"Größe ist, was im Herzen eines Menschen passiert"
Anlässlich des Abschieds von Fußballstar Oliver Kahn hat Christian Führer den Begriff eines Helden relativiert. Er würde Mutter Teresa, Albert Schweitzer oder die Trümmerfrauen nach dem Zweiten Weltkrieg so bezeichnen. Größe ginge vom Herzen aus und nicht von äußeren Merkmalen, so Führer.
Katrin Heise: Denken wir an Oliver Kahn. Oliver Kahn, er hat vieles von einem Helden, schon allein die Statur macht ihn ja zu einer wirklich sehr imposanten Figur. Er scheute sich nie, Verantwortung zu übernehmen und beispielhaft ein Ziel vor den Augen voranzugehen. Kritik und Prügel, das war er immer bereit einzustecken. Und wer seinen Abschied gestern verfolgt hat, na, der hatte das Gefühl, da geht einer, den wirklich viele, viele, viele für einen Helden halten. Die stehenden Ovationen wollten ja überhaupt kein Ende nehmen. Helden unserer Zeit, ein schwieriges Thema. Denn was wurde mit dem Wort Held nicht alles verbunden? Kriegshelden, Heldentod, aber auch Held der Arbeit. Helden unserer Zeit, das ist ein Thema, bei dem ich die Meinung wissen möchte von Christian Führer. Er war bis März diesen Jahres Pfarrer der Leipziger Nikolaikirche, seit 1982 begleitete und betreute die immer montags stattfindenden Friedensgebete, die '89 zu den Montagsdemos wurden. Herr Führer, ich grüße Sie! Oliver Kahn wurde wie ein Held gefeiert. Dabei ist er ja genau genommen eigentlich nur ein guter Fußballer oder Torwart eben gewesen, aber ein Titan. Verstehen Sie diese Heldenverehrung?
Christian Führer: Für Fußballanhänger ist das bestimmt eine Bezeichnung, mit der sie umgehen. Für mich ist der Begriff eines Helden eh etwas schwierig, muss ich sagen. Ich sehe zunächst einmal lieber einen Menschen in einem Menschen und was er für Qualitäten hat, das liegt nicht unbedingt darin, nur was er leistet im Sport oder in seinem Beruf, sondern da spielen für mich mehrere Faktoren eine Rolle.
Heise: Sie haben gesagt, Sie haben Schwierigkeiten mit dem Begriff Heldentum oder Held. Warum?
Führer: Ja, das ist zu oft in der Geschichte missbraucht worden, besonders von totalitären Staaten, wenn wir an die Nazis denken. Heldenverehrungen, Heldengedenken, Heldenfriedhofsbilder sind doch immer dann nur kriegsverherrlichende Dinge. Das Völkerschlachtdenkmal in Leipzig, für mich auch gewissermaßen etwas problematisch. Mit dieser Heldendarstellung habe ich Mühe, weil die Helden, die in der Geschichte verehrt wurden, meistens sich nicht groß unterschieden von Massenmördern und im Krieg ihre Lorbeeren errungen haben, indem sie anderes Leben vernichtet haben. Und Leute wie Mutter Teresa, Albert Schweitzer, auf die wird eigentlich kaum das Wort Held verwendet, obwohl ich das zum Beispiel für wichtig hielte, oder zum Beispiel die Trümmerfrauen, die 1945 aus dem Dreck und Schutt des Krieges Stein für Stein wieder das Leben aufgebaut haben, Häuser gebaut haben. Wenn das Wort Held, dann würde ich die Trümmerfrauen, Albert Schweitzer oder Mutter Teresa so bezeichnen. Aber ich sehe, dass das nicht geschieht.
Heise: Würden Sie denn sagen, wenn Sie jetzt mal jemanden suchen würden aus unserer Zeit, aus der Jetztzeit aus dem Jahr 2008, sehen Sie da einen Helden, eine Heldin?
