Grenzgebiet

Das Saarland - ein Produkt des Ersten Weltkrieges

Blick vom felsigen Aussichtspunkt Cloef auf die Saarschleife in Orscholz: Die im Dreiländereck Deutschland, Frankreich und Luxemburg gelegene Saarschleife ist ein Natur- und Landschaftsschutzgebiet.
Blick vom felsigen Aussichtspunkt Cloef auf die Saarschleife in Orscholz © picture alliance / Daniel Karmann
Von Tonia Koch · 07.08.2014
Das Jahr 1919 wird zum Schlüsseljahr für das Saarland, denn da verhandeln die Siegermächte des Ersten Weltkrieges in Versailles die Neuordnung Europas.
Wer im Saarland auf alten Bergmannspfaden unterwegs ist, sollte gut zu Fuß sein. Denn die Kilometer langen Trails werden nicht umsonst Hartfüßler-Wege genannt, erläutert Valentin Peter.
"Die Bergleute hatten früher Schuhe an, die waren genagelt, damit die Sohle sich nicht abläuft, ein Paar Schuhe musste 20 Jahre halten. Die Nägel wurden immer wieder ersetzt. Mein Vater zum Beispiel hatte daheim ein Eisen, sobald etwas fehlte hat er nachgearbeitet, damit das Schulwerk möglichst lange erhalten blieb. Deshalb hat man sie Hartfüßler genannt. Sie haben unheimlich viele Kilometer im Jahr geschrubbt, denn sie sind ja nicht gewandert. Das Wichtigste war das Schuhwerk."
Valentin Peter war Bergmann in der dritten Generation. Er kümmert sich inzwischen um das historische Bergbauerbe in seiner Heimat.
Der Weg zum 409 Meter hohen Lichtenkopf wird von Brunnen gesäumt. Die Bergleute haben die Quellen vor mehr als 100 Jahren erschlossen. Sie mussten sich auf ihren bis zu 40 Kilometer langen Märschen zu den Kohlegruben mit Wasser versorgen. Auf dem Lichtenkopf angekommen, bietet sich ein eindrucksvolles landschaftliches und industrielles Panorama. Der Wind zerrt am Mikrofon.
"Da drüben ist das Neunkircher Eisenwerk, da sieht man die Westwanderung der Kohle, Schacht IV, Göttelborn. Und dann das, was aus der Kohlewirtschaft entstanden ist, das Kraftwerk Weiher. Wenn man sich umdreht, die Höcherberg-Region, der Höcherberg ist noch höher, 509 Meter und dort sieht man das Wahrzeichen vom Saarland, den Schaumberg, das ist die nördliche Region, die andere Strömung ist von dort gekommen."
Hier kann man nachvollziehen, warum die Alliierten die Grenzen des Saarlandes im Versailler Vertrag vom Sommer 1919 so festlegten wie sie es taten: Entlang der wie an einer Perlenschur aufgereihten Kohlegruben und Eisenhütten und entlang der Bergmannspfade.
"Das ist den Leuten nicht bewusst, wenn ich die Wege gehe, dann sind die ganz überrascht, dass anhand der Pfade, damit die Arbeiterströme nicht abreißen und damit die Produktion weiterhin aufrecht erhalten werden kann im Saarland, die Siegermächte natürlich Interesse daran hatten, dass die Bergmannsstrukturpfade erhalten bleiben."
Saarländische Zechen als Ersatz für die zerstörten Kohlegruben in Nordfrankreich
Der Versailler Vertrag überließ die saarländischen Zechen als Ersatz für die Zerstörung der Kohlegruben in Nordfrankreich den Franzosen. Die Stahlindustrie, die für die erlittenen Kriegsschäden ebenfalls Wiedergutmachung leisten sollte, gelangte mehrheitlich in französische Hände.
Noch heute wird zum Teil an den gleichen Orten Stahl produziert wie damals. Die alte Hütte in Völklingen steht noch. Ein industrielles Denkmal von Rang zwischenzeitlich von der Unesco als Weltkulturerbe geadelt.
Der Versailler Vertrag setzte nicht nur wirtschaftlich eine Zäsur sondern auch politisch. Der Friedensvertrag war die Geburtsstunde des Saarlandes, sagt der Historiker Michael Sander.
"Die größte Bedeutung des Ersten Weltkrieges für das Saarland liegt im Friedensvertrag. Im Friedensvertrag hätte Frankreich das Saarland als Schwerindustriegebiet am liebsten annektiert. Aber die Amerikaner stellten sich dagegen und so kam es zu dieser Lösung, dass das Saarland unter die Herrschaft des neu gegründeten Völkerbundes kam."
