Grande Dame des Berliner Underground

Von Jenni Roth · 13.08.2013
Sie ist eine Legende der Berliner Musikszene: In den 70ern mischte Gudrun Gut dort als erster weiblicher Punk mit und lieferte später mit ihrer Band Malaria den Hit "Kaltes Klares Wasser". Heute prägt sie als Radiomoderatorin, DJ, Labelchefin die Szene - und kämpft dafür, dass mehr Frauen in der Musikbranche Karriere machen.
Gudrun Gut, die Underground-Diva mit dem Marlene-Dietrich Blick: Stoffhosen, weites Hemd, schulterlange, schnurgerade Haare.

"Und jetzt gehen wir zu einem Konzert im Festsaal Kreuzberg, zu Jeri-Jeri."

Steht im Festsaal Kreuzberg, einem Berliner Club, um sich Musik aus dem Senegal anzuhören.

"Das ist Mark Ernestus! Da sind viele aus der Elektronikszene, nicht nur reine Afrika-Fans, auch aus der Underground-Elektronik, hier Club Transmediale seh' ich, Pole seh' ich, Sunelectric, …"

Und Gudrun Gut kennt sie alle. Schließlich hat sie selbst die Berliner Independent-Szene sozusagen mit gegründet, Ende der 70er-Jahre. Damals, als David Bowie hier um die Häuser zog. Als das heute so schicke Charlottenburg noch erschwingliches Szeneviertel war und der Underground sich in Schöneberg traf, im "Dschungel" oder im "Café M". Und immer mittendrin: Gudrun Gut, die Frau, die aus der Lüneburger Heide auszog, um die West-Berliner das Fürchten zu lehren.

"Na, ich war so suchend, ich war eher schüchtern, wollte irgendwie was machen, aber wusste nicht genau wie, und Punk war für mich so was wie ein Coming-out als Künstlerin. Plötzlich war alles möglich, man konnte was machen, es konnte hässlich sein, das hat mich total inspiriert, und angetrieben einfach. Punk war damals dieses Was-Machen, die Welt verändern, so hab ich’s jedenfalls verstanden."

Und sie "machte", gründete eine Band nach der anderen: Din A Testbild, die Einstürzenden Neubauten, Malaria, Mutabor, Liebesgier, und und und. Dabei hatte Gudrun Gut von Musik eigentlich keine Ahnung.

"Ich bin kein guter Instrumentalist, nie gewesen, wollte es nie sein, ich wollte eigentlich Collagen machen. Ich hab Kunst studiert, aber wollte trotzdem keine Bilder malen. Ich mache Musik, die nicht unbedingt aus dem Instrument raus entsteht. Aber ich schätze es wirklich sehr, wenn jemand ein Instrument beherrscht. Aber ich bin anders! Nach wie vor der absolute Dilettant!"

Also gründet Gudrun Gut 1979 auch eine Band, die "ein bisschen anders" war, wie sie sagt: Mania D., die allererste Frauen-Punkband Berlins, die vorsätzlich die Regeln der Musik brechen will: Jeder spielt das Instrument, das er eben nicht kann.

"Das war '79 bis '81, das war die interessante Zeit, danach ist das fast umgekippt, implodiert, wurde richtig düster, und verdrogt auch. Es war düster, die Stadt war grau, die Winter hart. Das gleiche war aber nochmal in den 90ern, als die Mauer aufging. Das waren auch drei wahnsinnig interessante Jahre für Berlin. Ich hatte schon das Gefühl, dass ein neuer Geist wehte."

Berlin rappelt sich wieder auf, macht Platz für Luftschlösser und neue Beats: Ost-Berlin wird neu entdeckt, Clubs ziehen in die leer stehenden Bauten, werden zu Schutzräumen für die Techno-Szene, die Beats erfüllen wie Herzschläge die Stadt und treiben auch Gudrun Gut weiter an. Aber irgendwann ist Gudrun Gut diese Welt nicht mehr genug, das Nachtleben fühlt sich leer an.

Sie sucht nach etwas "Echtem" – und findet es in der Uckermark. 2007 kauft sie dort mit ihrem Freund, dem Musiker-Urgestein Thomas Fehlmann, ein altes Gutshaus.

"Man möchte auch so 'ne Art …, als Künstler etwas Wichtiges weitergeben. Und da hab ich gedacht, was ist für mich das Wichtigste, oder wo hatte ich die intensivsten schönsten Erlebnisse in letzten Jahren? Das war definitiv diese Wildlife-Erfahrung. Deshalb hab ich mir das als Thema gesetzt."

Ein anderes – wichtiges – Thema: Frauen in der Musikbranche. Sie beobachtet, wie viele von der Bildfläche verschwinden, sobald es um Karriere und Geldverdienen geht. Das sei vor 30 Jahren so gewesen – sei es aber heute noch. Deshalb startet im September auch "Female Pressure", ein Frauenfestival made by Gudrun Gut.

"Es gab relativ viele Frauen, die am Anfang dabei waren und dann hinterher plötzlich nicht mehr. Ich sprech' die Männer immer an auf Festivals, warum sie so wenig Frauen buchen, Und dann wird mir gesagt, ja, es gibt so wenig. Aber das stimmt nicht. Man muss doch auch die Chance haben, das Set auszuprobieren, man muss ja ein paar Mal spielen, um gut zu werden."

Aber natürlich gibt es auch heute Frauen, die sich durchbeißen. Zum Beispiel Mbene Diatta Seck, die senegalesische Sängerin von Jeri Jeri, die das Publikum im Festsaal Kreuzberg euphorisiert.

"Toll! Ich fand's ganz toll, das Konzert. Diese Rhythmen, wie sie gegeneinander gespielt haben, und man dachte, die finden nie wieder zusammen, und dann war’s plötzlich wieder da, ganz toll, fand ich total faszinierend."

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