Wo stehen wir bei der Euro-Rettung?
Fünf Jahre ist es her, dass Griechenland unter den berühmten Rettungsschirm flüchtete. Seitdem ist viel, wenig, gar nichts geschehen, die Einschätzung der Situation variiert von Land zu Land und ändert sich je nach ökonomischer Denkschule.
"Wer tötet einen Menschen, nur weil der seine Steuern nicht zahlt? In meinen langen Jahren bei der Mordkommission habe ich von den unwahrscheinlichsten Tatmotiven gehört, aber Steuerhinterziehung kommt mir zum ersten Mal unter. (...) Ich fragte mich, ob wir es mit einem armen Irren zu tun haben. Doch die Tatsache, dass er es geschafft hatte, Korrasidis Daten zu ermitteln, um seine Steuerschuld zu berechnen, deutet auf alles andere als auf einen Verrückten hin."
Kommissar Kostas Charitos sucht in dem Kriminalroman „Zahltag" einen Täter, dessen Morde an Steuerhinterziehern dazu führen, dass die Steuereinnahmen plötzlich zu sprudeln beginnen. Die Finanzkrise hat den Schriftsteller Petros Markaris ungemein inspiriert.
Petros Markaris: "Ich habe jetzt eine Trilogie und einen Epilog zur Trilogie geschrieben, ja, der Epilog erscheint in Deutschland Anfang April. Ich habe gesagt, in dem Epilog habe ich alles gesagt, was zu sagen wäre, und ich bin so erschöpft von dieser ganzen Krisengeschichte und die Romane, die dazu gehören, das ich mich mit der Krise nicht mehr damit befassen werde, als Autor. Ich meine als Mensch ist das etwas anderes."
Petros Markaris ist in Istanbul geboren, in Wien aufgewachsen und lebt heute in Athen. Er ist ein überzeugter Europäer und ein kritischer unabhängiger Kopf. Der 78-Jährige Autor hat die Fehlentwicklungen in Griechenland früh angeprangert, schrieb von einer verblödeten Konsumgesellschaft, der Verschwendungssucht der politischen Klasse und dem schädlichen Klientelsystem der Parteien in seiner Heimat. Noch heute ist der studierte Volkswirt fassungslos über die vertanen Chancen unter den Regierungen der konservativen Neo Dimokratia und den Sozialisten der PASOK.
Petros Markaris: "Seit 1981 sind ins Land so viele europäische Subventionen geflossen, so viel Geld. Sie haben sie einfach an Klienten weitergegeben, nichts investiert – wenn die Subventionen weg waren hat man mit billigen Krediten angefangen."
Markaris sitzt im Frühstückraum des Hotels Seifert in Berlin. Die Griechen haben die etablierten Parteien aus dem Athener Regierungspalast verjagt. Dort regiert nun Alexis Tsipras von der linken Syriza-Partei.
Euro war nie nur der Tausch von Währungen
Petros Markaris: "Ich bin kein Syrzia, von Anfang an nicht, aber ich fühle den Zwang Syriza zu unterstützen, denn, wenn Syriza scheitert, da werden sie und die Deutschen sich darüber wundern, was die goldene Morgenröte, die Nazis, für ein Erfolg haben werden. Und das ist meine große Angst."
O-Ton-Collage:
"Mario Draghi spielt seinen letzten Trumpf aus. Der Präsident der Europäischen Zentralbank wirft die Notenpresse an."
Der Dax hat insofern heute erstmals die 12.000er-Marke geknackt. 12.034 Punkte.
"23.8 Millionen Menschen sind in Europa ohne Job."
"Die Exportunternehmen der Eurozone reiben sich die Hände, ihre Autos und Maschinen werden durch den schwachen Euro im Ausland immer günstiger und das steigert den Verkauf."
"So kann das nicht bleiben, die Europäische Union befindet sich in einer Investitionsfalle, Investitionsloch."
"Wir müssen in puncto Innovation wieder ein Vollsortimenter werden."