Führer: In der Gegenwart ist es immer schwierig, mit Helden zu hantieren. Ich sehe, dass es Menschen gibt, die ich für bedeutend halte in vielen Bereichen. Vielleicht könnte ich mal sagen, was ich überhaupt unter dem Begriff verstehe, einer Größe eines Menschen, möchte ich mal so definieren, wenn die Visionen über das Mittelmaß und der Glaube über das Berechenbare siegt. Die Größe geht vom Herzen aus, nicht von äußeren Merkmalen. Und da gibt es schon auch in der Gegenwart etliche Leute, wo ich sagen würde, da trifft das zu. Das Ganze, Held und Sieg, das ist dermaßen strapaziert worden. Und ich bin richtig froh, dass wir die friedliche Revolution von 1989, Einheit Deutschlands, diesmal ohne Krieg und Sieg. Das ist eine neue Dimension von Größe, die nicht mit dem Wort Helden für mich so richtig zusammenpasst.
Heise: Für nicht wenige Menschen sind aber beispielsweise Sie ein Held der Wendezeit. Wie gehen Sie denn dann mit dieser Auszeichnung um?
Führer: Ja, wir haben ja von Christoph Hein auch den Begriff gehabt, der sehr gut gemeint war, Leipzig als Heldenstadt. Aber ich denke, das passt nicht so richtig zu dieser friedlichen Revolution, so gut, wie es auch gemeint ist. Ich würde, statt von Helden, lieber von Größe sprechen bzw. von einer Sache, die in einen Menschen hineingekommen ist, der sich selbst vielleicht nicht dazu überhaupt berufen fühlte, sondern der es geworden ist im Laufe der Ereignisse. Und ich denke, das Wichtige ist von Größe, was im Herzen eines Menschen passiert. Das bestimmt sein Denken, sein Reden, sein Tun. Und da ist für mich der Ort von Größe und auch von vorbildhaft. Ich komme jetzt mehr auf den Begriff des Vorbildes zu. Vorbilder, denke ich, sind ganz wichtig, die sind wichtig auch für die Jugend, die heranwächst, Vorbilder, die nicht aus der Comic- und Monsterwelt und aus den allgegenwärtigen Gewaltverherrlichungen stammen. Und das haben wir in der Bibel zum Beispiel bei David und Goliath. Und das sind natürlich Dinge, die auch in der Welt wichtig sind, dass wir diese Beispiele haben, wo die Größe nicht in der Größe liegt und von vornherein klar ist, wer der Sieger ist, sondern dass plötzlich das Überraschende passiert, dass plötzlich sich Größe erweist an einer Stelle, wo man sie nicht erwartet. Und das ist dann genauso zum Beispiel diese friedliche Revolution von 1989. Wir sind das Volk, keine Gewalt, und plötzlich ist etwas Großes geschehen, etwas, was man nicht für möglich hielt.
Heise: Sie sprechen lieber von Vorbildern, Sie sprechen lieber von Größe. Sie haben damals ja tatsächlich sich den Menschen auch vorangestellt. Sie haben gesagt, der Moment hat es eben erfordert. Sie haben mit Ihrer Beharrlichkeit zum Durchhalten animiert und den aufrechten Gang in die Demokratie mit vorangetrieben, so hieß auch eine Auszeichnung, die Sie erhalten haben. Haben Sie da empfunden, dass es von Ihnen jetzt auch gefordert ist und erforderlich ist, da in einer Art und Weise Verantwortung zu übernehmen, Größe zu zeigen, die Sie vielleicht von sich selber vorher gar nicht erwartet hatten?
Führer: Sich der Situation zu stellen und dann die Kraft zu bekommen, muss ich sagen, auch die Kraft Gottes, des Geistes zu bekommen, dass dann durchzuhalten, sich einzusetzen, zu sagen, das muss jetzt getan werden und wer soll es jetzt tun. Wollen wir da noch warten, bis da jemand herbeikommt? Wenn die Aufgabe klar ist, wenn die Situation heran ist, muss es Menschen geben, die dann entsprechend handeln, und da bin ich einfach wirklich dankbar, dass das trotz der großen Angst, die ich immer hatte, dass da doch einiges geschehen ist. Und ich kann das nur als Gnade Gottes empfinden, dass man zu den Dingen, die gemacht werden mussten, dann auch die Kraft hatte, sie zu tun, den aufrechten Gang in der Kirche gelernt, die Angst zu überwinden. Und dann sind wir gemeinsam herausgegangen und konnten dann der Situation die Stirn bieten.
