Griechenland

Studieren in ungeheizten Hörsälen

Studierendenproteste in Athen
Wer kann, geht ins Ausland: Unter griechischen Studierenden herrscht große Verunsicherung © imago / Invision
Nicolas Moussiopoulos im Gespräch mit Ute Welty · 07.02.2015
Die Krise Griechenlands hat auch die Universitäten schwer getroffen. Die Budgets seien um zwei Drittel geschrumpft, klagt Nicolas Moussiopoulos, Professor für Wärme- und Umwelttechnik in Thessaloniki. Er hofft jetzt auf Kooperationen mit Deutschland.
Lehrende und Lernende an griechischen Hochschulen haben es derzeit schwer, denn die Krise hat auch das Bildungssystem hart getroffen. Die Gehälter der Wissenschaftler seien um 40 Prozent gekürzt worden, und es habe eine regelrechte Pensionierungswelle gegeben, sagt Nicolas Moussiopoulos. Insgesamt stünde den Universitäten nur noch ein Drittel ihres Budgets von vor Ausbruch der Krise zur Verfügung. Mitunter hätten die Universitäten nicht einmal Geld gehabt, um die Hörsäle zu heizen. Wer könne, gehe ins Ausland: "Es gibt einen unglaublichen Brain-Drain in Griechenland."
Deutsche Investoren im Bereich Umwelttechnik gesucht
Der Umwelt- und Wärmetechniker, der an den Universitäten Thessaloniki und Karlsruhe lehrt, hofft auf deutsch-griechische Kooperationen. "Es gibt eine ganze Reihe von Win-Win-Möglichkeiten", betont er. Zum Beispiel in der Umwelttechnik: So habe Griechenland als Agrarland beispielsweise viele Möglichkeiten, Energie aus Biomasse zu gewinnen. "Es gibt wirklich eine Reihe von Sachen, die man machen könnte."
Notwendig wären sowohl fachliche Unterstützung seitens deutscher Kollegen als auch deutscher Investoren: "Wenn die Situation wieder stabiler wird, wenn man verlässlich investieren könnte im Land, könnte man durchaus gewinnbringend wahrscheinlich investieren."

