Goldgräberstimmung am Meeresboden

Sarah Zierul im Gespräch mit Joachim Scholl · 19.08.2010
Von der breiten Öffentlichkeit kaum beachtet - doch auch Deustchland macht sich im Pazifik auf die Suche nach den Schätzen der Tiefsse. Autorin Sahra Zierul hat die Fakten zusammengetragen.
Joachim Scholl: Es ist der größte Lebensraum unserer Welt: die Tiefsee. Über 60 Prozent der Erdoberfläche liegen tiefer als 1000 Meter im Meer, aber nur zwei bis drei Prozent dieser riesigen Zonen gelten als erforscht. Was man aber weiß: Dort, tief unten, warten gigantische Rohstoffvorkommen. Der Wettlauf um sie hat längst begonnen, es tobt ein globaler "Kampf um die Tiefsee", jetzt unter diesem Titel in einem neuen Buch ausführlich zu lesen, geschrieben hat es die Fernsehjournalistin Sarah Zierul, die für ihre Filmarbeit über die Weltmeere mehrfach preisgekrönt wurde. Sarah Zierul ist nun bei uns im Studio, guten Morgen!

Sarah Zierul: Guten Morgen, Herr Scholl!

Scholl: Seit 2006, Frau Zierul, hat Deutschland einen Claim im Pazifik, Meeresexperten sprechen vom 17. Bundesland, eine abgesteckte Fläche so groß wie Niedersachsen und Schleswig-Holstein, und dort wird in 5000 Metern Tiefe das Gelände erkundet, weil hier ja ein Schatz liegt, von dem die breite Öffentlichkeit bislang kaum etwas erfahren hat. Was ruht denn da so Kostbares, tief unten?

Zierul: Na, was am Meeresboden gefunden wurde, sieht erst mal gar nicht aus, als wäre es besonders wertvoll: Das sind schwarze, runzelige Knollen etwa von der Größe einer Kartoffel oder eines Tennisballs, die heißen Manganknollen und sind benannt nach dem Metall Mangan, was vor allen Dingen in ihnen vorkommt. Was sie aber so wertvoll macht, sind Elemente wie Kupfer, Nickel und Zink, die da drin in großen Mengen gefunden wurden, und deswegen gelten sie inzwischen unter manchen Experten als Rohstoffhoffnung der Zukunft für Deutschland, weil es sind Rohstoffe, die Deutschland bisher zu 100 Prozent importiert aus Staaten wie Chile, dem Kongo, Russland - und davon möchte sich Deutschland gerne unabhängiger machen. Und in Zeiten, wo Rohstoffpreise immer weiter in die Höhe schießen, wie es seit einigen Jahren der Fall ist, scheint es so zu sein, dass sich diese doch recht teure Förderung aus der Tiefsee, für die man auch erst Technik entwickeln muss, lohnen könnte. Deswegen hat Deutschland eben sich darum bemüht, so einen Claim im Pazifik zu bekommen.

Scholl: In Ihrem Buch, Frau Zierul, ist es nur ein Beispiel, also die Manganknolle, für einen, ja, wahren Goldrausch, der sich in der Tiefsee abspielt. Was befeuert denn diese Goldgräberstimmung noch?

Zierul: Na ja, es ist so eine Art Schlaraffenland so ein bisschen für die Goldgräber da unten, weil sie ständig auf neue Dinge stoßen, und was seit einigen Jahren ebenfalls ziemlich im Gespräch ist - oder wo sehr viel Forschung auch betrieben wird und auch die ersten Konzerne schon nach gucken - sind die sogenannten Schwarzen Raucher. Das sind so eine Art Vulkane am Meeresboden, da kommt heißes Wasser aus der Erdkruste raus, in dem sich diese ganzen Elemente aus der Erdkruste gelöst haben – und vor allen Dingen Gold, Silber, Kupfer, auch wieder Nickel, also Elemente, die natürlich, wie jeder weiß, sehr wertvoll sind und die dort vor allen Dingen in ungefähr doppelt so hoher Konzentration vorkommen wie an Land. Das heißt: Deswegen sind sie so wertvoll und so begehrt.

Aber das ist auch noch nicht das Ende der Fahnenstange: Es wurden an immer mehr Stellen im Meeresboden Erdöl und Erdgas entdeckt, wie wir jetzt im Golf von Mexiko alle mitbekommen haben, dass das eben auch unter sehr, sehr tiefem Meeresboden ist. Es gibt auch Diamanten im Meeresboden, es gibt sogenannte Methanhydrate, das ist Erdgas, was sich komprimiert hat zu einer Art von Eis – und so weiter, also man findet eigentlich alles, was man an Land findet, auch in der Tiefsee, aber zum Teil in sehr viel höheren Konzentrationen.