Die Saargegend wurde zu einem politischen Territorium zusammengefasst. Das künstlich geschaffene Gebilde setzte sich aus einem bayerischen Teil und einem preußischen Teil zusammen. Die Alliierten wollten es jedoch nicht vollständig den französischen Interessen überlassen, deshalb unterstellten sie das Saargebiet dem Völkerbund. Allerdings nur bis 1935. Danach sollte die Bevölkerung selbst entscheiden wo sie hingehört.
"Die Sache war insofern geregelt, dass eine Volksabstimmung nach 15 Jahren vorgeschrieben war und auch die Fragestellung: Zu Deutschland, zu Frankreich oder die Erhaltung dieses Zwischenzustandes, des Status quo. Und bis 1933 war für alle politischen Parteien klar, dass das Saargebiet zum Deutschen Reich zurückkehren wird."
Was dann auch eintrat. Über 90 Prozent der Saarländerinnen und Saarländer votierten für eine "Heimkehr ins Reich". Ein nachvollziehbares Votum, findet der Historiker Gerd Krumeich.
"Die Franzosen haben geglaubt, dass sie mit einem bisschen Propaganda, mit einem bisschen Liebe und einem bisschen Druck, die Saarländer dazu kriegen würden, Franzosen zu werden. Das ist der große Irrtum gewesen, wie sich dann später gezeigt hat."
Die Saarländer empfanden die französische Besatzungsherrschaft als degradierend
Die stark von französischen Interessen dominierte Verwaltung durch den Völkerbund, der Vorläuferorganisation der UNO, sei bei der saarländischen Bevölkerung auf Ablehnung gestoßen.
"Das war in den 20er Jahren absolut absehbar, dass die französische Besatzungsherrschaft von den Saarländern als sehr schwierig und degradierend empfunden wurde. Und die Franzosen haben auch wenig getan, um das Saarland nach Frankreich zu integrieren. Das war Militärherrschaft und ökonomische Ausbeutung. Ich sehe da keine großen Freundschaftsgesten, die Bevölkerung für sich einzunehmen. Und dann war auch die Zeit zu kurz."
In den Nachbarregionen in Lothringen und dem Elsass, die 1918 - nachdem sie fast 50 Jahre deutsch waren - an Frankreich zurückfielen, setzte Paris seine legitimen politischen Ansprüche durch und zwar unmittelbar nach dem Waffenstillstand.
"Wo es dann auch Vertreibungen gegeben hat von Reichsdeutschen und sich sehr hässliche Szenen abgespielt hatten. Also, mit welcher Schnelligkeit und Brutalität auch die französische Sprache wieder zwingend eingeführt wurde, Deutsch einfach nicht mehr erlaubt war. Ich hab‘ Elsässer gekannt, die haben 3 Mal in ihrem Leben die Sprache verboten gekriegt. 1871, 1918 und dann wieder 1940."
Der deutsche Historiker ist von der lothringischen Metropole Nancy gebeten worden, eine Ausstellung zum Ersten Weltkrieg zu konzipieren. Sie trägt den Titel: Sommer 1914, Nancy und Lothringen im Krieg. Ganz bewusst wird in Nancy der Schwerpunkt auf den Ausbruch des ersten Weltkrieges gelegt.
"Wie sich der Krieg entwickelt, weil der Krieg von 1914 gar nichts mit dem zu tun hat, wie er sich 16, 17, 18 als mechanisierter Vernichtungskrieg mit riesigen Propagandamechanismen abspielt und immer totaler wird. Wie spielt sich das in der Region ab."
Nancy nahm aufgrund seiner geographischen Lage nicht nur eine wichtige strategische Rolle ein, sondern war auch im psychologischen Kontext dieses Krieges von Bedeutung. Denn nachdem Straßburg und Metz in der deutsch - französischen Auseinandersetzung 1870/71 dem deutschen Kaiserreich einverleibt wurden, avancierte Nancy zur alleinigen ostfranzösischen Metropole. Die Stadt verzeichnete ein starkes Wachstum, weil viele Menschen zuvor der Germanisierung entflohen waren und sich dort niederließen. Schließlich lag die 120.000 Einwohner zählende Stadt nur 15 Kilometer von der deutschen Westgrenze entfernt. Über Nancy wollten die deutschen Militärstrategen nach Paris. Doch – obwohl unbefestigt- trotzte die Stadt den Angriffen. In Elsass-Lothringen, auf den Höhen des Grand Couronné, zwischen Metz, Nancy und den Vogesen tobte daher längst vor Verdun der Krieg. Erwartet und freudig begrüßt, denn auch hier gingen die Menschen davon aus, dass der Waffengang nur wenige Wochen dauern werde.
