Griff nach den Sternen

Von Werner Nording |
Nach dem Zweiten Weltkrieg versuchten sich die USA und die Sowjetunion gegenseitig beim Flug ins All zu überbieten. Die ARD-Dokumentation „Wettlauf zum Mond“ zeichnet dabei den Weg der maßgeblichen Männer nach: Wernher von Braun auf amerikanischer und Sergej Koroljow auf sowjetischer Seite.
Irgendwo in Belgien 1945. Um den Krieg doch noch zu gewinnen, befiehlt Hitler den Einsatz der mörderischen V2-Rakete. Vier mal schneller als der Schall fliegt die Wunderwaffe durch das All, bevor sie einschlägt. Nur sechs Minuten benötigt die Terrorrakete für die 320 Kilometer nach London.

Das V steht für Vergeltungswaffe. Diese Technologie, die der Raketenspezialist Wernher von Braun für die Nazis entwickelt hatte, ist den Alliierten um 25 Jahre voraus.

So beginnt die vierteilige Dokumentation „Wettlauf zum Mond“, die heute Abend in der ARD anläuft. Produziert wurde die Serie von der BBC. Beteiligt haben sich neben dem norddeutschen Rundfunk auch Fernsehsender aus Russland und den USA, sagt die BBC-Autorin und Producerin Deborah Cadbury.

„Angefangen sind wir mit dem Wettlauf, den sich Russland und die USA am Ende des Zweiten Weltkriegs geliefert haben, um die deutsche V2 Rakete in die Hand zu bekommen. Die Geheimdienste beider Länder versuchten Hitlers Raketenspezialisten Wernher von Braun gefangen zu nehmen, der die V2 entwickelt hatte. Damit sind wir angefangen und wir erzählen die Geschichte dann bis zur ersten Mondlandung.“

Letztlich ist der Wettlauf zum Mond ein Wettlauf zweier Gesellschaftssysteme in den 50er und 60er Jahren, ein Wettlauf im Kalten Krieg zwischen Kapitalismus und Sozialismus. Dabei ging es ums Überleben, denn wer die besseren Raketen hatte, konnte den anderen vernichten, sagt der NDR Fernseh-Kulturchef Thomas Schreiber.

„Dieser Wettlauf der Systeme wird ja verkörpert von zwei großartigen Ingenieuren, dem Deutschen Wernher von Braun, der in Amerika seiner Nazi-Vergangenheit entkommen konnte, und dem Russen Sergej Koroljow, für den der Wettlauf zum Mond die Befreiung aus dem Gulag, wo er vorher war, bedeutete. Wo haben Sie in der Geschichte ein Ereignis, wo nicht nur zwei Systeme miteinander kämpfen, sondern zwei Männer? Das gibt es in der Geschichte nur ganz selten.“

In der emotional und spannend erzählten Fernsehdokumentation wird der Zuschauer gefesselt von den Träumen der beiden Protagonisten. Da ist einmal Wernher von Braun, dessen Vision es ist, zum Mond zu fliegen.

„Mars, Venus, wenn die Raketentechnik nicht in falsche Hände fällt, wird das für die zivilisierte Welt revolutionäre Auswirkungen haben. Die Raumfahrt, der Vorstoß ins All ist für mich schon seit langem der Sinn meines Lebens, ich habe das Tor zum Himmel aufgestoßen.“

Dann ist da russische Spezialist Koroljow, der schnell erkennt, dass die V2-Technik der Deutschen veraltet ist. Er hat die Idee für eine neue Technologie.

„Wir werden eine neue Rakete entwickeln, leichter und leistungsfähiger, mit einer separaten Spitze. Wenn die Treibstofftanks leer sind, wird die Kapsel abgetrennt, die Rakete fällt also weg, die Kapsel ist jetzt leichter, fliegt schneller und weiter. Wir müssen nur eine Kapsel entwerfen, die der Hitze beim Wiedereintritt standhält.“

Am 4. Oktober 1957 piepst Sputnik im All. Mitten im Kalten Krieg ein Schock für die Amerikaner und den Westen, eine Demütigung für das reichste Land der Welt.

Die Dokumentation „Wettlauf zum Mond“ beruht auf realen Ereignissen und Personen. Auch die Nazi-Vergangenheit Wernher von Brauns wird nicht ausgespart, wie in diesem Verhör durch einen amerikanischen Offizier. Im V2 Bergwerk Bleicherode im Harz hatte von Braun persönlich KZ-Häftlinge für die Raketenproduktion ausgesucht.

Spielszene:
Offizier: „Waren Sie Mitglied der NSDAP? "
Braun: " Ja, das war ich. "
Offizier: " Und der SS? "
Braun: " Ja ich war bei Kriegende Offizier der SS, aber die Uniform hab ich nie getragen, ich war Ingenieur. "
Offizier: " Aber Sie waren Parteimitglied und sie hatten Treffen mit Heinrich Himmler und Adolf Hitler? "
Braun: " Gelegentlich, äußerst selten. "
Offizier: " Aber es dürfte Ihnen doch nicht entgangen sein, dass hier V2 Raketen in Massen produziert wurden? "
Braun: " Ohne meine Beteiligung, ich war für die Forschung in Peenemünde zuständig, ich war nur kurze Zeit hier, bevor wir nach Süden verlegt wurden. "
Offizier: " Haben Sie denn die Lager nicht gesehen? "
Braun: " Es wäre ein anderer an meine Stelle getreten, wenn ich mich geweigert hätte.“

Die Amerikaner interessiert die Nazi-Vergangenheit von Brauns nicht. Sie brauchen den Spezialisten, um den Vorsprung der Russen in der Raketentechnologie wettzumachen.

Die besondere Leistung der Dokumentation ist, dass Russen und Amerikaner beim Wettlauf zum Mond gleichberechtigt behandelt werden. Die Regisseurin Cadbury konnte auf bislang unbekanntes Archivmaterial in Russland zurückgreifen.

„Wir können in dem Film zum ersten Mal auch die russische Sicht des Wettlaufs zum Mond erzählen, der Kreml hatte die Identität des Chef-Ingenieurs für das russische Raketenprogramm Sergej Koroljow sein Leben lang geheimgehalten, aus Angst, dass der amerikanische Geheimdienst ihn töten könnte. Dieser Chefingenieur durfte seine wissenschaftlichen Arbeiten nicht veröffentlichen, er trat niemals in der Öffentlichkeit auf, sein Name wurde aus dem Einwohnermelderegister gestrichen.

In dieser Dokumentation konnten wir zum ersten Mal Aussagen seiner Freunde und Kollegen verarbeiten oder von seiner Familie, so haben wir ein besseres Bild von diesem außergewöhnlichen Wissenschaftler bekommen. Wir haben herausgefunden, dass Stalin Koroljow während des Zweiten Weltkriegs im Gefangenenlager Gulag eingesperrt hatte, wo er nur knapp dem Tode entging. In der Dokumentation begleiten wir seinen Lebensweg bis zu seinen triumphalen Erfolgen, als die Russen den ersten Sputnik ins Weltall schossen, der erste Mensch die Erde umkreiste und zeigen, welche Anstrengungen die Russen für den Wettlauf zum Mond unternahmen.“

Service:
Der 1. Teil: der vierteiligen Dokumentation läuft heute Abend um 21 Uhr in der ARD.