Gottesdienst

Die erste Show war die am Altar

Messdiener
Der potenzielle Beginn einer Showkarriere? Messdiener verteilen Weihrauch. © dpa / picture alliance
Von Stefanie Oswalt |
Hape Kerkeling, Markus Lanz, Günther Jauch: Sie alle waren Messdiener und sind heute bekannte Fernsehstars. Für viele Jugendliche ist das Messdiener-Sein der erste Auftritt vor einem größeren Publikum - doch es gibt noch weitere Gründe für den bemerkenswerten Zusammenhang von Messdienern im ersten und Entertainern im zweiten Leben. Ein Buch mit etwas zu vielen Superlativen.
"Wenn sich Thomas Gottschalk vor seinem Publikum verneigt, dann merkt man, wo er das gelernt hat. So verbeugen sich nur ehemalige Messdiener..."
...sagt der Helmar Rudolf Willi Weitzel, Moderator der populären Kindersendung "Willi wills wissen."
"Die heilige Messe, die Fronleichnamsprozession oder die Betstunden für die Jugend um Mitternacht in einer abgedunkelten und nur von Kerzen erleuchteten Kirche sind voller Dramaturgie – voller – im besten Falle und Sinne – "magic moments", nach denen ja auch das Fernsehen lechzt... Die Kirche als Probebühne für eine weltliche Karriere im Fernsehstudio – schließlich ist der Moderator im Studio letztlich nichts anderes als ein Hohepriester der Show, der die wichtigen Elemente der Sendung zelebriert – wie eben ein Priester im Altarraum."
...sagt Sven Lorig, Morgenmagazin-Moderator, Entertainer in den dritten Programmen. Lorig und Weitzel zählen zu den erfolgreichen deutschen Fernsehstars, die der ehemalige ZDF-Intendant Markus Schächter für sein Buch "Messdiener – von den Altarstufen zur Showbühne" interviewt hat. Hinter den Buchtitel müsste eigentlich ein Fragezeichen, denn Schächter warnt:
"Es gibt keine Kausalität zwischen A und B. Zwischen diesem einen wunderbaren Job in der Öffentlichkeit mit dem Millionen-Publikum und dem roten Teppich und der verschrobenen Fast-Geheimwissenschaft des zeremoniellen Wissens um Messdiener mit der Stille des Altars, nein, das gibt es nicht. Aber in der Gesellschaft gibt es keine Institution, wo so viele Kinder so früh mit so vielen Aufgaben vor einer so großen erwachsenen Gemeinde ihren ersten Auftritt haben. Und möglicherweise zum ersten Mal spüren: Ich kann das."
Selbstvertrauen geben, Disziplin lehren
Dass das Messdiener-Dasein ihnen Selbstvertrauen gegeben und Disziplin gelehrt habe, bezeugen nicht nur die eher jüngeren Stars wie Lorig und Weitzel, sondern auch die der alten Garde wie Frank Elstner, Alfred Biolek oder Jürgen von der Lippe und die der mittleren wie Hape Kerkeling oder Reinhold Beckmann. Tatsächlich verblüfft, wie viele erfolgreiche Show-Größen die ersten öffentlichen Auftritte im Altarraum hatten. Vielleicht spiegelt sich darin aber nur, was in der säkularen Gesellschaft kaum noch vorstellbar ist: Dass die Gemeinde das soziale Netzwerk darstellte.
"Eine gut funktionierende Pfarrei in den 50er, 60er, 70er Jahren in der Volkskirche war gleichzeitig ein Magnet für wunderbare Zeltlager – der Beckmann beschreibt dies – für Fußballgeschichten oder für ne Erfahrung, die man nur macht, wenn man Mitglied in dem Klub ist. Also der Pfarrer nimmt den Messdiener mit in das Haus, wo der Tote im Dorf noch aufgebettet ist. Was sind das für Geschichten... Der junge Messdiener dient bei einer Hochzeit, wo es heißt 'Bleibt Euch treu, bis dass der Tod euch scheidet.' Oder auch die Möglichkeit, 50 Pfennige Trinkgeld bei der Taufe zu bekommen."
