Grandiose Entdeckungen im RIAS-Archiv

Von Eva Blaskewitz · 09.07.2013
Jedem Kammermusik-Liebhaber ist das Amadeus-Quartett ein Begriff: 40 Jahre lang, von Ende der 40er bis Ende der 80er Jahre, hat das österreichisch-britische Ensemble Maßstäbe gesetzt. Die Gesamteinspielung der Beethoven-Quartette, erschienen bei der Deutschen Grammophon, gilt als Referenzaufnahme: sehr homogen, wunderschöner, satter Klang und eine abgeklärte Interpretation.
Umso überraschender, was das Label Audite und Deutschlandradio Kultur im RIAS-Archiv zutage gefördert und jetzt in einer CD-Box auf den Markt gebracht haben: Zwischen 1950 und 1967 hat das Amadeus Quartett nämlich auch beim RIAS fast alle Beethoven-Quartette eingespielt – und diese Aufnahmen klingen ganz anders.

Von Anfang an war das Amadeus-Quartett in verschiedenen Plattenstudios zuhause. Sehr sorgfältig geplante Aufnahmen sind da entstanden, Aufnahmen von manchmal fast unfassbarer Perfektion – etwas böse könnte man sagen: hochglanzpoliert. Die Einspielungen für den RIAS, den amerikanischen Rundfunk in Berlin, aus den 50er und 60er Jahren zeigen ein anderes Gesicht: Zwar halten sich die Musiker auch hier streng an den Notentext – das war eines ihrer Markenzeichen , aber das Klangbild ist rauer, oft auch zupackender und ursprünglicher. Bis auf zwei haben sie sämtliche Beethoven-Quartette beim RIAS aufgenommen, und außerdem ein selten gespieltes Stück: Beethovens einziges Streichquintett, Opus 29, entstanden zur selben Zeit wie die frühen Quartette.

1950, da war das Amadeus-Quartett noch ganz jung, erst ein paar Jahre vorher hatten sich die Geiger Norbert Brainin, Siegmund Nissel und Peter Schidloff zusammengefunden. Alle drei waren wegen ihrer jüdischen Abstammung 1938 aus Wien nach London emigriert, und sie begegneten sich ausgerechnet in einem Internierungslager für "enemy aliens", feindliche Ausländer. Nach ihrer Entlassung studierten sie bei dem großen Geiger Max Rostal, und der wurde zum Geburtshelfer des Quartetts. Peter Schidloff tauschte die Geige gegen die Bratsche, und der junge englische Cellist Martin Lovett wurde mit ins Boot geholt – er ist der einzige der vier, der heute noch lebt. 1948 gab das Quartett sein erstes offizielles Konzert, in einem der berühmtesten Säle der Welt, der Wigmore Hall in London – der Beginn einer großen Karriere, die erst mit dem Tod von Peter Schidloff 1987 endete.