Graßl: Klimakonferenz von Kopenhagen war kein großer Rückschlag

Hartmut Graßl im Gespräch mit Jan-Christoph Kitzler |
Der ehemalige Direktor am Max-Planck-Institut für Meteorologie, Hartmut Graßl, hat sich optimistisch zu den Perspektiven einer globalen Klimaschutzpolitik geäußert. Hoffnung setzt der emeritierte Professor der Uni Hamburg vor allem in die Europäische Union.
Jan-Christoph Kitzler: Hartmut Graßl ist ein Pionier, er hat schon in den 80er-Jahren vom Klimawandel gesprochen, als noch niemand daran gedacht hat, und er hat vor den Folgen gewarnt. In den langen Jahren seiner wissenschaftlichen Laufbahn hat er dazu beigetragen, dass der Klimawandel heute in aller Munde ist, Allgemeingut geworden ist – als Direktor des Max-Planck-Instituts für Meteorologie in Hamburg und als Leiter des Weltklimaforschungsprogramms der Vereinten Nationen. Heute wird Hartmut Graßl 70, ich habe ihn gestern schon gesprochen und als Erstes gefragt, ob man nicht schon in den 80er-Jahren besser hätte auf ihn hören sollen.

Hartmut Graßl: Ja, man hätte noch früher auf andere hören müssen, denn es war die Akademie der Wissenschaften der Vereinigten Staaten von Amerika, die 1978 zum ersten Mal eine Regierung vor kommenden Klimaänderungen gewarnt hat. Die Europäer waren damals keineswegs vorne dran, sondern die Vereinigten Staaten von Amerika.

Jan-Christoph Kitzler: Am Anfang waren Sie mit Ihrer Arbeit und auch die Experten vorher ein Exot, heute könnte man sagen, ist Klimaforschung fast schon Mainstream. Was hat sich für Sie als Wissenschaftler da geändert?

Graßl: Es hat sich ein Wissensstand ergeben, den wir damals überhaupt nicht ahnten, denn vieles, was ich zum Beispiel als Student gelernt habe, war noch ohne jede Modellierung des Systems Erde. Das waren einfache Prozessuntersuchungen, aber es war eigentlich in dem Sinne keine Klimaforschung, wie wir sie heute kennen, denn es fehlten die großen Rechner und es fehlten die großen Modellierungen.

Jan-Christoph Kitzler: Die Klimaforschung ist heute viel weiter und doch gibt es heute immer noch Skeptiker in der Debatte, Menschen, die behaupten, der Klimawandel sei nicht vom Menschen verursacht oder nur zu einem sehr geringen Teil. Machen Sie solche Aussagen wütend?

Graßl: Nein, eigentlich nicht, denn bei jedem großen Thema gibt es Gegenströmungen. Nehmen wir ein anderes Thema, zum Beispiel Lungenkrebs und Zigarettenrauchen, da ist auch jahrzehntelang Sperrfeuer geschossen worden von vielen, und beim Klimathema ist es ähnlich. Allerdings haben die Regierungen etwas früher realisiert, dass dies ein weitaus größeres Thema ist, dass es eines der beherrschenden Themen des 21. Jahrhunderts sein wird, sodass mir eigentlich wegen der Verwirrung in der Öffentlichkeit nicht so bang ist.

Jan-Christoph Kitzler: Bei der Debatte haben Sie auch öfter mal die Medien kritisiert und denen Versagen vorgeworfen. Was kritisieren Sie da konkret?

Graßl: Was ich vermisse, ist das tiefe Einsteigen in ein Thema, bevor man etwas sagt. Es gibt einige Zeitungen, die das seriös machen, aber die Mehrheit eben nicht. Und dann müssen Sie bedenken, die Profiteure des heutigen Energiesystems wollen Verwirrung stiften, und da ist ihnen alles recht. Denken Sie an die Verhinderungsversuche beim Kyoto-Protokoll: Damals haben große Öl- und Kohleverteiler viele Millionen US-Dollar gespendet an eine kleine Gruppe, die dann Kampagnen gegen das Kyoto-Protokoll geritten hat. Dazu gehörte damals auch noch die Firma DaimlerChrysler.

