Griechischer Aufklärer

Von Stefan Berkholz |
Petros Markaris ist der Sohn einer Griechin und eines Armeniers. Er wuchs in Istanbul auf, ging später auf eine deutsche Schule. So kann er sich heute in drei Sprachen fließend verständigen. Seine Literatur verfasst er auf Griechisch. Mit seinem Kommissar Kostas Charitos hat er seit ein paar Jahren so etwas wie eine Kultfigur geschaffen. Über den Umweg Deutschland gelangte ihr Ruf wieder zurück zu seinem Schöpfer nach Griechenland. Am 1. Januar wurde Petros Markaris 70 Jahre alt. Unser Mitarbeiter Stefan Berkholz traf ihn kürzlich in Athen.
Petros Markaris hat sich ein ruhiges Viertel in Athen ausgesucht. In seiner Wohnung, Neubau, dritter Stock, fünf U-Bahnstationen vom Zentrum entfernt, ist vom Lärm der griechischen Metropole kaum etwas zu hören. Markaris genießt die Ruhe – und die Distanz, auch wenn er es nicht weit bis zur Akropolis hat.

„Ich muss sagen, ich fühle mich oft unter den Griechen nicht als Grieche. Ich hab eine vollkommen andere Mentalität. Aber ich bin ein sehr guter Beobachter und das hab ich bei Brecht gelernt. Ich mag beobachten, das ist ja wie eine zweite Natur für mich. Was ich wirklich mag an Griechenland, sind diese wunderbaren Kontraste. Griechenland ist so ein widerspruchsvolles Land. Und das gefällt mir. Das mag ich. Als Autor. Als Mensch nicht immer.“

Als Petros Markaris vor ein paar Jahren die Nase voll hatte vom Skriptschreiben für Fernsehserien, suchte er nach einem Ausweg. Ein Einfall kam ihm wie gerufen. Glaubt man Markaris‘ Erzählungen, dann stand sein Kommissar Kostas Charitos plötzlich in seinem Arbeitszimmer vor ihm, stellte sich und seine Familie höflich vor und brachte dem Autor das Krimischreiben bei.

„Und so bin ich zu Charitos gekommen. Das Komische ist, dass ich, als ich wusste, dass der Mann ein Bulle war, ein Polizist, dann wusste ich auch seinen Namen, seinen Vornamen, den Namen seiner Frau und wusste auch, dass das Kind eine Tochter war und wusste auch sogar den Namen der Tochter. Auf einmal. Ich hab nicht nach Namen gesucht, gar nicht. Sie waren da mit Vor- und Nachnamen.“

Und so entwickelte sich das Eigenleben seiner Figur, die mittlerweile auf dem Weg zum Kult ist. Drei Kriminalromane liegen auf Deutsch bereits vor, im April wird Band vier im Diogenes Verlag erscheinen. Kommt es heute in Griechenland zu einem spektakulären Verbrechen, fragen ihn die Leute auf der Straße bereits, wie Kostas Charitos diesen Fall wohl lösen wird. Der Kommissar ist schrullig und ganz eigen, er liebt die Traditionen. Und ist damit seinem Erfinder Petros Markaris sehr ähnlich.

„Dieser Kommentar über Athen, über die Griechen, über die griechischen Verhältnisse – das bin ich. Die Familienverhältnisse aber, das ist meine Familie, also mein Vater, meine Mutter, die haben so gelebt wie das Paar. Und Adriani, die Frau, (...) ähnelt zunehmend meiner Mutter.“

Familiensitten und Gebräuche aus dem realen Athen fließen in die fiktiven Geschichten, Klatsch und Tratsch und Streit über Kleinigkeiten. All das ist genau recherchiert, die Straßennamen sind in den Stadtplänen zu finden, die Orte gibt es wirklich. Mit seinen Krimis aber will Petros Markaris nicht nur spannend sein und unterhalten; er will auch über politische Zusammenhänge aufklären, über wirtschaftliche Verstrickungen, über Korruption und Fremdenfeindlichkeit beispielsweise. Es geht bei Markaris um die Geschichte Griechenlands nach dem Zweiten Weltkrieg.

„Für mich ist der Kriminalroman ein Weg oder ein Vehikel, wie man sagt, um die sozialen und politischen Umstände in Griechenland zu beschreiben. Und zwar nicht nur die gegenwärtige, sondern die gegenwärtige in Bezug auf die Vergangenheit. Ich glaube immer, dass das heutige Griechenland nicht so gewesen wäre, wenn die Abrechnung mit der Vergangenheit offener und ehrlicher durchgeführt würde. Man deckt alles zu, die Griechen vergessen ganz gerne. Und dabei bleiben aber offene Wunden. Und diese offenen Wunden haben negativ das Land sehr stark beeinflusst. Und eine sozialpolitische Geschichte Griechenlands spielt bei mir irgendwie immer eine Rolle.“

Petros Markaris hat seinen Wohnsitz in der griechischen Hauptstadt. Doch er lebt wie ein Weltbürger und man muss schon ein wenig Glück haben, um ihn in Athen anzutreffen. Er reist viel, ist heute in Paris, morgen in München, übermorgen in Wien und gerade hat er in Istanbul für sein nächstes Buch recherchiert. Heimat bedeutet ihm wenig. Petros Markaris genießt seine Freiheit.

„Ich kann mit dem Wort Heimat gar nichts anfangen. Was heißt Heimat? Ich bin in Istanbul geboren und aufgewachsen. Aber ich habe nie die Türkei als meine Heimat akzeptiert, nicht die Türkei, nicht das ganze Land. Dann bin ich von Istanbul aus nach Wien gegangen, und ich hab ja schon von meinem Mittelschulunterricht Deutsch gelernt. Also kulturell bin ich fast ein Deutscher. Ich geh mit der deutschen Kultur viel besser um als mit der griechischen und der türkischen.“

Der Autor ist von klassischer Literatur beeinflusst. Er hat Dramatiker vom Deutschen ins Griechische übersetzt, Klassiker wie Brecht, Dürrenmatt und Goethe. Zuletzt übertrug er Faust I und II in Versform ins Griechische. Zudem ist er Co-Autor des griechischen Filmemachers Theo Angelopoulos. Und über den Umweg Deutschland ist der Kommissar nun auch in Griechenland angekommen, dort also, wo Kostas Charitos seine Heimat hat.

„Am Anfang wusste keiner über Charitos ( ... ). Gott sei Dank, dass es die Deutschen waren, die auf Charitos aufmerksam gemacht haben. Sonst alleine, von sich selbst her, wären sie gar nicht darauf gekommen, dass es einen Kommissar gibt in Griechenland. Da sind die Griechen darauf gekommen, ach, ein griechischer Autor, der in Deutschland Erfolg hat. So ist es gekommen. Aber das ist normal in Griechenland.“

Service:
Das letzte Buch von Petros Markaris erschien 2005, der Titel: „Balkan Blues“. Es ist ein eher düsteres Buch, eine Sammlung von Kurzgeschichten, in denen Migrantenschicksale erzählt werden. Im April wird der Diogenes Verlag den vierten Fall von Kommissar Kostas Charitos veröffentlichen, der Titel: „Der Großaktionär“. Terrorismus ist diesmal das Thema.