Große Hoffnung des deutschen Films

Von Dirk Schneider |
Die Filme des Berliner Regisseurs Ulrich Köhler sind nicht ganz leicht zu ertragen. Sie erzählen von jungen Menschen, die mitten in der Gesellschaft leben und doch ihren Platz darin nicht finden können. Sie sind aber auch nicht ohne Humor.
Freitagmittag im Deutschen Bundestag. Ulrich Köhler bahnt sich seinen Weg durch die Besuchergruppen auf den Fluren. Der 38-jährige Regisseur hat sich zu Recherchezwecken eine Presseakkreditierung besorgt:

Ulrich Köhler: "Ich hab mir ’ne Sitzung des Untersuchungsausschusses zur Kurnaz-Affäre angeschaut. Langfristig habe ich Interesse daran, einen Film über einen Abgeordneten zu machen."

Ulrich Köhler, 1,90 m groß, halblange braune Haare, die ihm in die Stirn hängen, trägt ein ausgewaschenes blaues Polohemd, dunkle Jeans und Turnschuhe. Er sieht gut aus, fast ein Sonnyboy, freundliche blaue Augen, der geschwungene Mund lächelt oft. Nicht unbedingt die Person, die man hinter seinen lakonischen, eher pessimistischen Filmen erwarten würde.

In Köhlers erstem Spielfilm "Bungalow" von 2002 geht es um den Rekruten Paul, der spontan aus der Bundeswehr desertiert. Er verkriecht sich im Bungalow seiner Eltern, die gerade im Urlaub sind. Hier trifft er den älteren Bruder und dessen Freundin. Mit seiner Mischung aus Apathie und Aggression bringt er die beiden auf die Palme. Eine Art "Fänger im Roggen" in der hessischen Provinz.

Einspieler "Bungalow":
"Du weißt wer das eben war? Die wollten dich abholen und ich darf die anlügen. Ich hab dich nicht drum gebeten. Du musst was machen, die stecken dich in den Bau, dann bist du vorbestraft. Hat dir Lene nichts gesagt? Was soll sie denn gesagt haben? Ich bin verliebt in Lene. Das ist doch kein Grund zu desertieren. Ich habe mit ihr geschlafen. Was erzählst du denn für ’nen Scheiß!"

Ulrich Köhler: "Bei "Bungalow" hat mich interessiert, oder ich hab mich gefragt, was kann diese Welt am ehesten verunsichern. Und ich hab gedacht, dieses Milieu, dieses extrem tolerante sozial-liberale Milieu kann letztendlich mit allem umgehen, aber womit es wirklich nicht umgehen kann, ist mit Phlegma."

Köhler, 1969 geboren, kommt selbst aus der hessischen Provinz, und aus dem sozial-liberalen Milieu. Sein Vater ist Arzt, seine Mutter Lehrerin.
Als er fünf ist, gehen die Eltern als Entwicklungshelfer nach Zaire. Eine glückliche Zeit für ihn und seinen gleichaltrigen Adoptivbruder. Sie werden von der Mutter unterrichtet, ihre Freizeit verbringen sie mit afrikanischen Freunden, am liebsten im Einbaum auf dem Fluss.

Mit zehn ist Köhler dann wieder auf dem Land bei Marburg. Einen Fernseher gibt es zuhause nicht, das Anspruchsvollste, das im Kino läuft, ist "Männer" von Dörrie oder "Gandhi" von Attenborough. Die Filmbegeisterung kommt erst, als er nach dem Abitur 1989 ein Kunststudium im bretonischen Quimper beginnt. Hier sieht er zum ersten Mal die Filme von Godard, Rosselini, Antonioni oder Cassavetes:

Ulrich Köhler: "Also in Frankreich habe ich plötzlich verstanden, dass Film auch eine eigenständige Kunstform sein kann."

Nach zwei Jahren zieht er nach Hamburg und studiert Visuelle Kommunikation und Philosophie. Die Sache mit dem Filmen kommt nach und nach, durchs Studium und durchs Ausprobieren. Noch bei den Dreharbeiten zu "Bungalow" glaubt er nicht daran, dass der Film je ins Kino kommt.

Ulrich Köhler betont, dass seine Filme trotz vieler Parallelen zu seiner Vergangenheit nicht autobiografisch seien. Vielmehr setzt er das, was er aus Erfahrung kennt, wie in einem Laborversuch unbekannten Einflüssen aus.

Ulrich Köhler: "Mich interessiert das, was so Norm geworden ist, was so selbstverständlich geworden ist, und was – das ist wie so eine Versuchsanordnung – was genügt eigentlich, um diese Konstellation und diese Form des Zusammenlebens stark zu verunsichern."

So auch in Ulrich Köhlers zweitem Spielfilm mit dem Titel "Montag kommen die Fenster", wieder in der hessischen Provinz gedreht. Eine Frau um die 30 zieht mit Mann und Kind in ein renovierungsbedürftiges Haus. Irgendwann verschwindet sie für drei Tage, ohne Erklärung.

Einspieler "Morgen kommen die Fenster"
"Du lässt die Kleine sitzen und haust einfach ab. Wir kommen hierher und du bist die ganze Nacht einfach weg. Kannst du dir vorstellen dass wir dachten du wärst tot? … Ich rede mit dir! … Bist du betrunken? Ja. Langweile ich dich eigentlich? Ja."

Ulrich Köhlers Filme sind nicht leicht zu ertragen, weil seine Hauptfiguren nur bedingt zur Identifikation taugen. Sie überschreiten eine Grenze, brechen ein Tabu, und man weiß nicht, warum. Köhler interessiert sich weniger für die Motivation als für die Folgen dieser Handlungen. Eine Auflösung gibt es in seinen Filmen nicht, am Ende verweigert er dem Zuschauer den Trost. Die Filmkritik liebt ihn dafür, die französische Filmzeitschrift Cahiers du Cinema hat in ihm gar eine zeitgenössische Wiedergeburt der Nouvelle Vague entdeckt. Ulrich Köhler, der heute mit der Regisseurin Maren Ade in Berlin lebt, ärgert sich, dass der Autorenfilm in Deutschland nicht als Kulturgut anerkannt ist:

Ulrich Köhler: "Das Absurde ist, im Prinzip werde ich von denselben Mechanismen unterstützt, von denen ein Film wie "Werner – gekotzt wird später" unterstützt wird. Und Frank Castorf an der Volksbühne muss ja nicht mit einem Andrew-Lloyd-Webber-Musical auf St. Pauli konkurrieren."

Doch Ulrich Köhler ist nicht gerade von Ehrgeiz zerfressen. Er möchte einfach weiter seine Filme machen. An ein besseres, größeres, interessanteres Leben glaubt er nicht, das hat er mit seinen Protagonisten gemein.

Ulrich Köhler: "Es gibt so Punkte, die unerreichbar sind, dann erreicht man sie, und dann hat sich im Leben doch nicht viel geändert. Also diese Banalität und Trivialität interessiert mich."