Heise: Über Helden oder Heldentum, besser als Größe oder Verantwortungsbewusstsein bezeichnet, spreche ich mit Christian Führer, dem Pfarrer, dem ehemaligen Pfarrer der Leipziger Nikolaikirche. Herr Führer, Sie haben es ja schon eben erwähnt. Im Film, im Fernsehen, im Comic usw., da wimmelt es nur so von Helden, eigentlich auch von Superhelden, das heißt doch aber auch ein Bedürfnis nach diesen Menschen, nach diesen Übermenschen ist da in der Gesellschaft?
Führer: Ja, das ist das Bedürfnis. Ich würde sagen, das Bedürfnis nach Vorbildern, nach echten Vorbildern, die sich nicht mit dem Mittelmaß begnügen, ich würde sagen, die eine Vision haben und die mit dieser Vision heraustreten aus der Schar derer, die nur an das nächstliegende Materielle denken, an sich denken und sich nicht so sehr verantwortlich fühlen für andere. Und diese mutmachenden Beispiele, die brauchen wir. Paulus sagt einmal, meine Kraft spricht Gott, ist in den Schwachen mächtig. Und das ist natürlich eine unerhörte Sache, weil viele Menschen schwach sind, wir alle irgendwo schwach sind, Angst haben. Und wenn dann geschieht, dass ein Schwacher oder Ängstlicher plötzlich stark wird, dass er etwas leistet, was er sich überhaupt nicht zugetraut hat, was keiner von ihm erwartet hat, das macht vielen Mut. Ein Held im herkömmlichen Sinne, der eh so schon von außen zu erkennen ist, dem alle Möglichkeiten zur Verfügung stehen, da sagt sich der normale Mensch, ja, mit dem kann ich mich eh nicht identifizieren. Aber ein Mensch, der ein normales Leben führt, der in der Reihe der anderen steht, der nicht über die anderen hinausragt, der genauso Angst hat wie andere, der genauso fühlt wie andere und dann so ein Mensch plötzlich die Kraft hat, herauszukommen.
Heise: Aber er muss auch herauskommen, weil ansonsten wird die Stelle, diese Leerstelle, das, was die Gesellschaft braucht eben an Vorbildern eventuell besetzt von den falschen Helden, von Leuten, die eben wissen, wie sie sich in den Vordergrund spielen können, wie sie Leute an sich binden können, wie sie eine Führerschaft übernehmen können.
Führer: Ja, das denke ich, das würde ich genauso sehen. Die müssen dann sich herausrufen lassen, müssen das auch wahrnehmen. Ja, ich denke, heute ist vielleicht das Wort Star mehr als Held im Gebrauch. Aber was wir da zum Beispiel in diesen ganzen elektronischen, in dieser virtuellen Welt vorgeführt bekommen, das ist ja eigentlich wirklich nur die platte Draufhaugewalt, die sich durchsetzt und das, denke ich, ist ganz gefährlich für Kinder und Jugendliche, das sind die falschen Vorbilder, das sind die falschen Helden.
Heise: Das heißt, man muss aber auch, wenn man das in sich spürt, man muss aber doch dazu stehen und auch Held sein wollen?
Führer: Ja, man muss sich der Situation stellen und wird dann tatsächlich herausgerufen aus der Masse, und das muss man dann auch wollen, das ist richtig, selbst wenn man Angst hat. Wenn die Notwendigkeit so groß ist, wenn man sagt, das muss jetzt gemacht werden, das muss man auch wollen, das ist völlig richtig.
Heise: In einer Gesellschaft wie der unsrigen, auch in einer Demokratie, ist es ja eigentlich nicht unbedingt gewollt und gewünscht, sich aus der Masse herauszuheben?
