Großbritannien in der Krise

Boris Johnson und die Sprache der Herabsetzung

13:54 Minuten
Das Foto zeigt den britischen Premier Boris Johnson bei einer Pressekonferenz auf dem G7-Gipfel in Biarritz, Frankreich.
Hier geht es lang: Der britische Premier Boris Johnson ist nicht zimperlich, wenn es darum geht, seinen Willen durchzusetzen. © dpa / picture alliance / NurPhoto / Rita Franca
Marina Münkler im Gespräch mit Korbinian Frenzel · 29.08.2019
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Boris Johnson schickt das britische Parlament in eine Zwangspause. Die Literaturwissenschaftlerin Marina Münkler sieht darin einen "massiven Verstoß gegen den Geist der britischen Demokratie". Die Art, wie Johnson Politik betreibe, ziehe "alle in den Abgrund".
Der Widerstand gegen den vom britischen Premierminister Boris Johnson angekündigten Zwansgurlaub für das Parlament wächst. Selbst Abgeordnete der Konservativen Partei lehnen die Sitzungspause bis zwei Wochen vor dem geplanten Austritt Großbritanniens aus der EU ab.
Das Foto zeigt Proteste gegen die Politik des britischen Premierministers Boris Johnson. Ein Demontrant trägt dabei einen Pappmache-Kopf, der Johnson darstellen soll.
Proteste gegen Boris Johnson in London: Ruhe in Frieden, britische Demokratie!© dpa / picture alliance / NurPhoto / Alberto Pezzali
Auch die Bevölkerung protestiert heftig: Eine Petition gegen das Vorhaben wurde bereits mehr als 1,3 Millionen Mal unterzeichnet. Johnson hatte dem Unterhaus gestern eine Zwangspause verordnet, seinem Antrag zufolge soll das Parlament nur wenige Tage im September tagen und dann in den Urlaub gehen. Auf diese Weise bleibt dem Unterhaus de facto keine Zeit, einen No-Deal-Brexit zu verhindern.

Schlag gegen die parlamentarische Ordnung

Das publizistische Echo auf Johnsons Taschenspielertrick ist verheerend - auch die Dresdner Literaturwissenschaftlerin Marina Münkler sieht einen "massiven Verstoß gegen den Geist der britischen Demokratie". Es sei ein "unerhörter Vorgang", so Münkler im Deutschlandfunk Kultur. Die parlamentarische Ordnung werde dadurch "fundamental beschädigt".
Die Art, wie Johnson Politik betreibe, ziehe "alle in den Abgrund", warnt Münkler. Denn die Lage werde dadurch politisiert und dramatisiert und zwinge letztlich die Gegner Johnsons, mit Verhaltensweisen zu antworten, die dann auch nicht mehr legitimierbar seien. "Das ist fatal in einer Situation, in der man eigentlich darauf angewiesen wäre, das, was Johnson gelegentlich pathetisch das Volk nennt, zusammenzuführen."

Das Volk hat keinen einheitlichen Willen

Münkler wirft Johnson eine "Sprache der Herabsetzung" vor. Johnson verstehe sich als "Volkstribun" und behaupte, das Volk zu vertreten, während die gewählten Parlamentarier dieses angeblich nicht täten.
Johnson tue zudem so, als ob das Volk einen einheitlichen Willen habe: "Das ist klassisch für den Populismus." Das britische Volk habe aber keinen einheitlichen Willen - beim Referendum hätten nur 52 Prozent für den Brexit gestimmt und 48 Prozent dagegen.
Das Foto zeig die Literaturwissenschaftlerin Marina Münkler.
Die Literaturwissenschaftlerin Marina Münkler: "Unerhörter Vorgang".© imago images / Gerhard Leber
Die Sprache von Johnson fördere Eskalation und Polarisierung und führe zur Unmöglichkeit, sich zu verständigen, kritisiert Münkler. Sie beschreibt den britischen Premier als "Abenteurer, Hasardeur, Pokerspieler":
"Er erhofft sich mehr Druck auf Europa, um auf diese Weise seinen Willen und den Willen eines Teils der Bevölkerung durchsetzen zu können. Nur: Die Kosten werden alle tragen müssen."
(ahe)
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