Große Pläne für den Nürburgring
Die Formel 1 wird in Zukunft nur noch jedes zweite Jahr am Nürburgring gastieren. Um den erwarteten Besucherverlust auszugleichen, will die Betreibergesellschaft, die zu 90 Prozent dem Land Rheinland-Pfalz und zu 10 Prozent dem Landkreis Ahrweiler gehört, den Ring jetzt zu einer "Erlebniswelt" ausbauen: Geplant sind ein "Indoor-Erlebniszentrum", ein Luxushotel, ein Golfplatz und sogar eine Skipiste - für insgesamt mehr als 150 Millionen Euro.
Ralf Kroll: "Am 18./19. Juni 1927 waren ja hier oben die ersten Eröffnungsrennen. Am 18. fuhren hier die ersten Motorradrennen und am 19. dann halt die ersten Autorennen. Gewinner bei dem Rennen damals war halt Rudolf Caracciola und Caracciola war halt der Schumacher der 20er und 30er Jahre."
"Da kommt der Erste, alle springen auf, 30 Meter dahinter Caracciola. Nuvolari schneller auf der Geraden, er nimmt fast unten mit den Innenrädern das Karussell. Und jetzt kommt Caracciola, der Kurventechniker. Dreieinhalb Sekunden sind sie von einander getrennt. Jetzt schieben sie sich und schlängeln sie sich durch die hinter dem Karussell liegende Kurve in die Gerade hinein, die ein wenig fällt. Und ruhig über all diesem Gesumme und Gesore steht die alte Ruine der Nürburg. Dann sehen wir mit einem Blick wieder herüber auf die Menschenfülle, die drüben an den Bannern steht beim Schwalbenschwanz, wo voller Erwartung Walter Krips steht, der uns vielleicht sagen wird, wie der Nummernwechsel, wie er vorgegangen ist. Bitte wechseln!"
Fast 23 Kilometer war sie lang, die damals modernste und anspruchsvollste Rennstrecke der Welt, die mehr als 1.500 Arbeiter in zweijähriger Arbeit am Fuße der Nürburg in die Eifel betoniert hatten. 23 heckengesäumte Kilometer mit mehr als 300 Metern Höhenunterschied, mit Kuppen und Kurven, wie sie bis zu diesen Junitagen im Jahre 1927 kein Rennfahrer je gefahren war. Die "Fuchsröhre", das "Brünnchen" und die "Hedwigshöhe".
Ralf Kroll: "Hallo, meine Damen und Herren, hier ist die Hedwigshöhe. Hunderttausende warten jetzt hier mit Spannung auf die Entscheidung in diesem dramatischen Rennen, das seinen Höhepunkt erreicht hat. Es führt der Alfa Romeo, am Steuer Nuvolari. Hinter ihm unser rheinischer Landsmann Karratsch. Die Übertragung muss aber weitergeben zum Start und Ziel zu Doktor Laven, dort wird die Spitzengruppe einlaufen."
"Jetzt haben wir hier auch das Original-Siegerfahrzeug stehen, ein Mercedes-Benz 680 S. Wurden ja damals auch die 'Weißen Elefanten' genannt, weil sie halt weiß, schwer und bullig waren. Hier zum Beispiel sieht man auch mal so ein riesengroßes Lenkrad, es gab ja damals keine Servolenkung. Und die Herren sind hier eine Distanz von dreieinhalb Stunden gefahren, also die hatten wirklich Arme wie Popeye, wenn sie nach den drei Stunden ausgestiegen sind, die mussten körperliche Höchstarbeit leisten."
Paul Laven: "Der riesige Kampf ist entbrannt, meine Damen und Herren, aber das Blatt hat sich gedreht! Rudolf Caracciola führt! Er ist an erster Stelle eingelaufen! Hinter ihm Nuvolari, Nuvolari aber muss halten am Ersatzteillager, sein linkes Vorderrad, sein linkes Hinterrad wird nachmontiert! Vier Monteure sind bei der Arbeit und Sergio Nuvolari selbst ist aus dem Sitz gesprungen. Er hat eine Wunderleistung vollbracht, er hat in einem Ritt sondersgleichen Caracciola eingeholt, nicht schonend den Motor und nicht schonend die Reifen, während der verhaltener fahrende Deutsche auf der Gegengeraden vorbeibraust ..."
