"Grausamkeiten, die man sich nicht vorstellen kann"

Martin Kobler im Gespräch mit André Hatting · 06.11.2013
Nach langen Kämpfen haben Regierungstruppen und UN-Kräfte im Kongo die Rebellen der M23-Bewegung niedergeschlagen. Doch damit sei das Land noch längst nicht befriedet, sagt der UN-Sonderbeauftragte Martin Kobler. Frieden sei "manchmal sehr viel mühsamer als Krieg".
André Hatting: Es ist erst mal eine gute Nachricht: Der Krieg in der Demokratischen Republik Kongo ist vorbei, die Rebellen der M23 haben aufgegeben. M23, das steht für den 23. März 2009. Damals hatte die Miliz einen Friedensvertrag mit der Regierung in Kinshasa ausgehandelt, der wurde aber - nach Meinung der Rebellen - gebrochen.

Im April 2012 begann die M23 den Aufstand. Hunderttausende sind seitdem aus dem Land geflohen. Martin Kobler ist Beauftragter der Vereinten Nationen für die Demokratische Republik Kongo und Chef der dortigen UN-Mission - mit 19.000 Blauhelmen die größte der Welt. Ihn erreichen wir gerade in Kinshasa. Guten Morgen, Herr Kobler!

Martin Kobler: Ja, guten Morgen, Herr Hatting!

Hatting: Herr Kobler, trauen Sie dem Frieden?

Kobler: Ich muss sagen, ja, ich traue dem Frieden. Wir haben lange darauf hingearbeitet, aber das Ende von M23, das militärische Ende, ist ja noch nicht das politische Ende. Ich bin selbst gependelt zwischen hier und Kampala, wo die Verhandlungen zwischen der Regierung, zu der kongolesischen Regierung und M23 stattgefunden haben.

Wir haben erst am Wochenende erreicht, die beiden Parteien, dass wirklich ein klares Ende der M23 verhandelt wird, mit einem Abkommen, was noch unterzeichnet werden muss. Und das muss umgesetzt werden. Meine Theorie ist, die Arbeit fängt jetzt erst an, weil Frieden ist manchmal sehr viel mühsamer als Krieg.

"Die M23 muss sich rekonstruieren"
Hatting: Die Anführer der M23 sagen ja, man wolle eine politische Lösung, die haben Sie, Herr Kobler, gerade auch angesprochen, aber die Regierung in Kinshasa sagt, sie will die vollständige Auflösung der Rebellengruppe. Das klingt erst mal nach einem neuen Konflikt.

Kobler: Nun ja, das ist die militärische Auflösung, und das wurde auch verhandelt. Der Übergang einer Rebellengruppe in eine politische Bewegung – das ist nicht nur im Kongo so, das wird auch in anderen Regionen der Welt gemacht, und ich glaube, das ist der richtige Weg, denn mit der militärischen Niederlage geht das politische Problem ja nicht weg.

Die M23 muss sich rekonstruieren, sie muss wirklich das Ende der Rebellion erklären. Das hat sie gestern getan, und jetzt fängt die Arbeit an: die Reintegration der Rebellen in das zivile und das militärische normale Leben des Kongo.

Hatting: Blicken wir zurück: Vor 20 Monaten hatte dieser Aufstand begonnen – was hat er angerichtet?

Kobler: Nun, in der Tat, es war ja der Fall von Goma, der letztlich auch das ausgelöst hat, dass der Sicherheitsrat die Interventionsbrigade von Monusco beschlossen hat. Wir haben – Sie haben es erwähnt – 19.000 Soldaten, darunter sind 3000 mit wirklich offensivem Kampfauftrag, und wir haben das auch wahrgenommen im August.

Als die Rebellen Goma angegriffen haben, im Osten des Landes, eine Millionenstadt, haben wir wirklich entschlossen reagiert und haben mit dazu beigetragen, mit der kongolesischen Armee hier militärisch zu reagieren zum Schutz der Zivilbevölkerung. Das ist unser Mandat, und hier sind wir sehr entschlossen und setzen auch militärische Kräfte offensiv ein.

Wir sind zwar Peacekeeping, aber wenn kein Frieden da ist, den es zu bewahren gilt, dann müssen auch offensive Mittel eingesetzt. Das haben wir getan, das haben wir auch in den letzten Tagen getan.

