Große Ruhe und sanfte Traurigkeit

16.05.2011
Esther Kinsky erzählt in ihrem Roman von einer Frau, die aus London nach Battonya in der ungarischen Tiefebene zieht. Dabei besitzt Kinsky ein überwältigendes sprachliches Sensorium für Atmosphärisches.
Da haben sich offenbar zwei gefunden. Esther Kinsky ist vor einigen Jahren in den Südosten Ungarns gezogen und hat in den letzten zwei Jahren gleich vier Veröffentlichungen vorgelegt, in denen ihre Wahlheimat eine zentrale Rolle spielt: den Roman "Sommerfrische", die Reise-Essays "21 Grad Blau. Mein Balkan", die in der Zeitschrift "Schreibheft" erschienen sind, den Gedichtband "die ungerührte schrift des jahrs" – und jetzt den Roman "Banatsko". Zwar hat Esther Kinsky schon vor Jahren Kinderbücher und Lyrik (auf Englisch) veröffentlicht, bekannt aber ist sie als vielfach prämierte Übersetzerin aus dem Polnischen, Russischen und Englischen. Nun drängt mit aller Macht eine Autorin in die Öffentlichkeit, die ein überwältigendes sprachliches Sensorium für Atmosphärisches besitzt.

Banatsko ist das serbische Adjektiv zum Banat. In Kinskys gleichnamigen Roman zieht eine Frau aus London nach Battonya in der ungarischen Tiefebene. Das Buch erzählt von einem Jahr in der Fremde, und seine erste Hälfte macht in Kapiteln, die nicht länger als sechs Seiten sind und immer wieder "Battonya" heißen, bekannt mit der kleinen Stadt, der Tiefebene, den Nachbarn, dem Akkordeonspieler in der Kneipe, dem Melonenwächter, dem Fleischer. In der zweiten Hälfte heißen die Kapitel Lenauheim, Grabat, Granica, Arad: Die Fremde besucht die Dörfer und Kleinstädte des Banats in Ungarn, Rumänien und Serbien.

Das Buch strahlt eine große Ruhe und sanfte Traurigkeit aus. Kinskys Erzählerin, die anfangs kaum Ungarisch spricht, schaut um so genauer hin und erkennt, dass "alles – jeder Zaunpfahl und Grashalm, jede Unebenheit des brachliegenden Bodens – seinen Platz hat". Mit dem Fotoapparat nimmt sie "die Sprache der Dinge" auf. Dasselbe Ziel verfolgt ihr beschreibungsseliges, handlungsarmes Erzählen, das aus randscharfen Details, manchmal sachte poetisiert wie im "neugierschmalen Blick", Landschafts- und Dorftableaus zeichnet. Menschen stehen in ihnen wie zufällig herum und erhalten keine Kontur, Dialoge fehlen fast vollständig.

Die genauen Beschreibungen und die fortwährende Diskretion der Erzählerin allem Lebendigen gegenüber, zuallererst sich selbst, verleiht dem Roman etwas Dokumentarisches. Bis sich dann ein Mann eines windigen Herbsttages in eine Astgabel setzt und im Winter allmählich mit dem Baum verschmilzt, bis auf eine hinreißend komische Weise zwei Autos zusammenstoßen oder bis zum wiederholten Mal die Rede ist vom Herz der Erzählerin, das in London "verwilderte" und nun in der weiten Tiefebene "geschliffen" wird. Dann merkt man, dass die Erzählerin durchaus, wenn auch vorsichtig fabuliert und eine einzelne, in diesem Roman alleinstehende romantische Metapher in unromantischer Landschaft erprobt.

Rauer, unübersichtlicher und lockerer gefügt ist "Banatsko" als der 2009 erschienene kleine Roman "Sommerfrische". Die Liebe zwischen der Fremden und einem Einheimischen, die im Mittelpunkt des Debüts stand, findet sich auch in "Banatsko". Nur legt Esther Kinsky sie hier verschwiegener an und lässt sie scheitern an einem Ort, der ihre Themen Bilder, Sprachlosigkeit und Fremdheit mühelos bündelt: Im leer stehenden Kino von Battonya, wo der begehrte Mann die Fremde einfach stehen lässt. Nicht den Menschen, die blass bleiben und verschwinden, ist dieser leise und faszinierende Roman gewidmet – sondern dem Banat.

Besprochen von Jörg Plath

Esther Kinsky: Banatsko
Matthes & Seitz Berlin, Berlin 2011
246 Seiten, 19,90 Euro