Griechenland fordert Reparationen

"Das ist eine Büchse der Pandora"

Yanis Varoufakis hört Wolfgang Schäuble zu, wie dieser auf einer gemeinsamen Pressekonferenz spricht.
Deutschland sollte bei den Verhandlungen mit Griechenland - hier Finanzminister Wolfgang Schäuble mit seinem griechischen Amtskollegen Yanis Varoufakis - etwas mehr Demut zeigen, findet der Wirtschaftshistoriker Albrecht Ritschl. © dpa / Kay Nietfeld
Wirtschaftshistoriker Albrecht Ritschl im Gespräch mit Nana Brink · 12.03.2015
Deutschland ist, historisch gesehen, der Schuldenkaiser: Nicht nur Griechenland, sondern auch andere Länder hätten allen Grund, auf Kriegsreparationszahlungen zu pochen. Die Bundesregierung sollte sich deshalb in der Euro- und Schuldenkrise demütiger zeigen, meint der Wirtschaftshistoriker Albrecht Ritschl.
Deutschland schuldet Griechenland Geld: Für Zwangskredite während des Krieges, die das von den Nazis besetzte Griechenland Deutschland gewähren musste, und für Reparationszahlungen, die stets verschoben und nicht geleistet wurden.
Das sei eine legitime Forderung, findet der Wirtschaftshistoriker Albrecht Ritschl, die Deutschland etwas demütiger im Umgang mit den griechischen Schulen machen sollte. Auch wenn etwa die nach heutigem Stand elf bis 13 Milliarden Euro des Zwangskredits nur ein Tröpfelchen auf dem heißen Stein seien, um Griechenlands aktuelle Schulden zu tilgen.
Griechenland ist nur ein Mosaiksteinchen
Und das sei noch nicht alles: Die Forderung der Griechen sei nur "ein Mosaikteilchen", gemessen an den potenziellen Forderungen aus all den anderen von den Nazis während des Zweiten Weltkriegs besetzten Ländern, die ausgeplündert worden seien: "Wenn wir die alle aufsummieren, dann wird es richtig teuer. Da geht es um sehr, sehr viel Geld."
Deshalb befürchtet Ritschl, der an der London School of Economics lehrt:
"Aus taktischer Sicht wäre es wahrscheinlich katastrophal, wenn wir jetzt anfangen würden, ein Reparationsverfahren allen Ernstes nochmal neu aufzurollen oder jetzt tatsächlich uns zu überlegen, wie viel ist dieser damalige Kredit wert und will man den jetzt abzahlen oder nicht. Und zwar aus einem einfachen Grund: Wenn wir damit im Falle Griechenlands anfingen, dann würden Forderungen von allen Seiten auf uns niederprasseln."
Auch Deutschland profitierte einst vom Schuldenschnitt
Allein aus praktischen Gründen müsse es deshalb heißen: "Das ist eine Büchse der Pandora, öffnet die mal nicht." Deutschland müsse sich jedoch stets vor Augen halten, dass es selbst nach dem Krieg, Anfang der 50er-Jahre "mit einem ungeheuer großen Schuldenschnitt davon gekommen" sei. Die anderen Ländern würfen Deutschland zu Recht vor: "Ihr seid wieder auf die Füße gestellt worden. So eine finanzielle Sanierung wäre in Südeuropa jetzt auch dran. Nun stellt euch mal nicht ganz so stur".


Das Interview im Wortlaut:
Nana Brink: Die Debatte ist nicht neu, aber sie bekommt natürlich einen ganz anderen Beigeschmack in diesen Zeiten. Die griechische Regierung bringt wieder die Forderung nach Entschädigung für erlittene Kriegsverbrechen aufs Tapet. Eine offene Wunde, die auch Bundespräsident Gauck bei seiner Reise nach Griechenland im vergangenen Jahr ja beschäftigt hat, als er sein Haupt geneigt hat vor den Opfern von NS-Verbrechen im ehemals besetzten Griechenland. Jetzt gibt es von Griechenland Forderungen, Deutschland solle die elf Milliarden Euro aus einem Zwangskredit, den die Nazis von der griechischen Notenbank 1942 erpresst hatten, zurückzahlen, notfalls – so verlautet aus Athen – werde man auch deutsches Eigentum beschlagnahmen.
All diese Fragen wollen wir jetzt besprechen mit jemandem, der sich seit Jahren eben mit diesen Fragen beschäftigt, nämlich der Wirtschaftshistoriker Professor Albrecht Ritschl von der London School of Economics. Guten Morgen, Herr Ritschl!
Albrecht Ritschl: Einen schönen guten Morgen!
Brink: Vielleicht klären wir an dieser Stelle erst einmal: Von welchen Schulden sprechen wir eigentlich?