Es war eben sonst auch nur wenig los in den Dörfern und Vorstädten, aus denen viele der Showgrößen stammen. Auf Schächters Frage, wie er Messdiener geworden sei, antwortet Markus Lanz deshalb auch folgerichtig:
"Wie schafft man es, nicht Messdiener zu werden? Das war eigentlich eine Verpflichtung..."
Das mag heute anders sein – und doch gibt es laut einer Zählung der der deutschen Bischofskonferenz von 2009 bundesweit 436.000 Ministranten, Tendenz steigend. Seit den 1970er-Jahren dürfen vielerorts auch Mädchen in der Messe dienen, heute stellen sie sogar mehr als die Hälfte aller Ministranten. Trotzdem hat Schächter für sein Buch nur eine prominente Moderatorin gefunden, die zwar aus sehr rheinisch-katholischem Elternhaus stammt, aber eben nicht ministrieren durfte:
"Wie gerne wäre Anne Will Messdienerin geworden, aber der Pfarrer ihrer Pfarrei wollte unmittelbar an seinem Altar keine Mädchen haben."
Keine Messdienerinnen, keine Entertainerinnen. Man darf gespannt sein, wie sich die Lage in den nächsten Jahren entwickelt. Schächter sieht, trotz zahlreicher Kirchenaustritte, eine Renaissance des Katholischen. Dabei hat auch ihn verwundert, wie positiv seine Interview-Partner ihre christliche Kindheit beurteilen.
"Heute kommt ein Franziskus-Effekt dazu. Wenn der Boss des Vereins was darstellt oder repräsentiert, mit dem man sich identifiziert, dann ist man gern bei dem Verein. Oder man ist gern wieder bei dem Verein."
Messdiener als Opfer sexuell übergriffiger Pfarrer
Sogar Willi Weitzel, der Opfer eines sexuell übergriffigen Pfarrers wurde, der den damals 13-Jährigen, so schreibt Schächter, heftig umarmte, fordernd tätschelte und mit deftigen verbalen erotischen Annäherungen bedrängte.
"Wenn man ihn heute fragt, wie er diese Implosion seiner Welt religiöser Vorstellungen verarbeitet hat...so macht er deutlich, dass er keinen kausalen Zusammenhang zwischen Priestertum und Missbrauch sehen wollte.... Er nennt es heute seine persönliche religiöse Resilienz, seine besondere psychische Widerstandskraft."
Vom grundsätzlich positiven Einfluss der christlichen Kindheit auf das Ethos als Entertainer ist Schächter überzeugt:
"Durch die Bank haben die alle einen Unterhaltungsbegriff, wo man unterhalten will, ohne Menschen vorzuführen. Das ist in der heutigen Form der Unterhaltung schon ein Kriterium von einer gewissen Relevanz. Von einer ethischen Vorstellung, dass ich aufpassen muss, dass ich mit dem, was ich tue nicht allzuviel Schlimmes anrichte. Wenn man bedenkt, das habe ich nicht geschrieben, was etwa in der BBC passiert mit Showstars, die übergriffig werden, die ihre Grenzen nicht gesehen haben, wenn man sieht, wie in Frankreich und Italien dieser Beruf durchaus etwas Abgehobenes ist, dann sind meine 14 Kandidaten durchaus geerdete Menschen, die wissen, dass sie eine Verantwortung tragen."
Und was für "geerdete Menschen." Gelegentlich wünschte man sich als Leser, Schächter würde die lobenden Superlative für seine Kandidaten etwas sparsamer einsetzen. Andererseits: Wer sich interessiert, aus welchen katholischen und sozialen Milieus die großen deutschen Showgrößen stammen, hat hier seine helle Lesefreude. Denn amüsant plaudern und trotzdem über ihren Glauben reflektieren können sie alle: Medienmann Schächter und seine ehemaligen Messdiener.

Markus Schächter: Die Messdiener. Von den Altarstufen zur Showbühne
Herder 2014
240 Seiten, 18,99 Euro

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