Grossbritannien

Kilt statt Melone

Michael Klevenhaus im Gespräch mit Joachim Scholl · 03.03.2014
Ein neues Zentrum über den Unabhängigkeitskampf vor 700 Jahren, ein Referendum über die Loslösung vom Königreich: Ein aggressiver Nationalismus ist in Schottland trotzdem nicht ausgebrochen, so der Schottlandexperte Michael Klevenhaus.
Joachim Scholl: Über den schottischen Befreiungskampf damals und heute sprechen wir mit dem Schottlandkenner Michael Klevenhaus. Er ist Leiter des Deutschen Zentrums für Gälische Sprache und Kultur in Bonn. Seien Sie willkommen, Herr Klevenhaus!
Michael Klevenhaus: Ja, schönen guten Tag!
Scholl: Wir haben ja gerade gehört, diese Schlacht vor 700 Jahren war lange Zeit ein Symbol für den schottischen Nationalismus, was wahrscheinlich daran lag, dass mit dieser Schlacht eine so lange Periode schottischer Unabhängigkeit begann?
Klevenhaus: Ja, und es war vor allen Dingen das Ende der langen unsicheren Zeit, eben nicht der Unabhängigkeit, dass ja Schottland eben nicht unabhängig, sondern sehr, sehr lange von England abhängig war und damit eben ein eigenes schottisches Königreich wiedererstanden war, was es ja vorher auch schon jahrhundertelang gegeben hatte.
Scholl: Und da ging es immer gegen die Engländer in diesen Schlachten?
Klevenhaus: Ach, da muss man aufpassen. Wissen Sie, wenn man in Schottland ist und mit den Leuten darüber spricht, dieses "gegen die Engländer", das hört sich so einfach an und das ist natürlich auch ein Klischee, was immer sehr gerne weiter verbreitet wird. Aber es ist doch auch so, dass sehr, sehr viele Schotten da sehr uneins waren und Schotten auf beiden Seiten gekämpft haben, so wie eben dann auch englischfreundliche Schotten für die Sache der Engländer gekämpft haben. Nehmen Sie nur zum Beispiel die Sache Culloden später, 1746. Da haben Clans auf beiden Seiten gekämpft, das lässt sich nicht einfach in Schwarz und Weiß unterteilen. Und Bannockburn ist eine ähnliche Geschichte gewesen, auch da hat es Robert the Bruce am Anfang sehr, sehr schwer gehabt, die schottischen Clans und auch die Kirche Schottlands auf seine Seite zu bringen. Das war ein längerer Prozess.
"Das Zentrum ist natürlich mit Symbolik aufgeladen"
Scholl: Aber die Erinnerung an diese vielen Schlachten, von der Sie sprechen, ist aber das Zentralmotiv der Kampf um die schottische Unabhängigkeit, was sich da durchzieht?
Klevenhaus: Ja, auf jeden Fall, auf jeden Fall. Und ich meine, das ist natürlich auch gerade, das ist natürlich mit Symbolik aufgeladen. Und wenn dann so ein neues Visitor Centre aufgemacht wird, dann muss man natürlich auch immer aufpassen, wie werden diese Visitor Centres, diese Besucherzentren dann auch inszeniert und wie können sie gebraucht und missbraucht werden? Nun war ich noch nicht in Bannockburn, weil es wie gesagt erst gestern oder vorgestern eröffnet worden ist. Aber ich war in Culloden, das gibt es ja schon länger, das neue Besucherzentrum. Man muss sagen, es ist auf der einen Seite historisch, finde ich, sehr, sehr gut gemacht gewesen, es zeigt auch die Brutalität der Schlachten, der Kriege. Ich persönlich allerdings habe Probleme damit, ob es gut ist, solche Schlachten so zu inszenieren. Ich habe da gestanden, habe mir die brutalen Szenen angeguckt und bin sehr schnell wieder rausgegangen. Und nach dem, was eben in dem Vorspiel zu hören war, scheint das in Bannockburn ähnlich inszeniert zu sein.
Scholl: Das ist dieses Problem, wie blutig inszeniert man Geschichte wieder oder inszeniert man sie überhaupt und holt sie so zurück. Aber die andere interessante Frage ist ja, Jochen Spengler sagte das ja auch, dass dieses Besucherzentrum nun interessanterweise weniger nationalistisch geprägt ist als die frühere Ausgabe, gerade in einer Zeit, in der wir jetzt so starke Unabhängigkeitsbestrebungen in Schottland haben. Wie interpretieren Sie das, dieses Abrücken vom Nationalismus gerade an solchen Erinnerungsorten?
Klevenhaus: Vielleicht muss man das wirklich im Kontext sehen der momentanen Debatte um die Unabhängigkeit, um das Referendum. Man kann das gut finden oder nicht gut finden. Aber ich bin sehr häufig in Schottland und rede sehr häufig mit Leuten, und was ich nur ganz, ganz selten gehört habe, ist, dass dieses Referendum, auch diese Unabhängigkeitsgeschichten, dass das gegen die Engländer ist. Das ist eher eine Sache, die ist für die Schotten.