Walter Kafitz: "Das ist doch ein schöner, runder Geburtstag. Und insbesondere, wenn man die Zukunft noch vor sich hat, dann kann man als Achtzigjähriger glaube ich ganz zufrieden sein."
2007, im Jubiläumsjahr seiner Rennstrecke sitzt Walter Kafitz in einem unprätentiösen Büro mit niedrigen Decken und kleinen Fenstern am Rande der Bundesstraße 258, dem vierspurigen Fanzubringer für den Nürburgring. Er schaut über einem ergrauten Dreitagebart durch eine rahmenlose Designerbrille und möchte gerne von der Zukunft der Nürburgrings sprechen. Die Vergangenheit mag glorios sein, aber Walter Kafitz ist Geschäftsführer der Nürburgring GmbH und wird dafür bezahlt, das zu gestalten, was kommen wird.
Walter Kafitz: ""Gott sei dank haben wir diese Zukunftsfragen rechtzeitig gestellt. Wir haben Pläne, wir haben Vorstellungen, wie sich der Nürburgring entwickelt, Formel 1 hin oder her. Denn wir haben gerne die Formel 1, aber Nürburgring ist mehr als Formel 1.""
Walter Kafitz muss das so sehen, denn die Formel 1, vielmehr: deren Boss Bernie Ecclestone geht mit seinem Rennzirkus dahin, wo er das meiste Geld bekommt. Ecclestone bekommt von den Rennstrecken, die er erwählt, sehr viel Geld – mehr, als die meisten Rennstrecken jemals verdienen können. Die Nürburgring GmbH hat 2004 und 2005 jeweils neun Millionen Euro Verlust gemacht, die fast ausschließlich auf das Konto der horrenden Lizenzgebühren für die sogenannte "Königsklasse des Motorsports" gehen. 2006 war auch nicht besser. Wenn man ihm sagt, dass die Sache mit der Formel 1 betriebswirtschaftlich doch ein ziemlicher Blödsinn ist, dann nickt Walter Kafitz.
Walter Kafitz: "Volkswirtschaftlich stimmt ja noch die Rechnung, so dass es für das Wohl der Region ein Segen ist, betriebswirtschaftlich allerdings – wie gesagt ..."
Betriebswirtschaftlich ist es deswegen völlig vernünftig, dass sich der Nürburgring in Zukunft die Formel 1 und ihre absurden Kosten mit dem Hockenheimring teilen wird: Am kommenden Wochenende toben Hamilton, Alonso, Räikkönen & Co. noch einmal durch die Eifel, 2008 und 2010 richtet der Hockenheimring der Grand Prix von Deutschland aus, der Nürburgring ist 2009 und 2011 noch einmal an der Reihe – und was danach kommt, weiß ohnehin niemand. Der Nürburgring braucht eine neue Attraktion, sagt nicht nur die Nürburgring GmbH.
Die Formel 1 fährt auf dem Nürburgring seit 1984 auf einem relativ kurzen, relativ sicheren Rundkurs, der neu gebaut wurde, nachdem Niki Lauda 1976 beim Großen Preis von Deutschland in der "Grünen Hölle" beinahe verbrannte. Aber die alte, die Nordschleife ist es, die den Mythos des Nürburgrings am Leben hält, sie ist die größte Attraktion für große Jungs, die hier mit dem eigenen Auto selber ausprobieren können, was das "Schwedenkreuz" für die Reaktion und der "Schwalbenschwanz" für das Fahrwerk bedeutet. Jeder kann mitfahren – Unfälle inbegriffen.
Tobias Maruhn: "Mein persönliches Niederlagenerlebnis ist im Prinzip recht kurz und schmerzvoll erzählt. Direkt die zweite Runde auf der Nordschleife bei einer sogenannten 'Touristenfahrt', wo also jedermann auf der Nordschleife mit seinem Auto fahren darf, kam es am Schwedenkreuz, einer sehr gefährlichen und berüchtigten Stelle, zu einem Dreher meinerseits bei hoher Geschwindigkeit, mit 160, 180. Und aus diesem Dreher wurde dann ein Überschlag, also mehrfach überschlagen, Auto war Kernschrott, richtig Schrott. Ja, das war Nordschleife. Da hat sie nach der zweiten Runde mal gleich gezeigt, wo der Hammer hängt."