Ritschl: Es ist sinnvoll zu unterscheiden zwischen den Kriegsschulden im engeren Sinne und den Reparationen im weiteren Sinne. Was Sie jetzt gerade schon angesprochen haben, ist diese Zwangsanleihe Griechenland an Deutschland aus dem Jahr 1942. Das war ein Betrag damals von knapp 500 Millionen Reichsmark, den man jetzt irgendwie hilfsweise umrechnen muss auf heutige Beträge. Und da kommt man, wie Sie es schon angedeutet haben, in die Gegend von elf bis 13 Milliarden Euro. Das ist für alle von uns eine Menge Geld. Ich will aber gleich dazu sagen, das wäre trotzdem viel zu wenig Geld, um die gegenwärtige griechische Schuldenkrise zu lösen. Aber die Forderung steht im Raum und es wird heftig darüber gestritten, ob sie legal ist oder nicht.
Ein System von Verrechnungskonten
Brink: Und die anderen Teile? Damit wir noch mal die Komplexität dieses Themas begreifen: Das ist die eine Seite, die Zwangsanleihen, dann gibt es aber noch die sogenannte Forderung nach Reparation oder Rückzahlung.
Ritschl: Na ja, die Reparationsforderung ist etwas der Höhe nach sozusagen Unbestimmtes, was es eben auch noch gibt. Die ist nie in ihrer Höhe wirklich festgelegt worden, sondern steht eben als etwas noch Ungeklärtes im Raum. Reparationen sind nach dem Zweiten Weltkrieg geleistet worden, von Westdeutschland, in nicht allzu großem Umfang, das waren die Demontagen der frühen Nachkriegszeit von der sowjetischen Besatzungszone und dann der späteren DDR an die Sowjetunion, allerdings in relativ großem Umfang. Um diese Dinge geht es aber gerade nicht, sondern es geht um die Frage, ob weitere Reparationen noch geleistet und gefordert werden können, und auch das ist strittig.
Brink: Gut, jetzt haben wir die zwei Blöcke, um die es ja eigentlich geht, verstanden. Die Frage an Sie jetzt: Was ist gerechtfertigt? Fangen wir mal mit dieser Zwangsanleihe von 1942 an! Ist diese Forderung Ihrer Meinung nach berechtigt?
Ritschl: Na ja, sie steht im Raum. Die Frage ist, ob sie noch gilt oder nicht, aber dass dieser Kredit eingezogen worden ist von deutscher Seite und nie zurückgezahlt worden ist, steht völlig außer Frage. Nun muss man sagen, das Ganze ist Bestandteil eines wesentlich weitergehenden Verfahrens gewesen. Es hat damals die Deutsche Reichsbank ein System von Verrechnungskonten unterhalten in allen besetzten Ländern, und auf diesen Verrechnungskonten Defizite aufgesammelt. Das war im Wesentlichen sozusagen das finanzielle Spiegelbild der Ausplünderung Europas durch Nazi-Deutschland. Das heißt, dieser griechische Zwangskredit ist sozusagen ein kleiner Splitter, ein kleines Mosaikteilchen eines viel größeren Bildes international von solchen Zwangsanleihen. Und wenn wir die alle aufsummieren, dann wird es richtig teuer, da geht es um sehr, sehr viel Geld.
Brink: Aber wenn Sie das jetzt beurteilen aus heutiger Zeit, wenn diese Forderung an Deutschland herangetragen ist, wie muss man darauf reagieren? Es gibt ja wahrscheinlich zwei Ebenen, die moralische und auch die juristische.
Ritschl: Versuchen wir es erst mal mit dreien: Ich fange mal mit der juristischen an, weil ich davon am wenigsten verstehe. Aber ich kann geschichtlich erklären, wie es zu der Sache gekommen ist. Diese Forderungen an Deutschland wurden nach dem Zweiten Weltkrieg zuerst mal von den Amerikanern blockiert, und zwar im Rahmen des Marshallplanes. Diejenigen Länder Westeuropas, die Marshallplanhilfe von den USA erhalten wollten, mussten 1947 eine Erklärung unterschreiben, dass alle Altschulden Deutschlands blockiert wären, bis Deutschland seine Marshallplanhilfe zurückgezahlt hätte. Auf diese Weise hat erst mal sozusagen Schuldenferien, einen Schuldenfeiertag bekommen, der theoretisch angehalten hätte bis in die Mitte der 50er-Jahre.
