Grölende Griechen, röhrende Amazonen

Von Martin Burkert · 10.06.2010
In Roger Vontobels Inszenierung von Heinrich von Kleists Drama dominieren Text und vor allem Töne. Er verwandelt das Stück in eine Art "Canto General" über Krieg und Liebe, Frauenstaat und Machismo, äußere Gesetze und innere Zerrissenheit.
Die letzte Premiere der Ruhrfestspiele 2010 kommt aus Hamburg. Das unter dem Motto "Kontinent Kleist im romantischen Meer" segelnde Festival zeigt mit "Penthesilea" bereits die siebte Aufführung eines Kleist-Stücks und gibt sich traditionsbewusst.

Denn es war, kurz nach dem zweiten Weltkrieg, der berühmte Tausch "Kunst gegen Kohle", mit dem Recklinghäuser Bergleute der Hamburger Bühne über den Winter geholfen und die Schauspieler des Theaters mit ihrem Dankgastspiel die Ruhrfestspiele ins Leben gerufen haben.

Eine traditionelle Aufführung ist von dem 1977 geborenen Regisseur Roger Vontobel nicht zu erwarten. Er fiel in den letzten Jahren durch bildstarke und effektenreiche Inszenierungen auf.

Bei "Penthesilea" setzt er weniger auf Bilder, denn auf Texte und Töne. Er verwandelt das sperrigen Drama in eine Art "Canto General" über Krieg und Liebe, Frauenstaat und Machismo, äußere Gesetze und innere Zerrissenheit.

Zunächst überrascht die karge Ausstattung: ein paar Stühle, davor Mikrofone, rechts zwei Musiker, links ein Soundmanager am Laptop. Die Spielfläche ist stark verkleinert durch ein Zuschauerpodest auf der Bühne. Dafür sind im eigentlichen Zuschauerraum Stühle abgebaut. Das Spiel findet zwischen dem Publikum statt.

Zu Beginn nehmen fünf Frauen und vier Männer Platz im schwarzen Frack und silberner Fliege. Mit Mikrofonen imitieren sie Schüsse, Flugzeuge, Hundegebell, Pferdegetrappel und Nachrichten. Aus dem Soundteppich startet die Erzählung der Kriegsereignisse.

Vor Troja kämpfen die Amazonen sowohl gegen Griechen als Trojaner. Sie wollen Männer fangen und mit nach Hause nehmen zum "Fest der Rosen". Diese Begattungsorgie soll dem Frauenstaat Nachwuchs bescheren. Die Männer und männlichen Kinder werden anschließend dem Orkus übergeben oder bekränzt nach Hause geschickt.

Dabei gibt es als eisernes Gesetz: keine Gefühle. Eine echte Amazone vereint sich nur mit dem Mann, den sie besiegt hat. Ausgerechnet die Königin Penthesilea verstößt dagegen. Sie verliebt sich in Achill. Und der in sie.

Der verbotene Gefühlsschwall ist bei der Inszenierung Auslöser für harte Rockmusik. "Heil dir Achill", grölen die Griechen ins Mikrophon, "Who's the Queen?" röhren die Amazonen. Penthesilea springt im oberen Rang sportlich gewagt von einem Balkon zum nächsten und Achill zankt sich mit Odysseus.

Die energiegeladenen Auseinandersetzungen kommen zur Ruhe bei der ersten Liebesszene. Penthesilea denkt, dass sie Achill besiegt hat. Die beiden Kämpfernaturen werden fast sanft. Eine Videokamera projiziert die Gesichter schonungslos, hart und doch zart auf großer Leinwand. Die Vertrautheit endet, wenn Penthesilea von ihrer Niederlage erfährt. Jetzt wird es wieder rau, rockig und blutig.

Jana Schulz spielt die Penthesilea zunächst mit überhohem Druck. Erst in der Liebesszene findet sie Zwischentöne und eine andere, gelassenere Seite.

Markus John als Achill ist deutlich souveräner. Mit seiner wuchtigen Statur und den fettigen, langen Haaren, die ihn eher wie einen Gangster wirken lassen, verkörpert er glaubhaft sowohl den kriegserprobten Haudegen als den wahrhaft Liebenden.

Dass Penthesilea ihn mit Hunden zu Tode hetzen könnte, ahnt er und will es nicht glauben. Der tragische Schluss wird nur als Bild zitiert. Eine blutüberströmte Penthesilea zeigt das Unfassbare. Sie ist sinnlos in den Krieg gezogen und hat den getötet, den sie liebte. Dann spricht sie vom Dolch, den sie sich in die Brust stoße und verlässt die Bühne.

Auf die Schlusswahrheiten des unglücklichen Heinrich von Kleist, dessen "Penthesilea" erst 65 Jahren nach seinem Tod zur Uraufführung kam, wird verzichtet. Auch sonst sind einige tragische Momente des Trauerspiels unter den Klangteppich gekehrt.

Aber das große Problem des Stückes, dass Handlungen und Kriegsgeschehnisse nur "reinerzählt" werden, haben Regie und Ensemble mit dieser musikalischen Inszenierung kräftig und originell in den Griff bekommen.

Die nächsten Aufführungen: Freitag, 11. Juni um 20.00 Uhr, Samstag, 12. Juni und Sonntag 13. Juni, jeweils um 18.00 Uhr im Ruhrfestspielhaus Recklinghausen. Ab dem 9. September 2010 ist das Stück dann im Hamburger Schauspielhaus zu sehen.


Zum Thema: Homepage der Ruhrfestspiele Recklinghausen