Griechenland helfen

Von Friedrich Thelen |
Hatte die Bundesregierung vor Kurzem noch verlauten lassen, es gebe kein Geld für Griechenland, wandelt sich die deutsche Argumentation wie ein chemischer Prozess im Reagenzglas. Als Nächstes ließ nämlich Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble erklären: Deutschland stellt äußerstenfalls Kredite zur Verfügung, damit Athen diese gar nicht in Anspruch nehmen muss. Am folgenden Wochenende vom 17./18. April hieß es dann: Wir stellen dem krisengeschüttelten Griechenland Geldmittel zur Verfügung, aber der deutsche Bürger darf sicher sein, dass ihn dies nichts kosten wird.
Ein solches Statement ist umso erstaunlicher, als sich auch hierzulande der Satz der einstigen britischen Premierministerin Margaret Thatcher herumgesprochen haben dürfte, dass es einen sogenannten "Free Lunch" nirgendwo gibt. Irgendjemand muss am Ende immer für das Geld aufkommen, das Politiker ausgeben. Im Regelfall sind dies die Steuerbürger.

Und so kam es auch in der Causa Griechenland. Die halb offizielle Version lautet jetzt: Wir müssen Geld bereitstellen, und wir können nicht versprechen, ob es nicht noch mehr sein muss – und schlimmer noch, die Wahrscheinlichkeit, dass die Gelder je zurückgezahlt werden, schwindet. Mittlerweile gibt es immer neue Schätzungen, wie viel Geld die Griechen brauchen könnten. Der Bundesbankpräsident Axel Weber wird mit einer Summe von 80 Milliarden Euro zitiert. Und einige Analysten schätzen, dass die benötigten Summen noch größer sein werden.

Griechenland hat sich selbst an den Rand der Staatspleite manövriert. In den folgenden Jahren wird Athen über 35 Prozent seines Staatshaushaltes für Zinsen und Tilgung ausgeben müssen. Und der Anteil steigt noch. Da ist es nur eine Frage der Zeit, bis der Schuldendienst das Land buchstäblich auffrisst. Keiner kann einschätzen, ob die griechische Bevölkerung einen solchen Austerity-Kurs auf lange Jahre durchhalten wird. Nicht unwahrscheinlich ist, dass die Griechen ähnlich wie die Isländer über kurz oder lang ein Referendum verlangen, in dem über die Rückzahlung der Schulden abgestimmt wird. Über den Ausgang eines solchen plebiszitären Votums sollte man sich keinen Zweifeln hingeben.

Deshalb hat in der deutschen Politik – allerdings noch hochgeheim – die Diskussion darüber begonnen, wie man Europa und natürlich vorrangig Deutschland vor den Gefahren dieser sich ausbreitenden Krise retten kann. Beflügelt werden könnte eine solche Diskussion durch die Klagen von dezidierten Euro-Gegnern beim Bundesverfassungsgericht. Diese wollen der Bundesregierung untersagen lassen, Griechenland finanziell zu helfen. Und damit stehen sie gar nicht mal auf unsicherem Rechtsgrund.

Denn nach Artikel 125 des Maastrichter Vertrages ist es den Euro-Mitgliedern verboten, sich gegenseitig finanziell zu retten. Diese Bail-Out-Klausel kennt keine Ausnahme. Wenn die Bundesregierung trotzdem an einer solchen Rettung teilnimmt, begeht sie einen Rechtsbruch. Aber damit ist das politische Problem nicht gelöst. Gesucht werden muss nach einer Form der europäischen Zusammenarbeit, die den griechischen Bazillus nicht auf andere finanzschwache Partner der Euro-Zone übergreifen lässt.

Denn sowohl die Griechen wie andere schwache Euro-Partner wissen genau, dass sie ein starkes Erpressungspotenzial in Händen halten. Motto: Sanktionen gegen uns schütteln wir leicht ab, wir können euch ohne eure finanzielle Überlebenshilfe alle beschädigen. Das ist die ja auch bei allen Bürgen wohlbekannte Ohnmacht der Gläubiger. Und da beginnen die Überlegungen mehrerer immer noch relativ starker Euro-Partner, ob sie im äußersten Fall nicht doch besser den Maastrichter Vertrag verlassen sollten.

Das ist natürlich für Deutschland, ein Land, das in den Jahren nach den fürchterlichen Katastrophen seiner Politik in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts sein Heil immer und überall in enger Integration in die europäischen und internationalen Bündnisse gesucht hat, ein sehr schwerer Schritt. Er wird auch nur gelingen können, wenn er mit anderen Euro-Ländern zusammen gegangen wird – sozusagen ein finanzielles Kern-Europa. Und dabei darf man nicht vergessen, dass Deutschland durch den Euro auf den internationalen Exportmärkten sehr profitiert hat.

Nach Möglichkeit will die deutsche Politik diesen Weg nicht gehen und hofft auf ein wie auch immer geartetes Wunder. Aber solche Wunder ereignen sich bekanntlich äußerst selten.


Dr. Friedrich Thelen, Jahrgang 1941, studierte Rechtswissenschaft, Geschichte und Philosophie. Er war Büroleiter Berlin der "Wirtschaftswoche" und ist jetzt als Publizist tätig. Er hat langjährige berufliche Erfahrungen im angelsächsischen Raum.