"Gott, haben die Verrückten wieder zugeschlagen!"

Von Dietrich Mohaupt · 05.11.2013
Über die Jahre haben sich in Deutschlands nördlichstem Bundesland so einige Affären angesammelt: Die Barschel-Pfeiffer-Affäre, Engholms Sturz, der Heide-Mord – und jetzt der unselige Steuerdeal, der Susanne Gaschke das Amt als Kieler Oberbürgermeisterin gekostet hat. Insider sagen: Das ist kein Zufall.
"Schleswig-Holstein meerumschlungen, deutscher Sitte hohe Wacht, wahre treu, was schwer errungen, bis ein schönrer Morgen tagt!"

Die ersten Zeilen des Schleswig-Holstein-Lieds, der Hymne des nördlichsten Bundeslandes. Sie stehen für ein heute üblicherweise als eher beschaulich angesehenes Land. Im Westen die teils raue, stürmische Nordseeküste, im Osten sanfte Hügellandschaften und die weitläufigen, sonnendurchfluteten Ostseestrände, dazwischen jede Menge Landwirtschaft: Grüne Wiesen, ertragreiche Äcker, glückliche Kühe auf den Weiden – eben ein lebens- und liebenswertes Land, Jahr für Jahr Ziel für Millionen Urlauber.

Es gibt aber auch ein ganz anderes Schleswig-Holstein – eines mit zahlreichen Politaffären, mit Intrigen und Lügen, Verrat und Fehltritten.

Barschel: "Ich gebe Ihnen mein Ehrenwort!"
Engholm: "In der Absicht, mein Land und meine Partei davor zu bewahren, mit meinem politischen Fehler identifiziert zu werden, werde ich mein Amt als Ministerpräsident und meine Funktionen in der SPD aufgeben."
Kayenburg: "Für die Abgeordnete Simonis haben gestimmt 34 – Enthaltungen: eine!"

Gaschke: "Ich kann die politischen, persönlichen und medialen Angriffe, denen ich seit mehr als neun Wochen ausgesetzt bin, nicht länger ertragen – deswegen trete ich heute von meinem Amt als Oberbürgermeisterin zurück."

Die Barschel-Pfeiffer-Affäre, Engholms Sturz über das Geld aus der Küchenschublade, der Heide-Mord – und jetzt der unselige Steuerdeal, der Susanne Gaschke das Amt als Kieler Oberbürgermeisterin gekostet hat.

Was ist bloß immer wieder los, im hohen Norden? Wenn schon Affäre, dann richtig – es werden keine Gefangenen gemacht, hat der "Spiegel" erst kürzlich festgestellt. Klare Kante nennt der Norddeutsche das – so sind wir eben, meint auch Michael Kluth. Als Regionalchef der "Kieler Nachrichten" beobachtet er das politische Geschehen im Land seit Jahren.

Michael Kluth: "Das ist ja vielleicht auch eine Frage des norddeutschen Naturells – wenn wir sauer sind, dann sind wir richtig sauer. Wir können solche Affären nicht weglächeln – das gelingt in Süddeutschland, oder möglicherweise auch im Rheinland, vielleicht leichter, als es uns hier oben in Schleswig-Holstein gelingt. Wir stehen ja nicht ganz zu Unrecht im Ruf, Klotzköpfe zu sein."

Klotzkopf – im Wörterbuch der deutschen Umgangssprache steht dazu: Starrsinniger Mensch, Querkopf, Dickkopf! Weglächeln ist nicht – bei uns im Norden wird es eigentlich immer ganz schnell existenziell, da geht es bei jeder Politaffäre immer gleich ans Eingemachte – so scheint es. Angefangen hat das schon vor Jahrzehnten – als CDU und SPD sich in vergifteter Atmosphäre gegenüberstanden.

Michael Kluth: "Das rührt aus alter Zeit her, aus einer Zeit in den 60er und 70er Jahren, wo die CDU von Schleswig-Holstein Besitz ergriffen hatte und Schleswig-Holstein auch als ihren Besitz betrachtet hat. Da gab es Zeiten im Landeshaus, wo die Fraktionsmitglieder der einen Partei und der anderen Partei gar nicht miteinander gesprochen haben, weil aus dieser Zeit einfach ein durchaus abgrundtiefer Hass herrührt. Und das ist zur Explosion gekommen in der Zeit der Barschel-Affäre, die die CDU ja nicht nur die Macht gekostet hat sondern auch jegliches Ansehen und jeglichen Besitzanspruch auf Schleswig-Holstein."

