Gottgewollt oder vom Menschen gemacht?

Von Susanne Arlt · 05.12.2012
Im Sommer hat Amerika unter der schlimmsten Dürre seit mehr als 50 Jahren gelitten. Weizen und Mais vertrockneten auf den Feldern, Rinder verendeten. Viele Farmer betrachten das als göttliche Fügung - und nicht als Folge des Klimawandels.
Die Reise beginnt in Chicago und geht Richtung Westen. Das Ziel: Monmouth. Eine Kleinstadt im Bundesstaat Illinois, 9000 Einwohner groß, nicht weit vom Mississippi River entfernt.

Die Route führt über die Interstate 88. Ein Abschnitt der Autobahn heißt Ronald Reagan Gedenkstrecke. Der ehemalige US-Präsident stammt aus der Gegend. Flaches Land, manchmal sanft geschwungen.

Selten sind Städte am Horizont zu sehen, dafür umso mehr Ackerland. Weizen, Soja und vor allem Mais werden hier angebaut. Die Amerikaner nennen den Mittleren Westen "Corn Belt", übersetzt Maisgürtel.

Normalerweise gedeihen in der Gegend rund um Monmouth Mais und Weizen besonders gut, denn der Westen von Illinois gehört zu den Regionen, in denen sich die fruchtbarsten Böden der USA befinden.

Vor 30 Jahren gründete die Universität von Illinois auch deshalb einen Ableger in Monmouth: das agrarwissenschaftliche Institut für Forschung und Anwendung. Auf einer 320 Hektar großen Testfläche forschen Wissenschaftler seitdem unter anderem zum Thema Fruchtbarkeit, Bodenbearbeitung und Pflanzenkontrolle. Pflanzenpathologin Angie Peltier hat sich an diesem Vormittag mit Rick Wingbigler von der kommunalen Wasser- und Bodenbehörde und Mark Phillipson vom Landwirtschaftsministerium verabredet. Vor ihnen auf dem Tisch liegt ein DIN A3-Farbausdruck. Darauf zu sehen ist, wie stark die einzelnen Regionen von der Austrocknung betroffen sind. Monmouth sieht nicht gut aus. Weiter südlich in Illinois ist es noch schlimmer. Dort habe man inzwischen den Notstand ausgerufen, sagt Mark Phillipson.

"Hier auf dem Tisch sehen wir zwei Maiskolben. Die stammen aus unserer Gegend. Sie sehen ja selber: Einer von beiden ist bis zur Spitze voll entwickelt, hat pralle, gelbe Körner. Der andere aber, der ist viel kleiner, krumm gewachsen, ja verschrumpelt. Die Körner konnten sich nicht richtig entwickeln. Derart unterentwickelte Exemplare sind bei uns im Mittleren Westen derzeit leider keine Seltenheit."

Mark Phillipson arbeitet für eine Unterbehörde des amerikanischen Landwirtschaftsministeriums. Mit den Bauern aus der Region steht er in engem Kontakt, unterstützt sie, wenn sie einen Antrag auf Agrar-Subvention stellen möchten. Phillipson, ein kräftiger Zwei-Meter-Mann, bringt so schnell nichts aus der Ruhe. Doch dieser verdorrte Maiskolben direkt vor ihm auf dem Tisch lässt ihn nicht kalt. Auch seine Kollegin Angie Peltier schaut nachdenklich auf die Dürre-Karte. Ob diese Entwicklung etwas mit dem Klimawandel zu tun hat?

Mark Phillipson schüttelt den Kopf und hebt abwehrend die Hand. Sein Kollege Rick Winbigler sieht es ähnlich - so wie die meisten Menschen hier im Mittleren Westen der USA.

"Ich glaube, die meisten hier denken, dass eine Dürre wie in diesem Sommer nur alle 20 Jahre vorkommt. Nächstes Jahr wird schon alles wieder in Ordnung sein. Die Bauern machen sich da nicht allzu viele Gedanken. Dieses Jahr ist halt ein schlechtes Jahr und im nächsten Jahr wird es wieder genug regnen."

Laut Meteorologen war dieser Sommer der heißeste seit Beginn der Wetteraufzeichnungen in den USA. Die Bilder der verdorrten Felder erinnern an die verheerende Dürre in den 30er-Jahren des vergangenen Jahrhunderts.

