Griechenland im Wahlkampfklima zwischen Frust und Hoffnung

Von Thomas Bormann · 30.04.2012
Der Fehlbetrag in der griechischen Staatskasse ist immer noch immens. Die Wirtschaft kommt nicht aus dem Konjunkturtief. Von den Reformen spüren die Bürger bislang nur die harten Sparmaßnahmen. Die Parteien am linken und rechten politischen Rand profitieren von der Unsicherheit und Wut der Bürger.
"Es ist ein langsamer Tod. Es ist wirklich zum verzweifeln. Wenn du dich umschaust, überall nur Niedergang. Nirgendwo siehst du hier Optimismus. Überall nur der Kampf ums tägliche Überleben."

"Ich seh noch kein Licht am Horizont. Da helfen doch auch keine Kredite. Solange wir hier nicht irgend etwas produzieren, um wieder auf eigenen Beinen zu stehen, solang gibt’s keinen Aufschwung in Griechenland."

Zwei Stimmen aus Athen.

Seit 2008 geht es mit der griechischen Wirtschaft bergab. Auch in diesem Jahr rechnet die Zentralbank mit minus fünf Prozent bei der Wirtschaftsleistung. Dann aber, so verspricht die Regierung, ist die Talsohle erreicht; dann wird es wieder aufwärts gehen.

Hellinikon und Helios – das sind zwei Namen, die Aufschwung verheißen sollen.

"Helios" soll Griechenlands üppigsten Rohstoff nutzen – die Sonnenenergie. Der Plan: Riesige Solaranlagen erzeugen Strom. 15 Milliarden Euro könnte Griechenland jährlich mit dem Strom-Export verdienen, rechnet Energieminister Giorgos Papakonstantinou vor.

Das ist das eine Großprojekt. Das andere ist: Hellinikon – das Gelände des früheren Flughafens von Athen in bester Lage zwischen Strand und City, liegt seit elf Jahren weitgehend brach. Hier könnte eine Art Disneyland für reiche arabische Touristen entstehen – eine von vielen Ideen für Hellinikon. Bislang jedoch gibt es weder einen Nutzungsplan noch einen Investor. Aber das soll sich bald ändern, sagt Ioannis Koukiadis. Er ist Chef der Behörde, die im großen Stil staatlichen Besitz an Investoren verkaufen soll:

"Es gibt durchaus Interessenten für Hellinikon. Das wird eine große Investition, vielleicht die größte der nächsten zehn Jahre. Allein durch dieses Projekt kann unsere Wirtschaft um 0,5 Prozent im Jahr wachsen. Es ist das größte Projekt in Griechenland. Das wird ein Erfolg werden und die Wirtschaft ankurbeln!"

Noch ist das aber alles Zukunftsmusik. Und noch ist Griechenland keine gefragte Adresse für Investoren. Im Gegenteil. Martin Knapp von der deutsch-griechischen Handelskammer in Athen:

"Eine große Leuchtturminvestition wäre natürlich eine wunderbare Sache. Nun muss man auf der anderen Seite natürlich auch sehen, dass es relativ schwierig ist, dass ein Vorstandsvorsitzender eines deutschen Dax-Konzerns vor die Aktionäre tritt und sagt: Liebe Leute, wir haben ja jetzt in Griechenland investiert; wir wissen nicht, ob sich das so richtig rechnet, aber das haben wir getan, um den Euro zu retten."

Investoren haben Angst, ihr Kapital in Griechenland in den Sand zu setzen. Denn wer weiß, ob sich die Krise nicht doch noch weiter zuspitzt? Wer weiß, ob Griechenland nicht doch aus der Euro-Zone ausscheidet?

"Diese Diskussion ist absolut tödlich für die griechische Wirtschaft und vor allem für die Bereitschaft, hier zu investieren, denn: Wer investiert schon in einem Land, wo er seine guten Euros investiert, um dann eventuell befürchten zu müssen, am Ende irgendeine entwertete Drachme zurückzuerhalten."
Griechenland in der Euro-Zone halten. Griechenland wettbewerbsfähig machen. Genau das ist das Ziel der Taskforce – einer Truppe von gut drei Dutzend Experten der EU, die der griechischen Regierung helfen, ihren Staatsapparat auf Vordermann zu bringen.