Wie steht es um die Wirtschaft und Finanzen in Europa – fünf Jahre nachdem Griechenland erstmals gerettet werden musste? Sind unsere Banken krisenfester? Können die Euroländer die Schulden schultern? Sind die Grundlagen für einen wirtschaftlichen Aufschwung gelegt, der die dringend notwendigen Arbeitsplätze schaffen könnte? Und welche Nebenwirkungen hat überhaupt die Krisenpolitik selbst, also vor allem das Fluten der Märkte mit Geld durch die EZB? Eine Positionsbestimmung.
Grexit und Grexident
Von Beginn an war der Euro mehr als der Tausch von nationalen in eine gemeinsame Währung. Der Euro war ein Versprechen, die Gräben zuzuschütten, die Kriege und blinder Nationalismus in Europa aufgerissen hatten. Mit der Gemeinschaftswährung sollte die Einigung des Kontinents unumkehrbar werden, hofften die Befürworter der Währungsunion vor der Unterzeichnung des Maastrichter Vertrags 1992. 15 Jahre später erschütterte die globale Finanzkrise das Fundament der Währungsunion. Erst wackelten Banken, dann ganze Staaten, wie Island, Irland, Portugal oder Spanien. Und dann wackelte die Währungsunion.
Besonders kritisch war und ist die Lage in Griechenland. Die Medien erfanden für das griechische Szenario sogar einen neuen Begriff, Grexit:
Unter dem Grexit – zusammengesetzt aus den englischen Wörtern Greece und Exit, also Griechenland und Ausgang – versteht man einen Austritt Griechenlands aus dem Euro. Ein solcher Austritt ist in den Verträgen zur Währungsunion allerdings nicht vorgesehen.
Die Euroländer und der Internationale Währungsfonds IWF halfen Griechenland, die Lage entspannte sich. Die Nervosität ist zurück. Jetzt gibt es eine neue Wortschöpfung: "Grexident".
Unter Grexident - gebildet aus Greece und accident, also den englischen Wörtern für Griechenland und Unfall – versteht man einen unbeabsichtigten Austritt Griechenlands aus der Eurozone. Er könnte von Hardlinern auf beiden Seiten durch unüberlegte Entscheidungen ausgelöst werden.
"Wir haben ein solches idiotisches Szenario zu verhindern."
Warnte Donald Tusk - der Präsident des Europäischen Rates - in einem Interview mit sechs europäischen Zeitungen Mitte des Monats. In Europas Geschichte habe es bereits zu viele Dinge gegeben, die versehentlich passiert seien, sagte der frühere polnische Ministerpräsident. Auch der Erste Weltkrieg sei „das Resultat von Missverständnissen, Unfällen und dummen Telefonaten" gewesen.
2008 stand auch in Deutschland das Finanzsystem vor dem Kollaps
Daniel Stelter: "Die Medien wie auch die Politik stürzt sich immer nur auf das aktuelle Problem."
Kritisiert der Unternehmensberater Daniel Stelter. Fast täglich gibt es Schlagzeilen zu Griechenland: „Die Pleiteuhr tickt!", heißt es da. Oder „Griechischer Minister droht Europa mit Flüchtlingswelle" und „Irrer Plan. Touristen sollen als Steuerfahnder arbeiten".
Daniel Stelter: "Das ist eigentlich nur ein Theater, das aufgeführt wird, da wird ein bisschen hin und her, da wird es spannend gemacht, wird es lange dauern, wird es nicht lange dauern, aber das in letzter Konsequenz ist das alles ein Witz, weil die grundlegenden Probleme sind so groß und keiner traut sie die offen anzusprechen. Ich persönlich glaube, die Politiker wollen es nicht sagen und die Bürger wollen es nicht hören und damit haben wir ein großes Kartell derjenigen, die die Realität verweigern wollen."
Daniel Stelter gehörte jahrelang zum Führungskreis bei Boston Consulting, einer der führenden Unternehmensberatungen der Welt. Heute berät er selbständig Unternehmen im Umgang mit der Finanzkrise und schreibt Bücher wie "Die Billionen-Schuldenbombe. Wie die Krise begann und warum sie noch lange nicht vorüber ist."
