Grenzen

Ein absurdes Relikt

Zaun mit Stacheldraht auf spanischem Gebiet, mit dem Blick auf den Gibraltar Felsen
Nirgendwo werde der Irrsinn von Grenzen so deutlich wie in Gibraltar, meint der Autor Stanislaw Strasburger. © imago / Jochen Eckel
Überlegungen von Stanislaw Strasburger · 25.11.2021
Die Politk soll Mobilität wertschätzen, anstatt zu versuchen, sie mit Mauern und Stacheldraht zu verhindern, fordert der Autor Stanislaw Strasburger. Als besonders absurd hat er Grenzen in der britischen Exklave Gibraltar erlebt.
Im Zuge meines Rechercheaufenthaltes in Granada fahre ich auch für ein paar Tage nach Gibraltar. Die kleine, felsige Landzunge an der Mündung des Mittelmeers in den Atlantik gehört seit 300 Jahren zu Großbritannien.
Ich wohne in einem Hotel in der wegen Drogenschmuggels verrufenen spanischen Stadt La Linea. Täglich winke ich den trotz Brexit eher desinteressierten Grenzbeamten beider Länder mit meinem Perso zu und passiere wie Hunderte andere Menschen die Grenze zu Fuß.

Mobilität wird zur Bedrohung stilisiert

Ich war noch nie ein großer Fan von Grenzen. Grenzen beschränken  Bewegungen und ich glaube, dass die menschliche Mobilität ein wertvolles Gut ist, das von der Politik begrüßt werden sollte.
Auch hierzulande lässt die Politik in diesem Bereich zu wünschen übrig: Könnte unser Zuwanderungsgesetz diese Wertschätzung nicht als Grundprämisse haben, statt die Mobilität zu einer Bedrohung zu stilisieren, die es zu begrenzen gilt?

Der alltägliche Irrsinn in Gibraltar

Der Irrsinn von Grenzen ist mir an kaum einem anderen Ort so deutlich geworden wie zwischen La Linea und Gibraltar.
Bekanntlich pflegen Großbritannien und Spanien einen unterschiedlichen Umgang mit COVID. In Gibraltar besteht zurzeit auch in vielen Innenräumen keine Maskenpflicht mehr. Dagegen wird in Andalusien sogar von Kindern auf dem Schulhof das Tragen von Masken verlangt. Viele Erwachsene laufen nach wie vor auch an der frischen Luft mit Maske herum.
An der Grenze sieht das dann so aus: Zahlreiche Pendler aus La Linea gehen von zu Hause mit Maske auf Mund und Nase zu den Grenzbaracken und nehmen sie auf der anderen Seite sofort ab.

Für Wohnraum neues Land gewinnen

Gibraltar hat wenig Baufläche, der massive Upper Rock nimmt zusätzlich viel Raum ein. Doch der Ort erfreut sich großer Beliebtheit. Um den dringend nötigen Wohnraum zu schaffen, schießen nicht nur Hochhäuser aus dem Boden, sondern an mehreren Stellen an der Küste wird auch Land aufgeschüttet.
Vom Upper Rock aus gesehen, mit Blick auf Algeciras, die riesige Bucht und das weite, andalusische Umland, erinnern diese Projekte eher an das Bauen einer Sandburg am Strand. Dennoch scheint die Regierung in Madrid dies als eine Bedrohung zu sehen. Um die entsprechenden Bauvorhaben zu verwirklichen, müssen mitunter Steine und Sand mit Schiffen aus Marokko gebracht werden.

Der Gegenseite Sand ins Getriebe streuen

Auch Fanggebiete und Fischbestände, Müllwirtschaft und Energieversorgung sind Streitthema. Da Gibraltar keine eigenen Öllager hat, parkt eine Reihe von Tankschiffen vor der Küste.
Die spanischen Lager sind in Sichtweite, doch man nimmt lieber das Risiko einer Umweltkatastrophe in Kauf, als sich zu einigen.

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Das Abwerfen von Betonblöcken auf den Meeresgrund, damit die Fischer der Gegenseite keine Schleppnetze einsetzen können, kann man da schon fast als progressive Umweltpolitik verbuchen.

Grenzen verhindern Mobilität nicht

Was sagt uns das alles? Grenzen sind wirkmächtige Symbole. Als solche funktionieren sie nur, wenn es genug Menschen gibt, die an ihre Macht glauben. Gleichzeitig verleiten sie Bürger und Politiker zu absurden Handlungen.
Paradoxerweise hindern sie die Mobilität der Menschen kaum, treiben aber bisweilen Grenzgänger in die Arme Krimineller. Mobilität mit Wertschätzung zu begegnen, statt den absurden Glauben an Grenzen mit Mauern, Stacheldraht und Kontrollen zu stärken, wäre für mich ein erster Schritt in eine bessere Zukunft.

Stanislaw (Stan) Strasburger ist Schriftsteller, Publizist und Kulturmanager. Seine Schwerpunkte sind Erinnerung und Mobilität, er sucht nach der EUtopie und schätzt die Achtsamkeit. Sein aktueller Roman „Der Geschichtenhändler“ erschien 2018 auf Deutsch (2009 auf Polnisch und 2014 auf Arabisch). Der Autor wurde in Warschau geboren und lebt abwechselnd in Berlin, Warschau und diversen mediterranen Städten. Zudem ist er Ratsmitglied des Vereins „Humanismo Solidario“. Zur Zeit recherchiert er dank einer Förderung des Berliner Senats in Andalusien.

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