Der Immobilienkaufmann Tobias Maruhn aus Unna hat sein Auto dem Mythos der Nordschleife geopfert und ist trotzdem wieder da. So wie der Aston Martin Owners Club aus England, dessen Mitglieder ihre Luxussportwagen – jeder repräsentiert den Gegenwert einer mittleren Eigentumswohnung – wenigstens einmal artgerecht ausführen wollen. So wie der ältere Herr aus Schweden, der mit seinem Porsche 911 Turbo eigens aus Stockholm angereist ist, um die Nordschleife zu bezwingen. So wie Torsten Müller aus Stuttgart, auch er natürlich mit einem Porsche.
Aber Torsten Müller ist kein Raser, sondern ein Mann mit akademischem Angang. Denn die "Grüne Hölle" versteht keinen Spaß.
Torsten Müller: "Ich hab, bevor ich zum ersten Mal da war, die Strecke gelernt natürlich. Denn hier sollte man nicht fahren ohne zu wissen, was ist nach der nächsten Kurve. Also das ist schon sehr gefährlich. Es gibt ganz viele blinde Kuppen und dann ist ein Unfall fast vorprogrammiert. Vor allem sonntags, sonntags muss man sehr aufpassen. Da sind viele Leute unterwegs, die sich erheblich unterschätzen. Und viele Leute, die einfach – aus für meine Begriffe unerfindlichen Gründen – meinen, sie müssten hier mal eine Runde fahren. Also so im Kaffeetempo. Und das ist ganz furchtbar."
Denn sonntags drängen sich die Familienväter mit Restbenzin im Blut auf der Nordschleife und stehen mit ihren praktischen Minivans denen im Weg, die am Lenkrad ihres Autos etwas leisten wollen auf der Nordschleife. Zum Beispiel Matthias Pahlke, für den der Ring eine seriöse Trainingsstrecke ist.
Hunderte Runden auf der Nordschleife hat er hinter sich, beim berühmten 24-Stunden-Rennen ist er schon mitgefahren, er kennt die Büsche entlang der Strecke beim Namen, weiß die Brems- und Einlenkpunkte im Schlaf.
Matthias Pahlke: "Sehr schnelles Stück ... Und jetzt werden wir gleich – springen! Bremsen und – zack!"
"So sieht das aus. Ich würd’ sagen: Auf jeden Fall 40 bis 50 Runden bis man halbwegs beruhigt sagen kann, ich weiß wenigstens halbwegs, wie’s funktioniert. Die meisten sagen, dass du nach 150 Runden ungefähr langsam mal da bist, dass du weißt, wo’s langgeht, wie das funktioniert. Das ist leider das Problem, dass viele halt sich überschätzen."
Auch wenn Halbprofis und Touristen im Jahr sechs Millionen Kilometer auf der Nordschleife fahren – eine Runde für 19 Euro, die Jahreskarte für 895 Euro – hält das den Nürburgring nicht am Leben. Der Ring ist ein großes Unternehmen und deswegen setzt Geschäftsführer Walter Kafitz auf eine ganze Erlebnisregion rund um die Rennstrecke.
Walter Kafitz: "Es erwartet einen ein ganzjähriges Freizeit- und Businesszentrum. Und dazu gehört ein Boulevard, eine Flaniermeile direkt an der Rennstrecke zwischen Start-Ziel-Gerade und Bundesstraße. Überdacht, so dass sie wetterfest ist. Da kann man in die Indoor-Attraktion gehen: Die Welt des Nürburgrings, unterhaltsam dargebracht in vier bis fünf Stunden reiner Unterhaltungszeit. Man geht in ein Welcome-Center als zentrales Tor, zu Fuß oder mit dem Auto. Man kann in eine 4000 Menschen fassende Arena gehen oder in eine Eventhalle von zwoeinhalbtausen Quadratmetern. Es gibt eine neue Haupttribüne mit Shops von allen möglichen Autoherstellern, es gibt ein Vier-Sterne-Hotel bis dahin und auf der anderen Seite der Bundesstraße wird es ein sogenanntes Motorsport-Dorf geben, das ist eine Bungalowsiedlung im Zwei- bis Drei-Sterne-Niveau."
Pläne. Noch sind es Pläne, Ankündigungen von Hoffnungen, von Erwartungen. Die Nürburgring GmbH, die zu 90 Prozent dem Land Rheinland-Pfalz gehört, will dafür 150 Millionen Euro investieren, vielmehr: investieren lassen. Gesucht wird ein Investor, der daran glaubt, dass sich so eine halbe Million zusätzlicher Besucher an den Ring locken lassen und dass die Faszination des Benzins stark genug ist, um damit Geld zu verdienen.
