Gott für Anfänger
Die traditionellen Bindungen zu den großen christlichen Kirchen lassen nach. Deshalb sind viele Gemeinden dazu übergegangen, für Zweifler und Interessierte, Getaufte und Ungetaufte Anfängerkurse anzubieten.
Auf den Tischen weiße Decken, rote Papierservietten, Schüsseln mit Kartoffelsalat und Senf in Tassen. Es riecht nach Bockwurst. Reinhard Frommann kaut und lacht. Glaubenskurs, erster Abend.
Reinhard Frommann: "Ich wollte mal eine Klärung für mich selbst machen mit dem Glauben, was ich selbst unter Glauben verstehe, und möchte das gerne mit anderen austauschen, da bin ich ganz gespannt drauf."
Sagt´s und schiebt noch ein Stück Bockwurst hinterher. Rainer Frommann ist 66, die grauen Haare hängen in den Nacken, um seinen Hals hat er einen dunkelroten Seidenschal drapiert. Neben ihm auf dem Tisch liegt ein knallrotes Notizbuch.
"Ich glaube, dass man mit zunehmendem Alter mehr über den Sinn des Lebens mal nachdenkt und dann hat man ja die Vorstellung vor Augen, dass es irgendwann zu Ende ist, und deswegen denke ich mir, das ist so meine Geschichte, dass ich mich zunehmend mit solchen Themen beschäftige."
Etwa 40 Personen sitzen an sechs Tischen, plaudern über ihre religiösen Erfahrungen, über den Ärger mit der Kirche und den Sinn des Lebens. Da ist der Student mit dem kecken kleinen Hütchen, das er nie absetzt. Der Sportler, immer im Trainingsanzug, immer mit Turnschuhen. Die Rentnerin mit dem selbstgestrickten Pullover. Sie alle haben zehn Euro bezahlt für fünf Abende unter dem Titel "Warum glauben?".
Rainer Frommann erzählt: "In den letzten Woche sind mehrere meiner Bekannten gestorben."
"Da ist mir aufgefallen, dass Leute, die einen Glauben haben, mit dieser Situation ganz anders umgehen. Dass sie nicht verzweifelt sind, eher so in sich ruhen und auch mit einer gewissen Entspanntheit dem Ganzen entgegensehen und das ist eine ganz wichtige Erfahrung, die man machen kann, wenn man einen Glauben hat, das wünsche ich mir auch."
Ist Gott eine dunkle Macht oder ein Licht im Dunkel?
Thomas Müller: "Herzlich Willkommen hier im Sophie-Charlotte-Saal des Berliner Doms, schön, dass Sie da sind."
Der Mann da vorne im Saal sieht nach evangelischem Pfarrer aus. Dunkelbrauner, ein wenig abgewetzter Cordanzug, kein Schlips. Thomas Müller breitet die Arme aus:
"Ich bin überzeugt, dass hier heute Abend ganz viele ganz unterschiedliche Menschen zusammengekommen sind, Glaubende, Zweifler, Suchende, Christen, Gemeindeglieder, nicht Getaufte, Ausgetretene."
Gottesbilder ‒ die Teilnehmer sollen sich für eine These entscheiden und den entsprechenden Zettel ziehen. "Gott ist wie eine dunkle Macht, mit der man in der Nacht ringen muss" ist darauf zu lesen. Oder: "Gott ist wie ein Licht, das im Dunkel leuchtet und alles erhellt." Ann-Marie Ludwig hebt mal den einen Zettel hoch, mal den anderen. "Manchmal fühle ich mich von Gott bedroht", sagt die 27-Jährige mit leiser Stimme. Sie ist in einer streng evangelischen Familie aufgewachsen:
"Ich kann gar nicht von ihm weg, weil er ist sowieso da. Ich kann nicht einfach sagen, Schluss damit. Ich hätte immer das Gefühl, er ist da und ich weiß auch wirklich nicht, was hat das für Konsequenzen für mich, wenn ich sage, ich glaube nicht mehr. Es ist schon durchaus auch dieses beklemmende Gefühl, was da auch mit drinsteckt."1
Rafael Louis wirft seiner Lebensgefährtin einen besorgten Blick zu. Das, was sie sagt, kann der 30-jährige Franzose überhaupt nicht nachfühlen:
"Meine Mutter ist Jüdin, mein Vater ist Katholik, aber irgendwie haben sich meine Eltern geweigert, meiner Schwester und mir eine religiöse Erziehung zu geben. In der Theorie bin ich ein Jude, in der Praxis bin ich eher konfessionslos."
Für Rafael und Ann-Marie ist der Glaubenskurs deshalb auch eine Art Beziehungskurs. Hält es die Liebe aus, wenn die eine glaubt, der andere nicht?
Rafael: "Prinzipiell bin ich ein neugieriger Mensch und ich dachte mir auch dann, es kann uns beiden helfen, wenigstens zu verstehen, wie wichtig dann die Religion für meine Freundin ist."
