Golfplätze in Nordkorea

25.05.2012
Mit "Kein Feuer, das nicht brennt" setzt Rayk Wieland hinterlistig sein Debüt fort. Der altbekannte Protagonist, Herr W., bekommt diesmal als Reisereporter, der keine Grenzen überschreiten kann, ernsthafte Probleme – seine Erfindungen scheitern an der Wirklichkeit.
Es gibt viele gute Gründe dafür, nicht auf Reisen zu gehen. Reisen sind lästig, führen doch immer nur zu den allseits bekannten Sehenswürdigkeiten, oder sie vernichten die unberührte Landschaft, indem sie sie entdecken. Reisende zerstören die Umwelt und die Kultur und lassen sich ausbeuten, indem sie blind ihren Träumen nach einem anderen, aufregenderen, schöneren Leben hinterherlaufen. Zu Hause zu bleiben heißt, mit all dem Schluss zu machen und zu begreifen, dass es da, wo man gerade nicht ist, auch nicht besser ist, als da, wo man ist.

So ähnlich sieht es auch der Held in Rayk Wielands hinterlistigem Roman "Kein Feuer, das nicht brennt" – nur dass dieser Herr W. sein Geld mit Reisereportagen verdient. Herr W. ist bereits aus Wielands Debüt "Ich schlage vor, dass wir uns küssen" bekannt, einem extrem komischen Nicht-Wende-Roman. Damals wurde er zum DDR-Dichter und Dissident, ohne etwas davon zu ahnen; jetzt schreibt über Reisen, die er nie unternahm, und hält das für einen Vorzug, weil es ihn unbestechlich und seine Berichte zuverlässig macht.

Schließlich lässt sich heute alles vom Schreibtisch aus sauber recherchieren. Was sind schon Fakten. Man muss doch nicht selbst auf einem Parkplatz gestanden haben, um zu wissen, dass er existiert, ein kühles Bier nicht getrunken haben, um es schildern zu können. Erschwerend kommt bei Herrn W. hinzu, dass er als Ostberliner auch 20 Jahre nach dem Mauerfall den Westteil der Stadt noch nicht betreten hat. Er hat ein Problem damit, Grenzen zu überschreiten, und seien es auch nur ehemalige, die kaum noch erkennbar sind.

Doch seine Probleme werden noch größer, als seine Nichtreise-Schreibpraxis auffliegt, nachdem die nordkoreanische Botschaft behauptet, der Autor, der über Golfplätze in Nordkorea schrieb, sei niemals in das Land eingereist. Auf einmal stehen seine Texte in einer Reihe mit den Hitler-Tagebüchern und den Gesprächen mit Hollywood-Größen, die ein deutscher Journalist in Los Angeles erfunden hatte.

Dass das Erfundene womöglich viel interessanter und wahrer ist als die schlichte Wirklichkeit, interessiert dann niemanden mehr. Moral ist simpel; sie verlangt nach Beglaubigung des Geschriebenen durch Authentizität der Erlebnisse. Eine Moral des Nichtreisen, der Gedankenreise, der Fantasie gibt es nicht.

Wielands satirische Welterkundung setzt vielleicht ein wenig zu sehr auf Klamauk, wenn der Held dann gleich auch noch einen Taxiunfall überlebt, und der Fahrer des Taxis wie Joschka Fischer aussieht. Oder wenn sich die nordkoreanische Botschaft, in der er Zuflucht sucht, als Hostel entpuppt und sein Zigarre rauchender Freund dort mit dem Feuerlöscher Bekanntschaft macht. Doch trotz solcher Überdrehtheiten auf der Handlungsebene ist das Buch witzig und geistreich – als satirische Auseinandersetzung mit dem Kult des Authentischen. Darauf deutet schon der Titel hin. Das Feuer, das nicht brennt, ist das weltweit zu findende Kaminfeuer auf dem Flachbildschirm, das eine Gemütlichkeit suggeriert, die es nicht gibt. Feuer, das nicht brennt, so räsoniert der Held, ist "der Inbegriff einer Welt der Surrogate, einer Welt des Als-ob."

Da entpuppen sich schließlich Doppelgänger von Prominenten als wirkliche Prominente, und Autoren, die doch für das Authentische zuständig sind, sind besonders echt, wenn sie abschreiben. "Die Realität ist in der Regel keine substanzielle Bereicherung von Gebrauchstexten", sagt Herr W. Und weil er damit absolut richtig liegt, ist dieser Roman ein großer Gewinn.

Besprochen von Jörg Magenau

Rayk Wieland: Kein Feuer, das nicht brennt
Roman
Kunstmann Verlag, München 2012
160 Seiten, 16,95 Euro

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Reisen im Kopf - Rayk Wieland: "Kein Feuer, das nicht brennt", Kunstmann Verlag (DLF, Büchermarkt vom 24.5.2012)
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