Daniel Stelter: "Man redet von Staatsschuldenprobleme in Griechenland, aber die wahren Probleme sind: Wir haben ein Schuldenproblem nicht nur in Griechenland, wir haben ein Problem in Spanien, wir haben ein Problem in Portugal, wir haben ein Problem in Irland. Irland und Portugal und Spanien haben rekordhohe Verschuldung. Irland ist über 400 Prozent vom Bruttoinlandsprodukt, Staaten, private Haushalte, Unternehmen zusammen. Portugal ist fast dabei. Da hat Griechenland viel weniger."
Hat Stelter Recht? Versperrt uns die Debatte über Griechenland den Blick auf andere Probleme in der Eurozone?
Rückblende: 5. Oktober 2008. Tag 20 nach der Pleite der US-Investmentbank Lehman Brothers, die ein Beben an den Finanzmärkten auslöste.
Angela Merkel: "Und wir sagen den Sparerinnen und Sparern, dass ihre Einlagen sicher sind, auch dafür steht die Bundesregierung ein."
Als Bundeskanzlerin Angela Merkel mit Finanzminister Peer Steinbrück vor die Fernsehkameras trat und ein Garantieversprechen für die Sparguthaben der Bundesbürger abgab, musste jedem Bürger klar sein, dass die Krise in Deutschland angekommen war. Das Finanzsystem stand am Rande des Kollaps. Eine Bank nach der anderen ging Bankrott oder drohte Bankrott zu gehen. Die Regierungen retteten viele Banken. Bald kannte selbst Lieschen Müller den Spezialbegriff der Ökonomen für ein Problem: Too big to fail
Mit dem Begriff "Too big to fail" bezeichnet man die Rettung einer Bank durch eine Regierung aus Angst vor den gewaltigen Folgen der Pleite einer Großbank für eine Volkswirtschaft. Das setzt einen fatalen Mechanismus in Gang: Weil Banker darauf bauen, dass die Steuerzahler im Ernstfall ihre Verluste übernehmen, machen sie umso riskantere Geschäfte.
EZB kontrolliert seit November 2014 rund 6000 Geschäftsbanken
Mehr als fünf Billionen Euro nahmen die Regierungen in der EU während der Krise in die Hand, um Banken zu retten. Dann gab sich die Politik kämpferisch: Too big to fail, sollte für die Banken in Zukunft möglichst ausgeschlossen werden. Neue Regeln sollten her. Frank Heinemann, Ökonom an der TU Berlin, begründete 2012 eine Reform der Bankenaufsicht.
Frank Heinemann: "Das grundsätzliche Problem ist, dass die nationalen Aufsichtsbehörden zu klein sind im Verhältnis zu den großen Banken, dass sie sich nicht trauen, gegen die Geschäfte der großen Banken etwas zu tun. Europäische Institutionen neigen viel eher dazu ein klares Machtwort zu sprechen. Wir haben ja mehrere Fälle in denen die europäischen Kartellbehörden gegen große Unternehmen wie Microsoft zum Beispiel vorgehen und saftige Strafen verhängen, wo sich nationale Behörden wahrscheinlich sehr schwer tun würden."
Tatsächlich entschieden sich die Staats- und Regierungschefs der Eurozone nach mehrjährigem Ringen für eine Bankenunion. Die EZB kontrolliert seit November 2014 direkt oder indirekt die rund 6000 Geschäftsbanken von Lissabon bis Athen. Die Regierungen schufen auch einen Mechanismus für die Sanierung und Abwicklung von Banken und beschlossen eine Harmonisierung der Schutzsysteme, mit denen die Spareinlagen im Ernstfall geschützt werden sollen. Heute sagt Frank Heinemann:
Frank Heinemann: "Das ist ein gewaltiger Fortschritt, vor allem deswegen, weil es diesen Teufelskreis der nationalen Schuldenkrisen zwischen Bankenkrisen, Staatsschuldenkrisen und makroökonomischer Krise, weil es den aufbricht, und ein Staat nicht automatisch pleite geht, nur, weil er Banken refinanzieren muss, die zu riskant gewirtschaftet haben."