Ingolf Deubel: "Also die Pläne sind sehr weit vorangetrieben für die Erlebnisregion am Nürburgring. Am Ende bedeutet das zirka 500 Arbeitsplätze zusätzlich unmittelbar am Ring und in der Region noch mehr, ein erhebliches Investitionsvolumen und etwa 500.000 Gäste zusätzlich im Jahr, die dann sich am Nürburgring aufhalten."
"Selbstverständlich gibt es Risiken, aber die Planungen sind sehr konservativ gehalten, dass selbst dann, wenn weniger Besucher kommen, als erwartet, rechnet sich dies Projekt."
… sagt der rheinland-pfälzische Finanzminister Ingolf Deubel, der auch im Aufsichtsrats der Nürburgring GmbH sitzt. Aber vor allem, findet der Finanzminister, vor allem geht es um Arbeitsplätze. 3000 Jobs hängen am Ring, 600 davon direkt bei der Betreibergesellschaft. Und sonst gibt es zwischen Koblenz und Trier nicht viele andere potente Arbeitgeber. Ingolf Deubel:
Ingolf Deubel: "Ich sehe das als große Wirtschaftsförderungseinrichtung in der Eifel, die wichtigste, die das Land da hat, und eine sehr erfolgreiche Wirtschaftsförderungseinrichtung. Und das ist das Hauptziel, dass in der Eifel Arbeitsplätze gehalten werden, neue entstehen, dass Umsätze gemacht werden und auch die umliegenden Gemeinden davon profitieren."
Dort aber, in den umliegenden Gemeinden, machen sich die Gastronomen und Hoteliers Sorgen, dass eben nicht so viele neue Besucher an den Nürburgring kommen, wie erwartet; dass die geplante Erlebnisregion mit ihren neuen Restaurants, dem neuen Hotel und dem Motorsportdorf den Alteingesessenen die Gäste wegnehmen; dass ein Disneyland des Motorsports entsteht und der Mythos Nürburgring schaden nimmt. Doch es scheint, als seinen alle Messen gelesen: Am 4. Oktober soll der Bau beginnen. Und Walter Kafitz, der Nürburgring-Geschäfstführer ist professionell zuversichtlich:
Walter Kafitz: "Ja, das ist doch eine schöne Aufgabe, wenn man weiß, dass man etwas macht, da ist Geschichte mit im Hintergrund. Also das Neue und das Alte zu verbinden, da haben wir überhaupt keine Probleme."
Das Rennen ist eröffnet, diesmal geht es um die Zukunft des Nürburgrings.
"Da kommt der Erste, alle springen auf, 30 Meter dahinter Caracciola. Nuvolari schneller auf der Geraden, er nimmt fast unten mit den Innenrädern das Karussell. Und jetzt kommt Caracciola, der Kurventechniker. Dreieinhalb Sekunden sind sie von einander getrennt. Jetzt schieben sie sich und schlängeln sie sich durch die hinter dem Karussell liegende Kurve in die Gerade hinein, die ein wenig fällt. Und ruhig über all diesem Gesumme und Gesore steht die alte Ruine der Nürburg. Dann sehen wir mit einem Blick wieder herüber auf die Menschenfülle, die drüben an den Bannern steht beim Schwalbenschwanz, wo voller Erwartung Walter Krips steht, der uns vielleicht sagen wird, wie der Nummernwechsel, wie er vorgegangen ist. Bitte wechseln!"
Fast 23 Kilometer war sie lang, die damals modernste und anspruchsvollste Rennstrecke der Welt, die mehr als 1.500 Arbeiter in zweijähriger Arbeit am Fuße der Nürburg in die Eifel betoniert hatten. 23 heckengesäumte Kilometer mit mehr als 300 Metern Höhenunterschied, mit Kuppen und Kurven, wie sie bis zu diesen Junitagen im Jahre 1927 kein Rennfahrer je gefahren war. Die "Fuchsröhre", das "Brünnchen" und die "Hedwigshöhe".
Ralf Kroll: "Hallo, meine Damen und Herren, hier ist die Hedwigshöhe. Hunderttausende warten jetzt hier mit Spannung auf die Entscheidung in diesem dramatischen Rennen, das seinen Höhepunkt erreicht hat. Es führt der Alfa Romeo, am Steuer Nuvolari. Hinter ihm unser rheinischer Landsmann Karratsch. Die Übertragung muss aber weitergeben zum Start und Ziel zu Doktor Laven, dort wird die Spitzengruppe einlaufen."