Der sogenannte Dust Bowl hat sich tief in das Gedächtnis der Amerikaner eingegraben. Die Mitte des Landes wurde damals zu einer Art Staubschüssel. Eine halbe Million Menschen verließen ihre Heimat und wanderten nach Kalifornien aus. Solche Horrorszenarien werden sich nicht wiederholen, glaubt Rick Winbigler. Zumindest nicht in Illinois. Seine Behörde ließ Trockendämme und Terrassen errichten sowie Drainagen verlegen. Zu Bodenerosionen kommt es seitdem kaum noch.

"Eines aber ist wirklich schockierend. Obwohl wir diese ganzen Maßnahmen ergriffen haben und unsere Gegend vermutlich über die fruchtbarsten Böden in den USA verfügt, müssen wir jetzt mit ansehen, wie Maispflanzen, die Anfang Juni noch satte Früchte trugen, nach nur zweieinhalb Monaten vertrocknet sind."
Existenzbedrohend sind die Folgen der Dürre für die Farmer bislang glücklicherweise nicht: Rund 80 Prozent aller Bauern sind gegen solche Ernteausfälle versichert. Viele Farmer in Illinois betrachten den Verlust zudem als göttliche Fügung, nicht als eine Folge des Klimawandels.

Die US-Regierung teilt diese fromme Auffassung allerdings nicht. Um den Ausstoß von CO2 und anderen Treibhausgasen zu reduzieren, wurde das agrarwissenschaftliche Institut für Forschung und Anwendung in Monmouth beauftragt, Mais auf eine nachhaltigere Art zu kultivieren. Angie Peltier, die an diesem Millionenprojekt beteiligt ist, soll die Menschen aus der Region für dieses Thema sensibilisieren.

"Das kann ich Ihnen sagen: Auf diese Aufgabe freue mich wirklich nicht. Klimawandel ist ein heißes Thema hier. Und es wird ein immer politischeres. Meine eigenen Eltern glauben nicht an den Klimawandel. Ich aber schon, denn ich kenne die Zahlen und Fakten. Und genau darum wollen wir ja mit unseren Tests zeigen, dass man das Land nachhaltiger bewirtschaften kann.

Aber erst wenn die Leute merken, dass dadurch mehr Geld in ihren Portemonnaies landet, erst dann werden sie bereit sein, diese Maßnahmen durchzuführen. Sollte der Aufwand aber zu hoch sein und sich wirtschaftlich nicht lohnen, dann werden die Bauern meiner Meinung nach rein gar nichts ändern."

Kollege Rick Winbigler von der lokalen Wasser- und Bodenbehörde pflichtet ihr bei. Wie ein Acker bestellt werde, sei von großer Bedeutung, sagt der Experte und erklärt am Beispiel: Um den Zeitpunkt der Aussaat beeinflussen zu können, bearbeiten die Bauern bis heute mehrmals ihren Boden. Nur so können sie anschließend mit schwerem Gerät über den Acker fahren. Doch durch diese Prozedur trocknet der Boden aus.

"Wenn du rausgehst, deinen Boden vier bis fünf Mal bearbeitest, ihn umgräbst und dann regnet es nicht, na ja. Hättest du ihn nicht bearbeitest, dann wäre alles in Ordnung. Durch die intensive Kultivierung trocknet die Erde viel zu stark aus, und die Pflanzen können sich nicht mehr normal entwickeln. So gesehen tragen unsere Bauern eine Mitschuld."

Um der Dürre entgegenzuwirken, haben eine Handvoll Farmer Drainagen gelegt. Bei zuviel Regen sollen die Leitungen das überschüssige Wasser abführen. Bei geringem Niederschlag werden die Ventile geschlossen.

"Diese Methode ist sehr neu und muss erst noch getestet werden. Auch wenn man es derzeit nicht glauben mag, meistens haben wir hier eher zuviel als zuwenig Niederschlag. Na ja, in diesem Jahr ist das ja kein Problem."

Nicht weit von Monmouth lebt Terry Davis mit seiner Familie auf der Farm seines verstorbenen Vaters. Auf über 500 Hektar pflanzt der Bauer Soja, Weizen und vor allem Mais an.

Der 49-Jährige hat ausgesprochen gute Laune. Auch wenn in den vergangenen Wochen in Monmouth kaum ein Tropfen vom Himmel gefallen ist, geht es seinem Mais prächtig. Die Blätter saftig-grün, die Kolben goldgelb. Hier scheint die amerikanische Maiswelt noch in Ordnung. Davis nickt genüsslich, sein Lächeln wird noch breiter.