Erkki Liikanen: "Wir müssen wegkommen von dem System in dem die Profite privatisiert werden, Verluste aber öffentlich bleiben, und damit zu Lasten des Steuerzahlers gehen."
Forderte der finnischen Zentralbankchef Erkki Liikanen, bei der Vorlage des Berichts einer hochrangigen Expertengruppe, die er im Auftrag der EU-Kommission geleitet hatte. Um die Haftung der Steuerzahler für die Zockerei von Banken zu begrenzen, empfahlen die Experten eine Trennung des riskanten Investmentgeschäfts vom gewöhnlichen Spar- und Kreditgeschäft bei Großbanken. Der Plan verschwand bislang jedoch in der Schublade. Martin Hellwig, Leiter des Max Planck Instituts für Gemeinschaftsgüter, gehört zu den bedeutendsten deutschen Ökonomen. Mit Anat Admati, Forscherin an der angesehenen Stanford Universität, hat er das aufsehenerregende Buch des „Bankers neue Kleider" geschrieben. Ihr Fazit über die bisherigen Reformen ist niederschmetternd:
Zitator: "Trotz der großen Kosten, die die Finanzkrise von 2007 bis 2009 verursacht hat, sind die Anstrengungen zur Reformierung des Finanzsystems erstickt worden. Hier hat die Politik versagt. Diejenigen, die am Status Quo nichts ändern wollen, haben die Debatte beherrscht; diejenigen, die für wirksame Reformen plädiert haben, fanden zu wenig Gehör."
Reformen wirken normalerweise zeitversetzt
Selbstverständlich sollte ein Unternehmen in einer Marktwirtschaft Pleite gehen können und abgewickelt werden, wenn es seinen Verpflichtungen nicht nachkommt. Wenn das Prinzip gilt, wissen nämlich alle Personen und Unternehmen, dass sie ihre Probleme im Ernstfall selbst lösen müssen, ohne Aussicht auf eine Rettung durch den Staat. Bei Großbanken wie der Deutschen Bank oder der französischen Societe General bleibt dies ein frommer Wunsch. Auch im nächsten Krisenfall werden sie "Too big to fail" sein.
Angebotsorientierte Ökonomen schwören darauf, dass die Krisenländer Strukturreformen brauchen. Darunter verstehen sie vor allem eines: mehr Freiheit für Unternehmen. Außerdem müssten die Länder ihre öffentlichen Haushalte in Ordnung bringen, fordern sie - was als Austeritätspolitik bezeichnet wird.
Das Wort Austerität leitet sich vom lateinischen austeritas her, was mit Strenge, Herbheit, Unfreundlichkeit übersetzt wird. Seitdem Ökonomen allzu hohe Schulden als Ursache der Euro-Krise ansehen, ist eisernes Sparen in Mode.
Die Regierungen der Krisenländer sind den Forderungen der internationalen Geldgeber weitgehend nachgekommen. Überall in Südeuropa gab es gewissermaßen Hartz-IV-Reformen, auch in Griechenland.
Jürgen Matthes: "Ich glaube wir haben in den meisten Krisenländern mehr an Strukturreformen gesehen als gemeinhin wahrgenommen wird. Also, wenn man die ganze Breite der Reformen anschaut, auch mit Blick auf den Beschäftigungsschutz, mit Blick auf die Produktmärkte, auf die Unternehmensregulierung und auch noch in den Tarifverhandlungssystemen, dann kann man glaube ich schon sagen, dass die Reformen insgesamt mindestens so tief gegangen sind, wie in Deutschland."
Sagt Jürgen Matthes, Leiter des Kompetenzfelds Internationale Wirtschaftsordnung am arbeitgebernahen Institut der deutschen Wirtschaft. Er ist ein Befürworter der Strukturreformen und hat die Resultate in den Krisenländern untersucht.
