Große Oper im kleinen Wohnzimmer

Von Bettina Ritter · 21.03.2013
Sie schmettert Arien zwischen Küche und Sofa, Badewanne und Balkon. Alle zwei Monate entert die dänische Mezzosopranistin Hetna Regitze Bruun mit einem kleinen Ensemble und einem Pianisten private Wohnungen in Berlin und lädt zur "Home Opera".
Eine Zweiraumwohnung in Berlin Prenzlauer Berg. Im Wohnzimmer sitzen etwa 50 Zuschauer auf Klappstühlen - Bierflaschen und Plastikbecher in den Händen. Die Stimmung ist ausgelassen. Der Erker wird zur Bühne, der Staubsauer zur Requisite, die Zuschauer zu Nebendarstellern.

Drei Sänger schmettern die großen Arien bekannter Opern und nehmen sich selbst dabei nicht allzu ernst. Hetna Regitze Bruun, die zwar groß und blond, aber für eine Wagner-Walküre zu schlank ist, steht bei allen Vorstellungen mit auf der Bühne.

"Die Home Opera hat einen Nerv getroffen. Sie hat eine Lücke gefüllt. In Berlin gibt es zwar ein Überangebot an klassischer Musik mit drei Opernhäusern. Aber sie ist immer an Institutionen gebunden. Wir servieren Oper im privaten, intimen Rahmen. Die Besucher haben den direkten Kontakt zu den Sängern und lernen sich auch untereinander kennen. Wie bei einer privaten Party.”"

Hetna Regitze Bruuns Ziel ist es, ein neues Publikum für die Oper zu begeistern. Dafür geht sie an ungewöhnliche Orte. In ihrer Heimat Kopenhagen veranstaltet sie seit zehn Jahren die "Stand-up-Opera". Einen Opernabend im Stadtteil Nørrebro, der eher für linksradikale Ausschreitungen bekannt wurde als für Hochkultur. Und sie hat keine musikalischen Berührungsängste. Für die Projekte "Yellow Lounge" und "Reload Classics" ließ sich die 37-Jährige mit DJs ein, die ihren Gesang mit Elektro-Beats unterlegten.

""Immer weniger Menschen hören klassische Musik und Oper. Obwohl sich das – zumindest in Dänemark – gerade ein bisschen ändert. Trotzdem bin ich der Meinung, dass besonders wir klassischen Musiker, viel Werbung machen müssen, genau wie in der rhythmischen Musik. Wir müssen zum Publikum kommen, wir müssen herausfinden, was der Kunde will und dann die richtige Balance finden."

Die Sängerin lebt mit ihrer elf Jahre alten Tochter in Berlin Mitte. Hier verbrachte sie 2002 als Musikstudentin ein Auslandssemester. Wie für viele Dänen wurde Berlin für sie zum Sehnsuchtsort: Unfertig, roh, kreativ. Vor anderthalb Jahren erfüllte sich Bruun den langgehegten Traum und zog um. Ihre Engagements an der Oper und im Rundfunkchor unterbrach oder kündigte sie.

"Das war eine große Herausforderung, ich habe alles hinter mir gelassen, meine Jobs, meine Familie und meine Freunde. Ich habe ganz neu angefangen. Das war hart. Aber auch notwendig. Ich war an einem Punkt, wo ich Kopenhagen verlassen wollte. Es ist klein, man trifft immer wieder dieselben Menschen. Berlin ist international."

Eine enge Verbindung hat Hetna Regitze Bruun zu ihrer Familie. Ihr jüngerer Bruder ist ebenfalls Opernsänger. Durch ihre Mutter kamen beide zur Musik, sie war begeistertes Mitglied im örtlichen Kirchenchor. Aufgewachsen ist die Mezzosopranistin auf einem Bauernhof, eine halbe Stunde von Kopenhagen entfernt. Schon mit sechs Jahren fragte sie nach Gesangsstunden, und bekam sie.

"Als Kind war ich nicht so gut im Buchstabieren, ich habe besser über das Hören gelernt und hatte Schwierigkeiten mit der Sprache. Außerdem war ich sehr schüchtern. Aber wenn ich sang, kam ich aus meinem Schneckenhaus. Später als Teenager wurde ich sehr groß und war sehr unsicher, aber wenn ich auf der Bühne stand, bekam ich plötzlich positives Feedback. Die Leute beurteilten mich nach meiner Stimme und nicht nach meinem Aussehen."

Vielfältig und unorthodox ist die Mezzosopranistin. Das beweist auch ihre Musikauswahl. Olivier Messiaen ist einer ihrer Lieblingskomponisten. Er gilt als besonders schwer zu singen. Für ihre CD-Aufnahme seiner avantgardistischen Musik hat sie international lobende Kritiken erhalten.

"Sachen, die man normalerweise nicht macht, haben mich schon immer sehr angezogen. Ich mag die unnormalen Dinge, die seltsamen Dinge. Schon in der Musikakademie wollte ich Stücke singen, die sonst keiner sang. Messiaen ist ein sehr komplexer Komponist. Er schreibt auf Französisch, benutzt aber auch die Sprache aus den Anden, Quechua. Das hört sich einfach verrückt an. Und es passt sehr gut zu meiner Stimme."

Die Zeit ist reif für eine Veränderung, für eine Modernisierung und für eine Öffnung der klassischen Musik. Davon ist Hetna Regitze Bruun überzeugt. Für dieses Ziel arbeitet sie mit Kreativität und viel Engagement. Die Grenzen Berlins sind der Sängerin inzwischen zu eng geworden. Im Herbst geht die Home Opera auf Deutschland-Tour. Und mit ein bisschen Glück schmettern Operndiven ihre Arien bald in Wohnzimmern von Hamburg bis Stuttgart.

Infos unter: www.homeopera.net