Die Barschel-Pfeiffer-Affäre – für viele so eine Art Urknall, die Mutter aller Politaffären. Im Landtagswahlkampf 1987 hatte es eine beispiellose Schmutzkampagne gegen den SPD-Spitzenkandidaten Björn Engholm gegeben – die Spur führte in die Staatskanzlei zu Reiner Pfeiffer, Medienreferent von Uwe Barschel. Der CDU-Ministerpräsident beteuerte immer wieder, nichts von all den "dirty tricks" gewusst zu haben. In seiner legendären Ehrenwort-Pressekonferenz legte Barschel eidesstattliche Versicherungen von Mitarbeitern der Staatskanzlei vor – mit falschem Inhalt, wie sich später herausstellte – und beteuerte dann:

Uwe Barschel: "Meine Damen und Herren, über diese ihnen gleich vorzulegenden eidesstattlichen Versicherungen hinaus gebe ich Ihnen, gebe ich den Bürgerinnen und Bürgern des Landes Schleswig-Holstein und der gesamten deutschen Öffentlichkeit mein Ehrenwort – ich wiederhole, ich gebe Ihnen mein Ehrenwort, dass die gegen mich erhobenen Vorwürfe haltlos sind."

Knapp einen Monat später war Barschel tot – die Affäre aber noch lange nicht vorbei. Über Monate standen sich CDU und SPD im Land unversöhnlich gegenüber, nur langsam beruhigte sich die Situation wieder, man redete irgendwann sogar wieder mit einander.

Michael Kluth: "Dann wähnte die CDU sich wieder obenauf, als die Schubladenaffäre auftauchte, über die dann Björn Engholm gestolpert ist, dadurch kann Heide Simonis ins Ministerpräsidentenamt, die dann wiederum über den sogenannten Heide-Mord, das heißt einen Abweichler in den eigenen Reihe, gefallen ist und das Ministerpräsidentenamt wieder verloren hat – so kann man eine Linie ziehen zwischen den Affären, für die Schleswig-Holstein berühmt geworden ist. Das geht bis in die Zeit des Falles Gaschke jetzt, weil die tiefe Feindschaft zwischen dem SPD-Landesvorsitzenden Ralf Stegner und Susanne Gaschke und ihrem Mann Hans Peter Bartels – SPD-Bundestagsabgeordneter – aus der Zeit der Schubladenaffäre rührt."

Uwe Barschel am 18. September 1987
Uwe Barschel, CDU, am 18. September 1987 bei der berühmten "Ehrenwort"-Pressekonferenz© AP Archiv
Die Schubladenaffäre war ein Nachbeben der Barschel-Pfeiffer-Affäre
Diese Schubladenaffäre ist eigentlich eine Art Nachbeben der Barschel-Pfeiffer-Affäre. 1993 wurde bekannt, dass der ehemalige SPD-Landesvorsitzende Günther Jansen insgesamt rund 50.000 D-Mark an "Barschels Mann für’s Grobe" Reiner Pfeiffer gezahlt hatte- angeblich aus sozialen Gründen. Das Geld hatte er in einer Küchenschublade gesammelt – deshalb der Name "Schubladen-Affäre". Im Laufe der Untersuchungen zu diesem Vorfall geriet auch Björn Engholm in Bedrängnis. Er hatte immer behauptet, erst direkt vor der Wahl 1987 von den Aktivitäten Pfeiffers gegen ihn erfahren zu haben – und das stimmte einfach nicht. Engholm hatte sogar in einem parlamentarischen Untersuchungsausschuss 1988 dazu einen Meineid geleistet – die Folgen sind bekannt:

Björn Engholm: "In der Absicht, mein Land und meine Partei davor zu bewahren, mit meinem politischen Fehler identifiziert zu werden, werde ich mein Amt als Ministerpräsident und meine Funktionen in der SPD aufgeben."