"Die da damals die roten Hosen angezogen haben, die haben nicht geahnt, das sie zwei Jahre später grau in grau und tiefst verschlammt in den Schützengräben der Somme liegen würden."
In nur sechs Wochen erbitterter Kämpfe - von Anfang August bis Mitte September 1914 - sind allein in den französischen Reihen 100.000 Soldaten gefallen. Der Einsatz der bayerischen Armee, unter Führung des Prinzen Ruprecht von Bayern, soll 17.000 Tote und bis zu 50.000 Verwundete gefordert haben. Die Ausstellung zeigt den tausendfachen Tod in bewegenden Photographien. Ein Massengrab bei Morhange, ausgehoben an zwei Tagen im August, zeugt vom Grauen. Eine Postkarte trägt den Text: Massengräber, 700 Tote, darunter 300 tapfere Bayern.
Der Kaiser zweifelte an der Linientreue der elsässischen und lothringischen Untertanen
"Sei getreu bis in den Tod" lautet die Inschrift auf dem weißen Holzkreuz. Doch der deutsche Kaiser hatte Zweifel an der Linientreue seiner elsässischen und lothringischen Untertanen. Zu Bruderkämpfen zwischen Lothringern und Elsässern mit deutschem Pass und solchen mit französischer Identität kam es daher nicht, erläutert Gerd Krumeich.
"Die elsässischen Soldaten aus den Reichslanden Elsass-Lothringen sind nie hier an der Front eingesetzt worden. Im Februar 1914 hatten die deutschen militärischen und politischen Instanzen zusammen beschlossen, dass angesichts der nicht hundertprozentigen Loyalität der elsässischen Bevölkerung, Elsässer nicht im Kampf gegen Frankreich eingesetzt werden. Die wurden an die Ostfront gebracht."
Nichts habe darauf hingedeutet, dass das Misstrauen gerechtfertigt gewesen sei, argumentiert Krumeich. Spätestens ab 1900, 30 Jahre nachdem die einstigen französischen Ostprovinzen deutsch geworden waren, hätten die Franzosen keinen revanchistischen Gedanken mehr nachgehangen, um die Schmach von 1870/71 zu tilgen.
"Das hat die historische Forschung inzwischen messerscharf etabliert, dass nach 1900 der Revanchismus – wie man in Deutschland immer gesagt hat, in Frankreich öffentlich keine Rolle mehr gespielt hat und dass auch die elsässische Bevölkerung sich mit ihrer Existenz als Reichsland mehr oder minder abfand und nur noch sehr wenige nach Frankreich zurück wollten. Man kann einfach nicht sagen, dass die Franzosen 1914 in den Krieg gegangen sind, wegen dieses Kriegsziels."
Wer heute durch Lothringen oder das Elsass fährt, wird keine Stadt, kein Dorf passieren, in dem nicht der Kriegstoten des "grande guerre", des Ersten Weltkrieges gedacht wird. Der Landstrich litt, denn der Krieg hatte sich mit zunehmender Dauer der Auseinandersetzung in den Schützengräben festgesetzt. Das benachbarte Saarland und das besetzte Luxemburg hingegen dienten in erster Linie als Lazarett, als Nachschub-Basis, und als Waffenschmiede. Michael Sander.
"Es gab ein Schwerindustriegebiet des deutschen Südwestens wie das damals hieß. Die Organisation der Eisenindustrie umfasste das Saarrevier, Lothringen - insbesondere das Erzrevier an der Mosel und Schwerindustrie in Luxemburg. Luxemburg gehörte bis zum Ende des Ersten Weltkrieges zum Deutschen Zollverein."
Deutsche Konzerne hatten kräftig investiert in Luxemburg und drei Jahre vor Kriegsausbruch kam es zur Gründung der ARBED, einem Zusammenschluss wichtiger Stahlunternehmen in Luxemburg, Lothringen und dem Saarland. Luxemburg war zu diesem Zeitpunkt eines der weltweit wichtigsten Eisen- und Stahlproduzenten, nirgendwo sonst wurde pro Kopf so viel Eisen und Stahl hergestellt wie im Großherzogtum. Der Absatzmarkt für die Produkte aus den Stahlschmieden lag überwiegend im deutschen Kaiserreich. Und die Eliten, die an der Spitze der Fabriken standen, kamen aus den Reihen deutscher Muttergesellschaften, sagt Helma Werner.
