Graffiti im Reich der Mitte
Seit Peking zum Austragungsort für die Olympischen Sommerspiele 2008 gewählt wurde, verändert sich die Stadt in einem nie geahnten Tempo. Die alten Stadtviertel werden abgerissen, um Platz zu machen für eine moderne Welt aus Chrom, Beton und Stahl. Der Pekinger Aktionskünstler Zhang Dali hat diese Zerstörung zum Thema gemacht: Mit seinen Arbeiten begehrt er auf gegen einen brutalen Fortschritt.
Attacke im Schutz der Dunkelheit. Zhang Dali trägt eine Maske. Vor einer baufälligen Mauer springt er vom Fahrrad. Zückt die Spraydose und greift an:
Der Sprayer von Peking hat sein Markenzeichen hinterlassen. Einen Kopf im Profil: Glatze, Knubbelnase, wulstige Lippen, vorstehendes Kinn. Sein Profil. Steht er daneben, ist die Ähnlichkeit frappierend. 4000 solcher Köpfe hat er über ganz Peking verteilt. Nicht aus Eitelkeit, seine Graffitti sind eine Anklage gegen die Zerstörung der Stadt.
„Peking verändert sich rasant. Ich habe das Gefühl, dass unsere Wurzeln verloren gehen.“
Noch bevor die Bagger anrückten, zertrümmerte Zhang selbst sein Werk, legt den Blick frei durch die Abrissmauern. Um neue Einsichten zu schaffen:
„Indem ich den Kopf aus dem Mauerwerk heraushaue, verbinde ich ihn mit dem zerstörten Gebäude. Bis das Abrisskommando kommt, bleibt der Kopf mit der Stadt verbunden. Er soll einen Dialog eröffnen, er ist ein Symbol.“
„Schmierereien“ schimpften die Behörden. Anfangs wurden seine Graffitti von kommunistischen Aufräumtrupps noch wegradiert, immer wieder bekam der stadtbekannte Störenfried Besuch von Pekings Polizei.
„Vor 10 oder 15 Jahren wäre ich wegen meiner Aktionen bestimmt ins Gefängnis geworfen worden. Heute können zwar viele mit meiner Kunst immer noch nichts anfangen. Aber ich darf sie wenigstens machen.“
Und er kann gut davon leben. Internationale Galerien haben seine Köpfe ausgestellt: Objekte aus Neon, aus Bronze und aus Gips. Ausländische Kunstsammler zahlen bis zu 10.000 Dollar für einen echten Da-Li. Nicht zu verwechseln mit dem spanischen Maler:
Nein, lacht Zhang, Da-Li, heißt große Kraft auf Chinesisch. Kein ungewöhnlicher Vorname für einen kommunistischen Arbeitersohn. Schließlich wurde er in revolutionären Zeiten geboren, 1963, in der nordostchinesischen Provinz. Seine Eltern schufteten in einer Flugzeugfabrik, er durfte an der Kunst-Akademie studieren. 1989, das Blutbad auf dem Tiananmen, veränderte sein Leben. Zhang, inzwischen verheiratet mit einer Italienerin, folgte ihr nach Bologna. Lernte westliche Künstler kennen, bewunderte die Pop-Art von Keith Haring. Sechs Jahre später kehrte er zurück. Als erster Graffitti-Künstler Chinas:
2003: Peking hübschte sich auf für Olympia. Die Zerstörung der alten Kaiserstadt war fast vollendet. Selbst Zhangs eigenes Hofhaus war abgerissen.
„Ich fragte mich damals oft: Wenn das Alte zerstört wird, was geschieht mit den Menschen, die mit dem Neuen fertig werden müssen? Glück und Unglück, Wut, Freude, spiegeln sich in ihren Gesichtern, und man kann es an ihren Körpern ablesen. Also will ich ihre Körper konservieren.“
Ein Ausstellungsraum in Peking, übervoll mit lebensgroßen Skulpturen. Hier hängen sie, denen Zhang ein ungewöhnliches Denkmal setzen will. Von der Decke, alle nackt, wie an seidenen Fäden. Beklemmend auch, weil die Kunststoff-Körper verkehrt herum hängen:
„Warum ich sie mit den Köpfen nach unten aufhänge? Diese Menschen haben keine Kontrolle über ihr Leben. Andere bestimmen ihr Schicksal. Sie haben nichts zu sagen.“
Seine Modelle findet Zhang hier, auf Pekings Wanderarbeiter-Markt.
Millionen Menschen, die im Hinterland keine Arbeit finden und für ein paar Euro zu fast allem bereit sind.
„Du und du – ihr kommt mit!“ Junge, kräftige Tagelöhner, die eine Tortur überstehen müssen.
Sein Studio: eine riesige Fabrikhalle bei Peking. Hier fertigt Zhang Gipsabdrücke der Wanderarbeiter – von Kopf bis Fuß, kein Körperteil darf frei bleiben. Assistenten hieven sie auf eine Trage, stecken ihnen Schläuche in die Nasenlöcher, klatschen den nassen Gips auf ihre nackten Körper.
Jetzt muss alles blitzschnell gehen. Wenn der Gips trocknet, hält es keiner länger als 20 Minuten darin aus. Für Yao Min zählte nur das Geld:
„Ich hatte Todesangst. Es war schrecklich heiß, ich dachte, ich ersticke, weil ich nur durch die Schläuche atmen konnte.“
Zhang zahlt gut für die Tortur. Umgerechnet 200 Euro – mehr als vier Monatslöhne. Bedenken hat er nicht, schließlich hat er die Technik zuerst an sich selbst ausprobiert:
„Ja, ich konnte kaum atmen. Aber ich habe mich nur gefragt, funktioniert es? Ist das die Technik, die ich suche? Ich hatte kaum Zeit, an die Gefühle der Wanderarbeiter zu denken. Mir ging es darum, ob das Kunstwerk gut oder schlecht wird.“
Die Wanderarbeiter müssten in China sowieso viel aushalten, sagt Zhang. Sie seien schwach und machtlos. Auch das will er mit seiner Arbeit ausdrücken.