"Jetzt haben wir hier auch das Original-Siegerfahrzeug stehen, ein Mercedes-Benz 680 S. Wurden ja damals auch die 'Weißen Elefanten' genannt, weil sie halt weiß, schwer und bullig waren. Hier zum Beispiel sieht man auch mal so ein riesengroßes Lenkrad, es gab ja damals keine Servolenkung. Und die Herren sind hier eine Distanz von dreieinhalb Stunden gefahren, also die hatten wirklich Arme wie Popeye, wenn sie nach den drei Stunden ausgestiegen sind, die mussten körperliche Höchstarbeit leisten."
Paul Laven: "Der riesige Kampf ist entbrannt, meine Damen und Herren, aber das Blatt hat sich gedreht! Rudolf Caracciola führt! Er ist an erster Stelle eingelaufen! Hinter ihm Nuvolari, Nuvolari aber muss halten am Ersatzteillager, sein linkes Vorderrad, sein linkes Hinterrad wird nachmontiert! Vier Monteure sind bei der Arbeit und Sergio Nuvolari selbst ist aus dem Sitz gesprungen. Er hat eine Wunderleistung vollbracht, er hat in einem Ritt sondersgleichen Caracciola eingeholt, nicht schonend den Motor und nicht schonend die Reifen, während der verhaltener fahrende Deutsche auf der Gegengeraden vorbeibraust ..."
Walter Kafitz: "Das ist doch ein schöner, runder Geburtstag. Und insbesondere, wenn man die Zukunft noch vor sich hat, dann kann man als Achtzigjähriger glaube ich ganz zufrieden sein."
2007, im Jubiläumsjahr seiner Rennstrecke sitzt Walter Kafitz in einem unprätentiösen Büro mit niedrigen Decken und kleinen Fenstern am Rande der Bundesstraße 258, dem vierspurigen Fanzubringer für den Nürburgring. Er schaut über einem ergrauten Dreitagebart durch eine rahmenlose Designerbrille und möchte gerne von der Zukunft der Nürburgrings sprechen. Die Vergangenheit mag glorios sein, aber Walter Kafitz ist Geschäftsführer der Nürburgring GmbH und wird dafür bezahlt, das zu gestalten, was kommen wird.
Walter Kafitz: ""Gott sei dank haben wir diese Zukunftsfragen rechtzeitig gestellt. Wir haben Pläne, wir haben Vorstellungen, wie sich der Nürburgring entwickelt, Formel 1 hin oder her. Denn wir haben gerne die Formel 1, aber Nürburgring ist mehr als Formel 1.""
Walter Kafitz muss das so sehen, denn die Formel 1, vielmehr: deren Boss Bernie Ecclestone geht mit seinem Rennzirkus dahin, wo er das meiste Geld bekommt. Ecclestone bekommt von den Rennstrecken, die er erwählt, sehr viel Geld – mehr, als die meisten Rennstrecken jemals verdienen können. Die Nürburgring GmbH hat 2004 und 2005 jeweils neun Millionen Euro Verlust gemacht, die fast ausschließlich auf das Konto der horrenden Lizenzgebühren für die sogenannte "Königsklasse des Motorsports" gehen. 2006 war auch nicht besser. Wenn man ihm sagt, dass die Sache mit der Formel 1 betriebswirtschaftlich doch ein ziemlicher Blödsinn ist, dann nickt Walter Kafitz.
Walter Kafitz: "Volkswirtschaftlich stimmt ja noch die Rechnung, so dass es für das Wohl der Region ein Segen ist, betriebswirtschaftlich allerdings – wie gesagt ..."
Betriebswirtschaftlich ist es deswegen völlig vernünftig, dass sich der Nürburgring in Zukunft die Formel 1 und ihre absurden Kosten mit dem Hockenheimring teilen wird: Am kommenden Wochenende toben Hamilton, Alonso, Räikkönen & Co. noch einmal durch die Eifel, 2008 und 2010 richtet der Hockenheimring der Grand Prix von Deutschland aus, der Nürburgring ist 2009 und 2011 noch einmal an der Reihe – und was danach kommt, weiß ohnehin niemand. Der Nürburgring braucht eine neue Attraktion, sagt nicht nur die Nürburgring GmbH.