Aschermittwoch im Berliner Dom. Bevor der Glaubenskurs beginnt, hat Pfarrer Müller die Teilnehmer in den Gottesdienst eingeladen. Nicht alle sind gekommen, nicht alle lassen sich am Ende das Aschekreuz auf die Stirn malen. Es wird an diesem Abend zu einer Art Zeichen ‒ wer fühlt sich zugehörig, wer nicht. Rafael Louis trägt kein Aschekreuz auf der Stirn. Auf das Blatt mit dem Glaubensbekenntnis hat er viele Fragezeichen gemalt.
Rafael: "Und für mich die ersten Zeilen sind noch sehr merkwürdig für mich. Können Sie mal kurz beschreiben, das finde ich total schön, dass Sie überhaupt hier sind. Was ist dieses sehr Merkwürdige, wenn Sie das mal kurz schildern können, das finde ich spannend zu hören, ja, ja verstehe."
Der junge Mann rutscht auf dem Stuhl hin und her, er reißt seine großen braunen Augen auf, kratzt sich am Kopf, stößt Luft aus. Pffft. In Rafael Louis arbeitet es.
Dialog Pfarrer/Rafael:
"(stöhnt) In meinem Gedanken ist es noch sehr schwer, (stöhnt), ich spüre doch etwas in mir und verlasse mich drauf, deswegen ist das für mich finde ich es immer noch sehr merkwürdig, aber trotzdem andererseits auch schön. Das ist erst mal ein Riesenbrocken, der da liegt, man weiß nicht genau, wie man sich dem annähert, ja genau, aber ... pfff. Vielen Dank. ‒ Bitte.""
Fünfter und letzter Abend des Glaubenskurses. Unzählige Kerzen tauchen den Sophie-Charlotte-Saal in ein gelbliches Licht. Es riecht nach Bienenwachs und Rotwein. Auf den Tischen rote und gelbe Tulpen. Rainer Frommann hat das knallrote Notizbuch neben sich auf den Tisch gelegt, sein dunkelrotes Seidentuch ist wie immer sorgfältig gebunden. "1974 bin ich aus der evangelischen Kirche ausgetreten", erzählt der Rentner:
"Ich bin ja so geprägt von der 68er-Zeit, und da haben wir ja die ganzen Institutionen infrage gestellt, es war eher so ideologisch, ich wollte nicht mehr in der Institution Kirche sein."
39 Jahre später wischt Rainer Frommann die Argumente von damals beiseite.
Er greift zum Glas, nimmt einen Schluck Rotwein, blickt sich um. "Ich fühle mich wohl hier", sagt er und nickt:
"Ich habe jetzt den Antrag gestellt und hab gestern mit dem zuständigen Pfarrer ein langes Gespräch geführt und werde jetzt da wieder drin sein demnächst. Mit Urkunde. Ich bin ganz aufgeregt (lacht)."
Reinhard Frommann: "Ich wollte mal eine Klärung für mich selbst machen mit dem Glauben, was ich selbst unter Glauben verstehe, und möchte das gerne mit anderen austauschen, da bin ich ganz gespannt drauf."
Sagt´s und schiebt noch ein Stück Bockwurst hinterher. Rainer Frommann ist 66, die grauen Haare hängen in den Nacken, um seinen Hals hat er einen dunkelroten Seidenschal drapiert. Neben ihm auf dem Tisch liegt ein knallrotes Notizbuch.
"Ich glaube, dass man mit zunehmendem Alter mehr über den Sinn des Lebens mal nachdenkt und dann hat man ja die Vorstellung vor Augen, dass es irgendwann zu Ende ist, und deswegen denke ich mir, das ist so meine Geschichte, dass ich mich zunehmend mit solchen Themen beschäftige."
Etwa 40 Personen sitzen an sechs Tischen, plaudern über ihre religiösen Erfahrungen, über den Ärger mit der Kirche und den Sinn des Lebens. Da ist der Student mit dem kecken kleinen Hütchen, das er nie absetzt. Der Sportler, immer im Trainingsanzug, immer mit Turnschuhen. Die Rentnerin mit dem selbstgestrickten Pullover. Sie alle haben zehn Euro bezahlt für fünf Abende unter dem Titel "Warum glauben?".
Rainer Frommann erzählt: "In den letzten Woche sind mehrere meiner Bekannten gestorben."
"Da ist mir aufgefallen, dass Leute, die einen Glauben haben, mit dieser Situation ganz anders umgehen. Dass sie nicht verzweifelt sind, eher so in sich ruhen und auch mit einer gewissen Entspanntheit dem Ganzen entgegensehen und das ist eine ganz wichtige Erfahrung, die man machen kann, wenn man einen Glauben hat, das wünsche ich mir auch."
Ist Gott eine dunkle Macht oder ein Licht im Dunkel?
Thomas Müller: "Herzlich Willkommen hier im Sophie-Charlotte-Saal des Berliner Doms, schön, dass Sie da sind."