Jürgen Matthes: "Es ist eine ganze Menge passiert, im Rahmen des Reformprogramms, das ja parallel, sozusagen als Bedingung gestellt wurde für die finanzielle Hilfe, die Griechenland gewährt wurde."
Taxifahrer übten in Griechenland bis 2012 einen von rund 350 "geschlossenen Berufen" mit Zugangsbeschränkung aus. Der Beruf des Droschkenkutschers wurde für den Wettbewerb geöffnet, wie drei Viertel dieser geschlossenen Berufe. Das war nur eine von vielen Maßnahmen. Laut der "Doing Business"-Rangliste der Weltbank, für die Unternehmen befragt werden, haben sich alle Krisenländer deutlich verbessert - Griechenland schaffte es sogar von Platz 109 im Jahr 2009 auf Rang 61 im Jahr 2014. Angebotsorientierte Reformen wirken – wenn überhaupt – regelmäßig erst im nächsten Aufschwung. So war es in Deutschland auch nach den Hartz-IV-Reformen. Aber von einem Aufschwung ist in Griechenland wenig zu sehen.
Petros Markaris: "Den Menschen in Griechenland geht es schlecht oder um es sagen wir genauer zu sagen, es gibt einen ziemlich großen Teil der Griechen, der mit großen Schwierigkeiten und unter der Armutsgrenze lebt."
Die Schulden sinken nicht
Das Land verfügt zwar über genügend Steuereinnahmen, um den Unterricht und die Gesundheitsversorgung selbst zu bezahlen. Aber dem Land fehlen die Mittel, um die immens hohen Schulden zu bezahlen, die es in der Vergangenheit angehäuft hat.
Petros Markaris: "Natürlich kann ich darüber diskutieren, dass diese sagen wir strukturellen, sagen wir Sparmaßnahmen irgendwann eine Grenze erreichen und in Griechenland ist die Grenze erreicht, mehr kann das Land nicht tun. Ganz ehrlich."
Sind zumindest die Schulden gesunken? Mitnichten. Die Staatsverschuldung Griechenlands liegt bei 176 Prozent des Bruttoinlandsprodukts, also etwa das Dreifache dessen, was Ökonomen für langfristig tragbar halten. Griechenland ist immer noch pleite. Ohne eine Reform des Steuersystems, die für mehr Steuergerechtigkeit sorgt, und ohne einen resoluten Kampf gegen die Korruption wird Griechenland keinen Weg aus der Krise finden. Mit Sparen alleine, kann die Wirtschaft jedoch auch nicht in Schwung kommen. Notwendig wären innovative Ideen, die sind aber rar. Daniel Stelter:
Daniel Stelter: "Ich gebe ihnen eine Zahl, pro eine Millionen Einwohner hat Deutschland 273 Patente pro Jahr, Frankreich ungefähr 130, Italien 70, Portugal neun und Griechenland vier. Das heißt wir haben natürlich ein massives Innovationsproblem auch in diesem Ländern. Weil nur mit billig sein, wird man im globalen Wettbewerb nicht bestehen können als Europa."
Rückblende: London, Juli 2012, bei einer Konferenz ist die Welt der Finanzen versammelt.
Mario Draghi: "We think the Euro is irreversible."
Mit diesen Worten von der „Irreversibilität" des Euro beruhigte EZB-Chef Mario Draghi schlagartig die Märkte, zumal er betonte.
Mario Draghi: "Ich habe noch eine andere Botschaft für sie heute. Innerhalb ihres Mandats ist die EZB bereit alles zu tun, was notwendig ist, um den Euro zu schützen. Und glauben Sie mir, es wird genug sein."
Nach Draghis Machtwort verflog die Panik. Die Börse schoss in die Höhe und die Krisenländer mussten deutlich weniger Zinsen zahlen, wenn sie sich Geld liehen.
