Graben in deutscher Vergangenheit

Von Thomas Klatt · 04.11.2011
Im brandenburgischen Templin haben Schüler des örtlichen Gymnasiums einen ehemaligen jüdischen Friedhof instand gesetzt und neu gestaltet. Vier Jahre dauerte die Arbeit - weil die Politik Förderzusagen in fünfstelliger Höhe immer wieder blockierte.
Zum ersten Mal seit fast 90 Jahren singt wieder ein Kantor auf dem jüdischen Friedhof im uckermärkischen Templin. Rund 20 Mitglieder der jüdischen Gemeinde Berlin sind extra in die 80 Kilometer nördlich gelegene Stadt angereist, um hier nach so langer Zeit wieder das Kaddisch zu beten. Dass das Areal an der historischen Stadtmauer wieder instand gesetzt und nun feierlich der Öffentlichkeit übergeben werden konnte, ist maßgeblich das Verdienst von Schülern des örtlichen Gymnasiums. In Archiven haben sie etwa die Namen der hier Verstorbenen und Beigesetzten recherchiert.

Schüler: "Im Jahre 1837 Zander, Alexander; im Jahre 1839 Moses Wolfskohn, im Jahre 1849 Julius Jakob Kohn und Pauline Kohn. Männer, Frauen und Kinder, deren Stein und Name verloren sind. Mögen ihre Seelen eingebunden sein, in den Bund des ewigen Lebens."

Vermutlich 1922 fand die letzte Beerdigung auf dem jüdischen Friedhof Templin statt. Wenige Jahre später löste sich die jüdische Gemeinde wegen starker Abwanderung ihrer Mitglieder auf. Das ehrgeizige Projekt der Schüler war handfeste Arbeit. Nicht nur musste die Neugestaltung geplant, sondern auch schweißtreibend umgesetzt werden.

Schülerin: "Um den Friedhofszaun sauber zu machen, sind wir halt hingegangen. Müll und Flaschen wegräumen, das ganze Gestrüpp wegzumachen, dass es eine Fläche wird."

Eine kleine gemauerte Treppe führt nun auf einen Hügel, eingefriedet durch eine solide Mauer und einen massiven Eisenzaun. Dort steht ein großer schwarzer Gedenkstein. Daneben wurde als letzter Arbeitsschritt eine Bronzetafel mit den Namen der hier Begrabenen enthüllt. Auch nach Schulschluss und an Wochenenden nahmen sich die Templiner Schüler des verwahrlosten jüdischen Friedhofes und der jüdischen Geschichte der Stadt an. Was als einjähriges Projekt gedacht war, zog sich ganze vier Schuljahre hin.

Schüler: "Unsere Aufgabe war erst mal, die Broschüre zu machen, der große schwarze Gedenkstein wurde ja schon von den Älteren eingeweiht. Und wir haben ja jetzt den Rest mitgeplant mit den Infotafeln, nicht nur am Friedhof, sondern auch an der ehemaligen Synagoge in der Nähe ein Schild aufgehängt an der Stadtmauer, da wo die Mikwe, das Ritualbad war, haben wir ein Schild angehängt. Und dann haben wir noch 'ne Bronzetafel anfertigen lassen, wo alle Namen der Verstorbenen draufstehen. Ja, das waren so unsere Aufgaben."

Jeder Schritt wurde dabei mit der jüdischen Gemeinde zu Berlin abgestimmt. Der evangelische Religionslehrer Holger Losch erfuhr dabei zusammen mit seinen Schülern einiges über die strengen Regeln der Totenruhe, die nach jüdischer Tradition zu beachten sind:

"Ganz deutlich haben wir gelernt, dass wir nicht tiefer als zehn Zentimeter die Erdschicht bewegen dürfen. Dass der Friedhof eingefriedet sein muss, dass ringsrum ein Zaun existieren muss."

Das engagierte Schülerprojekt drohte jedoch daran zu scheitern, dass Förderzusagen in fünfstelliger Höhe immer wieder blockiert wurden. Offensichtlich gab es ein Kompetenzwirrwarr zwischen der Stadt Templin und dem Land Brandenburg. - Und es gab inhaltliche Differenzen. Dass die Lage des historischen Friedhofs außerhalb der Stadtmauer die Ausgrenzung der Juden seit Jahrhunderten verdeutlicht, wollte nicht jeder auf einer Tafel lesen. Der evangelische Religionslehrer Holger Losch:

"Wir haben Informationstafeln entwickelt, das war die Aufgabe der jüngeren Schüler, die das im Centrum Judaicum und im Stadtarchiv recherchiert hatten. Natürlich gab es da auch recht kritische Dinge zu schreiben, die die Stadt im Laufe der Jahrhunderte nicht immer im positiven Licht erschienen ließen, zum Beispiel dass der Friedhof auf der mittelalterlichen Wallanlage positioniert ist, ein relativ kleines Areal, 600 Quadratmeter auf einem Hügel, der damals schon recht unattraktiv war. Damit beginnt das schon im Jahr 1760."

Unangenehme Details konnten erst nach langer Diskussion mit den Stadtvätern auf der Infotafel neben dem Friedhof veröffentlicht werden. Zum Beispiel, dass der Friedhof zwar von den Nazis zerstört, jedoch erst 1951 in der noch jungen DDR aufgelöst wurde.

"Es gab noch bis 1945 Grabsteine. 1951 dann wurden alle Grabsteine entfernt und man hat eine gärtnerische Anlage aus dem Friedhof gemacht. Das lässt die Stadt Templin in einem fragwürdigen Licht erscheinen."

Der Bürgermeister von Templin, Detlef Tabbert, sieht keine Versäumnisse der Politik. Für ihn ist es kein fatales Signal, dass die Schüler vier ganze Schuljahre warten mussten, bis ihr Projekt realisiert werden konnte:

"Wir haben hier über 70.000 Euro verbaut. Es ist auch für die Schüler ein wichtiger Lernprozess, dass solche Bauprojekte vernünftig vorbereitet werden müssen, über die Bauplanung bis hin zur nicht leichten Beschaffung der finanziellen Mittel. Ich bin felsenfest davon überzeugt, dass dieser Lernprozess lehrreich war und gut war."

Und auch die Schüler sind letztlich froh, dass nach so langer Zeit das eigene Projekt endlich zum Abschluss gelangt ist.

Schüler: "Früher dachte ich auch, das ist einfach nur eine Grünanlage, ein Park, da kann man sich hinsetzen, keiner wusste, dass es ein Friedhof ist. Saßen auch immer Leute mit Bier auf der Wiese da. Und ich fand es wichtig, dass man das sichtbar macht und dass da 'nen Platz ist, wo man den Opfern gedenken kann."