Große Kunst im kleinen Herford

Von Jochen Stöckmann · 04.05.2005
Fachwerk und Backstein prägt die bodenständige Architektur in Ostwestfalen, in Dörfern, aber auch in kleineren Städten wie Gütersloh, Detmold oder Herford. Nur Bielefeld hat sich, gefördert von der Industriellendynastie Oetker, eine Kunsthalle im modernen International Style geleistet. 1968 erbaut, gilt der wuchtige Betonkubus von Philip Johnson längst als Meilenstein der Architekturgeschichte.
Ende der Neunziger aber sollte angebaut werden: Frank Gehry, der mit wild bewegten, in sich zersplitterten Volumen seiner dekonstruktivistischen Gebäude eine abgewirtschaftete Stadt wie Bilbao wieder auf die Landkarte der Kunst- und Architekturtouristen gebracht hatte, ging auch in Bielefeld ans Werk - und scheiterte an den Honoratioren, etwa an einer resoluten Ratsherrin, wie sich der Verleger und Kunstsammler Kurt Kerber erinnert:

Kurt Kerber: "Weil sie ganz einfach sagte: "Was brauchen wir einen kalifornischen Architekten mit einem für uns unmöglichen Material wie Titanblech?" Und so ist das baden gegangen. Das Modell haben wir aber teuer bezahlt und haben es auch aufbewahrt. "

Seine eigene Sammlung zeitgenössischer Kunst hat Kerber jetzt im benachbarten Herford untergebracht, im MARTa-Museum, erbaut von: Frank Gehry! Der durfte sein Bielefelder Modell als "Haus des Möbels" für die einheimische Möbelindustrie realisieren, mit einen kleinen Zugeständnis an regionale Eigenarten: Unter dem in aufregenden Kurven gen Himmel emporschießenden Stahlblechdach brachte der kalifornische Architekt 180.000 rote Klinker zum Tanzen. Und auch die Honoratioren brachte Gehry aus dem ostwestfälischen Tritt, als er nach großer Kunst verlangte, um seine edle Hülle zu füllen. Auch dafür brauchte es große Namen - und so kam als Gründungsdirektor Jan Hoet nach Herford, ehemaliger Leiter der Kasseler documenta. Ein Verdienst, das sich nun Bürgermeister Bruno Wollbrink an die eigenen Fahnen heftet:

Bruno Wollbrink: "Einer Stadt wie Herford, eine Mittelstadt in Ostwestfalen gelegen mit 65.000 Einwohnern, gelingt es Persönlichkeiten wie Frank Gehry und Jan Hoet an einen Tisch zu bringen. "

Hoet machte "MARTa" zum Programm: M wie Möbel, dazu "Art" für Kunst - und dann ein "A" wie Architektur oder Ambiente. Und "Ambiente" heißt für den Belgier, zeitgenössische Kunst im sozialen, psychologischen und anthropologischen Zusammenhang zu sehen. Um das Geld für dieses ehrgeizige Programm und Baukosten von am Ende 28 Millionen Euro war es zeitweise nicht gut bestellt: Die Stadt Herford gründete die Betreiber-GmbH "MKK", in der sie neben einigen Firmen der Möbelindustrie vertreten ist. Für den MKK-Geschäftsführer ist Design eine "Brücke zwischen Kunst und Wirtschaft", das Publikum kommt in seiner Rechnung allerdings nur am Rande vor, unter dem Posten "Erlös durch Eintrittsgelder". Und so muss Bürgermeister Wollbrink wenige Tage vor der MARTa-Eröffnung eingestehen:

Bruno Wollbrink: "Ich will selbstkritisch durchaus bemerken, dass wir noch an der Akzeptanz in der heimischen Bevölkerung arbeiten müssen. Das hängt natürlich auch mit der Situation zusammen, dass es sehr schwer ist, für etwas zu werben, was sich in der Entstehungsphase befindet, was noch nicht mit Inhalten versehen ist. "

Jan Hoet seinerseits sorgte schon für "Inhalte", kaufte bereits erste Arbeiten für die neue Sammlung an, neben Panamarenko und vielen jungen Künstlern unter 40 auch Skulpturen von Stephan Balkenhol, weil die - wie der MARTa-Direktor betont - aus Holz sind und also etwas mit Möbeln zu tun haben. Und Monate vor der offiziellen Eröffnung kombinierte Hoet Gemälde und Graphiken von James Ensor mit den Jugendstilmöbeln jener Zeit um 1900. Da machte sich, verrät Kurator Michael Kröger, allerdings auch schon die eigenartig gekrümmte Architektur Gehrys bemerkbar:

Miochael Kröger: "Als Ausstellungsmacher, als Kurator denkt man immer noch in den Maßstäben einer weißen, lichten Wand, die man ohne größere Mühe inszenieren kann. Und die in sich kurvigen Wände von Gehry sind eine Riesenherausforderung. "

Tatsächlich gibt es auch die klassisch rechtwinkligen "white cubes", denn MARTa ist ein Zwitterbau. Gehrys Backstein-Fassade umschließt den konventionell gerasterten Lippoldbau, eine ehemalige Industrieruine, die die Stadt Herford für stolze fünf Millionen vom Unternehmer und Kunstsammler Ahlers hat ankaufen müssen. Und zwiespältig ist auch der Eindruck von Hoets Eröffnungsschau "My private heroes": Wer oder was sonst als "Helden" könnte sich gegen die dominante Architektur Gehrys durchsetzen? Wenn aber neben den von Jonathan Meese zurecht gebastelten Rittern und Söldnern, neben Äxten von Beuys und den Flämischen Kriegern Jan Fabres zarte Zeichnungen oder gar "Kritzeleien" von Ulrich Meister auftauchen, dann gewährt Hoet diesen Blättern zwischen Stellwänden den Schutz intimer Kabinette. So bleibt als erster Eindruck: Ein fulminanter Auftakt. Und als letzte Frage: Was kommt danach, in einem Museum ohne nennenswerte eigene Kollektion, bei dem die Stadtväter erst ganz spät an eine Werkstatt und kaum an ein Depot gedacht haben?