Deutschland ist bislang an Reparationszahlungen vorbei gekommen
So weit ist es aber gar nicht gekommen, denn 1953 kam es dann zum berühmten Londoner Schuldenabkommen, das jetzt viel besprochen wird, und in diesem Londoner Schuldenabkommen Artikel fünf werden die Kriegsschulden Deutschlands zusammengeworfen mit den Reparationsleistungen, und deren Regelung vertagt auf eine zukünftige Regel nach einer deutschen Wiedervereinigung. Im Rahmen der deutschen Wiedervereinigung ist es dann zu einer solchen Neuregelung der Reparationen nicht gekommen, und der deutsche Rechtsstandpunkt ist, dass das Zwei-plus-vier-Abkommen zur deutschen Wiedervereinigung eine abschließende Regelung aller deutschen Fragen sei und damit betreffend Reparationen nichts mehr geregelt werden müsste, auch nicht betreffend Zwangsanleihen.
Brink: Genau, also, das ist sozusagen die deutsche Position, die ja auch immer wieder klargemacht wird von allen Seiten in der letzten Zeit. Die Griechen allerdings beziehen sich dann auf diese ja interpretationsfähige Phase, will ich das mal nennen. Wir haben auf der einen Seite das Londoner Abkommen, das sagt, das wird auf die Einheit vertagt, und das ist dann nicht passiert. Und die Griechen sagen, ja, aber da gibt es sozusagen noch Handlungsbedarf, da können wir noch Forderungen stellen. Sehen Sie das auch so?
Ritschl: Das sind juristische Fragen, in denen ich natürlich kein Experte bin. Das Einzige, was ich berichten kann, ist, dass diese Frage immer umstritten gewesen ist und ...
Brink: Also, sie ist nicht neu, sie ist ja seit Jahrzehnten ...
Ritschl: Es ist gar nicht neu, nein. Es geht im Grunde genommen zurück bis ins Jahr 1960/61, damals gab es ein erstes Entschädigungsabkommen zwischen der Bundesrepublik und Griechenland. Und da war diese Frage bereits strittig, ob das schon eine abschließende Regelung sei oder nicht. Und wenn man sich nicht einigen konnte, hat man dann zu einem diplomatischen Briefwechsel gegriffen, das ist also ein typisches Instrument, um auf diplomatische Weise eine Uneinigkeit festzuhalten. Also, die griechische Seite hat einen Brief geschrieben, wir sehen das nicht als abschließend an, die deutsche Seite hat einen Brief geschrieben, wir sehen es doch als abschließend an, und dann hat man es erst mal auf sich beruhen lassen. Nach der deutschen Einheit ist das natürlich hochgekocht und Griechenland war nach dem Zwei-plus-vier-Abkommen das einzige Land, das lautstark protestiert hat und gesagt hat, so geht es ja nicht, wir brauchen jetzt aber doch noch eine Reparationskonferenz!
Forderungen von allen Seiten
Brink: Nun kommen diese Forderungen von griechischer Seite ja jetzt nicht überraschend, sie sind auch eingebettet sozusagen in diese ganze aufgeheizte Debatte zwischen EU und Griechenland um weitere finanzielle Hilfen. Was ist denn Ihr Vorschlag, wie kommen wir denn aus diesem Dilemma raus, aus dieser, ja, festgefahrenen Situation?
Ritschl: Unbedingt. Man kann sagen, aus praktischer Sicht wäre es wahrscheinlich katastrophal, wenn wir jetzt anfangen würden, ein Reparationsverfahren allen Ernstes noch mal neu aufzurollen oder jetzt tatsächlich uns zu überlegen, wie viel ist dieser damalige Kredit wert und will man den jetzt abzahlen oder nicht. Und zwar aus einem einfachen Grund: Wenn wir damit im Falle Griechenlands anfingen, dann würden natürlich Forderungen von allen Seiten auf uns niederprasseln. Und hier muss man, egal was man moralisch davon hält, einfach aus praktischen Gründen immer die Empfehlung abgeben: Das ist eine Büchse der Pandora - öffnet die mal nicht! Das heißt aber nicht, dass man sich inflexibel verhalten sollte, und das ist ja die Kritik, die von allen Seiten an der deutschen Position geübt wird: Ihr Deutschen seid damals durch das Londoner Schuldenabkommen durch die Großzügigkeit der Amerikaner mit einem ungeheuer großen Schuldenschnitt davongekommen, ihr seid finanzielle wieder auf die Füße gestellt worden, so eine finanzielle Sanierung wäre in Südeuropa jetzt auch dran, nun stellt euch mal nicht ganz so stur!
Brink: Der Wirtschaftshistoriker Albrecht Ritschl von der Londoner School of Economics. Danke für Ihre Zeit und die Einschätzungen, Stoff für weitere Gespräche ist in jedem Falle gegeben!
Ritschl: Schönen Tag!
Brink: Ja, schönen Tag auch für Sie!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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