Auch Günther Jansen als Auslöser der Schubladen-Affäre musste damals seinen Hut nehmen – nicht zuletzt weil der gebürtige Kieler Sozialdemokrat Norbert Gansel – damals Bundestagsabgeordneter, später auch Kieler Oberbürgermeister – den Aufklärer und Saubermann mit insgeheim eigenen Karriereabsichten gab. Gansel gilt auch als politischer Ziehvater von Hans Peter Bartels und dessen Ehefrau Susanne Gaschke, der gerade gescheiterten Kieler Oberbürgermeisterin.

Auf der anderen Seite war Ralf Stegner – aktueller Landeschef der SPD und ausgewiesener Gaschke-Kritiker – einst Pressesprecher und politischer Ziehsohn von Günther Jansen. So entstehen Feindschaften.

Freund – Feind – Parteifreund: Dass diese unter Politikern durchaus übliche Steigerungsform in Schleswig-Holstein gerne mal besonders intensiv ausgelebt wird, musste auch Ministerpräsidentin Heide Simonis bitter erfahren. Am 17. März 2005 endete ihre politische Karriere mit einem Paukenschlag – als ihr bei der Ministerpräsidentenwahl wohl ein Abgeordneter aus den eigenen Reihen die Stimme versagte, und zwar nicht nur einmal. 35 Stimmen hätte sie eigentlich bekommen sollen – von den Abgeordneten der rot-grünen Koalition und den beiden Vertretern des SSW, der Partei der dänischen Minderheit, die eine Regierung Simonis tolerieren wollten. In drei Abstimmungsgängen klappte das nicht, Heide Simonis wollte sich eigentlich gar nicht ein viertes Mal zur "Schlachtbank" führen lassen – tat es dann aber doch. Wieder gibt es 34 Stimmen für den CDU-Kandidaten Peter Harry Carstensen, verkündet Parlamentspräsident Martin Kayenburg – und:

Martin Kayenburg: "Für die Abgeordnete Simonis haben gestimmt 34 – Enthaltungen: Eine! Damit ist in diesem 4. Wahlgang keiner gewählt worden."

Heide Simonis – eiskalt abserviert, in einer Art und Weise, die niemand gut heißen wollte. Lars Harms vom SSW und CDU-Mann Jochen Wadepfuhl brachten es direkt nach dem Wahlgang auf den Punkt.

Lars Harms: "Niemand – egal welcher Couleur – hat es verdient, so vor die Tür gesetzt zu werden, und schon gar nicht von den eigenen Leuten."

Jochen Wadepfuhl: "Sie ist richtig demontiert worden – das tut einem selbst als CDU-Mann etwas leid."

Und bei der SPD rang man um Fassung – ein Verräter in den eigenen Reihen, für den damaligen Fraktionschef Lothar Hay war das ein echter Tiefschlag.

Lothar Hay: "Es ist einer der schwärzesten Tage in der Geschichte der Sozialdemokratie in Schleswig-Holstein. Hier steckt aus meiner Sicht politisches Kalkül dahinter. Das, was heute mit Heide Simonis gemacht worden ist, kann ich eigentlich nur als eine Ferkelei ersten Ranges bezeichnen."

Bis heute weiß wohl auch Heide Simonis nicht, wer der Abweichler, der sogenannte "Heide-Mörder" war – aber eines weiß die gebürtige Rheinländerin ganz sicher: Die Schleswig-Holsteiner sind ein bisschen anders als andere – Skandale und Politaffären im Norden haben gerne mal eine ganz eigene Qualität, meint sie.

Heide Simonis: "Es tickt schon ein bisschen anders hier – und es hat immer gekracht, und zwar immer heftig gekracht. Ich halte es für den größten Skandal, den wir hier durchstehen mussten, den Tod von Ex-Ministerpräsident Barschel. Dann den Rücktritt von Björn Engholm, dann – neben vielen anderen Sachen – die Weigerung des einen Kollegen, Genossen oder was auch immer, der mich nicht wählen wollte. Und so addieren sich die Schrecknisse übereinander und irgendwann knallt es dann auch wieder – also, sie sind schon echte Spökenkieker, und 'Achtern Diek' lebt es sich ein bisschen komplizierter."