"Sie waren bei der Industrie halt die Bosse, die Fachkräfte und bei der Zollverwaltung natürlich auch die Zolldirektoren. Die Obergrenzkontrolleure, das waren die Deutschen."
Helma Werner ist Mitglied im Deutschen Verein in Luxemburg und Kuratorin einer Wanderausstellung, die sich mit der Rolle der Deutschen im Großherzogtum beschäftigt.
"Bis 1947 waren die Deutschen die größte Ausländergruppe in Luxemburg und bis dato gab es keine Dokumentation über diese Bevölkerungsgruppe."
Die Vereinsmitglieder haben in Archiven gewühlt und Stammbücher ausgewertet, um zu dokumentieren, wie stark die Deutschen in die luxemburgische Gesellschaft hineingewirkt haben.
"Das war für Viele ganz neu, was wir herausgefunden haben. Nach jeder Vernissage kamen Menschen auf mich zu, bis hin zu Politikern, und gesagt haben, ich hab‘ auch eine deutsche Großmutter, Menschen, die es vorher nicht gewagt hätten, über deutsche Ahnen zu sprechen, die es dann offen zugegeben haben. Vielleicht auch, weil sie gesehen haben, das waren dann doch ganz patente Leute."
Aus den deutschen Freunden wurden jedoch bereits am 2. August 1914 die deutschen Besatzer. Die Neutralität Luxemburgs wurde ignoriert, weil die kaiserlichen Militärstrategen das kleine Land als Kommandozentrale für die Westfront missbrauchten. Wie sehr sich die politische Klasse gegen diese Grenzverletzung zur Wehr setzte oder auch nicht, und wie sehr die Bevölkerung dagegen opponierte, darüber hat der luxemburgische Historiker Benoit Majerus im Auftrag der Regierung geforscht. Seine Ergebnisse sollten der Öffentlichkeit präsentiert werden, doch dann wechselte im Oktober des vergangen Jahres die Regierung, eine große Koalition wurde von einem Dreierbündnis aus Liberalen, Sozialisten und Grünen abgelöst und die geplante Ausstellung aus Kostengründen abgesagt.
"Ich glaube, ein erster Grund ist, dieser Erste Weltkrieg hat in Luxemburg keine Lobby, weil es ein schwieriger Krieg ist. Ein großer Teil der Eliten hat sich mit dieser Besatzung arrangiert. Der Krieg ist nicht einfach zu erzählen. Ich glaube, eine Ausstellung über den Zweite Weltkrieg hätte sich keiner getraut, abzusagen."
Die Absage hat Diskussionen und Unverständnis in Luxemburg ausgelöst. Vor allem die ehemalige Kulturministerin, die konservative Octavie Modert, die sich für die historische Aufarbeitung der Kriegsjahre stark gemacht hatte, findet die Haltung der aktuellen Regierung befremdlich.
"Der Erste Weltkrieg ist gut aufgearbeitet, nie ganz, aber doch aber der erste Weltkrieg ist großes unbekanntes Land für dieses Land. Umso mehr haben wir Ursache, uns damit zu beschäftigen, weil wir ganz wenig über diese Zeit wissen. Es wäre wichtig, dieses Land mit seinem Kapitel Erster Weltkrieg bekannt zu machen. Ich sage nicht mal zu konfrontieren."
Der heftig kritisierte luxemburgische Regierungschef, der Liberale Xavier Bettel, unterbreitete dann den Vorschlag, die Nachbarn aus der Großregion, Lothringer, Saarländer und die belgische Wallonie sollten sich an der Ausstellung beteiligen.
"Ich bin überrascht, dass gesagt wird, die Ausstellung werde nicht stattfinden. Die Regierung ist nur der Auffassung, dass eine solche Ausstellung nicht uninteressant wäre für die Großregion, für Frankreich, Belgien und Deutschland und dort auch gezeigt werden könnte."
Es war ein dahingesagter Satz, mehr nicht. Denn davon, dass die luxemburgische Regierung versucht hätte, die Nachbarn inhaltlich oder finanziell einzubinden, ist nichts bekannt.
"Grundsätzlich finde ich das interessant, indem man sagt, man möchte den Krieg nicht auf ein Land beschränken. Aber dann muss man sehr viel mehr darüber arbeiten, als man bis jetzt über Luxemburg gearbeitet hat."