Der Sprayer von Peking hat sein Markenzeichen hinterlassen. Einen Kopf im Profil: Glatze, Knubbelnase, wulstige Lippen, vorstehendes Kinn. Sein Profil. Steht er daneben, ist die Ähnlichkeit frappierend. 4000 solcher Köpfe hat er über ganz Peking verteilt. Nicht aus Eitelkeit, seine Graffitti sind eine Anklage gegen die Zerstörung der Stadt.
„Peking verändert sich rasant. Ich habe das Gefühl, dass unsere Wurzeln verloren gehen.“
Noch bevor die Bagger anrückten, zertrümmerte Zhang selbst sein Werk, legt den Blick frei durch die Abrissmauern. Um neue Einsichten zu schaffen:
„Indem ich den Kopf aus dem Mauerwerk heraushaue, verbinde ich ihn mit dem zerstörten Gebäude. Bis das Abrisskommando kommt, bleibt der Kopf mit der Stadt verbunden. Er soll einen Dialog eröffnen, er ist ein Symbol.“
„Schmierereien“ schimpften die Behörden. Anfangs wurden seine Graffitti von kommunistischen Aufräumtrupps noch wegradiert, immer wieder bekam der stadtbekannte Störenfried Besuch von Pekings Polizei.
„Vor 10 oder 15 Jahren wäre ich wegen meiner Aktionen bestimmt ins Gefängnis geworfen worden. Heute können zwar viele mit meiner Kunst immer noch nichts anfangen. Aber ich darf sie wenigstens machen.“
Und er kann gut davon leben. Internationale Galerien haben seine Köpfe ausgestellt: Objekte aus Neon, aus Bronze und aus Gips. Ausländische Kunstsammler zahlen bis zu 10.000 Dollar für einen echten Da-Li. Nicht zu verwechseln mit dem spanischen Maler:
Nein, lacht Zhang, Da-Li, heißt große Kraft auf Chinesisch. Kein ungewöhnlicher Vorname für einen kommunistischen Arbeitersohn. Schließlich wurde er in revolutionären Zeiten geboren, 1963, in der nordostchinesischen Provinz. Seine Eltern schufteten in einer Flugzeugfabrik, er durfte an der Kunst-Akademie studieren. 1989, das Blutbad auf dem Tiananmen, veränderte sein Leben. Zhang, inzwischen verheiratet mit einer Italienerin, folgte ihr nach Bologna. Lernte westliche Künstler kennen, bewunderte die Pop-Art von Keith Haring. Sechs Jahre später kehrte er zurück. Als erster Graffitti-Künstler Chinas:
2003: Peking hübschte sich auf für Olympia. Die Zerstörung der alten Kaiserstadt war fast vollendet. Selbst Zhangs eigenes Hofhaus war abgerissen.
„Ich fragte mich damals oft: Wenn das Alte zerstört wird, was geschieht mit den Menschen, die mit dem Neuen fertig werden müssen? Glück und Unglück, Wut, Freude, spiegeln sich in ihren Gesichtern, und man kann es an ihren Körpern ablesen. Also will ich ihre Körper konservieren.“
Ein Ausstellungsraum in Peking, übervoll mit lebensgroßen Skulpturen. Hier hängen sie, denen Zhang ein ungewöhnliches Denkmal setzen will. Von der Decke, alle nackt, wie an seidenen Fäden. Beklemmend auch, weil die Kunststoff-Körper verkehrt herum hängen:
„Warum ich sie mit den Köpfen nach unten aufhänge? Diese Menschen haben keine Kontrolle über ihr Leben. Andere bestimmen ihr Schicksal. Sie haben nichts zu sagen.“
Seine Modelle findet Zhang hier, auf Pekings Wanderarbeiter-Markt.
Millionen Menschen, die im Hinterland keine Arbeit finden und für ein paar Euro zu fast allem bereit sind.
„Du und du – ihr kommt mit!“ Junge, kräftige Tagelöhner, die eine Tortur überstehen müssen.
Sein Studio: eine riesige Fabrikhalle bei Peking. Hier fertigt Zhang Gipsabdrücke der Wanderarbeiter – von Kopf bis Fuß, kein Körperteil darf frei bleiben. Assistenten hieven sie auf eine Trage, stecken ihnen Schläuche in die Nasenlöcher, klatschen den nassen Gips auf ihre nackten Körper.
Jetzt muss alles blitzschnell gehen. Wenn der Gips trocknet, hält es keiner länger als 20 Minuten darin aus. Für Yao Min zählte nur das Geld:
„Ich hatte Todesangst. Es war schrecklich heiß, ich dachte, ich ersticke, weil ich nur durch die Schläuche atmen konnte.“
Zhang zahlt gut für die Tortur. Umgerechnet 200 Euro – mehr als vier Monatslöhne. Bedenken hat er nicht, schließlich hat er die Technik zuerst an sich selbst ausprobiert:
„Ja, ich konnte kaum atmen. Aber ich habe mich nur gefragt, funktioniert es? Ist das die Technik, die ich suche? Ich hatte kaum Zeit, an die Gefühle der Wanderarbeiter zu denken. Mir ging es darum, ob das Kunstwerk gut oder schlecht wird.“
Die Wanderarbeiter müssten in China sowieso viel aushalten, sagt Zhang. Sie seien schwach und machtlos. Auch das will er mit seiner Arbeit ausdrücken.