Also – auf der einen Seite knallt es immer mal wieder richtig heftig in der schleswig-holsteinischen Landespolitik. Heide Simonis hat am eigenen Leib erfahren, wie es ist, wenn einer meint, zum Beispiel alte Rechnungen mit dem Stimmzettel begleichen zu können. Andererseits tut die ehemalige Ministerpräsidentin sich schwer damit, den schleswig-holsteinischen Politikbetrieb generell abzustempeln als besonders hart und unnachsichtig, wohlmöglich sogar als hinterlistig und intrigant. Politiker im Norden sind per se nicht schlechter als anderswo – haben aber natürlich auch ihre Schwächen, betont sie.

Heide Simonis: "Sie brauchen Stunden und Tage bis sie auftauen, da reicht eine Flasche Korn nun aber wirklich und überhaupt nicht – aber sie sind dann sehr zuverlässig. Wenn die Flasche Korn leer ist, ist sie für eine Freundschaft fürs Leben leer geworden. Das klingt jetzt alles so ein bisschen naiv, aber es ist so! Sie sind sehr zuverlässig, aber sie können Dummheiten machen, da kann man ja nur noch staunen. Und Dummheiten bis an eine Grenze wo man sagt: Leute, das kann man doch nicht machen."

Der SPD-Politiker Björn Engholm, aufgenommen am 3. Mai 1993 in Bonn.
Der SPD-Politiker Björn Engholm, 1993: Meineid vor Parlamentariern© AP Archiv
Schleswig-Holsteins Ministerpräsidentin Heide Simonis während der Konstituierenden Sitzung des Landtags in Kiel
Schleswig-Holsteins ehemalige Ministerpräsidentin Heide Simonis, SPD: "Es hat immer gekracht, und zwar immer heftig gekracht."© AP
"Lolitagate", etablierte sich schnell als Schlagwort
Vielleicht lässt sich ja auch der Fall Christian von Boetticher in diese Kategorie einordnen – schlicht eine Dummheit. Er selbst hat es im August 2011 vor versammelter Presse anders bezeichnet.

Christian von Boetticher: "Ja, es ist wahr: Ich hatte mich im Frühjahr 2010 in eine junge Frau verliebt und bin mit ihr mehrere Monate zusammen gewesen. Um es deutlich zu sagen: Ich habe zu diesem Zeitpunkt keinerlei Beziehung zu anderen Frauen gepflegt, so dass man nicht von einer Affäre sprechen kann – es war schlichtweg Liebe"

Gerade erst war Christian von Boetticher zum Landesvorsitzenden der CDU Schleswig-Holstein aufgestiegen, seine Nominierung als Spitzenkandidat seiner Partei für die bevorstehende Landtagswahl war nur noch Formsache – und dann das: Eine Beziehung zu einer 16-Jährigen – für die Christdemokraten im hohen Norden nicht akzeptabel.

Blitzschnell wandte sich so ziemlich die gesamte Partei gegen ihren Spitzenmann, der als Hoffnungsträger für die Zeit nach Peter Harry Carstensen anfänglich gefeierte von Boetticher bekam knallhart die rote Karte gezeigt. Logische Folge war der Rücktritt von allen Parteiämtern und kurz darauf auch der komplette Rückzug aus der Politik. Monatelang hatte sich das Unheil für von Boetticher zusammengebraut – immer wieder begleitet auch von gezielten Nadelstichen der Medien, so empfand es jedenfalls der Betroffene.

Christian von Boetticher: "Ich bin seit der Übernahme des Landesvorsitzes der CDU im September letzten Jahres immer wieder mit Spekulationen über mein Privatleben konfrontiert worden. Es gab mehrere Journalisten, die sicher zu wissen glaubten, dass ich schwul sei und ein Outing erwarteten. Es wurde sogar später behauptet, meine aktuelle Partnerin sei gar nicht meine Partnerin sondern nur vorgeschoben – schließlich lebten wir ja nicht zusammen."