Führer: Ja, es werden in jeder Gesellschaft, sowohl in der Diktatur als auch in der Wirtschaft, jetzt in dieser globalisierten Gesellschaft, da ist viel verlangt an Anpassung, Mitmachen, Funktionieren. Und es ist natürlich bequemer und einfacher für alle Seiten, dem zu entsprechen, was verlangt wird. Aber da kommt unsere Welt nicht voran. Und das ist vor allen Dingen etwas, was wir immer wieder in der Erziehung versuchen, Jugendlichen und Kindern beizubringen, den Mut, selbstständig zu denken, den Mut, das, was man denkt, auch auszusprechen, da gehört schon mehr Mut dazu. Und der größte Mut gehört dazu, das, was man denkt und was man sagt, auch zu tun. Das sind für mich dann die eigentlichen Helden, wenn Sie so wollen, die dazu in der Lage sind, selber zu denken, selber zu sprechen und auch für andere zu sprechen, der Mund der Stummen zu sein, Verantwortung zu übernehmen und im Handeln nicht danach denken, wie es einem geht, ob man damit Vorteile hat oder ob man Nachteile hat, sondern auch so zu handeln, wie es die Notwendigkeit erfordert.
Heise: Was ist ein Held? Aus Sicht des ehemaligen Pfarrers der Leipziger Nikolaikirche, Christian Führer. Herr Früher, ich danke Ihnen ganz herzlich für dieses Gespräch!
Führer: Bitte sehr!
Christian Führer: Für Fußballanhänger ist das bestimmt eine Bezeichnung, mit der sie umgehen. Für mich ist der Begriff eines Helden eh etwas schwierig, muss ich sagen. Ich sehe zunächst einmal lieber einen Menschen in einem Menschen und was er für Qualitäten hat, das liegt nicht unbedingt darin, nur was er leistet im Sport oder in seinem Beruf, sondern da spielen für mich mehrere Faktoren eine Rolle.
Heise: Sie haben gesagt, Sie haben Schwierigkeiten mit dem Begriff Heldentum oder Held. Warum?
Führer: Ja, das ist zu oft in der Geschichte missbraucht worden, besonders von totalitären Staaten, wenn wir an die Nazis denken. Heldenverehrungen, Heldengedenken, Heldenfriedhofsbilder sind doch immer dann nur kriegsverherrlichende Dinge. Das Völkerschlachtdenkmal in Leipzig, für mich auch gewissermaßen etwas problematisch. Mit dieser Heldendarstellung habe ich Mühe, weil die Helden, die in der Geschichte verehrt wurden, meistens sich nicht groß unterschieden von Massenmördern und im Krieg ihre Lorbeeren errungen haben, indem sie anderes Leben vernichtet haben. Und Leute wie Mutter Teresa, Albert Schweitzer, auf die wird eigentlich kaum das Wort Held verwendet, obwohl ich das zum Beispiel für wichtig hielte, oder zum Beispiel die Trümmerfrauen, die 1945 aus dem Dreck und Schutt des Krieges Stein für Stein wieder das Leben aufgebaut haben, Häuser gebaut haben. Wenn das Wort Held, dann würde ich die Trümmerfrauen, Albert Schweitzer oder Mutter Teresa so bezeichnen. Aber ich sehe, dass das nicht geschieht.
Heise: Würden Sie denn sagen, wenn Sie jetzt mal jemanden suchen würden aus unserer Zeit, aus der Jetztzeit aus dem Jahr 2008, sehen Sie da einen Helden, eine Heldin?
Führer: In der Gegenwart ist es immer schwierig, mit Helden zu hantieren. Ich sehe, dass es Menschen gibt, die ich für bedeutend halte in vielen Bereichen. Vielleicht könnte ich mal sagen, was ich überhaupt unter dem Begriff verstehe, einer Größe eines Menschen, möchte ich mal so definieren, wenn die Visionen über das Mittelmaß und der Glaube über das Berechenbare siegt. Die Größe geht vom Herzen aus, nicht von äußeren Merkmalen. Und da gibt es schon auch in der Gegenwart etliche Leute, wo ich sagen würde, da trifft das zu. Das Ganze, Held und Sieg, das ist dermaßen strapaziert worden. Und ich bin richtig froh, dass wir die friedliche Revolution von 1989, Einheit Deutschlands, diesmal ohne Krieg und Sieg. Das ist eine neue Dimension von Größe, die nicht mit dem Wort Helden für mich so richtig zusammenpasst.
Heise: Für nicht wenige Menschen sind aber beispielsweise Sie ein Held der Wendezeit. Wie gehen Sie denn dann mit dieser Auszeichnung um?
