Grosse Koalition

    Zweiter Wahlkampf für den SPD-Vorstand

    Die nordrhein-westfälische Ministerpräsidentin Hannelore Kraft verlässt in Düsseldorf eine Sondersitzung der SPD-Landtagsfraktion.
    Die nordrhein-westfälische Ministerpräsidentin Hannelore Kraft verlässt in Düsseldorf eine Sondersitzung der SPD-Landtagsfraktion. © picture alliance / dpa / Federico Gambarini
    Der Koalitionsvertrag geht in die Abstimmungsphase bei den Parteien. Bei den Sozialdemokraten müssen die Mitglieder "ja" sagen. Darum kämpfen unter anderen NRW-Ministerpräsidentin Hannelore Kraft und Parteichef Sigmar Gabriel.
    Nach langen Verhandlungsnächten liegt der Koalitionsvertrag nun in der Waagschale. Die rund 475.000 SPD-Parteimitglieder sollen in den kommenden Wochen per Briefwahl ihr Votum darüber abgeben, das Ergebnis soll am 14. Dezember vorliegen. Lehnt eine Mehrheit ab, kommt die Große Koalition im Bund nicht zustande.
    Die Werbetour hat begonnen: Nordrhein-Westfalens Ministerpräsidentin Hannelore Kraft (SPD) will am kommenden Sonntag und Montag bei zwei NRW-Regionalkonferenzen in Kamen und Leverkusen für ein Ja zur Großen Koalition werben. Auch SPD-Parteichef Sigmar Gabriel wird dort erwartet. Am heutigen Freitag traf sich die SPD-Fraktion im nordrhein-westfälischen Landtag zu einer Sondersitzung zum Koalitionsvertrag. Auf dem Treffen räumte Kraft eine Hoffnung vieler Genossen aus dem Weg. "Ich werde nie als Kanzlerkandidatin antreten. Ich bleibe in Nordrhein-Westfalen. Darauf könnt ihr Euch verlassen", sagte sie nach Angaben von Teilnehmern vor der Fraktion.
    Bei den Koalitionsverhandlungen spielte Kraft als Chefin der mächtigen NRW-SPD und stellvertretende Bundesparteivorsitzende eine gewichtige Rolle. Mit den Ergebnissen will sie jetzt an der Basis werben. Da sei nicht nur der Mindestlohn, betonte sie, sondern viele Verbesserungen bei Renten, Mieten, Wohnungsbau, Bildung, Kommunen und Infrastruktur.
    Die NRW-SPD galt nach der Bundestagswahl im September als härteste Gegnerin einer großen Koalition. Der Chef der SPD-Landtagsfraktion im Landtag, Norbert Römer, sagte jetzt, die Einigung mit der Union sei aber besser gelungen als gedacht. "Ich habe mich geirrt." Er äußerte sich zuversichtlich, dass das Votum der SPD-Basis positiv ausfällt.
    Gabriel: "keine Angst vor dem Mitglieder-Votum"
    SPD-Chef Sigmar Gabriel warb am Freitag bei einer Regionalkonferenz in Bremen um Zustimmung zum Koalitionsvertrag. Vor mehreren hundert Teilnehmern sagte Gabriel, er nehme die Sorge der Mitglieder sehr ernst, dass die Sozialdemokratie in einem neuen Bündnis mit der Union gegen eigene Grundsätze verstoßen könnte - wie das seinerzeit bei der Rente mit 67 und der Mehrwertsteuererhöhung der Fall gewesen sei. "Ich glaube, dass wir ziemlich gut verhandelt haben."
    Auch bei der ersten von 32 Regionalkonferenzen, die am Donnerstag in Hessen stattfand, hatte Sigmar kein leichtes Spiel, zeigte sich aber dennoch zuversichtlich. "Ich habe keine Angst vor dem Mitglieder-Votum", warb Gabriel bei der Basis um Zustimmung für den Koalitionsvertrag . "Angst müssten wir haben, wenn wir faule Kompromisse gemacht hätten. Das haben wir nicht." Gabriel listete die Erfolge auf: Mindestlohn, abschlagsfreie Rente mit 63 Jahren, weniger Zeit- und Leiharbeit. Man habe fast alle Forderungen der Gewerkschaften "einschließlich der Kommafehler" in den Vertrag übernommen, sagt er. "Wir haben alle unsere Forderungen zur Mietpreisbremse durchgesetzt."