Viel wurde schon erreicht, sagt Taskforce-Chef Horst Reichenbach aus Deutschland. Anträge liegen nicht mehr so lange auf Ämtern rum, sondern werden zügiger bearbeitet. Und der griechische Staat hat fast eine Milliarde Euro an Steuer-Rückständen eingetrieben, aber:

"A lot remains to be done... "

Viel bleibt noch zu tun, sagt Horst Reichenbach.

"Im gesamten Bereich Wirtschaft und Handel gibt es zu viele bürokratische Hürden, zu viele Hemmnisse. Wenn diese Hürden abgebaut werden, würde das die Wirtschaft in Griechenland stark beleben. Das Potenzial für Wirtschaftswachstum durch Bürokratieabbau ist enorm."

"REICHENBACH RAUS!"

Ja, Demonstranten in Athen rufen: Reichenbach raus, mit dem deutschen Wort "raus" –

Und ihre eigenen Politiker Papandreou und Papademos wollen sie gleich mit in die Wüste schicken:

"Papademos raus, Papandreou raus, Reichenbach raus!"

Es wirkt absurd: Papademos und Papandreou - der jetzige Ministerpräsident und sein Vorgänger wie auch Taskforce-Experte Horst Reichenbach geben sich alle Mühe, Griechenland aus der Krise zu retten, ernten aber Wut und Zorn.

Immer wieder protestieren und streiken Tausende Griechen gegen die Politik. Die Bürger spüren von all den Reformen nur die harten Spar-Beschlüsse: Sie zahlen höhere Steuern, sie bekommen aber ein Drittel weniger Lohn. Zigtausende Staatsbedienstete werden entlassen werden; Rentner bekommen längst schon weniger Geld, damit die Staatsausgaben sinken.

Denn nur wenn alle Griechen eisern sparen, gewährt die Troika überlebenswichtige Hilfskredite an Griechenland. Die Troika, das sind die EU, die Europäische Zentralbank und der Internationale Währungsfonds. Das Wort "Troika" ist im Griechischen fast zu einem Schimpfwort geworden.

Denn die milliardenschweren Hilfskredite der Troika gehen voll und ganz drauf, um alte, fällig werdende Schulden zu bezahlen und durch neue zu ersetzen. Fürs Volk bleibt kein Cent übrig. Das Volk muss darben; es muss die Bedingungen der Troika hinnehmen, die an die Kredite geknüpft sind.

Mit jeder neuen Spar-Runde wächst die Wut auf die Troika, auch wenn Ministerpräsident Lukas Papademos gebetsmühlenhaft seinem Volk erklärt:

"Es ist wichtig zu verstehen, dass wir uns nicht unter der Kontrolle der Troika befinden, sondern: Wir befinden uns unter der Kontrolle unserer eigenen Geschichte."

nämlich einer Geschichte des hemmungslosen Schuldenmachens.

Die vielen Spar-Pakete der letzten zwei Jahre haben Zigtausende Griechen in die Armut getrieben. Deshalb reagieren sie empört, gar verzweifelt, wenn die Troika ihnen eine weitere Spar-Runde auferlegen will.

Die größte Macht innerhalb der Troika ist die EU; die größte Macht innerhalb der EU ist Deutschland. Deshalb konzentriert sich der Groll auf deutsche Spitzenpolitiker, vor allem auf Kanzlerin Angela Merkel. Im Mai vergangenen Jahres hatte sie gemahnt, die Griechen sollten nicht so früh in Rente gehen und nicht so viel Urlaub machen. Außerdem müssten sich alle auch ein wenig anstrengen.

Dabei belegt die Statistik, dass Deutsche mehr Urlaubstage haben als Griechen, und dass Deutsche und Griechen durchschnittlich im gleichen Alter in Rente gehen, nämlich mit knapp 62. Spar-Appelle aus Deutschland lassen bei manchem griechischen Rentner die Wut aufsteigen:

"Ich hab 38 Jahre auf dem Bau geschuftet und bekam bislang 704 Euro Rente im Monat. Jetzt haben die’s doch tatsächlich gewagt, mir die Rente um 15 Prozent zu kürzen. Wie soll ich da ruhig bleiben? Ich kann nichts abgeben, nicht einen Cent."