Scholl: "Das Tempo der Industrie bei der Erschließung der Tiefsee nimmt stetig zu, während wir Biologen mit der Erforschung neu entdeckter Lebensräume in der Tiefsee kaum hinterherkommen", das sagt ein Forscher, den Sie in Ihrem Buch zitieren. Es gibt inzwischen eine Art Volkszählung der Arten der Tiefsee, könnte man sagen, den Census of Marine Life, 2010, in unserem Jahr, das ist das Jahr der Artenvielfalt, ausgerufen von den Vereinten Nationen. Und bis jetzt hat man allein in der Tiefsee, nur in der Tiefsee – bis 2010 – 5600 neue Tierarten entdeckt, insgesamt schätzt man die Artenvielfalt auf 100 Millionen. Welche Gefahr geht denn für diese Lebewesen und für ihren Lebensraum von dieser kommerziellen Erschließung aus?

Zierul: Na ja, die Antwort, die ich, wenn ich diese Frage den Forschern gestellt habe, meistens bekommen habe, war: Wir wissen es einfach nicht. Also das heißt, natürlich glauben die, dass von einem Unfall, wie er im Golf von Mexiko stattgefunden hat, unglaublich große Lebensräume zerstört worden sind. Also die gehen schon davon aus, dass am Boden des Golfs von Mexiko in weiten Teilen jetzt eine Art Wüste herrscht, wissen nicht, wie schnell sich das regeneriert und können eben auf die Fragen – ja, was ist denn da überhaupt in der Tiefsee und wie lange dauert das, bis das sich wieder erholt –, können sie bisher keine Antwort geben. Weil das ist das große Problem: Die Tiefsee ist schwer zu erschließen, es ist schwer, da unten hinzukommen, es fehlen die Gelder, um wirklich systematisch vorzugehen und zu gucken, was lebt dort, und deswegen ist die Gefahr zum Teil schwer zu beziffern.

Was sie aber wissen, ist, dass diese Lebewesen, die dort unten leben, die uns sehr fremd sind, die zum Teil sehr lustig aussehen, zum Teil skurril, zum Teil wunderschön, dass die zum einen oft sehr selten sind und wirklich nur an bestimmten Orten im Ozean vorkommen – manche auch nicht, manche sind weiter verbreitet, aber viele wurden bisher nur ein einziges Mal auf der ganzen Welt gefunden –, und dass die sich sehr viel langsamer vermehren. Also alle Abläufe in diesem kalten, tiefen, da sind es vielleicht zwei Grad Celsius manchmal, am Meeresboden in 2000, 3000, 4000 Metern Tiefe, alle Abläufe sind ungefähr 25-mal so langsam wie an Land. Das heißt: Bis der Lebenszyklus sich dort erneuert, dauert es dementsprechend viel, viel länger.

Scholl: Der Kampf um die Tiefsee hat begonnen, im Gespräch mit Deutschlandradio Kultur ist die Journalistin Sarah Zierul, die jetzt ein Buch über dieses Thema vorlegt. Frau Zierul, nun haben wir die Gefahr seit diesem Frühjahr praktisch vor Augen, Sie haben es schon angesprochen: Im April explodierte im Golf von Mexiko die Ölplattform Deepwater Horizon. Die ökologischen Folgen sind jetzt noch kaum abschätzbar. Und Sie waren in der ganzen Welt auch unterwegs, auf Forschungsschiffen und Ölförderschiffen und Plattformen: Wie stellt man sich dort eigentlich, also vonseiten dieser Industrie, zu solch einem GAU, zu einem, ja, das war ja auch der größte anzunehmende Unfall? Ist das im Bewusstsein der Leute?

Zierul: Ich habe den Eindruck: Nein. Als ich angefangen habe zu recherchieren, ich war vor allen Dingen in Kontakt mit dem Erdölkonzern Total, dem französischen Konzern, weil die vor der Küste Angolas als erste in die Tiefsee vorgedrungen sind. Und als ich mit denen gesprochen habe, hatte ich den Eindruck, dass die vor allen Dingen wahnsinnig stolz sind auf ihre Errungenschaften, dass sie als erste Industrie eben in diesen fremden, fernen, auch irgendwo faszinierenden Lebensraum vorstoßen und das machen mit einer Technik, die vor zehn Jahren noch niemand für möglich gehalten hat. Also da hieß es noch, aus so tiefen Wassertiefen Erdöl zu fördern, das geht nicht, das ist viel zu kompliziert und zu teuer. Jetzt geht's, sie haben es bewiesen und haben, bevor das im Golf von Mexiko passiert ist, dieses Szenario eines Unfalls eigentlich sehr stark ausgeblendet. Natürlich haben sie Sicherheitskonzepte entwickelt und haben auch gesagt, na ja, wir haben ja auch kein Interesse daran, dass da irgendein Tropfen Öl verloren geht, weil das ist für uns ja Geld, und deswegen wollen wir auch nicht, dass was passiert.

Aber es zeigt sich eben jetzt, dass die Sicherheitsvorkehrungen nicht gut genug waren. Ich habe mit einem Forscher vom Senckenberg-Institut in Frankfurt gesprochen, die eben auch eine sehr große und renommierte Tiefsee-Abteilung haben, und die sagten, sie waren alle wirklich wahnsinnig erstaunt zu sehen, dass die Industrie zwar die Technik hat, da runter zu gehen und das Öl rauszuholen, aber keine Technik, um eben ein leckendes Bohrloch zu schließen, also wo man sich wirklich an den Kopf fasst.