Das Interview im Wortlaut:
Ute Welty: Lassen Sie es mich vielleicht so sagen: Das war schon eine beeindruckende Roadshow gewesen, die der neue griechische Ministerpräsident und sein Finanzminister diese Woche abgeliefert haben: Ihre Goodwilltour führte die beiden nach Nicosia, Brüssel, Paris, London und Berlin, immer in der Mission, für einen neuen Umgang mit den griechischen Schulden zu werben. Unabhängig von Tsipras und Varoufakis ist Nicolas Moussiopoulos nach Deutschland gekommen, und trotzdem segelt der Professor für Wärme und Umwelttechnik ein wenig im Windschatten seines politischen Spitzenpersonals. Guten Morgen, Herr Moussiopoulos!
Nicolas Moussiopoulos: Guten Morgen, Frau Welty!
Welty: Eigentlich lehren Sie an der Aristoteles-Universität in Thessaloniki, sind aber zurzeit in Hamburg an der Uni, wo heute eine Konferenz zu Ende geht, die vom Deutschen Akademischen Austauschdienst organisiert wurde und die Kooperationsmöglichkeiten ausloten will. Womit hatten Sie denn in jüngster Vergangenheit an den Hochschulen zu kämpfen? Unter welchen Bedingungen haben Sie unterrichtet?
Moussiopoulos: Ja, das große Problem war, dass diese Austerität auch im Erziehungswesen für mich zu stark gegriffen hat. Also sie hatten ja auch die Unterstützung in Griechenland der deutschen Rektorenkonferenz, die festgestellt hat, dass es ein Fehler war, dass man eben die Universitäten und auch das Erziehungswesen insgesamt nicht ausgenommen hat von den massiven Kürzungen. Können Sie sich vorstellen, dass plötzlich hier das Budget an der Universität auf ein Drittel des Betrages, den man vor der Krise hatte, geschrumpft ist?
Welty: Wie kommt man denn dann, um Himmels willen, damit zurecht? Also ein Drittel ist ja ...
Gehälter der Wissenschaftler um 40 Prozent gekürzt
Moussiopoulos: Auf ein Drittel, also gekürzt wurde um zwei Drittel, und die Gehälter von uns allen gekürzt um 40 Prozent, und es kam eine Welle von Pensionierungen von Leuten, die natürlich gedacht haben: Möglichst schnell in die Rente, damit wir vielleicht noch eine Rente bekommen! Wer weiß, ob wir später überhaupt eine Rente kriegen. Das hat natürlich dazu geführt, dass sehr, sehr viele weggegangen sind, erfahrene Leute, in der Verwaltung besonders, und die wurden natürlich nicht ersetzt – also im Prinzip eine Katastrophe. Und das ist natürlich auch eine der Sachen, wo ich meine, dass das, was die neue Regierung verspricht, vielleicht schon in die richtige Richtung gehen könnte, wenn natürlich dafür die Mittel da sind. Also ohne Geld können Sie natürlich keine neuen Leute einstellen, weder in der Verwaltung der Universitäten noch anderswo.
Welty: Wie haben die Studenten auf die veränderte Lehrsituation reagiert? Haben sich viele einfach verweigert, indem sie das Handtuch geworfen haben?
Moussiopoulos: Ja, das war weniger der Fall, weil die Studenten, die sind natürlich mit Recht auch verunsichert, weil sie nicht wissen, ob sie dann überhaupt nach dem Studium eine Arbeitsstelle bekommen, und die hören natürlich auch, dass diejenigen, die schon ihr Diplom und die ganze Berufsausbildung hinter sich haben, die suchen im Ausland teilweise. Es gibt eine unglaubliche Brainddrain in Griechenland. Und für die Studenten ist natürlich zurzeit ... Ich meine, dass sie natürlich unter verschlimmerten Bedingungen studieren und dass die Familien auch kein Geld haben, um diejenigen, die nicht etwa in ihrem Heimatort studieren, finanziell zu unterstützen, dass das auch nicht unbedingt gut geht, das ist auch ein Problem.
Da würde ich sagen, das Einzige, was für die verschlimmernd dazu kam, war, dass die Universitäten mitunter auch kein Geld hatten, um die Hörsäle zu heizen. Das kam auch noch dazu. Über viele Monate hatten wir natürlich auch solche Probleme. Also die Situation war wirklich schlimm, und das war verständlich, dass die Parteien, die natürlich eine Rückkehr auf die bessere Vergangenheit versprachen, dass die natürlich auch Wind bekamen.
Welty: Sie haben gerade vom Braindrain gesprochen. Was bedeutet das, Ihrer Einschätzung nach, für die Zukunft Griechenlands? Einfacher wird es ja bestimmt nicht, wenn der Nachwuchs fehlt.
"Es gibt einen starken Mangel an qualifizierten Leuten"
Moussiopoulos: Ja gut, es gibt ja eine Palette von Problemen. Erstens finde ich es natürlich in einem armen Land, das jetzt unter der Krise ist, dass man natürlich erleben muss, dass man auf Kosten eben des griechischen Steuerzahlers, desjenigen, der überhaupt Steuern zahlt, dass man Leute dann zu Ärzten, Ingenieuren und so weiter ausgebildet hat und die sind in Deutschland, Holland oder irgendwo anders, ist natürlich schon sehr, sehr ernüchternd. Gleichzeitig: Die Befürchtung, dass diese Leute nie zurückkehren werden oder erst viel später vielleicht, führt dazu, dass es da natürlich einen starken Mangel gibt an qualifizierten Leuten. Und von den sozialen Problemen, dass natürlich Familien plötzlich erleben müssen, dass ihre Kinder doch in einem anderen Land weit weg leben, auch das ist nicht unbedingt das Beste.
Welty: Wenn wir noch mal auf das Ziel dieser Konferenz schauen: Sie sind in Hamburg, um Kooperationsmöglichkeiten auszuloten. Wo sehen Sie die jetzt, nach dieser Konferenz? Wo bieten sich Chancen?
Moussiopoulos: Na ja, also ich denke, unter der Voraussetzung, von der ich wirklich ausgehe, dass Griechenland in der europäischen Familie bleibt: Es gibt eine ganze Reihe von Win-win-Möglichkeiten, also dass beide Seiten einen Vorteil haben, wenn eben Griechenland und Deutschland enger kooperieren. Glauben Sie mir bitte: Wir haben trotz der Probleme, über die wir vorhin sprachen, sehr gute Studenten, die natürlich viele Ideen haben, und diese Ideen könnten natürlich ziemlich leicht zu marktreifen Produkten führen, wenn natürlich Deutschland hier hilft, dass man möglicherweise einen Teil dieser Produktionsmöglichkeiten vor Ort in Griechenland mitfinanziert. Das wäre natürlich ein großer Vorteil, dass natürlich eben doch auch Arbeitsplätze auf diese Art und Weise in Griechenland entstehen.
Welty: Gerade auch in Ihrem Bereich, in der Umwelttechnik?
Vorteile von deutsch-griechischer Kooperation
Moussiopoulos: Ja, natürlich, Energie. Ich meine, Sie wissen ja, und das ist natürlich ... Zurzeit haben wir hier Schnee in Hamburg, in Griechenland haben wir meistens schon mehr Sonne. Die Tatsache, dass wir Windenergie, Sonnenenergie durch den Süden viel eher nutzen können und die Innovationen, die es auf diesem Gebiet wirklich gibt und die Möglichkeiten, dass man halt auch europaweit profitiert von Neuentwicklungen auf dem Sektor ...
Welty: Welches Projekt haben Sie da im Auge oder schwebt Ihnen gerade vor?
Moussiopoulos: Ich meine, um nicht ins Detail zu gehen, aber wenn wir jetzt die Biomasse ... Also so ein Agrarland wie Griechenland hat natürlich extrem viele Möglichkeiten, Energie zu gewinnen aus den Rückständen der Agrarwirtschaft, und das ist etwas, was Griechenland sehr viel Potenzial gibt, dass man eben eine Ankurbelung dieser Agrarwirtschaft und der Verwendung eben der Rückstände für die Energieproduktion ... Und darüber haben wir gesprochen. Es gibt auch natürlich verschiedene Ansätze, wie man natürlich auch die Meeresgezeitenenergie oder Wellenenergie nutzt. Es gibt wirklich eine Reihe von Sachen, die man machen könnte, und man bräuchte tatsächlich hier sowohl die fachliche Unterstützung von deutschen Kollegen, wie man das also auch korrekt macht, aber dann auch Investoren, Leute, die dann ... Wenn die Situation wieder stabiler wird, wenn man verlässlich irgendwie investieren könnte im Land, könnte man durchaus gewinnbringend wahrscheinlich investieren und dem Land natürlich helfen, aus dieser jetzigen miserablen Lage wegzukommen.
Welty: Ein überzeugter und überzeugender Botschafter seines Landes, der griechische Professor Nicolas Moussiopoulos über Lehren in Griechenland nach der Wahl und was griechische und deutsche Unis füreinander tun können. Ich danke sehr für dieses Gespräch und ich wünsche noch einen erfolgreichen Konferenztag in Hamburg!
Moussiopoulos: Auch ich danke Ihnen sehr für Ihr Interesse!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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