Griechen überweisen ihr Geld ins Ausland

Ilias Bissias im Gespräch mit André Hatting · 21.06.2011
Die griechischen Bankkunden fürchten um ihre Ersparnisse. Dies habe dazu geführt, dass etwa 15 Milliarden Euro vor allem in die Schweiz und nach Zypern überwiesen worden seien, sagt der Athener Wirtschaftsanwalt Ilias Bissias. Die übertriebene Medienberichterstattung in Griechenland habe das Vertrauen der Kunden in ihre Banken stark erschüttert. Die Ausfuhr der Vermögenswerte ließe sich kaum verhindern.
André Hatting: Eigentlich wollten sich die Eurofinanzminister schon am Sonntag einigen, nächste Rate für Griechenland und ein neues Hilfspaket gleich hinterher. Schnell sollte es gehen, hatte Eurogruppenchef und Gastgeber Jean-Claude Juncker gefordert. Aber nach dem Gipfel in Luxemburg gilt: neues Geld nur gegen neue Sparmaßnahmen. Die Finanzmärkte sind irritiert, der Euro gibt nach, und in Griechenland wächst die Angst davor, schon im Juli zahlungsunfähig zu sein. Am Telefon ist jetzt Ilias Bissias, er ist Wirtschaftsanwalt in Athen. Guten Morgen, Herr Bissias!

Ilias Bissias: Schönen guten Morgen, Herr Hatting!

Hatting: Erst soll Griechenland neue Reformen beschließen, dann gibt es neues Geld. Ist das fair?

Bissias: Das ist so. Das ist so. Das hören wir.

Hatting: Und finden Sie das einen fairen Handel, wenn wir das so angehen von der Europäischen Union?

Bissias: Grundsätzlich wäre Ihre Frage zu bejahen. Vorausgesetzt, wir können praktisch alle diese Sparmaßnahmen durchstehen und praktisch die ganze Krise bewältigen. Das steht eine schwierige Zeit für die Griechen bevor, das ist ganz klar, aber ich glaube, es gibt keinen anderen Ausweg im Moment.

Hatting: Das Eigenartige ist ja, das zumindest das Fazit des ersten Hilfspaketes, dass das Land weiterhin finanziell vor dem Ruin steht. Die Menschen sind verzweifelt. Wie weit kann denn Griechenland noch sparen? Ist da überhaupt noch Luft nach oben?

Bissias: Ich glaube, die Grenzen sind sehr eng im Moment, die Grenzen sind sehr beschränkt, also die Sparmaßnahmen sind mehr oder weniger erschöpft. Das Durchhaltevermögen der Griechen ist ebenfalls erschöpft, die Leute sind sehr verunsichert, sogar verärgert über die Sparpolitik der Regierung. Und na ja, es herrscht eigentlich Ärger und Verunsicherung über die Zukunft.

Hatting: Wenn es um das Sparen geht, dann hören wir immer, es soll weiter privatisiert werden, also die Staatsbetriebe wie zum Beispiel der elektronische Versorger, der Energieversorger, soll privatisiert werden. Was in der Öffentlichkeit nicht so deutlich herauskommt, ist ein ganz anderes Problem, das lässt sich mit dem Wort Kapitalflucht beschreiben. Sie sind ja Wirtschaftsanwalt, Sie bekommen das mit – erklären Sie mal, was genau passiert im Augenblick in Griechenland?

Bissias: Das ist richtig, Herr Hatting. Die griechische Finanzkrise der letzten anderthalb Jahre hat unter anderem auch den griechischen Banksektor stark betroffen. Trotz der Absicherung seitens der Experten und der sachlich zuständigen Organe ist bei den griechischen Bankkunden große Verunsicherung bezüglich ihrer Ersparnisse beziehungsweise ihres Bankguthabens entstanden. Das hat dazu geführt, dass bis heute etwa 15 Milliarden Euro ins Ausland ausgeführt wurden. Profitiert davon haben vorwiegend die Schweiz und Zypern.

Hatting: Sind denn Griechenlands Banken überhaupt noch zu retten, wenn die Reichen, die Wohlhabenden ihr gesamtes Geld ins Ausland bringen?

Bissias: Gut, seitens der Banken werden die Bankkunden eigentlich beruhigt, man sollte sich über die Zukunft der Banken keine Sorgen machen, wobei, das sind Behauptungen, und aus der Sicht der Bankkunden, die reichen natürlich nicht aus. Dieses neu geschaffene Misstrauen gegenüber den griechischen Banken ist eigentlich auf zum Teil unsachlichen und übertriebenen Medienberichterstattungen entstanden und gepflegt. Derartige Berichterstattungen sprechen von einer Gefährdung der Vermögenswerte bei den griechischen Banken, und das hat dazu geführt, dass die Kunden praktisch rechtzeitig eben 15 Milliarden Euro ins Ausland transferiert haben.