Führer: Ja, wir haben ja von Christoph Hein auch den Begriff gehabt, der sehr gut gemeint war, Leipzig als Heldenstadt. Aber ich denke, das passt nicht so richtig zu dieser friedlichen Revolution, so gut, wie es auch gemeint ist. Ich würde, statt von Helden, lieber von Größe sprechen bzw. von einer Sache, die in einen Menschen hineingekommen ist, der sich selbst vielleicht nicht dazu überhaupt berufen fühlte, sondern der es geworden ist im Laufe der Ereignisse. Und ich denke, das Wichtige ist von Größe, was im Herzen eines Menschen passiert. Das bestimmt sein Denken, sein Reden, sein Tun. Und da ist für mich der Ort von Größe und auch von vorbildhaft. Ich komme jetzt mehr auf den Begriff des Vorbildes zu. Vorbilder, denke ich, sind ganz wichtig, die sind wichtig auch für die Jugend, die heranwächst, Vorbilder, die nicht aus der Comic- und Monsterwelt und aus den allgegenwärtigen Gewaltverherrlichungen stammen. Und das haben wir in der Bibel zum Beispiel bei David und Goliath. Und das sind natürlich Dinge, die auch in der Welt wichtig sind, dass wir diese Beispiele haben, wo die Größe nicht in der Größe liegt und von vornherein klar ist, wer der Sieger ist, sondern dass plötzlich das Überraschende passiert, dass plötzlich sich Größe erweist an einer Stelle, wo man sie nicht erwartet. Und das ist dann genauso zum Beispiel diese friedliche Revolution von 1989. Wir sind das Volk, keine Gewalt, und plötzlich ist etwas Großes geschehen, etwas, was man nicht für möglich hielt.
Heise: Sie sprechen lieber von Vorbildern, Sie sprechen lieber von Größe. Sie haben damals ja tatsächlich sich den Menschen auch vorangestellt. Sie haben gesagt, der Moment hat es eben erfordert. Sie haben mit Ihrer Beharrlichkeit zum Durchhalten animiert und den aufrechten Gang in die Demokratie mit vorangetrieben, so hieß auch eine Auszeichnung, die Sie erhalten haben. Haben Sie da empfunden, dass es von Ihnen jetzt auch gefordert ist und erforderlich ist, da in einer Art und Weise Verantwortung zu übernehmen, Größe zu zeigen, die Sie vielleicht von sich selber vorher gar nicht erwartet hatten?
Führer: Sich der Situation zu stellen und dann die Kraft zu bekommen, muss ich sagen, auch die Kraft Gottes, des Geistes zu bekommen, dass dann durchzuhalten, sich einzusetzen, zu sagen, das muss jetzt getan werden und wer soll es jetzt tun. Wollen wir da noch warten, bis da jemand herbeikommt? Wenn die Aufgabe klar ist, wenn die Situation heran ist, muss es Menschen geben, die dann entsprechend handeln, und da bin ich einfach wirklich dankbar, dass das trotz der großen Angst, die ich immer hatte, dass da doch einiges geschehen ist. Und ich kann das nur als Gnade Gottes empfinden, dass man zu den Dingen, die gemacht werden mussten, dann auch die Kraft hatte, sie zu tun, den aufrechten Gang in der Kirche gelernt, die Angst zu überwinden. Und dann sind wir gemeinsam herausgegangen und konnten dann der Situation die Stirn bieten.
Heise: Über Helden oder Heldentum, besser als Größe oder Verantwortungsbewusstsein bezeichnet, spreche ich mit Christian Führer, dem Pfarrer, dem ehemaligen Pfarrer der Leipziger Nikolaikirche. Herr Führer, Sie haben es ja schon eben erwähnt. Im Film, im Fernsehen, im Comic usw., da wimmelt es nur so von Helden, eigentlich auch von Superhelden, das heißt doch aber auch ein Bedürfnis nach diesen Menschen, nach diesen Übermenschen ist da in der Gesellschaft?
