Goldgelb und strahlend

13.03.2008
Dieter Hildebrandt erzählt in seinem Buch "Die Sonne. Biographie unseres Sterns" nicht etwa die Lebensgeschichte der Sonne, sondern den Bezug der Menschheit zu dem Stern. Der Autor hält Sonne und Erde für die vielleicht "grandioseste Zweierbeziehung im ganzen Universum".
Diese "Biographie" erzählt nicht etwa die Lebensgeschichte der Sonne, sondern die Geschichte der Menschheit in Bezug auf ihren Stern. Hildebrandts großes Thema ist, dass der Mensch seit Urzeiten rätselt, was es mit der Sonne auf sich hat. Mit diesem goldgelben, strahlenden Etwas, das wir nur blinzelnd betrachten können. Das zyklisch am Himmel erscheint und wieder verschwindet, dessen Wärme und Licht die Erde mit Grün überzieht. Dieser Stern lässt kaum einen Erdenbürger kalt. "Sonne und Erde", schreibt Hildebrandt, "das ist vielleicht die grandioseste Zweierbeziehung im ganzen Universum."

"Zweier-Kisten" haben gewöhnlich ihre Tücken. So auch die Beziehung des Menschen zur Sonne. Aus respektvoll-irdischer Distanz betrachtet, sieht dieser Stern recht freundlich aus. "Die Sonne scheint!" ist ein Satz, der (zumindest in unseren Breiten) ein wohliges Gefühl vermittelt. "Die Sonne scheint. Aber das scheint nur so" ernüchtert uns Hildebrandt.

Denn aus der Nähe (per Satellit) betrachtet, ist "unsere liebe Sonne" ein flammendes Inferno zwischen Werden und Vergehen, ein gelb glühender Wulst aus zerschmelzender Materie, eine kosmische Katastrophe. Ein Stern, der in rund fünf Milliarden Jahren erloschen sein wird. Eine noch ziemlich junge Erkenntnis. Sie stammt aus den Dreißigerjahren des letzten Jahrhunderts und wird im vorletzten Kapitel des Buches ausführlich diskutiert.

Hildebrandts "Sonnen-Biographie" geht chronologisch vor. Sie beginnt 1300 vor Christus im alten Ägypten und endet im 21. Jahrhundert. Echnaton: Diesen Namen hatte sich ein Pharao gegeben, der um 1300 vor Christus die monotheistische Religion erfand. Diese Religion war ein Sonnenkult. "Du vertreibst die Finsternis, Du gibst uns deine Strahlen. Die Menschheit erwacht und steht auf den Beinen, du hast sie aufgerichtet!" heißt es im "Sonnengesang" des Echnaton. - Kultus, Politik, Naturwissenschaft, Dichtkunst – in Echnatons Reich waren all diese Künste miteinander verwoben. Alles drehte sich um die Sonne. Wenn man so will, schreibt Hildebrandt, hat Echnaton das erste heliozentrische Weltbild entworfen.

Im Laufe der Jahrhunderte haben sich Sonnen-Gesänge und Sonnen-Forschung auseinanderdividiert. Aber Hildebrandt kann zeigen, dass Naturwissenschaft und Poesie in Sachen Sonne doch immer aufeinander bezogen blieben. Dass mancher Naturwissenschaftler viel poetisches Talent besaß. Siehe zum Beispiel den Text von Helmholtz "Über den Ursprung der Sonnenenergie" von 1871. Ein gelungener Essay.

Umgekehrt haben naturwissenschaftliche Hypothesen die Poeten niemals kalt gelassen. Ihre "Sonnen-Gesänge" sind immer auch Echo gewesen auf das, was die zeitgenössische Naturwissenschaft gerade über die Sonne herausgefunden hatte. Ein ganzes Kapitel zum Beispiel widmet Hildebrandt jenen melancholischen Abgesängen der Dichter an den Kosmos, veranlasst durch Atomphysik und Relativitätstheorie im 20. Jahrhundert.

Dieter Hildebrandt ist ein Mann mit weitem Bildungshorizont und dem Talent eines großen Erzählers. Ein paar Kapitel dieses Buches sind als historische Miniaturen gestaltet. Eine handelt von Hernando Cortés und seine Ankunft im Reich der Azteken. Den Leser schaudert ob der eindringlichen Beschreibung mancher Bräuche dieses Stammes, jener grauenhaften Allianz von Sonnenkult und Menschen-Schlächterei.

Auch in Sachen Geschichte der Sonnen-Forschung erfährt man viel, was jenseits unseres Schulwissens liegt. Zum Beispiel, dass der deutsche Chemiker und Nobelpreisträger Wilhelm Ostwald schon im Jahre 1909 über die "vollständige solare Energieversorgung der Menschheit" nachgedacht und sich mit der Entwicklung von Solarzellen beschäftigt hat. Der Erste Weltkrieg setzte dieser Forschung ein Ende.

Wer das menschliche Sonnen-Verhältnis im 21. Jahrhundert betrachtet, kommt am Thema "Erderwärmung und Klima-Katastrophe" nicht vorbei. Hier bemüht sich Hildebrandt um eine nüchterne Analyse des bedrohlichen Status quo, um dann fürs "Prinzip Hoffnung" zu votieren.

Dem Thema "Kern-Fusion nach Sonnen-Art" steht der Autor skeptisch gegenüber, hofft stattdessen auf die globale Nutzung der Photovoltaik-Technik, um den drohenden Kohlendioxid-Kollaps unseres Planeten zu verhindern. Allerdings (ziemlich am Ende des Buches steht ein Zitat von Ludwig Wittgenstein): "Dass die Sonne morgen aufgeht, ist eine Hypothese. Das heißt: Wir wissen nicht, ob sie aufgehen wird." Hoffen wir also das Beste.

Rezensiert von Susanne Mack

Dieter Hildebrandt
Die Sonne. Biographie unseres Sterns

Carl Hanser Verlag. München 2008.
390 Seiten. 23,50 Euro