Die Formel 1 fährt auf dem Nürburgring seit 1984 auf einem relativ kurzen, relativ sicheren Rundkurs, der neu gebaut wurde, nachdem Niki Lauda 1976 beim Großen Preis von Deutschland in der "Grünen Hölle" beinahe verbrannte. Aber die alte, die Nordschleife ist es, die den Mythos des Nürburgrings am Leben hält, sie ist die größte Attraktion für große Jungs, die hier mit dem eigenen Auto selber ausprobieren können, was das "Schwedenkreuz" für die Reaktion und der "Schwalbenschwanz" für das Fahrwerk bedeutet. Jeder kann mitfahren – Unfälle inbegriffen.
Tobias Maruhn: "Mein persönliches Niederlagenerlebnis ist im Prinzip recht kurz und schmerzvoll erzählt. Direkt die zweite Runde auf der Nordschleife bei einer sogenannten 'Touristenfahrt', wo also jedermann auf der Nordschleife mit seinem Auto fahren darf, kam es am Schwedenkreuz, einer sehr gefährlichen und berüchtigten Stelle, zu einem Dreher meinerseits bei hoher Geschwindigkeit, mit 160, 180. Und aus diesem Dreher wurde dann ein Überschlag, also mehrfach überschlagen, Auto war Kernschrott, richtig Schrott. Ja, das war Nordschleife. Da hat sie nach der zweiten Runde mal gleich gezeigt, wo der Hammer hängt."
Der Immobilienkaufmann Tobias Maruhn aus Unna hat sein Auto dem Mythos der Nordschleife geopfert und ist trotzdem wieder da. So wie der Aston Martin Owners Club aus England, dessen Mitglieder ihre Luxussportwagen – jeder repräsentiert den Gegenwert einer mittleren Eigentumswohnung – wenigstens einmal artgerecht ausführen wollen. So wie der ältere Herr aus Schweden, der mit seinem Porsche 911 Turbo eigens aus Stockholm angereist ist, um die Nordschleife zu bezwingen. So wie Torsten Müller aus Stuttgart, auch er natürlich mit einem Porsche.
Aber Torsten Müller ist kein Raser, sondern ein Mann mit akademischem Angang. Denn die "Grüne Hölle" versteht keinen Spaß.
Torsten Müller: "Ich hab, bevor ich zum ersten Mal da war, die Strecke gelernt natürlich. Denn hier sollte man nicht fahren ohne zu wissen, was ist nach der nächsten Kurve. Also das ist schon sehr gefährlich. Es gibt ganz viele blinde Kuppen und dann ist ein Unfall fast vorprogrammiert. Vor allem sonntags, sonntags muss man sehr aufpassen. Da sind viele Leute unterwegs, die sich erheblich unterschätzen. Und viele Leute, die einfach – aus für meine Begriffe unerfindlichen Gründen – meinen, sie müssten hier mal eine Runde fahren. Also so im Kaffeetempo. Und das ist ganz furchtbar."
Denn sonntags drängen sich die Familienväter mit Restbenzin im Blut auf der Nordschleife und stehen mit ihren praktischen Minivans denen im Weg, die am Lenkrad ihres Autos etwas leisten wollen auf der Nordschleife. Zum Beispiel Matthias Pahlke, für den der Ring eine seriöse Trainingsstrecke ist.
Hunderte Runden auf der Nordschleife hat er hinter sich, beim berühmten 24-Stunden-Rennen ist er schon mitgefahren, er kennt die Büsche entlang der Strecke beim Namen, weiß die Brems- und Einlenkpunkte im Schlaf.
Matthias Pahlke: "Sehr schnelles Stück ... Und jetzt werden wir gleich – springen! Bremsen und – zack!"
"So sieht das aus. Ich würd’ sagen: Auf jeden Fall 40 bis 50 Runden bis man halbwegs beruhigt sagen kann, ich weiß wenigstens halbwegs, wie’s funktioniert. Die meisten sagen, dass du nach 150 Runden ungefähr langsam mal da bist, dass du weißt, wo’s langgeht, wie das funktioniert. Das ist leider das Problem, dass viele halt sich überschätzen."