Jan-Christoph Kitzler: Sie haben gerade das Kyoto-Protokoll angesprochen, da wurden ja Klimaziele weltweit festgelegt, das haben Sie sehr geprägt, doch um eine Nachfolgeregelung dieses Protokolls steht es ziemlich schlecht, weil sich die Staaten im vergangenen Dezember in Kopenhagen nicht einig waren. Wie groß ist denn der Rückschlag für die Klimapolitik in Ihren Augen?

Graßl: Der ist nicht so groß wie die meisten denken, denn in Kopenhagen ist etwas abgenickt worden oder zur Kenntnis genommen worden, wie es in der offiziellen Sprache heißt, dass man sich ein Ziel gesetzt hat für die Weltgemeinschaft. Das hat es vorher nicht gegeben. Das Ziel, nicht mehr als zwei Grad Celsius maximal Erwärmung am Ende des 21. Jahrhunderts zu bekommen, gemessen am vorindustriellen Wert, ist ein sehr hehres Ziel. Und jetzt kommt es natürlich drauf an, den Text und das Kleingedruckte zu bekommen, da das Kyoto-Protokoll im Jahr 2012 endgültig ausläuft, denn bis dahin wird abgerechnet, wird die Menschheit wie üblich bei solchen Verhandlungen ganz zum Schluss doch noch einigermaßen Vernünftiges zustande bringen und dann stärkere Reduktionen bei den Industrienationen, Integration der Schwellenländer und Mitfinanzierung der Anpassungsleistungen in den Entwicklungsländern hineinschreiben können. Man braucht einen Text, der völkerrechtlich verbindlich wird so wie das Kyoto-Protokoll. Das hing acht Jahre zwischen den Zeilen. Mit diesen Unwägbarkeiten muss man bei internationaler Politik und relativ schwachen Vereinten Nationen rechnen.

Jan-Christoph Kitzler: Die Debatte über den Klimaschutz ist auch deshalb ein bisschen problematisch, weil es da über die Folgen des Klimawandels ganz unterschiedliche Modelle gibt. Einige Szenarien sind da sehr dramatisch, andere eher vorsichtig, sodass man als Laie sich kein rechtes Bild machen kann. Muss die Klimaforschung da noch ihre Hausaufgaben machen?

Graßl: Ja sicher gibt es noch vieles zu erforschen, aber das Schöne an der Klimaforschung ist doch, dass sie ihren Wissensstand alle fünf oder sechs Jahre zusammenrafft, bewertet und auch dazusagt, was man nicht weiß. Wir wissen zum Beispiel nicht, ob die Wälder, die momentan zusätzliches von uns Menschen emittiertes Kohlendioxid aufnehmen, das in 20, 30 oder 40 Jahren bei höherem Klimastress auch noch können. Das ist eine völlig offene Frage. Unser Vorhersagefenster ist in der Größenordnung etwa 100 Jahre inzwischen. Wir wollen natürlich aber auch wissen, steigt der Meeresspiegel, angestoßen vielleicht in diesem Jahrhundert, auch nach 500 Jahren noch an? Die Frage kann heute noch keiner richtig beantworten.

Jan-Christoph Kitzler: Die Forschung ist ja das eine, aber man braucht auch eine konkrete Politik zum Klimaschutz, das haben wir schon kurz angesprochen. Sind Sie optimistisch, dass es zu konkreten Beschlüssen kommt, mit denen wir die schlimmsten Folgen noch aufhalten können?

Graßl: Bin ich, vor allem wegen der Europäischen Union, denn die Europäische Union mit ihren 27 Mitgliedsstaaten zurzeit, ist ja eigentlich das größte Friedensprojekt auf dieser Welt, und es ist die Gruppe, die Klimaschutz ernster nimmt als alle anderen auf dieser Welt. Und da wir inzwischen groß genug geworden sind, um allein handeln zu können, werden wir wahrscheinlich die Vorreiterrolle einnehmen können, und dann ziehen andere zum Teil mit. Ob die Vereinigten Staaten dabei sein werden, das bezweifle ich noch, aber auch da wird steter Tropfen den Stein lösen.

Jan-Christoph Kitzler: Hartmut Graßl war das, der Pionier der Klimaforschung. Gestern, als ich das Interview geführt habe, konnte ich ihm noch nicht zu seinem heutigen 70. Geburtstag gratulieren, aber heute wünschen wir ihm natürlich alles Gute.