Hatting: Ja, und diese Mittel waren offenbar kriegsentscheidend. Hat das der UN-Mission, hat das dem Ansehen der UN-Mission in der Bevölkerung eigentlich genützt?

M23-Rebellen am Tag nach der Einnahme von Goma, Kongo
M23-Rebellen am Tag nach der Einnahme von Goma, Kongo© picture alliance / dpa / Tim Freccia
"Die 3000 Mann sind jetzt erst mal genug"
Kobler: Ich glaube, das hat dem Ansehen der Monusco in der UN-Mission sehr genützt. Als ich hier angekommen bin vor zweieinhalb Monaten, war das Image doch relativ schlecht. Es war, ja, so eine Zusammenarbeit, eine Kohabitation mit den Rebellengruppen, nicht nur mit der M23, und ich will das Problem jetzt auch nicht auf die M23 beschränken.

Wir haben durch den entschlossenen Einsatz wirklich der robusten Kräfte und der militärischen Aktion mit Artillerie, mit Kampfhubschraubern wirklich erreicht, dass ein Ende der Rebellion da ist, natürlich alles zusammen mit der kongolesischen Armee, und das hat das Ansehen der UN-Truppe hier wesentlich verbessert. Sie haben gesagt, jetzt tut die UNO hier was, wir sind seit 14 Jahren im Land, die Situation hat sich nicht gebessert, und jetzt ist eine Besserung wirklich da.

Aber wie ich gesagt habe, der Frieden ist auch mühsam. Jetzt muss die Integration stattfinden, und – ganz wichtig – es gibt auch andere Rebellengruppen. Wir haben auf unserer Liste 48. Es ist die FDLR, die gegen Ruanda arbeitet, es sind die ADF-Rebellen, die gegen Uganda arbeiten, verschiedene Mai-Mai-Gruppen, Grausamkeiten, die man sich nicht vorstellen kann. Und hier werden wir auch intervenieren, auch militärisch intervenieren.

Hatting: Das heißt also, dieses robuste Mandat der 3000 bewaffneten UN-Soldaten, das wird sich jetzt auf den Ostkongo konzentrieren und dort die anderen Milizen versuchen zu bekämpfen?

Kobler: Ganz genau. Wir haben ... 96 Prozent der Soldaten sind im Osten, 100 Prozent der Interventionsbrigaden sind im Osten, und die M23 ist ja nur ein Teil des Problems. Wie gesagt, die anderen Rebellengruppen, die den gesamten Ostkongo unsicher machen, die die Bevölkerung terrorisieren, müssen eben auch ein Ende finden, und es ist Aufgabe der Monusco, hier mitzuarbeiten und die UNO-Truppen hier auch einzusetzen. Das verändert das Bild von Peacekeeping, aber ich finde, es ist ja notwendig, dass auch, wenn friedliche Mittel nicht reichen, der Aufforderung zur Abrüstung und die Waffen abzugeben, dann müssen auch militärische Mittel eingesetzt werden, und das tun wir.

Hatting: Reichen dafür die 3000 Mann oder müsste diese Truppe noch mal verstärkt werden?

Kobler: Nein, die 3000 Mann sind jetzt erst mal genug. Es gibt ja auch noch andere, wir haben ja Kampfhubschrauber und Ähnliches, und damit lässt sich schon einiges erreichen. Die M23 war sicherlich eine straff geführte militärische Organisation, deswegen war es etwas schwierig mit der M23, hat sich (…) lange hingezogen, wir haben immer aber versucht zwischenrein, die Kampala-Gespräche voranzutreiben – durch Shuttle-Diplomatie, durch die anderen Sonderbeauftragten der Region, der großen (…), die auch zum Teil anwesend waren. Und das hat letztlich dazu geführt, mit der Mischung aus militärischem und politischem Druck, dass das Ende der Rebellion gestern erklärt wurde.

Hatting: Martin Kobler, Sonderbeauftragter der Vereinten Nationen für den Kongo und Chef der dortigen UN-Mission. Ich danke Ihnen für das Gespräch, Herr Kobler!

Kobler: Ja, ganz vielen Dank und schönen Tag!


Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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