Scholl: Allerdings: Die Kosten, die jetzt auf BP zukommen oder die sozusagen schon auf sie zugekommen sind, die könnten wahrscheinlich den Unternehmen dann doch so ein bisschen, ja, den zweiten Gedanken einräumen, dass es eventuell sehr, sehr teuer wird, wenn eben was passiert. Aber kommen wir noch mal zurück zu diesem Wettlauf der Staaten, Frau Zierul, bei dem sich ja doch auch die Frage stellt: Wem gehört eigentlich das Meer, was da unten liegt? Also jetzt einmal jenseits der traditionellen 200-Meilen-Zonen an den Länderküsten – was ist denn mit diesen riesigen Räumen auf See? Kann da einfach jeder hinfahren und sagen, hier bohre ich jetzt mal?

Zierul: Jein. Das ist unterschiedlich, je nachdem, wo man sich befindet, weil die Meere schon an bestimmten Stellen unterteilt sind, also vor der Küste gehören sie eben zu den jeweiligen Staaten, die dort Hoheitsrechte haben und sagen können, hier dürft ihr nach Rohstoffen graben oder auch nicht. Diese Hoheitsrechte hören aber in etwa 200 Seemeilen vor der Küste auf, das sind so 380 Kilometer, Pi mal Daumen, ich habe es gerade nicht genau im Kopf. Und danach ist eigentlich eben nach wie vor das Gebiet der, ja, das internationale Gebiet, Freiheit der hohen See, es gehört tatsächlich niemandem. Aber: Für den Meeresboden in diesem internationalen Gebiet gibt es seit einigen Jahren eine Behörde, die von den Vereinten Nationen geschaffen wurde, die Seebodenbehörde, und die darf dort tatsächlich Schürfrechte verteilen.

Deswegen hat auch Deutschland dort jetzt eben diesen Claim im Pazifik kaufen können, hat jetzt für 15 Jahre das Recht, dort zu gucken: Können wir dort Manganknollen abbauen oder nicht? Diese Seebodenbehörde hat einen sehr ehrgeizigen Anspruch, nämlich eben, dieses Erbe der Menschheit, wie sie es nennen, zu verwalten und gerecht zu verteilen und auch Umweltregeln zu erlassen. Aber mein Eindruck ist, und das bestätigen mir eben auch viele Forscher, mit denen ich rede: Die sind heillos überfordert. Die haben 30 Mitarbeiter für eine Fläche, die zwei Drittel der Erdoberfläche bedeckt, also Kontrollen haben die keine, Schiffe haben die keine, die können sich nur darauf verlassen, dass das, was dort passiert, ja, dass die Leute mitmachen nach ihrem System.

Scholl: Sie schildern ja auch die ersten politischen, fast militärischen Konflikte zwischen Japan und Südkorea um solche Claims. Es werden ja von Fachleuten so regelrechte Kriege um die verbliebenen Rohstoffe befürchtet. Könnte es dazu kommen, gerade vielleicht um die Meere?

Zierul: Kriege um die Meere gibt es ja schon. Also man muss ja gar nicht jetzt so weit in die Zukunft denken und sich was ausmalen, was passieren könnte, man muss eigentlich nur in die Arktis zum Beispiel gucken, wo Russland vor ein paar Jahren sehr medienwirksam eine Flagge am Meeresboden abgesetzt hat und gesagt hat, hier, der Nordpol, der gehört jetzt uns. Daraufhin haben sich Kanada, USA, Dänemark, die Staaten, die auch Ansprüche auf den Nordpol erheben, sehr echauffiert, und jetzt geht es in eine neue Runde: Kanada und USA haben gerade angekündigt, eben auch den Nordpol untersuchen zu wollen, und schicken gleichzeitig auch neue Patrouillenschiffe, Küstenwache, Kanonenboote in die Arktis. Das ist so das Gebiet, wo man es im Moment am meisten mitbekommt.

Es droht aber wirklich an vielen Orten der Welt drohen Konflikte um diese Grenzziehungen im Meer: Wem gehört was, wo darf welcher Staat diese begehrten Lizenzen für Rohstoffe vergeben? Da ist auch zwischen Großbritannien und Argentinien kündigt sich ein neuer Konflikt rund um die Falklandinseln an. Also es sind alles Dinge, die so brodeln, so ein bisschen unter der Oberfläche, und es hängt sicherlich davon ab, wie sehr die Staaten es schaffen, den Konflikt untereinander friedlich beizulegen, ob es da eben zu wirklichen militärischen Konflikten kommt oder nicht.

Scholl: Die Journalistin Sarah Zierul, ich danke Ihnen für den Besuch und das Gespräch!

Zierul: Gerne!

Scholl: Ihr Buch "Der Kampf um die Tiefsee" ist jetzt im Verlag Hoffmann und Campe erschienen und kostet 22,00 Euro.

Sahra Zierul: Der Kampf um die Tiefsee, Hoffmann und Campe, Hamburg 2010, 352 Seiten, 22,00 Euro
Mehr zum Thema