Der Mann da vorne im Saal sieht nach evangelischem Pfarrer aus. Dunkelbrauner, ein wenig abgewetzter Cordanzug, kein Schlips. Thomas Müller breitet die Arme aus:
"Ich bin überzeugt, dass hier heute Abend ganz viele ganz unterschiedliche Menschen zusammengekommen sind, Glaubende, Zweifler, Suchende, Christen, Gemeindeglieder, nicht Getaufte, Ausgetretene."
Gottesbilder ‒ die Teilnehmer sollen sich für eine These entscheiden und den entsprechenden Zettel ziehen. "Gott ist wie eine dunkle Macht, mit der man in der Nacht ringen muss" ist darauf zu lesen. Oder: "Gott ist wie ein Licht, das im Dunkel leuchtet und alles erhellt." Ann-Marie Ludwig hebt mal den einen Zettel hoch, mal den anderen. "Manchmal fühle ich mich von Gott bedroht", sagt die 27-Jährige mit leiser Stimme. Sie ist in einer streng evangelischen Familie aufgewachsen:
"Ich kann gar nicht von ihm weg, weil er ist sowieso da. Ich kann nicht einfach sagen, Schluss damit. Ich hätte immer das Gefühl, er ist da und ich weiß auch wirklich nicht, was hat das für Konsequenzen für mich, wenn ich sage, ich glaube nicht mehr. Es ist schon durchaus auch dieses beklemmende Gefühl, was da auch mit drinsteckt."1
Rafael Louis wirft seiner Lebensgefährtin einen besorgten Blick zu. Das, was sie sagt, kann der 30-jährige Franzose überhaupt nicht nachfühlen:
"Meine Mutter ist Jüdin, mein Vater ist Katholik, aber irgendwie haben sich meine Eltern geweigert, meiner Schwester und mir eine religiöse Erziehung zu geben. In der Theorie bin ich ein Jude, in der Praxis bin ich eher konfessionslos."
Für Rafael und Ann-Marie ist der Glaubenskurs deshalb auch eine Art Beziehungskurs. Hält es die Liebe aus, wenn die eine glaubt, der andere nicht?
Rafael: "Prinzipiell bin ich ein neugieriger Mensch und ich dachte mir auch dann, es kann uns beiden helfen, wenigstens zu verstehen, wie wichtig dann die Religion für meine Freundin ist."
Aschermittwoch im Berliner Dom. Bevor der Glaubenskurs beginnt, hat Pfarrer Müller die Teilnehmer in den Gottesdienst eingeladen. Nicht alle sind gekommen, nicht alle lassen sich am Ende das Aschekreuz auf die Stirn malen. Es wird an diesem Abend zu einer Art Zeichen ‒ wer fühlt sich zugehörig, wer nicht. Rafael Louis trägt kein Aschekreuz auf der Stirn. Auf das Blatt mit dem Glaubensbekenntnis hat er viele Fragezeichen gemalt.
Rafael: "Und für mich die ersten Zeilen sind noch sehr merkwürdig für mich. Können Sie mal kurz beschreiben, das finde ich total schön, dass Sie überhaupt hier sind. Was ist dieses sehr Merkwürdige, wenn Sie das mal kurz schildern können, das finde ich spannend zu hören, ja, ja verstehe."
Der junge Mann rutscht auf dem Stuhl hin und her, er reißt seine großen braunen Augen auf, kratzt sich am Kopf, stößt Luft aus. Pffft. In Rafael Louis arbeitet es.
Dialog Pfarrer/Rafael:
"(stöhnt) In meinem Gedanken ist es noch sehr schwer, (stöhnt), ich spüre doch etwas in mir und verlasse mich drauf, deswegen ist das für mich finde ich es immer noch sehr merkwürdig, aber trotzdem andererseits auch schön. Das ist erst mal ein Riesenbrocken, der da liegt, man weiß nicht genau, wie man sich dem annähert, ja genau, aber ... pfff. Vielen Dank. ‒ Bitte.""
Fünfter und letzter Abend des Glaubenskurses. Unzählige Kerzen tauchen den Sophie-Charlotte-Saal in ein gelbliches Licht. Es riecht nach Bienenwachs und Rotwein. Auf den Tischen rote und gelbe Tulpen. Rainer Frommann hat das knallrote Notizbuch neben sich auf den Tisch gelegt, sein dunkelrotes Seidentuch ist wie immer sorgfältig gebunden. "1974 bin ich aus der evangelischen Kirche ausgetreten", erzählt der Rentner:
"Ich bin ja so geprägt von der 68er-Zeit, und da haben wir ja die ganzen Institutionen infrage gestellt, es war eher so ideologisch, ich wollte nicht mehr in der Institution Kirche sein."
39 Jahre später wischt Rainer Frommann die Argumente von damals beiseite.
Er greift zum Glas, nimmt einen Schluck Rotwein, blickt sich um. "Ich fühle mich wohl hier", sagt er und nickt:
"Ich habe jetzt den Antrag gestellt und hab gestern mit dem zuständigen Pfarrer ein langes Gespräch geführt und werde jetzt da wieder drin sein demnächst. Mit Urkunde. Ich bin ganz aufgeregt (lacht)."