González Viñas und Lázaro: „Alles ist Dada“

Künstlerin mit Graphic Novel dem Vergessen entrissen

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Zu sehen ist das Cover des Buches "Alles ist Dada. Emmy Ball-Hennings".
Leider mit wenig Informationen zum Werk der Protagonistin Emmy Ball-Hennings. © Avant-Verlag / Deutschlandradio
Von Tabea Grzeszyk  · 26.02.2020
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Emmy Ball-Hennings war Mitbegründerin des Dadaismus. Daran will die jetzt erschienene Graphic Novel erinnern. Die eindrücklich düsteren Illustrationen erzählen viel vom unsteten Leben der Avantgardistin - aber wenig über ihr künstlerisches Schaffen.
"Erfolg zu haben - wenn man darunter versteht, bekannt zu werden -, war nicht schwer. Man musste nur den Direktor bei Laune halten. Und den Regisseur. Und die Theaterkritiker. Und die wohlhabenden Kunden, die Einfluss hatten auf Direktor, Regisseur oder Kritiker. Und die Bohemièns, angesehene Schriftsteller und Dichter mit Einfluss auf Direktor, Regisseur … Das Künstlerleben, eine einzige Lektion in Anatomie."
Man muss keine Feministin sein, um bei der ganz in schwarz-weiß gezeichneten Biografie "Alles ist Dada" über das Leben der Avantgarde-Künstlerin Emmy Ball-Hennings in Rage zu geraten. Oben zitierte Zeilen werden von unzweideutigen Illustrationen begleitet, die die Abhängigkeit weiblichen Erfolgs von der sexuellen Befriedigung männlicher Entscheidungsträger Anfang des 20. Jahrhunderts unmissverständlich auf den Punkt bringen.

Eindrücklichr düster illustriert

Emmy Ball-Hennings war Geliebte, Muse und Modell für berühmte Maler, Fotografen und Literaten der klassischen Avantgarde, darunter Ferdinand Hardekopf, Georg Heym, Erich Mühsam oder Hugo Ball, ihren späteren Ehemann, mit dem sie gemeinsam in Zürich 1916 das "Cabaret Voltaire" gründete. Doch im Gegensatz zu ihren männlichen Künstlerkollegen wurde sie von der Geschichtsschreibung lange beiseite geschoben: "Sie ist die zu Unrecht vergessene Schlüsselfigur des Dadaismus, dieser Zäsur der Kunstgeschichte", heißt es im Einband des Buchs.
Zu sehen ist der Ausschnitt einer schwarz weißen Illustration mit der Protagonistin Emmy Ball-Hennings, zwischen Hugo Ball und Erich Mühsam.
Ausschnitt aus dem Graphic Novel, der die Morphium- und Äthersucht der Künstler-Avantgarde veranschaulicht.© Avant-Verlag
In der eindrücklich und wunderbar düster illustrierten Graphic Novel nehmen ihre Prostitution, die Morphium- und Äthersucht sowie die ausschweifenden Bettgeschichten mit dem Who's who der Künstler-Avantgarde breiten Raum ein. Seltsamerweise geht dabei fast unter, dass diese lebenshungrige Frau auch künstlerische Erfolge feiern und die Anerkennung ihrer Zeitgenossen für sich gewinnen konnte. Ihre Gedichte erschienen in Zeitschriften wie "Die Aktion", auch ihre Lyrikbände fanden Verleger. Als sie nach einem sechswöchigen Gefängnisaufenthalt wegen Diebstahls ihren ersten Roman schreibt, wird dieser ebenfalls veröffentlicht und von der Kritik gewürdigt.

Leider kommt ihr künstlerisches Schaffen zu kurz

In acht chronologisch aufgebauten Kapiteln erfährt man somit einiges über den unsteten Lebenslauf, doch erstaunlich wenig über das künstlerische Schaffen der Emmy Ball-Hennings: Kaum ein Gedicht wird zitiert, ihre Themen, die zwischen gelebtem Existenzialismus und mystischem Katholizismus oszillieren, werden eher am Rande erwähnt, als Kabarettstar auf der Bühne erleben wir sie fast nie.
Stattdessen steht die Geschichte der verkannten Künstlerin im Vordergrund, deren prekäre Existenz über sexuelle Abenteuer mit berühmten Künstlern und über den Austausch mit führenden Intellektuellen ihrer Zeit erzählt wird. Dazu kommt das unverzeihliche Fehlen einer historischen Einordnung, wenn kolonialhungrige Zeitgenossen der Kaiserzeit und Künstler das N-Wort in den Mund nehmen; ihr Rassismus wird im Buch kommentarlos reproduziert. Insgesamt ein zwiespältiges Lesevergnügen, das einen bitteren Nachgeschmack hinterlässt.

Fernando González Viñas und José Lázaro Marcos: "Alles ist Dada. Emmy Ball-Hennings"
Aus dem Spanischen übersetzt von André Höchemer
avant Verlag, Berlin 2020
232 Seiten, 25 Euro

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