Eine Suppenküche in Zografou, einem Vorort Athens. Tausende Rentner sind nach all den Kürzungen auf Almosen angewiesen. Überall in Griechenland geben Kirchengemeinden und Bürgerinitiativen warme Mahlzeiten aus. Die 67-jährige Irina Kofina aus Zografou holt sich hier täglich ein Mittagessen, denn nach all den Kürzungen ist ihre ohnehin bescheidene Rente auf 200 Euro im Monat geschrumpft:

"Mit 200 Euro kann ich kaum meine Miete bezahlen und wenn mir diese Leute nicht helfen würden, dann müsste ich buchstäblich hungern."

Es gibt in Athen bereits Stadtviertel, in denen tatsächlich Menschen hungern, in denen verarmte Rentner oder Flüchtlinge im Müll nach Essbarem wühlen.

In einem solchen heruntergekommenen Viertel, dicht am Omonia-Platz, hat die Hilfsorganisation "Ärzte der Welt" eine Not-Klinik eröffnet, vor allem für die vielen gestrandeten Flüchtlinge aus Afrika, die sich bis nach Griechenland durchschlagen, dann aber nicht weiterkommen und hier weder Arbeit noch Hilfe finden.

Hier ist das Zentrum der Hoffnungslosigkeit:

"Wir sprechen über die Festung Europa, aber wir hier sind der Hinterhof, wo der Müll ist."

sagt der Zahnarzt und Klinikchef Nikitas Kanakis und mahnt: Europa dürfe sie nicht im Stich lassen:

"Wir sind nicht innerhalb der Festung. Wir sind außerhalb, wo jeder seinen Müll hinschmeißt. Und sie müssen in Europa verstehen: Wir können nicht mehr, hier ist nichts, nicht mal für unsere Leute."

Vier Stockwerke hat die Klink. Ärzte verteilen Medikamente und behandeln Wunden. Längst kommen nicht mehr nur Flüchtlinge her, nein, auch viele Griechen suchen Hilfe. Sie haben kein Geld mehr für einen Arztbesuch. In Griechenland müssen auch Schwerkranke und völlig mittel-lose Patienten mit chronischen Krankheiten einen Teil der Kosten für Medikamente selbst bezahlen. Viele können sich das aber nicht mehr leisten. Deshalb nehmen sie ihre Medizin einfach nicht mehr, auch wenn sie dann bald sterben müssen. Das Gesundheitssystem in Griechenland hat diese Leute einfach aufgegeben, sagt Klinikchef Nikitas Kanakis und fügt eine Frage an, aus der Verbitterung spricht:

"Wen kümmert das schon? Und überhaupt: Wer fragt nach denen?"

Klinikchef Kanakis gibt dann selbst die Antwort:

"Niemand fragt, wie diese Leute überleben können und so kümmert sich keiner drum. Deshalb sind wir hier."

Denn hier gibt es Medikamente. Gespendet von Bürgern, die daheim ihren Medizinschrank aufräumen und halbvolle Tablettenschachteln herbringen. Hier retten sie Menschenleben.

Immer mehr Griechen haben Angst, bald selbst zum Bettler zu werden. Gerade auch der als Rettungsmaßnahme gefeierte Schuldenschnitt vom Februar hat diese Angst noch einmal geschürt.

Bei diesem Schuldenschnitt hatten private Gläubiger insgesamt auf 107 Milliarden Euro verzichtet, die der griechische Staat ihnen schuldet. Zu diesen Gläubigern zählen aber nicht nur große Banken, sondern auch Rentenkassen, in die griechische Arbeiter jahrzehntelang ihre Drachmen und später ihre Euros eingezahlt hatten. Die Rentenkassen legten das Vermögen in griechischen Staatsanleihen an, die jetzt nur noch weniger als die Hälfte wert sind. Der 62-jährige Müllwerker, der sich mit dem Vornamen Spiros vorstellt und kurz vor der Rente steht, sieht sich durch den Schuldenschnitt um seinen verdienten Ruhestand betrogen:

"Wissen Sie, welchen Schuldenschnitt ich bekommen habe? Für ihren Schuldenschnitt haben sie meine Rente genommen. Ich hab seit meinem 12. Lebensjahr gearbeitet. Jetzt machen sie einen Schuldenschnitt und nehmen mir die halbe Rente weg."