Führer: Ja, das ist das Bedürfnis. Ich würde sagen, das Bedürfnis nach Vorbildern, nach echten Vorbildern, die sich nicht mit dem Mittelmaß begnügen, ich würde sagen, die eine Vision haben und die mit dieser Vision heraustreten aus der Schar derer, die nur an das nächstliegende Materielle denken, an sich denken und sich nicht so sehr verantwortlich fühlen für andere. Und diese mutmachenden Beispiele, die brauchen wir. Paulus sagt einmal, meine Kraft spricht Gott, ist in den Schwachen mächtig. Und das ist natürlich eine unerhörte Sache, weil viele Menschen schwach sind, wir alle irgendwo schwach sind, Angst haben. Und wenn dann geschieht, dass ein Schwacher oder Ängstlicher plötzlich stark wird, dass er etwas leistet, was er sich überhaupt nicht zugetraut hat, was keiner von ihm erwartet hat, das macht vielen Mut. Ein Held im herkömmlichen Sinne, der eh so schon von außen zu erkennen ist, dem alle Möglichkeiten zur Verfügung stehen, da sagt sich der normale Mensch, ja, mit dem kann ich mich eh nicht identifizieren. Aber ein Mensch, der ein normales Leben führt, der in der Reihe der anderen steht, der nicht über die anderen hinausragt, der genauso Angst hat wie andere, der genauso fühlt wie andere und dann so ein Mensch plötzlich die Kraft hat, herauszukommen.
Heise: Aber er muss auch herauskommen, weil ansonsten wird die Stelle, diese Leerstelle, das, was die Gesellschaft braucht eben an Vorbildern eventuell besetzt von den falschen Helden, von Leuten, die eben wissen, wie sie sich in den Vordergrund spielen können, wie sie Leute an sich binden können, wie sie eine Führerschaft übernehmen können.
Führer: Ja, das denke ich, das würde ich genauso sehen. Die müssen dann sich herausrufen lassen, müssen das auch wahrnehmen. Ja, ich denke, heute ist vielleicht das Wort Star mehr als Held im Gebrauch. Aber was wir da zum Beispiel in diesen ganzen elektronischen, in dieser virtuellen Welt vorgeführt bekommen, das ist ja eigentlich wirklich nur die platte Draufhaugewalt, die sich durchsetzt und das, denke ich, ist ganz gefährlich für Kinder und Jugendliche, das sind die falschen Vorbilder, das sind die falschen Helden.
Heise: Das heißt, man muss aber auch, wenn man das in sich spürt, man muss aber doch dazu stehen und auch Held sein wollen?
Führer: Ja, man muss sich der Situation stellen und wird dann tatsächlich herausgerufen aus der Masse, und das muss man dann auch wollen, das ist richtig, selbst wenn man Angst hat. Wenn die Notwendigkeit so groß ist, wenn man sagt, das muss jetzt gemacht werden, das muss man auch wollen, das ist völlig richtig.
Heise: In einer Gesellschaft wie der unsrigen, auch in einer Demokratie, ist es ja eigentlich nicht unbedingt gewollt und gewünscht, sich aus der Masse herauszuheben?
Führer: Ja, es werden in jeder Gesellschaft, sowohl in der Diktatur als auch in der Wirtschaft, jetzt in dieser globalisierten Gesellschaft, da ist viel verlangt an Anpassung, Mitmachen, Funktionieren. Und es ist natürlich bequemer und einfacher für alle Seiten, dem zu entsprechen, was verlangt wird. Aber da kommt unsere Welt nicht voran. Und das ist vor allen Dingen etwas, was wir immer wieder in der Erziehung versuchen, Jugendlichen und Kindern beizubringen, den Mut, selbstständig zu denken, den Mut, das, was man denkt, auch auszusprechen, da gehört schon mehr Mut dazu. Und der größte Mut gehört dazu, das, was man denkt und was man sagt, auch zu tun. Das sind für mich dann die eigentlichen Helden, wenn Sie so wollen, die dazu in der Lage sind, selber zu denken, selber zu sprechen und auch für andere zu sprechen, der Mund der Stummen zu sein, Verantwortung zu übernehmen und im Handeln nicht danach denken, wie es einem geht, ob man damit Vorteile hat oder ob man Nachteile hat, sondern auch so zu handeln, wie es die Notwendigkeit erfordert.
Heise: Was ist ein Held? Aus Sicht des ehemaligen Pfarrers der Leipziger Nikolaikirche, Christian Führer. Herr Früher, ich danke Ihnen ganz herzlich für dieses Gespräch!
Führer: Bitte sehr!