Oberstes Ziel: Deflation verhindern
Drei Jahre später, im März 2015, fährt die Zentralbank ein noch schwereres geldpolitisches Geschütz auf. Die Währungshüter kaufen ab jetzt Banken alte Staatsanleihen im Wert von 60 Milliarden Euro ab und das jeden Monat. Die EZB will so bis September 2016 rund 1,1 Billionen Euro zusätzliches Geld in das Finanzsystem pumpen. Im Idealfall nutzen die Banken das frische Geld für zusätzliche Kredite an Unternehmen und Verbraucher und bringen damit die Wirtschaft in Schwung.
Frank Heinemann: "Ob die unkonventionellen geldpolitischen Maßnahmen wirken, können wir nicht wirklich abschätzen."
Sagt Ökonom Frank Heinemann. Offiziell geht es der EZB darum, eine Deflation zu verhindern.
Unter Deflation versteht man anhaltend fallende Preise. Was für Verbraucher wie eine gute Nachricht aussieht, kann am Ende eine ganze Volkswirtschaft in den Abgrund stürzen. Das geschieht, wenn Haushalte und Unternehmen Anschaffungen in der Hoffnung auf immer niedrigere Preise verschieben. Die Wirtschaft friert ein.
Obwohl die EZB vor allem für den Erhalt der Geldwertstabilität zuständig ist, will sie diesmal vielleicht ein anderes Ziel erreichen: die Wirtschaft ankurbeln. Denn Studien für die USA und Großbritannien zeigen, dass die Anleihekäufe der Notenbanken dort Wirtschaft und Inflation angekurbelt haben.
Frank Heinemann: "Es ist ein Experiment. Wir haben die Erfahrung nicht. Wir haben wenige Erfahrungen mit quantitativer Lockerung aus den USA, aus England und aus Japan, mit unterschiedlichen Ergebnissen. Wir haben aber keine Erfahrung bezüglich eines Ankaufprogramms von Staatsanleihen, die ja gerade als risikolos gelten oder zumindest in den Bankbilanzen als risikolos verzeichnet werden. Ob das zu einer vermehrten Kreditvergabe in riskante Kredite, in riskante Unternehmensanleihen führt, ist fraglich, und wenn das nicht der Fall ist, wenn die privaten Investitionen nicht befördert werden durch diese quantitative Lockerung, dann kann es sein, dass wir über einen längeren Zeitraum in der Deflationssituation verharren werden."
Die Wirtschaft der Eurozone braucht dringend Impulse. Seit 2007 haben in der Eurozone 3,8 Millionen Menschen ihren Job verloren. Eine wirkliche Besserung ist nicht in Sicht: Laut der jüngsten Frühjahrsprognose soll die Arbeitslosigkeit im Euroraum 2015 nur um 0,4 Prozentpunkte sinken – trotz der Strukturreformen, des niedrigen Ölpreises und der expansiven Geldpolitik der EZB.
Geldpolitik kann Krise nicht lösen
Für den Ökonom Gustav Horn ist es höchste Zeit für eine andere Krisenpolitik.
Gustav Horn: "Ich glaube, dass die Bundesregierung in ihrem Policy-Mix falsch liegt, so wie sie ihn konstruiert hat. Sie überlässt der Geldpolitik alleine das Geschäft der Stimulierung. Das ging über einige Jahre jetzt gut. Aber jetzt ist die Geldpolitik am Ende ihrer Möglichkeiten, weiter geht es nicht. Und deshalb muss es jetzt zusätzliche Medikamente geben. Und wenn sie nicht bereit ist, die zu geben, dann liegen wir auch in einiger Zeit noch auf der Intensivstation und sind am leben, aber nicht sehr gut."
Horn gehört zur ökonomischen Denkschule der Keynesianer. Als solcher ist er überzeugt, dass Austerität nur sinnvoll ist, wenn die Wirtschaft boomt. Liegt die Wirtschaft am Boden machen Sparmaßnahmen alles nur schlimmer. Tatsächlich sind die öffentlichen Investitionen in der Eurozone jedoch auf einem Rekordtiefpunkt. Die Bundesregierung muss international viel Kritik einstecken für ihren Kurs. Selbst das liberale englische Wirtschaftsmagazin „The Economist" hat mit dem typisch britischen Humor Finanzminister Wolfgang Schäuble als Europas bekanntesten „Ayatollah of Austerity" bezeichnet.
