Größenwahnsinnige Schriftstellerphantasien

05.10.2007
Mit "Ein Leben" hat Italo Svevo einen der ersten Angestelltenromane der Literaturgeschichte geschrieben. In dem 1892 veröffentlichten Band erzählt Svevo die Geschichte des Bankangestellten Alfonso Nitti, der sich zu großen literarischen Taten berufen fühlt - und kläglich scheitert.
Was für ein unglücklicher Mann! Der Bankangestellte Alfonso Nitti, Protagonist in Italo Svevos Debütroman ""Ein Leben", ist einer der großen Pechvögel der italienischen Literaturgeschichte. Dabei hatte alles so verheißungsvoll angefangen, denn Alfonso war überzeugt, zu Bahn brechenden Taten bestimmt zu sein. Schließlich kann er schreiben!

Ein Werk über das Wesen der Moral war sein Plan gewesen, als er aus einem Provinznest in die intellektuelle Hochburg Triest aufbrach. Angekommen in der Handelsmetropole, muss er sich aus lebenspraktischen Gründen erst einmal in einer Bank verdingen und landet in den Niederungen des Alltags: intrigante Kollegen, gehässige Vorgesetzte, ein armseliges Dasein als Kostgänger bei der Familie Lanucci.

Sein revolutionäres philosophisches Werk bietet dem Provinzler Zuflucht, nur gestaltet sich die Abfassung doch viel mühseliger, als er dachte. Dass das Denken so anstrengend ist! Immerhin verschafft ihm seine exklusive Freizeitbeschäftigung den Zutritt zu den literarischen Kreisen der Hafenstadt. Hier lernt Alfonso die Tochter seines Vorgesetzten Annetta kennen, verfällt dem kühl-kapriziösen Mädchen mit Haut und Haaren, hängt seine philosophischen Ambitionen an den Nagel und konzentriert sämtliche geistige Kräfte auf die Eroberung der jungen Frau. Dass Annetta ihn lediglich als Ratgeber und Freund benötigt und liebestechnisch weitaus weniger involviert ist, übersieht er geflissentlich. Als ihm die Angelegenheit zu kompliziert wird und er unschlüssig ist, ob er Annetta tatsächlich heiraten soll, legt er die typischen Svevoschen Eigenschaften an den Tag: Er erweist sich als verzagter Zögerer und sieht sich außer Stande, die Wirklichkeit handelnd zu gestalten. Stattdessen tritt er einen längeren Aufenthalt in seinem Dorf an. Bei seiner Rückkehr nach Triest muss er feststellen, dass sich die Freundin längst mit einem anderen verlobt hat. Den Anfechtungen des kruden Büroalltags nicht mehr gewachsen, mündet Alfonsos Rückzugsobsession in den Selbstmord.

"Ein Leben" ist das Debüt des Triestiner Schriftstellers Italo Svevo (1861-1928), der mit bürgerlichem Namen Ettore Schmitz hieß und zur Zeit der Niederschrift des Romans bereits seit zwölf Jahren Korrespondent für Deutsch und Französisch bei einer Bank war. Sein auf eigene Kosten 1892 veröffentlichter Erstling ging zu seinem Kummer allerdings sang- und klanglos unter.

Svevo, Sohn eines deutsch-jüdischen Kaufmanns, war in der Nähe von Würzburg zur Schule gegangen, stark durch die Lektüre deutschen Schriftsteller geprägt und 1878 nach Triest zurückgekehrt, damals Hafenmetropole des Habsburgischen Kaiserreichs. Er setzte seine Ausbildung an einer örtlichen Handelsschule fort. 1880 schrieb der jüngere Bruder in sein Tagebuch: "Ettore, mein Bruder, ist jetzt 18 Jahre alt. Er ist ein bisschen ein Dichter. Es scheint, dass er großes Talent besitzt. Er schreibt Verse". Noch im selben Jahr geriet der Vater in finanzielle Schwierigkeiten, sein Sohn musste einen Posten bei der Triestiner Niederlassung der Wiener Union-Bank antreten. È un po’ poeta - fast eine prophetische Aussage Elios, denn Italo Svevo war durch und durch Triestiner und konnte sich von der merkantilen Denkweise nicht befreien, Karriere zählte zu den Pflichten eines untadeligen Bürgers. Vielleicht war er aber auch ganz einfach feige. Und vielleicht waren die quälenden Zwänge der Arbeitswelt der Motor seines Schreibens. Denn er erfindet Helden, die Lebensflüchtlinge sind, unzufrieden und schicksalsergeben.

Nach der Veröffentlichung seines zweiten Romans, der ebenfalls keine Beachtung fand, schwor Svevo den künstlerischen Ambitionen gekränkt ab, heiratete die Fabrikantentochter Livia Veneziani und stieg – sogar mit Erfolg - in das auf Unterwasseranstriche spezialisierte Unternehmen seines Schwiegervaters ein. Er zwängt seinen behäbigen Leib in ein bürgerliches Korsett, das ihn vor den Korrosionsgefahren der Kunst schützt. "Zu dieser Stunde und unwiderruflich habe ich diese lächerliche und schädigende Sache, die man Literatur nennt, aus meinem Leben entfernt" schreibt er als Vierzigjähriger an sein "blondes Monstrum" Livia. Erst sein Englischlehrer James Joyce sollte Svevos Talent erkennen und ihn zu dem Roman anregen, der ihm schließlich den Durchbruch bringt: Zenos Gewissen (1923).

"Ein Leben" ist einer der ersten Angestelltenroman der Literaturgeschichte. Detailliert schildert Svevo die Geschäftspraxis der Bank, zeichnet die bürokratischen Vorgänge nach, porträtiert die Mitarbeiter bei ihren mediokren Versuchen, sich nach oben zu dienen. Anders als seinem Kollegen Luigi Miceni gelingt es Alfonso nie, die Papiere haarscharf mit der Tischkante in Übereinstimmung zu bringen. Svevo führt die Lebensuntauglichkeit ("Ein Untauglicher" lautete auch der Arbeitstitel seines Buches) seines Helden vor, der mit den entfremdeten Strukturen nicht zurechtkommt.

Doch obwohl sich Alfonso der Vereinnahmung widersetzt, löst seine Abscheu keinen Erkenntnisschub aus. Stattdessen flüchtet er sich zuerst in größenwahnsinnige Schriftstellerphantasien und dann in eine fatale Liebe. Seine Männlichkeit ist tief gespalten: seine Gefühle zu Annetta schwanken zwischen haltloser Idealisierung und Verachtung. Komödienähnlich nimmt Svevo die verknöcherten Sitten seiner Zeit ins Visier. Auf das unverhohlene Begehren der Männer reagieren Frauen dauernd mit "Unpässlichkeit" und bemühen sich, Heiratsfallen aufzustellen. Alfonso Nitti ist eine hoch ambivalente Figur, in sich zerrissen und gelähmt. Darin liegt seine Modernität. Nach "Zenos Gewissen" und "Senilità" hat die Übersetzerin Barbara Kleiner jetzt "Ein Leben" großartig neu übersetzt und erschließt uns den "italienischen Schwaben" in neuem Gewand.

Rezensiert von Maike Albath

Italo Svevo: Ein Leben
Aus dem Italienischen von Barbara Kleiner
Mit einem Nachwort von Edgar Sallager
Manesse Verlag
703 Seiten, 22, 90 Euro