Majerus hat die deutsche Besatzung in Luxemburg unter verschiedenen Gesichtspunkten betrachtet. Die großherzogliche Familie habe politisch damit umgehen müssen, die Wirtschaftskreise hätten eine Linie finden müssen und schließlich habe sich auch die Bevölkerung auf die neuen Herren einstellen müssen. Dabei gehe es nicht darum, zu bewerten, ob das Verhalten der einen oder anderen Gruppe richtig oder falsch gewesen sei, sondern es gehe darum, zu zeigen, wie es sich angefühlt habe, im Alltag mit dem Besatzer zu leben.
"Wir wollen die Spannbreite aufzeigen. Wir haben sehr schöne Photos gefunden, wo zum Beispiel deutsche Soldaten mit Kindern Schlitten fahren. Das bricht dieses Bild auf von zwei Gesellschaften, die deutschen Besatzer und die luxemburgische Bevölkerung, die zwei gegenüber gestellt Gesellschaften gewesen wären. Nein, diese Gesellschaften sind in ihrem Alltag immer wieder in Kontakt miteinander. Und so wollen wir auch versuchen, diese vielleicht sehr moralisierende Frage, die immer wieder über den Ersten Weltkrieg wiederkehrt: Kollaboration oder Nicht-Kollaboration, die wollen wir historisieren, in dem wir zeigen, dass Schwarz-Weiß-Malerei historisch wenig Sinn macht."
Nicht die Besatzung, sondern der Hunger hat sich im kollektiven Gedächtnis eingeprägt
Mit Ausnahme frankophoner Bevölkerungsschichten, die teilweise ins Gefängnisse gesteckt worden seien, habe das Gros der Bevölkerung keine Willkür erdulden müssen. Im kollektiven Gedächtnis der Luxemburger habe sich nicht die Besatzung sondern der Hunger eingeprägt.
"Das was als schlimm empfunden wird in diesem Ersten Weltkrieg ist der Hunger. Das ist ein Krieg der vielmehr über soziale Missstände erinnert wird, als darüber, dass das Besatzungsregime besonders streng gewesen ist."
Im Vergleich zu Belgien, das ebenfalls Anfang August von den Deutschen besetzt worden war, um die militärischen Pläne im Westen zu verfolgen, seien die Deutschen in Luxemburger jedoch weit weniger rigoros vorgegangen. Es habe weder Strafgerichte gegeben und Erschließungen, noch seien die arbeitsfähigen Männer in die Rüstungsfabriken des deutschen Reiches deportiert worden.
"Das ist das, was verwunderlich ist, und worauf auch ich selbst noch keine Antwort habe. Man sagt, der erste Weltkrieg ist der erste totale Krieg von der Mobilisierung zum Beispiel in den besetzten Gebieten. Das ist für Luxemburg nicht der Fall. Ich glaube, dass auch für das Besatzungsregime Luxemburg nicht richtig Feindesland ist. Man geht davon aus, dass dann, wenn die Deutschen den Krieg gewinnen, es ein Teil des deutschen Kaiserreiches wird, wie Bayern, das Großherzogtum Luxemburg Teil des deutschen Reiches."
Nicht an der Front, aber doch nahe genug, teilen die Menschen der Region, mit zunehmender Technisierung des Krieges nicht nur den Hunger sondern auch die Angst, sagen der luxemburgische Forscher Majerus und der saarländische Historiker Michael Sander übereinstimmend.
"All diese Ängste, die existierten, Luftangriffe, Bombardements. Es ist nicht wie eine Stadt wie Berlin, die weit weg liegt von der Front. Die Front ist nicht richtig präsent, weil man nicht in die Kampfhandlungen eingebunden ist, aber andererseits man hört die Front. Verdun war so nahe dran am Saargebiet, dass man während der großen Schlacht, den Geschützdonner hören konnte."
Für diejenigen Länder und Regionen die heute die Großregion bilden, also für Luxemburg, die belgische Wallonie, Lothringen und das Saarland hat sich die Geschichte wiederholt. Im zweiten Weltkrieg wurden Belgien und Luxemburg erneut besetzt, die Region rückte wieder ins Zentrum der Kampfhandlungen im Westen und nach dem Waffenstillstand wurde das Saarland zum zweiten Mal als Pufferzone aus dem deutschen Territorium herausgelöst. Erst der Vertrag über die Europäische Gemeinschaft für Kohle und Stahl, hat die Großregion in die Lage versetzt, einander zu vertrauen.
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