Hatting: Von welchen Kunden sprechen wir da? Ich hab jetzt gerade mal einfach so unterstellt, es seien nur die Reichen, stimmt das? Welche Kunden sind das?

Bissias: Nein, das stimmt überhaupt nicht, es gibt auch Leute, die was weiß ich 50- oder 30.000, also ihre eigentlichen Ersparnisse praktisch ins Ausland transferiert haben. Bekanntlich ist die Kontoeröffnung im Ausland völlig rechtmäßig, das heißt, selbst wenn ich meinen Steuerwohnsitz in Griechenland habe und hier sowieso ansässig bin, ich darf zum Beispiel auf Zypern oder auch in der Schweiz ganz legal ein Konto eröffnen.

Hatting: Das bedeutet ja im Umkehrschluss, man kann das nicht verhindern, dass die Menschen ihr Kapital ins Ausland bringen – das klingt ja wie so ein Selbstläufer?

Bissias: Rechtlich gesehen, man kann die Kontoeröffnung, oder anders ausgedrückt die Ausfuhr der Vermögenswerte nicht verhindern. Man kann natürlich auf der anderen Seite diese Vermögenswerte nachträglich versteuern lassen, vorausgesetzt es handelt sich um nicht deklarierte Vermögenswerte. Und das ist eigentlich der problematische Punkt: Wenn es sich um deklariertes Geld handelt, dann kann man natürlich überhaupt nichts machen. Im Gegenteil, wenn es sich um nicht deklariertes Geld handelt, dann kann man natürlich im Nachhinein diese Vermögenswerte im Ausland besteuern. Ich glaube, Sie kennen die entsprechende Problematik, die auch in Deutschland entstanden ist in den letzten Jahren, ich spreche über die entsprechenden Vermögenswerte oder Bankguthaben von deutschen Staatsangehörigen in der Schweiz zum Beispiel. Deutschland hat mit der Schweiz Verhandlungen aufgenommen, wie man solches Guthaben, undeklariertes Guthaben, in Deutschland versteuern kann, und wenn ich richtig informiert bin, da wurde eine Vereinbarung Ende Oktober 2010 abgeschlossen, und die Verhandlungen sind immer noch im Gange. Das Gleiche hat auch Griechenland gemacht. Im November 2010 wurde ein Protokoll in der Schweiz, in Bern, unterzeichnet, und zum ersten Mal zum Beispiel muss die Schweiz an Griechenland Rechtshilfe erteilen in Sachen Steuerhinterziehung. Das ist etwas absolut Neues.

Hatting: Sie haben, Herr Bissias, vorhin angesprochen, dass auch durch zum Teil unseriöse Medienberichterstattung das Vertrauen in die Banken in Griechenland schwer erschüttert worden ist und die Menschen dann begonnen haben, ihr Kapital ins Ausland zu transferieren. Wie kann man denn wieder das Vertrauen in die Banken herstellen?

Bissias: Ja, wissen Sie, leider bei jeder Finanzkrise gibt es auch Seiten seitens der Medien, die einfach sehr gerne übertreiben und praktisch dafür sorgen, dass Misstrauen und Verunsicherung entsteht. Das Vertrauen ist eben etwas, das sich entwickeln kann. Ich meine, wenn die Zukunft zeigen wird, aus der Sicht eben der Bürger, der Bankkunden, dass praktisch keine Gefährdung der Vermögenswerte bei den griechischen Banken vorliegt, dann wird dieses Misstrauen mit der Zeit praktisch aufgehoben.

Hatting: Welche Rolle spielen die Ratingagenturen dabei? Sie stehen ja im Augenblick auch sehr in der Kritik, weil sie, obwohl Griechenland Reformanstrengungen macht, obwohl Griechenland seit einem Jahr versucht, den Haushalt in den Griff zu bekommen, trotzdem werten sie die Kreditwürdigkeit des Landes immer weiter ab.

Bissias: Gut, hierzulande ist es so, dass wir davon überzeugt sind, dass auch Spekulanten mitmachen. Das heißt, bei jeder Finanzkrise ist es bekanntlich so, dass es auch eine ganze Menge von Leuten gibt, die davon Profit machen. Auch hier bei uns gibt es Spekulanten, und wir gehen davon aus, dass praktisch diese Spekulationsmaßnahmen auch ein bestimmtes Ziel haben, eben den Gewinn. Und diese Art von Politik oder von Medienberichterstattung – weil das ist es natürlich auch, was dahintersteht – hat dafür gesorgt, dass diese Verunsicherung hier vergrößert wurde.

Hatting: Einschätzungen von Ilias Bissias waren das. Er ist Wirtschaftsanwalt in Athen. Herr Bissias, ich danke Ihnen herzlich für das Gespräch!

Bissias: Ich danke Ihnen auch, Herr Hatting, auf Wiederhören!



Sie können das vollständige Gespräch mindestens bis zum 21.11.2011 als MP3-Audio in unserem Audio-on-Demand-Player nachhören.

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