Gerhard Schick: "Der Austeritätskurs hat die Probleme verschlimmert, anstatt sie zu lösen."
Kritisiert auch Gerhard Schick, finanzpolitischer Sprecher der Grünen-Bundestagsfraktion.
Gerhard Schick: "Der kann für ein einzelnes Land mal funktionieren, wenn es in anderen Ländern normal läuft. Deswegen gibt es Beispiele von Ländern, die es durch einen Austeritätskurs geschafft haben, wieder wirtschaftlich zu gesunden. Das kann aber für so einen großen Wirtschaftsraum wie die Eurozone nicht funktionieren und deswegen haben wir den völligen Absturz durch die Austeritätspolitik nur deswegen nicht gesehen, weil die Europäische Zentralbank alles getan hat, um geldpolitisch die Sache abzupuffern. Und das hat den Eindruck erweckt, dass es eigentlich ganz gut läuft. Aber wer die Fakten angeguckt hat, konnte nie in den letzten fünf Jahren meinen, dass wir über den Berg seien."
Die Geldpolitik kann die Krise auf Dauer nicht alleine lösen. Der Ball liegt also im Feld der Fiskal- und Wirtschaftspolitik. Viele Maßnahmen hatten Brüsseler Beamte in den schlimmsten Krisenjahren diskutiert, um Europa wettbewerbsfähiger zu machen. Strenge und harte Haushaltsziele. Eine besser abgestimmte Wirtschaftspolitik. Die Rede war auch von einer zuverlässigen und koordinierten Finanzpolitik. Andere wollten die soziale Basissicherung der Ländern harmonisieren. Hohe Ziele, große Vorhaben, stecken geblieben ist man irgendwo im Vorfeld. Dabei drängt die Zeit, nicht nur für Griechenland, sondern für alle Euroländer. Gerhard Schick
"Gar nichts hat man im Griff"
Gerhard Schick: "Wir müssen dafür sorgen, dass das Verhältnis zwischen Finanzwirtschaft und Realwirtschaft wieder stimmt, damit die Realwirtschaft stark genug ist, um auch die Schulden abtragen zu können. Und das ist das Verheerende an dieser Kürzungsstrategie, die überall stattgefunden hat, weil sie das Problem eigentlich verschlimmert, statt es zu lösen."
Seit 2007 sind die Schulden der Staaten weltweit um 9,3 Prozent jährlich gewachsen. Die Miesen der privaten Haushalten um jährlich 2,8 Prozent und die Verbindlichkeiten von Unternehmen um 5,9 Prozent. Die Zahlen hat die Unternehmensberatung Mc Kinsey berechnet.
Neue Schulden haben dabei eine immer geringere Auswirkung auf das Wachstum, weil ein immer größerer Teil der neuen Schulden nur dazu dient, die Zinsen der Gläubiger zu bedienen, und ein immer geringer Anteil investiert wird. Bewirkte ein US-Dollar neue Schulden in den 1960er Jahren noch rund 80 Cent mehr BIP, so sank der Wert auf 30 Cent in den 1990er Jahren und auf rund zehn Cent seit dem Jahr 2000. Man kann also auch gehörige Zweifel daran haben, dass die Medizin von mehr Staatsausgaben auf Pump in der jetzigen Situation der Euroländer die richtige ist. Helfen könnte hier ein Schuldenschnitt in den Eurostaaten, ist Unternehmensberater Stelter überzeugt:
Daniel Stelter: "Weil nach so einem Schuldenschnitt würde sich die europäische Wirtschaft sehr, sehr schnell erholen, würde sehr schnell wieder wachsen können."
Er empfiehlt den Euroländern alle Schulden, die über 60 Prozent des Bruttoinlandsprodukts liegen, in einen zentralen Topf zu packen und gemeinsam über einen Zeitraum von 20 bis 25 Jahren abzutragen. Ohne solche kreative Lösungen könnte die Eurozone ihre Schulden ohnehin nie begleichen, meint Stelter.