Auch wenn Halbprofis und Touristen im Jahr sechs Millionen Kilometer auf der Nordschleife fahren – eine Runde für 19 Euro, die Jahreskarte für 895 Euro – hält das den Nürburgring nicht am Leben. Der Ring ist ein großes Unternehmen und deswegen setzt Geschäftsführer Walter Kafitz auf eine ganze Erlebnisregion rund um die Rennstrecke.
Walter Kafitz: "Es erwartet einen ein ganzjähriges Freizeit- und Businesszentrum. Und dazu gehört ein Boulevard, eine Flaniermeile direkt an der Rennstrecke zwischen Start-Ziel-Gerade und Bundesstraße. Überdacht, so dass sie wetterfest ist. Da kann man in die Indoor-Attraktion gehen: Die Welt des Nürburgrings, unterhaltsam dargebracht in vier bis fünf Stunden reiner Unterhaltungszeit. Man geht in ein Welcome-Center als zentrales Tor, zu Fuß oder mit dem Auto. Man kann in eine 4000 Menschen fassende Arena gehen oder in eine Eventhalle von zwoeinhalbtausen Quadratmetern. Es gibt eine neue Haupttribüne mit Shops von allen möglichen Autoherstellern, es gibt ein Vier-Sterne-Hotel bis dahin und auf der anderen Seite der Bundesstraße wird es ein sogenanntes Motorsport-Dorf geben, das ist eine Bungalowsiedlung im Zwei- bis Drei-Sterne-Niveau."
Pläne. Noch sind es Pläne, Ankündigungen von Hoffnungen, von Erwartungen. Die Nürburgring GmbH, die zu 90 Prozent dem Land Rheinland-Pfalz gehört, will dafür 150 Millionen Euro investieren, vielmehr: investieren lassen. Gesucht wird ein Investor, der daran glaubt, dass sich so eine halbe Million zusätzlicher Besucher an den Ring locken lassen und dass die Faszination des Benzins stark genug ist, um damit Geld zu verdienen.
Ingolf Deubel: "Also die Pläne sind sehr weit vorangetrieben für die Erlebnisregion am Nürburgring. Am Ende bedeutet das zirka 500 Arbeitsplätze zusätzlich unmittelbar am Ring und in der Region noch mehr, ein erhebliches Investitionsvolumen und etwa 500.000 Gäste zusätzlich im Jahr, die dann sich am Nürburgring aufhalten."
"Selbstverständlich gibt es Risiken, aber die Planungen sind sehr konservativ gehalten, dass selbst dann, wenn weniger Besucher kommen, als erwartet, rechnet sich dies Projekt."
… sagt der rheinland-pfälzische Finanzminister Ingolf Deubel, der auch im Aufsichtsrats der Nürburgring GmbH sitzt. Aber vor allem, findet der Finanzminister, vor allem geht es um Arbeitsplätze. 3000 Jobs hängen am Ring, 600 davon direkt bei der Betreibergesellschaft. Und sonst gibt es zwischen Koblenz und Trier nicht viele andere potente Arbeitgeber. Ingolf Deubel:
Ingolf Deubel: "Ich sehe das als große Wirtschaftsförderungseinrichtung in der Eifel, die wichtigste, die das Land da hat, und eine sehr erfolgreiche Wirtschaftsförderungseinrichtung. Und das ist das Hauptziel, dass in der Eifel Arbeitsplätze gehalten werden, neue entstehen, dass Umsätze gemacht werden und auch die umliegenden Gemeinden davon profitieren."
Dort aber, in den umliegenden Gemeinden, machen sich die Gastronomen und Hoteliers Sorgen, dass eben nicht so viele neue Besucher an den Nürburgring kommen, wie erwartet; dass die geplante Erlebnisregion mit ihren neuen Restaurants, dem neuen Hotel und dem Motorsportdorf den Alteingesessenen die Gäste wegnehmen; dass ein Disneyland des Motorsports entsteht und der Mythos Nürburgring schaden nimmt. Doch es scheint, als seinen alle Messen gelesen: Am 4. Oktober soll der Bau beginnen. Und Walter Kafitz, der Nürburgring-Geschäfstführer ist professionell zuversichtlich:
Walter Kafitz: "Ja, das ist doch eine schöne Aufgabe, wenn man weiß, dass man etwas macht, da ist Geschichte mit im Hintergrund. Also das Neue und das Alte zu verbinden, da haben wir überhaupt keine Probleme."
Das Rennen ist eröffnet, diesmal geht es um die Zukunft des Nürburgrings.