Er ist wütend auf die Politik, vor allem auf die PASOK, die Panhellenische Sozialistische Bewegung, die sich jahrzehntelang für die einfachen Leute eingesetzt hatte, die aber in den vergangenen zweieinhalb Regierungsjahren ihre eigene Wählerklientel mit einem Sparpaket nach dem anderen schröpfte.

Wir hatten keine Alternative dazu, sagt der Parteichef und frühere Finanzminister Evangelos Venizelos, ohne all diese Sparmaßnahmen und ohne den Schuldenschnitt wäre Griechenland längst pleite und die Rentner würden gar nichts mehr bekommen:

"Das Sparprogramm, all die Anstrengungen, all die Opfer haben ein Ziel: das Land zu retten und damit auch die Renten zu retten. Und wenn ich Renten sage, dann meine ich nicht nur die heutigen Rentner, sondern auch die Renten künftiger Generationen."

Seine Partei, die PASOK, hatte die letzten Wahlen vor zweieinhalb Jahren mit 44 Prozent gewonnen. Jetzt dümpelt die PASOK in Umfragen irgendwo zwischen zwölf und 19 Prozent.

Auch die andere große Traditionspartei, die konservative Nea Demokratia, ist angeschlagen; die Griechen machen auch sie verantwortlich für Vetternwirtschaft, Korruption und fahrlässige Schuldenmacherei, aber der machthungrige Parteichef Antonis Samarras sieht sich schon in der Rolle des neuen Ministerpräsidenten, des Retters Griechenlands:

"Wir sind die einzige Hoffnung, die dieses Land hat, anständig regiert zu werden."

Doch die Nea Demokratia wird, nach allen Umfragen, allenfalls in einer Koalition mit ihrem langjährigen Rivalen, der PASOK, regieren können, und selbst beide Parteien zusammen werden möglicherweise keine Mehrheit im Parlament haben.

PASOK und Nea Demokratia sind die einzigen Parteien, die den EU-Partnern versprochen haben: Jawohl, wir werden den Sparkurs fortsetzen. Aber wohin wird diese Politik führen?, fragt die Opposition:

"Können Sie uns sagen, wie die soziale Wirklichkeit in diesem Land im Jahr 2020 aussehen wird? Wie viele Menschen werden arbeitslos sein? Wie viele werden ihre Existenz verloren haben? In was für einer Welt werden wir dann leben?"

Alexis Tsipras vom Bündnis der Radikalen Linken. Im Umfragen kommt seine Partei auf neun Prozent; mit weiteren neun Prozent können die Kommunisten rechnen, und dazu gibt es noch eine Partei am linken Rand, zwei rechtsextreme Gruppierungen, eine Abspaltung der Nea Demokratia, Liberale und Ökologen – sie alle werden wohl in neuen griechischen Parlament vertreten sein.

Wer Griechenland nach dem 6. Mai regieren wird, ist völlig ungewiss – die Griechen blicken angstvoll in die Zukunft wie die Büro-Angestellte Vicky Papachristou aus Athen:

"Ich fühl mich wie auf der Titanic; jeden Moment könnte ich runterfallen in die Wellen."
Demonstranten halten vor dem griechischen Parlament in Athen die griechische Flagge hoch. Ein zweitägiger landesweiter Streik gegen die Sparmaßnahmen der Regierung legt das Land derzeit lahm.
Demonstranten vor dem griechischen Parlament in Athen: Immer wieder protestieren und streiken Tausende Griechen gegen die Politik.© picture alliance / dpa / Simela Pantzartzi
Der ehemalige Finanzminister und Vorsitzende der sozialdemokratischen PASOK-Partei, Evangelos Venizelos
Die harten Sparmaßnahmen waren alternativlos, sagt der ehemalige Finanzminister und Vorsitzende der PASOK-Partei, Evangelos Venizelos.© picture alliance / dpa / Giota Korbaki
Antonis Samaras, Vorsitzender der konservativen Partei Nea Dimokratia (ND)
"Wir sind die einzige Hoffnung, die dieses Land hat", glaubt Antonis Samaras, Vorsitzender der konservativen Partei Nea Dimokratia (ND)© picture alliance / dpa / Stefanos Rapanis
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