der ersten Liga, bis zu Beginn des 20. Jahrhunderts. Lokalpatrioten favorisieren ihre Herzöge von Braunschweig-Lüneburg heute noch im beliebten Computer-Spiel „Staufer gegen Welfen“, bereits in dritter Auflage. Auch für Historiker wäre es an der Zeit zu einem Update, findet Kurator Hans-Jürgen Derda:

„Wobei dann die Staufer immer als positiver angesehen worden sind. Und das lag letztendlich daran: Mensch, Otto war ein Loser! Der hatte dann sein Kapital verspielt. Ob man sich dann Ottos noch rühmen sollte, das wäre genuin welfische Geschichtsaufarbeitung.“

Das wird noch eine Weile dauern: Die Staatssekretärin aus dem Kulturministerium erhofft sich erst einmal, dass durch diese Landesausstellung eine einst sentimentale Anhänglichkeit als emotionale „Begeisterung für das Thema ’Welfen’“ neu entflammt. Bernd Ulrich Hucker dagegen, der Mittelalter-Experte, erkennt bei Otto IV. politische Ansätze, die ihn einfach zum besseren „Landesvater“ prädestiniert hätten:

Bernd Ulrich Hucker: „Dass nämlich die Städtefreundlichkeit von Otto IV. sehr markant ist. Er hatte auch Bürger in seinem Umkreis, die seine Politik finanziert haben. Was bei den Staufern wirklich nicht war. Da war Otto besser beraten und einfach klüger.“