Und auch die Details seiner Beziehung mit der Minderjährigen waren offenbar gezielt an die Öffentlichkeit gelangt. Der "Fall von Boetticher" bekam damit auch bundesweit wieder den Stempel aufgedrückt: Schon wieder so eine typisch schleswig-holsteinische Affäre – Lolitagate, etablierte sich schnell als Schlagwort. Christian von Boetticher hatte in dieser Situation eigentlich nicht den Hauch einer Chance auf ein politisches Überleben, meint NDR-Landeshauskorrespondent Stefan Böhnke.

Stefan Böhnke: "Lange bevor das mit der Affäre mit der Minderjährigen bekannt wurde ist dem von seinen Gegnern mit einer unglaublichen Abneigung begegnet worden. Es ist ständig versucht worden – auch gegenüber Journalisten – den als unfähig darzustellen, sowohl fachlich als auch charakterlich. Man hat es nicht gewagt, mit offenem Visier zu kämpfen sondern man hat versucht, ihn über die Presse zu erledigen."

Es gibt sie also, die dunkle Seite des Politikbetriebs in Schleswig-Holstein – aber, ist sie wirklich dunkler als in anderen Bundesländern? Susanne Gaschke ist davon jedenfalls überzeugt. Sie ist gerade aus dem Kieler Rathaus geflohen – hat ihren Posten als Oberbürgermeisterin aufgegeben. Sie sei dieser dunklen Seite einfach nicht mehr gewachsen, klagte sie in ihrem Rücktrittsstatement vor gut einer Woche.

Susanne Gaschke: "Ich kann die politischen, persönlichen und medialen Angriffe, denen ich seit mehr als neun Wochen ausgesetzt bin, nicht länger ertragen. Und ich kann nicht länger zulassen, dass meine Familie und meine Freunde sie mit mir ertragen müssen – deswegen trete ich heute von meinem Amt als Oberbürgermeisterin zurück."

Susanne Gaschke spricht von politischen Angriffen – und meint damit nicht nur die Angriffe, die es nun mal gibt, wenn man Fehler macht. Und sie hat mit ihrem Steuerdeal einen Fehler gemacht, das ist unstrittig. Aber die ehemalige Journalistin Susanne Gaschke glaubt ganz fest daran, dass sie Opfer eines Systems geworden ist, das eine Quereinsteigerin mit eignen Vorstellungen von einem neuen Politikstil einfach nicht akzeptieren wollte.

Susanne Gaschke: "Meine Damen und Herren, ich habe versucht, als politische Bürgerin und Mensch Politik für Bürgerinnen und Bürger, für Menschen zu machen. Ganz gewiss habe ich dabei auch Fehler gemacht. Ich habe das Gefühl, dass die Menschen solche Fehler durchaus verzeihen, wenn sie ehrliches Bemühen erkennen. Aber es gab politische Gegenkräfte, die diesen Politikansatz von Anfang an nicht dulden wollten. Und zwar mit einer Brutalität und Konsequenz nicht dulden wollten, die immer größeres Kopfschütteln auslösen, je weiter man von Kiel entfernt ist."

Susanne Gaschke bei ihrer Rücktrittserklärung im Kieler Rathaus.
Susanne Gaschke (SPD), ehemalige Kieler Oberbürgermeisterin, bei ihrer Rücktrittserklärung: Tiefe Feindschaft mit dem SPD-Landesvorsitzenden Ralf Stegner© picture alliance / dpa / Carsten Rehder
Politik wird auf der kleinen Bühne in Kiel schnell persönlich
Sie spricht den Namen nicht aus – aber klar ist, dass sie damit auch auf den SPD-Landesvorsitzenden Ralf Stegner zielt. Wie gesagt, die beiden verbindet bereits seit der Schubladenaffäre eine herzliche politische Feindschaft – und Ralf Stegner gehörte, ebenso wie der amtierende SPD-Ministerpräsident Torsten Albig, zu den Genossen, die Susanne Gaschke eigentlich lieber nicht als Oberbürgermeisterin der Landeshauptstadt haben wollten.

Für den Kieler Politikwissenschaftler Christian Martin ist genau das auch ein Teil des typisch Schleswig-Holsteinischen an den Politaffären im Land: Das politische Leben spielt sich sehr konzentriert auf einer recht kleinen Bühne ab – in der Landeshauptstadt Kiel eben. Politik wird hierzulande deshalb sehr schnell persönlich, meint er.