Daniel Stelter: "Ich persönlich beziffere den Betrag an nicht einbringbaren Schulden in Europa auf mindestens drei Billionen Euro, also 3000 Milliarden Euro, es könnten auch in Richtung 5000 Milliarden gehen."
Doch solche Reformen stehen überhaupt nicht zur Debatte. Von vertanen Chancen spricht Grünen-Politiker Schick.
Gerhard Schick: "Gar nichts hat man im Griff, sondern die entscheidenden Problemlagen sind noch genauso da wie vor fünf Jahren, denn man hat vieles nur dadurch gelöst in Anführungszeichen, dass man Zeit gekauft hat. Und das Schlimme ist, dass in der Zwischenzeit die Stimmung zu Europa und dem Euro massiv zurückgegangen ist und inzwischen viele Leute Europa als Problem da wahrnehmen und wir deswegen massive politische Probleme für die Zukunft geschaffen haben in den letzten fünf Jahren."
Besonders skeptisch sind junge Menschen. Laut Eurobarometer ist fast jeder zweite 15 bis 24jährige Grieche überzeugt, dass es ihrem Land außerhalb der EU besser gehen würde. In Schweden, Großbritannien und Italien sind es fast 40 Prozent. Das Drama um Griechenland und den Euro dürfte noch einige Zeit weiter gehen. Dafür sprechen schon taktische Erwägungen. Natürlich macht es keinen Sinn, dem Land zu früh großzügig zu helfen, beispielsweise durch einen zweiten Schuldenschnitt. Jedenfalls nicht, solange das Land beispielsweise nicht effektiv Steuern bei seinen reichen Bürgern eintreibt. Am Ende werden sich alle zusammenreißen müssen, damit es vorwärts geht, findet Realist Markaris und gibt der griechischen Regierung einen Ratschlag.
Rechte Parteien bekommen Zulauf in der Euro-Krise
Petros Markaris: "Es hat keinen Sinn, eine Politik durchsetzen wollen, die einfach keine, sagen wir, keinen Anklang bei den anderen Europäern findet, es geht nicht. Wir schaffen es nicht. Das hat auch keinen Sinn. Man kann es machen, aber nur durch Verständnis, Konsens oder Kompromiss, anders geht es nicht in Europa. Ob das jetzt gut ist oder schlecht, ist wieder eine andere Diskussion, aber so ist es. Irgendwann muss man doch die Realitäten akzeptieren und wenn man das ändern will, dann müssen eben die Europäer zusammen das ändern. Einseitig mit einem Land, das Hals über Kopf in Schulden also liegt, das schafft man nicht – ganz einfach."
Wie geht es weiter? Wenn es schlecht läuft, finden die Euroländer keine Einigung mit Griechenland. Das Land tritt aus dem Euro aus, kehrt zur Drachme zurück. Zweifel an der Gemeinschaftswährung kommen wieder auf. Die Wirtschaft kommt in Europa nicht in Gang, die Arbeitslosigkeit bleibt hoch, die Stimmung verdüstert sich, die Briten entscheiden sich in einem Votum für einen EU-Austritt. Rechte Parteien bekommen Zulauf. Marine Le Pen - eine erklärte Gegnerin der EU und des Euro - wird Präsidentin in Frankreich. Europa steht vor der Zerreißprobe.
Wünschenswert wäre es, dass sich die Euroländer mit Griechenland einigen und eine Perspektive für die Menschen in Europa schaffen. Sie treiben die Steuern bei den Reichen ein und verhindern die Steuerflucht durch Unternehmen. Das Geld investieren die Staaten in wirtschaftliche Zukunftsprojekt wie die digitale Wirtschaft und eine europäische Energiewende. Brüssel beschlösse eine soziale Grundsicherung für alle Menschen in der EU. Die Bürger beginnen sich wieder für das Projekt Europa zu begeistern. Schön wäre es. Wahrscheinlich gibt am Ende von einigem ein bisschen und viele Kompromisse.