"Die Bauern hier sprechen davon, dass sie aufgrund der Dürre nur zwölf Scheffel Mais pro Hektar in diesem Jahr ernten werden. Ich werde vermutlich 80 Scheffel pro Hektar einfahren. Als mein Saatgutverkäufer anderen Bauern davon erzählte, wollten die das erst gar nicht glauben. Die waren verblüfft, wollten wissen, was ich denn nun anders und besser mache als sie?"

Terry Davis winkt seine Gäste in die geräumige Scheune. Dort steht ein 200-PS-Traktor. Daneben liegen etliche Gerätschaften auf dem Boden. Davis hebt eine flache Metallscheibe auf. Früher hat er mit dieser Scheibe den gepflügten Ackerboden aufgeschlitzt, um das Saatgut in die Furchen zu setzen. Heute lässt er das sein, das sei gar nicht nötig, sagt Davis.

Seit zwölf Jahren bearbeitet der Farmer seinen Acker nicht mehr auf althergebrachte Weise. Per Luftdruckluft bringt er jetzt den Dünger in die Erde und legt das Saatgut gezielt direkt darauf. Das schone Umwelt und Geldbeutel, sagt der 49-Jährige. Nach der Ernte lässt er die Pflanzenreste einfach liegen. Der Boden erodiert nicht mehr und kann den Regen besser speichern. In Zeiten der Dürre ist das ein Segen. Ein Geschenk des Himmels? Davis, gottesfürchtig und konservativ wie die meisten Farmer im Mittleren Westen, grinst und sagt dann:

"Den Boden nicht zu bearbeiten - das ist der einzig wahre Weg. Aber die Menschen hier sind stur. So wie sie ihre Haare seit 50 Jahren immer in eine Richtung kämmen, so bearbeiten sie eben auch ihren Acker. Der Großvater hat vier Mal im Jahr den Boden bearbeitet, dann machen sie es eben heute noch genauso. Es fällt ihnen einfach schwer, mit ihren Traditionen zu brechen. Ich will nicht sagen, dass ich das beste Beispiel bin für nachhaltigen Anbau in der Gegend, aber ich bin mit Sicherheit der radikalste."

Um das zu verdeutlichen, steigt Terry Davis in seinen Pick-up und fährt los. Nach zehn Minuten hält er an. Rechts und links der Straße Mais, soweit das Auge reicht. Davis läuft ein paar Meter ins Feld hinein, sein Körper verschwindet hinter den grünen Pflanzen, dann taucht er wieder auf. In seiner rechten Hand hält er einen langen Maiskolben.

"Dieser Kolben sieht doch prächtig aus, oder?! Den Boden hier habe ich nicht bearbeitet."

Terry Davis dreht sich um, läuft zur anderen Straßenseite. Dort hat ein Nachbar ebenfalls Mais angebaut. Dessen Pflanzen sind vertrocknet, nur noch dürre, fahlgelbe Gerippe. Diesen Mais kann man höchstens an Vieh verfüttern, meint Davis und deutet mit seinem Spaten nach unten. Der Boden ist aufgeplatzt, tiefe Rissen durchziehen den Acker.

"Merken Sie den Unterschied? Die Risse hier sind viel tiefer als bei mir. Das organische Material ist längst oxidiert, die Erde kann das Wasser nicht mehr halten, fängt an zu schrumpfen und die Pflanze vertrocknet. Sie sehen ja, selbst mit dem Spaten kriege ich sie kaum aus dem Boden raus."

Die USA gehören zu den wichtigsten Agrarproduzenten der Welt. Die Dürre macht sich inzwischen auch auf den internationalen Rohstoffmärkten bemerkbar: Der Preis für einen Scheffel Mais ist im Vergleich zum Vorjahr um 23 Prozent gestiegen. Darüber könnte sich Terry Davis doch freuen? Der Farmer schüttelt den Kopf. Nein, am Leid der anderen mag er sich nicht ergötzen. Er ist nur stolz darauf, dass sich nach zwölf Jahren Mühe sein nachhaltiges Arbeiten auszahlt. Und vielleicht werden sich seine Nachbarn jetzt ein Beispiel nehmen, denn bislang haben sie ihn eher belächelt.

"Wenn sich im Winter die Leute im Coffeeshop treffen und sich dann erzählen, dass der Nachbar 80 Scheffel Mais geerntet hat und nicht wie sie nur 20 Scheffel, dann denke ich, werden sie sich das Ganze noch einmal durch den Kopf gehen lassen."
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