Christian Martin: "Die Leute hier kennen sich, und sie kennen sich gut. Und wenn man nahe aufeinander sitzt, dann führt das eben manchmal nicht nur zu Freundschaft sondern auch zu Animositäten. Und es verquickt sich hier auch vieles auf den verschiedenen politischen Ebenen – wir haben die Kommunalpolitik hier in der Landeshauptstadt Kiel, die dann personell und auch von der räumlichen Nähe her eng zusammenhängt mit der Landespolitik, und dann gibt es in der aktuellen Affäre um den Rücktritt von Frau Gaschke ja auch noch die bundespolitische Ebene – das kommt hier alles zusammen."

Und noch etwas ist sehr typisch für das politische Leben in Schleswig-Holstein – die Nähe auch zwischen Politikern und den Medien. Es herrscht oft ein sehr vertrauter Umgangston – man kennt sich oft schon seit vielen Jahren und redet eigentlich immer sehr offen miteinander, berichtet der NDR-Journalist Stefan Böhnke. Auf den Fluren im Landeshaus oder im Paternoster, dem quietschenden und klappernden Endlosfahrstuhl, gedeiht eine ungewöhnlich ausgeprägte Informationsbörse, die manchmal natürlich auch sehr gezielt gefüttert wird.

Stefan Böhnke: "Politiker und Journalisten sind hier noch enger zusammen als – denke ich – in anderen Landesparlamenten, als sowieso im Bundestag. Man begegnet sich nicht nur bei offiziellen Terminen, bei verabredeten Hintergrundgesprächen und Interviews, sondern immer wieder. Ob im Paternoster, ob beim Mittagessen – es werden immer wieder kleine Gespräche geführt. Und das führt auch dazu, dass man ganz schnell einen ganz guten Einblick kriegt, was los ist, selten etwas geheim bleibt und auch parteiinterne Streitigkeiten – die wahrscheinlich sonst hinter verschlossenen Türen stattfinden würden – bleiben nicht lange geheim sondern werden gerne brühwarm auch weitererzählt."

Politik als knallhartes, manchmal eben auch als richtig schmutziges Geschäft – beginnend mit dem "Urknall" Barschel-Pfeiffer-Affäre hat Schleswig-Holstein dafür immer wieder Beispiele geliefert. Und zwar mit einer solchen Regelmäßigkeit und immer wieder begleitet von überregionalem, meist sogar bundesweitem Medieninteresse, dass sich die Frage stellt, ob das nicht inzwischen mehr als nur ein paar Kratzer am Image des Landes und seines Politikbetriebs verursacht hat.

"Ist es vielleicht so, dass die Politik in Schleswig-Holstein mittlerweile ein so schlechtes Image hat, dass Menschen, die vielleicht über bessere Charakterzüge verfügen würden, abgeschreckt sind, überhaupt in die Politik zu gehen? Also – ich sage mal: Wir haben hier in der schleswig-holsteinischen Politik herausragende Köpfe, aber danach haben wir es vor allem in den Volksparteien inzwischen auch mit einem eklatanten … ich nenne es mal Fachkräftemangel zu tun."

Fakt ist: Politiker, noch dazu Spitzenpolitiker, zu sein in Schleswig-Holstein – das war in den vergangenen Jahrzehnten nicht unbedingt ein verlockendes Ziel. Es schien eigentlich immer nur eine Frage der Zeit zu sein, wann das Land mal wieder mit einer handfesten Politaffäre aufwarten würde. Allzu lange ließ der nächste Skandal nie auf sich warten – und es dabei ging es dann eigentlich auch immer wieder richtig zur Sache. Gut acht Jahre nach ihrer persönlichen Erfahrung mit dieser "dunklen Seite" des Politikbetriebs im nördlichsten Bundesland hat die ehemalige Ministerpräsidentin Heide Simonis genügend Abstand gewonnen, um das Ganze mit einer gehörigen Portion Galgenhumor betrachten zu können.

Heide Simonis: "Also – es gibt hier eine ganze Menge Sachen, wenn die passieren, da kann man nur lachen. Da sagt man: Gott, haben die Verrückten wieder zugeschlagen, kann doch alles gar nicht wahr sein. Aber es ist leider wahr!"