Scholl: Und was heißt dieses "für Schottland"? Schottland hat ja schon eine relativ große Autonomie jetzt innerhalb von Großbritannien. Was wollen die Schotten noch mehr, also die für die Unabhängigkeit sind, was wollen sie noch mehr für Schottland?
Klevenhaus: Das ist das große Problem. Alex Salmond hat ja dieses Weißbuch herausgebracht, wo dann drin steht, was Schottland alles sein soll. Und dann ging natürlich sofort die Debatte los, wie soll es denn in Zukunft sein.
Was passiert, wenn die Unabhängigkeit kommt, weiß niemand
Scholl: Erklären Sie bitte kurz, wer ist das, der dieses Weißbuch herausgebracht hat?
Klevenhaus: Alex Salmond ist der Ministerpräsident Schottlands und er ist der Vorsitzende der Scottish National Party. Die haben die Mehrheit im schottischen Parlament in Edinburgh und stellen die Regierung, die Landesregierung, wenn man das so sagen möchte. Dieses Weißbuch, also eine Auflistung dessen, was die schottische Unabhängigkeit bedeuten soll, begründete natürlich sofort große Diskussionen: Wie soll es denn jetzt nun wirklich laufen? Und letztendlich wurde es auf sehr einfache Fragen reduziert: Schottland selbstständig, heißt das, wir haben Grenzkontrollen auf dem Weg von England nach Schottland oder nach Nordirland? Wird Schottland das Pfund behalten können? Wird Schottland in der EU bleiben können, wird es den Euro übernehmen müssen? All diese Fragen sind – und das muss man ganz klar sagen – vollkommen ungeklärt. Und es gibt auch keinen Plan B. Wenn das jetzt im September, wenn das Referendum negativ ausgehen sollte, dann weiß man nicht, was stattdessen kommen soll.
Scholl: Referendum negativ ausgehen, was heißt das jetzt?
Klevenhaus: Sie haben im September ein Referendum und da steht eine Frage: Should Scotland be an independent country? – Soll Schottland ein unabhängiges Land sein? Mehr steht da nicht. Sie können das mit Ja oder mit Nein beantworten. Aber was diese Unabhängigkeit bedeuten soll, ob Schottland so, wie der Ministerpräsident es verspricht, ob Schottland die Königin weiter behalten soll als obergeordnetes Staatsoberhaupt, wie das in vielen Commonwealth-Staaten der Fall ist, ob es offiziell eine Republik sein soll, welche Währung es haben soll, das alles sind Sachen, die werden diskutiert, aber sie sind bis heute nicht endgültig klar.
Scholl: Es hieß ja lange Zeit, dass eigentlich die Gegner der Unabhängigkeit deutlich die Nase vorn haben, aber jetzt gibt es Meldungen, dass sich das vor einigen Monaten gedreht haben soll. Wie nehmen Sie die Stimmung im Land wahr, gibt es so einen Stimmungswechsel in Richtung Unabhängigkeit?
Klevenhaus: Es gab auf jeden Fall einen Stimmungswechsel jetzt vor circa 14 Tagen, als eben diese Frage der Währung aufbrach. Dass eben der englische Schatzkanzler gesagt hat, wenn ihr Schotten unabhängig werden sollt, dann werdet ihr mit Sicherheit nicht das britische Pfund behalten können. Und das wollen die Schotten, eine große Mehrheit, doch sehr gerne. Und da konnte man merken, wenn also aus England Signale kommen, die gegen Schottland gerichtet sind, gegen dieses Referendum, dann kann es sein, dass die Stimmung kippt. Wenn also weiter so starke Signale aus London kommen nach dem Motto: Werdet nur unabhängig, wir werden euch schon zeigen, wie es weitergeht, das wird auf jeden Fall dazu kommen, dass die Prozentzahl der Leute, die für die Unabhängigkeit ist, steigen wird. Schottland hat natürlich nach wie vor, obwohl es mit England und Nordirland zum United Kingdom vereinigt wurde 1707, ein eigenes Justizsystem, ein eigenes Erziehungssystem und so weiter, ist also, wenn man es vergleicht, eigentlich heute schon ein Freistaat. Wie weit diese Unabhängigkeit gehen soll, das ist, glaube ich, vielen Leuten nicht klar. Und das wird auch nicht so genau diskutiert, dass es klarer wird, habe ich den Eindruck.
Scholl: Im September wird abgestimmt über die Unabhängigkeit Schottlands. Und vor 700 Jahren hat ein schottisches Heer diese Unabhängigkeit erkämpft. Daran erinnert ein neuer Erinnerungsort, der am Wochenende eröffnet wurde. Wir haben darüber gesprochen mit Michael Klevenhaus, Leiter des Deutschen Zentrums für Gälische Sprache und Kultur in Bonn. Herr Klevenhaus, vielen Dank für das Gespräch!
Klevenhaus: Ich danke Ihnen!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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