    Wie der SPD-Parteichef verteidigte auch Hamburgs Bürgermeister Olaf Scholz, dass vor dem SPD-Mitgliederentscheid über den schwarz-roten Koalitionsvertrag nicht die Struktur der Ministerien und deren Besetzung bekannt gegeben wird. Dies sei ein ausdrücklicher Wunsch vieler Mitglieder gewesen.
    Verfassungsrechtliche Bedenken
    Nachdem einige Verfassungsrechtler eine Debatte darüber angestoßen hatten, ob es legal sei, dass SPD-Mitglieder einen größeren Einfluss auf die Politikbildung in Deutschland hätten als die Nicht-Parteimitglieder, kam es darüber am Donnerstagabend im Interview des "heute-journals" zum Schlagabtausch zwischen ZDF-Moderatorin Marietta Slomka und Sigmar Gabriel.
    Letzterer betonte, er halte die Bedenken zum Mitgliederentscheid für "Quatsch". Er rechtfertigte die Abstimmung damit, dass das Parteiengesetz zur innerparteilichen Demokratie verpflichte. Auf die Frage, ob er sich vorab verfassungsrechtliche Gedanken über den Basis-Entscheid gemacht habe, sagte Gabriel: "Nee, weil es ja auch Blödsinn ist." Und auch Olaf Scholz bekräftigte: "Das entspricht genau der Verfassungslage." Die Bürger hätten einen Deutschen Bundestag gewählt. Dieser werde eine Regierung wählen müssen. Das sei der Auftrag.
    Gabriel hatte der Moderatorin unfaire Fragen und Voreingenommenheit unterstellt, wogegen das ZDF sich später verwahrte. Den Vorwurf der Parteilichkeit habe Moderatorin Marietta Slomka "entschieden und mit Recht" zurückgewiesen, erklärte "heute journal"-Redaktionsleiterin Anne Reidt.
    CSU-Chef Horst Seehofer sprang Gabriel zur Seite. Er habe eine SMS an den ZDF-Intendanten geschrieben und wolle noch einen Brief hinterherschicken, sagte Seehofer am Freitag in München.
    Auch Gabriel verteidigte seine harschen Antworten: "Man muss doch auch mal Emotionen zeigen", sagte er am Freitag in einer Aufzeichnung für das RTL-Magazin "Sonntags live". "Wir sind ja keine kalten Fische und manche Journalisten glauben, wir Politiker seien so zum Watschenmann da." Das scheine etwas in Mode gekommen zu sein. Er finde das alles nicht dramatisch. "Man darf sich auch mal streiten."
    Bundesbürger mehrheitlich zufrieden mit Koalitionsvertrag
    Die CDU will am 9. Dezember auf einem kleinen Parteitag über die Vereinbarung entscheiden. Die CSU segnete den Koalitionsvertrag bereits am Freitag ab. Der Parteivorstand und die CSU-Landesgruppe im Bundestag stimmten der Übereinkunft in einer gemeinsamen Sitzung in München einstimmig zu. "Es gab keine Gegenstimme und auch keine Enthaltung", sagte Seehofer.
    Die Mehrheit der Bundesbürger ist laut dem aktuellen ZDF-Politbarometer mit dem Koalitionsvertrag zwischen Union und SPD im Grundsatz zufrieden - darunter auch fast zwei Drittel der SPD-Wähler. 52 Prozent der Bundesbürger sprachen sich in der am Freitag veröffentlichten Umfrage der Forschungsgruppe Wahlen für die vereinbarten Vorhaben aus. 26 Prozent äußerten sich negativ, 22 Prozent wollten keine Beurteilung abgeben. Von den Unionsanhängern äußerten sich sogar 65 Prozent positiv, von den SPD-Anhängern 64 Prozent.
    cwu/abr/twa mit afp, dpa, reuters

    Programmtipp:

    Die Sendung Ortszeit beschäftigt sich heute schwerpunktmäßig mit den parteiinternen Abstimmungen über den ausgearbeiteten Koalitionsvertrag.